Lehrerverbände sehen im Lehrermangel eine Ursache für das PISA-Debakel

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BERLIN. Nach den ernüchternden Ergebnissen der aktuellen PISA-Studie haben die GEW und der VBE Anstrengungen für mehr Chancengerechtigkeit im deutschen Schulsystem gefordert. „Die große Abhängigkeit des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler bleibt die Achillesferse des deutschen Schulsystems“, sagte Ilka Hoffmann, GEW-Vorstandsmitglied für den Bereich Schule. VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann sprach davon, dass Schule so zur „Sozialfalle“ werde. Dass sich die Ergebnisse gegenüber der Studie 2016 in allen getesteten Bereichen verschlechtert haben, führen die Lehrerverbände vor allem auf den Lehrermangel zurück. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, zeigte sich überrascht, dass die Einbrüche nicht noch stärker ausgefallen sind.

Absturz: Der aktuelle IQB-Viertklässler-Test ist schlechter ausgefallen als der von 2011. Illustration: Shutterstock
Absturz: Die aktuelle PISA-Studie zeigt Verschlechterungen in allen Testbereichen auf. Illustration: Shutterstock

„Auch fast 20 Jahre nach dem PISA-Schock schafft es Schule nicht entscheidend, Nachteile abzubauen, die Kinder aus dem Elternhaus mitbringen. Im Gegenteil: Der Lehrkräftemangel verschärft das Problem. Die Schere geht weiter auf“, sagt GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann. „Nur mit einer länderübergreifenden Anstrengung ist die Herausforderung, endlich für mehr Chancengleichheit zu sorgen, zu stemmen.“

Konkret heißt das für sie: „Insbesondere Schulen in schwierigen sozialen Lagen müssen deutlich gestärkt und begleitet werden, damit sie die Schülerinnen und Schüler besser unterstützen und fördern können. Sonst werden die Unterschiede zwischen Kindern aus bildungsbenachteiligten Familien und gut betuchten Elternhäusern gerade vor dem Hintergrund des gravierenden Lehrkräftemangels an Grundschulen zusätzlich verstärkt.“ Es sei unverantwortlich, so betonte Hoffmann, Quer- und Seiteneinsteiger insbesondere an Schulen einzusetzen, in denen ein sehr hohes Maß an pädagogischer Kompetenz erforderlich ist. Dies verstärke den benachteiligenden Effekt, der durch die frühe Aufteilung der Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule auf verschiedene Schulformen entsteht. Die GEW-Sprecherin meint, dass deshalb auch über die Schulstruktur gesprochen werden müsse.

Philologen sehen auch positive Entwicklungen – im Detail

Das sieht der Philologenverband naturgemäß anders. Aber auch dessen Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing fordert: „Schulen in sozioökonomisch-schwachem Umfeld müssen besonders gestärkt werden: Gute Konzepte und zusätzliche Investitionen sind nötig!“  Lin-Klitzing beschreibt allerdings auch positive Entwicklungen. „Im Bereich Lesekompetenz werden sozio-ökonomisch benachteiligte Schülerinnen und Schüler in Deutschland stärker: 10 Prozent dieser Kinder konnten sich 2018 im obersten Quartil der Leistungsverteilung platzieren.  Ebenso gilt dies für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund: Von ihnen konnten sich 16 Prozent im obersten Quartil der Leistungsverteilung platzieren“, so zeigt sie auf. Dass das Gesamtbild weniger positiv ausfalle, habe vor allem mit dem Lehrermangel zu tun – der mache sich in Brennpunkt-Schulen besonders bemerkbar.

VBE: Schulen benötigen Unterstützung durch multiprofessionelle Teams

VBE-Chef Udo Beckmann nimmt die Politik in die Pflicht. „Der PISA-Schock führte zu großen Anstrengungen, aber diesen Reformwillen kann man jetzt nicht mehr erkennen. Die Kultusministerien wirken zunehmend ratlos, welche Maßnahmen noch helfen könnten“, sagt er. „Dabei ist es so einfach wie naheliegend: Wir brauchen mehr Personal in Schule und die Unterstützung durch multiprofessionelle Teams, damit wir das Versprechen, das die Politik der Gesellschaft und insbesondere den Eltern gibt, nämlich die individuelle Förderung aller Kinder, auch wirklich einlösen können.“

Meidinger: Verdienst der Lehrer, dass es nicht noch schlimmer geworden ist

Angesichts des Lehrermangels zeigte sich Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, nach eigenem Bekunden „überrascht“, dass Deutschland nicht noch schlechter abgeschnitten hat. „Die Probleme und Herausforderungen für deutsche Schulen in den letzten Jahren waren riesig“, befand er – neben dem Unterrichtsausfall die hohe Mehrbelastung durch 200.000 Flüchtlingskinder, die 2015 bis 2017 an deutsche Schulen gekommen seien. „Es ist mit Sicherheit ein Verdienst auch unserer Lehrkräfte, dass da die Leistungen nicht noch stärker heruntergegangen sind“, erklärt Meidinger.

Böhm fragt: Was bringt der Vergleich mit Ländern wie China?

Jürgen Böhm, Vorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR), sieht den internationalen Vergleich kritisch. „Die scheinbaren Siegerländer wie China glänzen nicht gerade durch demokratische Grundstrukturen. Man muss genau hinschauen“, meint er. „Das ist nicht die Bildung, die wir in Deutschland wollen: Wir wollen nicht gute Leistungen durch Autoritäten erzeugen und die Schüler nicht mit diesem Druck nach Leistung überfrachten. Natürlich wünschen wir uns Spitzenplätze in den Bildungsstudien, aber nicht um jeden Preis. Aufklärung, die Befähigung zu Selbstbestimmung und demokratische Bildungstraditionen müssen die Grundlage zukunftsorientierter Bildung sein“, so Böhm.

Er plädiert für einen PISA-Bundesländervergleich – kennt die Ergebnisse allerdings schon. Denn: „In den Bundesländern mit einem äußeren differenzierten Schulsystem, in dem noch die einzelnen Schularten und Bildungswege ausgeprägt sind, zeigen sich in nationalen Studien und Leistungstests beste Ergebnisse und Spitzenplätze, die letztlich auch für die passablen internationalen Ergebnisse herhalten müssen.“ News4teachers

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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