Zuerst kam das Gesicht – Neandertaler entwickelte sich stufenweise

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MADRID. Wie entwickelte sich der Neandertaler? Die Wissenschaft war sich bislang uneins, ob sich alle körperlichen Änderungen gleichzeitig oder nach und nach vollzogen haben. Nun liefern Schädelfunde in Spanien neue Erkenntnisse.

Bei dem Neandertaler entwickelte sich wahrscheinlich zuerst das Gesicht und dann das Hirn. Das haben Untersuchungen von mehreren 430 000 Jahre alten Schädeln aus Spanien ergeben, die von frühen Verwandten des Neandertalers stammen. Bei diesen weisen Zähne und Gesicht der Urzeitmenschen die typischen morphologischen Merkmale des Neandertalers auf, das Gehirn war jedoch weniger entwickelt. Mit ihrer Studie konnte das Team um den Paläontologen Juan-Luis Arsuaga von der Universität Complutense in Madrid die Hypothese bestätigen, dass der Neandertaler nicht alle körperlichen Merkmale auf einmal entwickelte. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler im Fachjournal «Science».

Rekonstruktionsversuch eines Neandertalers im Museum für Vorgeschichte in Halle. (Foto: State Office for Heritage Management and Archaeology Saxony-Anhalt / State Museum of Prehistory Halle/Wikimedia CC BY 3.0)
Rekonstruktionsversuch eines Neandertalers im Museum für Vorgeschichte in Halle. (Foto: State Office for Heritage Management and Archaeology Saxony-Anhalt / State Museum of Prehistory Halle/Wikimedia CC BY 3.0)

Innerhalb mehrerer Jahrzehnte entdeckten Forscher in der Ausgrabungsstätte Sima de los Huesos (Knochengrube) im nordspanischen Gebirgszug Sierra de Atapuerca mehr als 6500 menschliche Fossilien. Sie lassen sich 28 Individuen zuordnen. «Diese Anhäufung von homininen Fossilien ist bislang einzigartig», sagte Erstautor Arsuaga.

Unter den Fundstücken befinden sich 17 Schädel, einige davon sind fast vollständig erhalten. Sieben der Schädel haben die Wissenschaftler nun erneut untersucht und dabei ein wiederkehrendes Muster festgestellt: Zähne und Gesicht entsprechen in ihren Merkmalen bereits der Morphologie des Neandertalers, während etwa die Hirnschale noch wenig entwickelt ist. «Tatsache ist, dass man in Europa keine Neandertaler-Hirnschalen findet, die älter sind als 200 000 Jahre», schreibt Evolutionsforscher Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie (Leipzig) in einem begleitenden Kommentar.

Von den Veränderungen betroffen sind vor allem die Regionen des Kopfes, die mit dem Kauvorgang in Verbindung stehen. Das lasse vermuten, dass der Ursprung des Neandertalers mit der Spezialisierung seines Kauapparates zusammenfalle, folgern die Wissenschaftler in ihrer Studie. «Die Schneidezähne zeigen starke Gebrauchsspuren», sagte Arsuaga, «als seien sie als eine Art dritte Hand verwendet worden – typisch für den Neandertaler.»

Bisher vermuteten die Forscher, dass die Funde aus der Sima de los Huesos im weitesten Sinne zur Art Homo heidelbergensis gehörten. Da die gefundenen Schädel jedoch mehrere Neandertaler-Merkmale aufweisen, widerriefen Arsuaga und sein Team die Einordnung. Die gefundenen Urzeitmenschen seien zwar Teil des Neandertaler-Klans, aber nicht zwangsläufig direkte Vorfahren. Die Wissenschaftler schlugen daher vor, sie als eigenständige Subpopulation zu betrachten. Ob es sich dabei um eine eigene Art oder eine Unterart handele, sei noch zu klären. Es sei wahrscheinlich, dass zu dieser Zeit mehrere Linien von Urmenschen nebeneinander existiert hätten. dpa

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