BERLIN. Der zwischen Bund und Ländern ausgerufene „Digitalpakt“ für die Schulen entwickelt sich zunehmend zu einer Posse. Nicht nur, dass die von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) in Aussicht gestellten fünf Milliarden Euro bislang nicht in der Haushaltsplanung des Bundes auftauchen (wodurch das ganze Projekt mittlerweile in Zweifel steht). Jetzt wurde auch noch bekannt, dass das Bundesbildungsministerium und mindestens zwei Bundesländer unabhängig voneinander nahezu identische Schul-Plattformen entwickeln lassen – jeweils für Millionenbeträge. Das wirft die Frage auf: Koordiniert eigentlich jemand das Vorgehen von Bund und Ländern in Sachen digitaler Bildung?
Für Stundenpläne, Hausaufgaben und digitalen Lernstoff sollen Schüler und Lehrer in Rheinland-Pfalz künftig auf eine gemeinsame Plattform im Internet zugreifen können. „Wir arbeiten daran, dass wir einen Schulcampus bekommen, einen gesicherten Raum für die digitale Kommunikation an der Schule“, sagte Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD). Die Online-Plattform könnte ein zentraler Baustein der angestrebten Digitalisierung in der schulischen Bildung werden.
650.000 Euro pro Jahr
Den Auftrag zur Entwicklung der Plattform hat das Pädagogische Landesinstitut (PL) erhalten. Für die Haushaltsjahre 2017 und 2018 wurden dafür jeweils 650.000 Euro im Landeshaushalt eingestellt. Der Schulcampus solle nach Möglichkeit auf Open-Source-Basis entwickelt werden, teilte das Bildungsministerium in Mainz mit. Anders als bei kommerziellen Software-Produkten ist bei Open Source der Quellcode offen zugänglich und kann von Entwicklern frei genutzt werden. Auch die Ergebnisse der Software-Entwicklung werden wieder als Open Source zur Verfügung gestellt. Der Schulcampus soll im Jahr 2021 in Betrieb gehen. Für 2019 und 2020 sind Pilotphasen mit dafür ausgewählten Schulen vorgesehen.
Skurril: Das Bundesbildungsministerium lässt derzeit an einem nahezu identischen Projekt arbeiten. Auf dem Digital-Gipfel im Juni gaben Ministerin Wanka und der Direktor des Hasso-Plattner-Instituts (HPI), Professor Christoph Meinel, während des Digitalgipfels in Ludwigshafen den Startschuss für die offizielle Testphase einer Schul-Cloud – eine Plattform, auf die Lehrer und Schüler aus ganz Deutschland jederzeit und überall zugreifen können. „Das Projekt der Schul-Cloud hat Signalwirkung. Es zeigt, wie mit einer digitalen Infrastruktur modernes Lernen und Lehren unterstützt werden kann“, sagte Wanka. Das HPI, eine eigenständige „Digital Engineering Fakultät“ der Universität Potsdam. ist zuständig für die Entwicklung.
Mit der neuen „Schul-Cloud“ wurden nun 26 Pilotschulen in 13 Bundesländern miteinander verbunden. „Die Schulklassen sind über WLAN mit der Cloud verbunden und können auf fachbezogene Lehrinhalte und Werkzeuge zugreifen“, so erklärte HPI-Direktor Christoph Meinel. Ob im Klassenzimmer, von zuhause oder unterwegs: Schüler und Lehrer können von jedem Ort und zu jeder Zeit die Cloud nutzen. Ein weiterer angedachter Vorteil: Für Schulen entfällt die Anschaffung und Wartung von leistungsstarken Rechnern, da sich alle Nutzer über einfach Eingabe- und Anzeigegeräte einloggen können. Voraussetzung ist ein Breitband-Internetzugang. Hintergrund, warum nicht einfach auf bestehende Cloud-Angebote von IT-Konzernen zurückgegriffen wird, ist der dabei fehlende Datenschutz. Die Kernfragen beim HPI-Projekt lauten deshalb: Wie werden Daten anonymisiert? Wie wird sichergestellt, dass sie nicht an Dritte weitergegeben werden können? Wo und wie werden die Daten verarbeitet? „Wir arbeiten eng zusammen mit mehreren Landesdatenschutzbeauftragten“, so heißt es beim HPI.
Zu den Entwicklungskosten verlautete das BMBF nichts – insgesamt ist dafür aber wohl ein siebenstelliger Betrag fällig. Bis April sollen nun Erfahrungen gesammelt werden; anschließend wird das Modell ausgeweitet, bevor es vollständig in die Fläche geht.
Peinlich! Wanka verspricht fünf Milliarden Euro für digitale Bildung in Schulen – und taucht dann ab
In zwei Wochen bereits, zum Schuljahresbeginn, wird hingegen das nordrhein-westfälische Projekt „Logineo“ starten – eine weitere „webbasierte Arbeitsumgebung, die auch einen Zugang zu digitalen Schulbüchern, weiteren Lernmitteln und Lehrmaterialien bietet“, wie das Schulministerium NRW informiert. „Logineo NRW entspricht den Anforderungen des Datenschutzes und unterstützt den verantwortungsvollen Umgang mit personenbezogenen Daten.“ Entwicklungskosten laut einem Bericht der „Neuen Westfälischen“: seit 2015 jährlich 600.000 Euro.
Bei der Finanzierung ihres Programms für digitale Bildung an Schulen rechnet das rheinland-pfälzische Bildungsministerium übrigens nicht mehr mit den Mitteln, die von Wanka bereits im Oktober 2016 für die digitale Ausstattung von Schulen angekündigt worden waren. Bei der genannten Summe von fünf Milliarden für alle Bundesländer würden nach dem Königsteiner Schlüssel etwa 240 Millionen Euro auf Rheinland-Pfalz entfallen. „Wir kalkulieren mit diesen Mitteln bisher nicht, weil wir nicht wissen, ob sie überhaupt kommen“, sagte Hubig. Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa
BERLIN. Enttäuscht hat sich der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, darüber geäußert, dass bis dato kein klares Bekenntnis des Bundes zu dem von der Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern ausgearbeiteten Eckpunktepapier vorliegt, das die Digitalisierung der Schulen in Deutschland vorantreiben soll.
Wie KMK-Präsidentin Susanne Eisenmann (CDU) befürchtet auch der Philologen-Chef ein Scheitern des Digitalpakts, falls die Einlösung dieses Versprechens von den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl abhängig gemacht wird. Meidinger lobte die grundsätzliche inhaltliche Einigung der Arbeitsgruppe, die Investitionen des Bundes in Höhe von fünf Milliarden Euro von 2018 bis 2022 in die digitale Infrastruktur vorsieht, während die Länder in die Lehrerausbildung, in die pädagogische Umsetzung und die professionelle Wartung der Geräte investieren.
„Derzeit droht diese wichtige Initiative daran zu scheitern, dass der Bund sich nicht zu dieser Einigung bekennt und damit auch der rechtzeitige Start des Digitalpakts Anfang 2018 mehr als infrage gestellt ist. Letztendlich ist angesichts der Bedeutung dieser versprochenen Investitionen in Deutschlands Schulen auch die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt infrage gestellt, sollte sich der Digitalpakt als leeres Wahlkampfversprechen herausstellen. Jetzt ist ein Machtwort der Kanzlerin überfällig!“, so Meidinger.