Tonne in der Höhle des Löwen: Philologentag watscht den Kultusminister ab

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GOSLAR. Weniger Unterricht, weniger Bürokratie, bessere Aufstiegsmöglichkeiten und Weihnachtsgeld: Niedersachsens Gymnasiallehrer haben viele Forderungen. Trotzdem wagte sich Kultusminister Tonne persönlich auf den Philologentag. Der watscht ihn ab – mit demonstrativ mattem Applaus.  Anders dagegen der Zuspruch, als Philologen-Chef Audritz ans Rednerpult tritt.

Mutig: Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne. Foto: Foto-AG Melle, derivative work Lämpel – Own work / WIkimedia Commons / CC BY 3.0

Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne hatte sich in die „Höhle des Löwen“ gewagt. Die gut 300 Delegierten des Philologenverbands, vor denen der SPD-Politiker am Mittwoch ein Grußwort hielt, ließen ihn spüren, was sie von seiner Politik halten. Hin und wieder matter Beifall – mehr folgt nicht auf die Worte des Ministers.

Anders reagieren die Vertreter des Gymnasiallehrerverbands auf die Rede ihres Vorsitzenden Horst Audritz. Mit Applaus und am Ende sogar rhythmischem Klatschen bekunden sie Zustimmung, als er dem Kultusminister unter die Nase reibt, wie unzufrieden die Lehrkräfte mit ihrer derzeitigen Arbeitssituation sind.

Lehrer arbeiten bis zu 55 Stunden die Woche – „über die Höchstgrenze“

Den Philologenverband mit seinen gut 8000 Mitgliedern stört vor allem die Arbeitszeit von wöchentlich bis zu 55 Stunden. «Der Einsatz überschreitet oft die gesundheitlich bedenkliche Höchstgrenze», beklagt der Vorsitzende. Lehrkräfte seien aus Zeit- und Termindruck zu Spät- und Wochenendarbeit gezwungen. «Es fehlt die Regeneration in den Abendstunden und an den Wochenenden», moniert Audritz. Zudem machten es «überbordende bürokratische Aufgaben» den Lehrkräften immer schwerer, «genügend Zeit für die Vorbereitung guten Unterrichts» aufzubringen.

Auch die äußeren Bedingungen stimmten nicht, bemängelt der Verbands-Chef. «Eigene Schreibtische, Aufbewahrungsmöglichkeiten für das Unterrichtsmaterial, Gruppenräume für das Lehrpersonal und Pausenräume, die den Namen verdienen, sucht man vergebens.» An die Kommunen als Schulträger appelliert Audritz: «Lassen Sie Ihre Schulen nicht verkommen. Beseitigen Sie den Investitionsstau und statten sie alle Schulen gleichermaßen gut aus.»

Der Kultusminister zeigt Verständnis und spricht den Lehrkräften «Dank für ihre Arbeit und das Engagement in den Schulen» aus. Ansonsten hat Tonne wenig Konkretes mit nach Goslar gebracht. Immerhin: Die Verpflichtung zur Archivierung von Klassenarbeiten solle aufgehoben werden. Weitere Vorschläge zur Entlastung der Lehrkräfte von unterrichtsfernen Aufgaben würden ebenso geprüft wie eine zeitliche Entlastung der schulfachlichen Koordinatoren.

Das Ganze sei ein «Spagat zwischen den Anforderungen der Unterrichtsversorgung, der Anzahl der vorhandenen Lehrkräfte» und der «notwendigen schnellen Entlastung», sagt Tonne. In jedem Fall, so kündigt er an, sollten im kommenden Jahr in Niedersachsen ebenso wie 2018 und 2019 mehr Lehrkräfte neu eingestellt werden als sich in den Ruhestand verabschieden.

Tonne sagt zu den konkreten Forderungen der Philologen – nichts

Zu den Forderungen des Philologenverbands nach einer geringeren Unterrichtsverpflichtung für alle Gymnasial-Lehrkräfte, bessere Beförderungschancen und Weihnachtsgeld sagt Tonne nichts. Auch auf ein weiteres Anliegen des Vorsitzenden geht er nicht ein.

Audritz lehnt nämlich die Demonstrationen der Fridays-for-Future-Bewegung während der Unterrichtszeit ab, weil das gegen die Schulpflicht verstoße. Als Politiklehrer freue er sich zwar über das Engagement und den Willen der Schülerinnen und Schüler, «Mitverantwortung für ein demokratisches Gemeinwesen und den Erhalt unserer Lebensgrundlagen zu übernehmen», sagt Audritz. Sie dürften sich allerdings keine Sonderrechte herausnehmen und einen Schultag auf Dauer zum schulfreien Tag erklären. Denn: «Auch gute Ziele rechtfertigen keine Rechtsbrüche.» Von Matthias Brunnert, dpa

Audritz im Wortlaut

GOSLAR. Niedersachsen endlich wieder in die Spitzengruppe der deutschen Bundesländer zu bringen, dazu hat der Vorsitzende des Philologenverbandes Niedersachsen, Horst Audritz, Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) auf dem diesjährigen niedersächsischen Philologentag in Goslar aufgefordert. Dies könne durch eine kluge Verbindung aus Innovationen und den Möglichkeiten der Digitalisierung, aber auch durch eine gezielte Rückbesinnung auf die Kernaufgaben von Schule gelingen.

„Der bisherige Weg, auf Beruhigung an der Bildungsfront zu warten und deshalb im Schneckentempo Bildungspolitik zu betreiben, lässt Niedersachsen immer weiter ins Hintertreffen geraten. Was wir brauchen sind zupackende Richtungsentscheidungen. Wir müssen wieder führend in der Unterrichtsversorgung, führend bei der Qualität der Abschlüsse sowie führend bei der pädagogisch angemessenen Fortentwicklung des Schulwesens werden. Das heißt für uns: Wir gestalten Zukunft!“, appellierte Audritz zu Beginn seiner Rede.

„Konzeptionitis ist für Lehrerinnen und Lehrer eine Zumutung“

„Die nach wie vor vom Kultusministerium geförderte Konzeptionitis ist für unsere Lehrerinnen und Lehrer eine Zumutung. Statt weniger Bürokratie erleben wir immer neue Auswüchse, statt zugesagter Entlastungen werden die Kollegien zunehmend weiter belastet“, kritisierte Audritz. Auch hier sei Niedersachsen im Kampf um die besten Köpfe, verglichen mit den anderen Bundesländern, im Nachteil. Die Erkenntnis, dass gute Arbeitsbedingungen für das Arbeitsklima und die Leistung wichtige Faktoren seien, müsse endlich auch für die Lehrkräfte übernommen werden.

„Unsere Forderungen bleiben deshalb unverändert bestehen: Wir brauchen eine Senkung der Unterrichtsverpflichtung, wir brauchen eine zeit- und inhaltsgleiche Übertragung der Tarifergebnisse auf die Beamten, wir brauchen dringend einen Ausweitung der Beförderungsmöglichkeiten, eine amtsangemessene Besoldung und wir brauchen endlich wirkliche Entlastungen von unterrichtsfernen Aufgaben sowie einen der Fürsorgepflicht des Landes entsprechenden Arbeits- und Gesundheitsschutz“, stellte der Vorsitzende klar.

Die wichtigste Aufgabe von Schule sei es nach wie vor, die Qualität der schulischen Bildung und der Abschlüsse zu erhalten. Es sei daher nicht nur eine Fußnote, wenn zum wiederholten Mal die Aufgabenstellungen des Abiturs bundesweiter Kritik und Protesten unterlägen. Niedersachsen belege beim Abiturnotendurchschnitt den letzten Platz im Ländervergleich, was zu einer deutlichen Benachteiligung im Wettbewerb um Ausbildungs- und Studienplätze führe. Dies könne so nicht weitergehen. „Es ist etwas faul, wenn Berlin die rote Laterne bei der Bildungsqualität erhält, dort aber ein besserer Abiturdurchschnitt vorliege sowie wesentlich mehr Schüler eines Jahrgangs das Abitur bekommen“, konstatierte Audritz.

„Ein Bundeszentralabitur wäre nicht realisierbar“

Die Konsequenz müsse sein, das Abitur in allen Ländern vergleichbarer zu machen, ein verbindliches Niveau sowie verbindliche Korrekturmaßstäbe zu definieren. „Ein Bundeszentralabitur lehnen wir vor diesem Hintergrund in naher Zukunft weiterhin ab, da es weder inhaltlich noch organisatorisch realisierbar wäre“, so Audritz. Es brauche den Mut zu allgemein verpflichtenden fachlichen Inhalten, damit eine Verständigung über das Abiturniveau gelinge. „Die Formel ist am Ende ziemlich einfach: Die Studierfähigkeit muss das Niveau bestimmen, nicht die Zahl der Absolventen oder der Durchschnitt!“

Der Philologentag habe mit seinem Motto, „Arbeiten und Lernen 4.0“ im ersten Jahr des Digitalpaktes bewusst ein herausforderndes Zukunftsthema für die Schulen in den Mittelpunkt gerückt. Auch hier spiele die Qualität der schulischen Bildung die zentrale Rolle. „Für uns geht es bei der Digitalisierung nicht nur um die Technik, es geht allem voran um die Inhalte“, so der Verbandsvorsitzende. Die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften, eine Überarbeitung von Lehrplänen, des Datenschutzes oder auch die Mitbestimmung am Arbeitsplatz Schule seien offene Punkte, die bislang ungelöst im Raum stünden. „Es ist nachgewiesen, dass Leistungen nicht durch Einsatz digitaler Medien besser werden. Im Mittelpunkt von Schule müssen daher weiterhin der fachlich hoch qualifizierte Lehrer und das klärende Unterrichtsgespräch stehen, die soziale Interaktion und der pädagogische Zuspruch. Das ist die beste Förderung. Solange diese Fragen nicht geklärt sind, Herr Kultusminister, werden die Mittel des Digitalpaktes verpuffen“, betonte Audritz in Richtung Tonne.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

„Schulen spielen die entscheidende Rolle“: Kultusminister Tonne will die Demokratiebildung aus ihrem Nischendasein befreien

 

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