Bayern streicht Goethes Faust als Pflichtlektüre aus dem Lehrplan. Ja und?

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Johann Wolfgang von Darf in der Oberstufe nicht fehlen: Goethe, Ölgemälde von Joseph Karl Stieler, Quelle: Wikimedia Commons
Kommen Schüler im „Land der Dichter und Denker“ ohne Goethe aus? Ölgemälde von Joseph Karl Stieler, Quelle: Wikimedia Commons

Die bayerische Entscheidung, Johann Wolfgang von Goethes «Faust» vom Schuljahr 2024/25 an aus dem Lehrplan zu streichen, stößt bei der Klassik Stiftung Weimar auf Kritik. Präsidentin Ulrike Lorenz reagierte mit Bedauern und Sorge darauf, dass Goethes Faust nicht mehr Pflichtlektüre an Gymnasien in Bayern sein solle. Sie appellierte in einem offenen Brief an Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die Entscheidung zu überdenken, bestätigte eine Sprecherin der Stiftung am Donnerstag in Weimar auf Anfrage.

Wie kaum ein anderes Werk der Weltliteratur sei der Faust ein «thematisch und sprachlich brisanter Anstoß zur Auseinandersetzung mit Grundlagen, Widersprüchen und dem Wandel in unserer heutigen Welt», schrieb Lorenz an Söder. Dabei gehe es nicht darum, Goethes Werk gegen zeitgenössische Literatur auszuspielen. Die Stiftung im thüringischen Weimar bewahrt das geistige und materielle Erbe der deutschen Klassik.

In Bayern soll mit dem Lehrplan 2024/25 eine 48 Jahre dauernde Phase enden, in der «Faust I» verpflichtende Lektüre war, wenn auch über fast drei Jahrzehnte hinweg nur für Deutsch-Leistungskurse.

„Es gibt ja auch viele andere gute literarische Werke; da ist es in Ordnung, wenn die Themen von Zeit zu Zeit wechseln“

«Goethes Faust wird dabei definitiv nicht aus dem Unterricht verbannt, sondern viele Schülerinnen und Schüler werden auch weiterhin dieses bedeutende Werk im Deutschunterricht lesen, weil hier grundlegende menschliche Fragen auch aus philosophischer und theologischer Sicht reflektiert werden», hatte Kultusminister Piazolo  kürzlich erklärt. Lehrer könnten das Werk auch künftig aufgrund seiner Bedeutung auswählen.

2019 gab es die Debatte bereits in Nordrhein-Westfalen, als dort der Faust aus dem Prüfungskanon für Abiturienten im Fach Deutsch verbannt wurde – wie News4teachers seinerzeit berichtete.„Ich bin fassungslos. Schule hat auch die Aufgabe, kulturelle Identität zu vermitteln, da gehört ein Werk wie Goethes ‚Faust‘ unbedingt dazu“, meinte Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, seinerzeit (ungeachtet der Tatsache, dass schon damals außer NRW und Bayern kein Bundesland mehr verpflichtend auf den Faust setzte).

Dies müsse auch bundesweit Konsens sein. Goethe sei ein Humanist und Universalgenie; er müsse jedem Abiturienten nahe gebracht werden. Die im „Faust“ behandelten Fragen seien zeitlos und stellten sich im Leben eines jeden Menschen. „Sie können junge Menschen dazu anregen, sich mit Themen zu beschäftigen, die jeden angehen“, befand Meidinger.

Die damalige Landesvorsitzende der GEW in Nordrhein-Westfalen und heutige Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Maike Finnern sah die Sache pragmatischer: Sie befand, der „Faust“ sei zwar für ein „wegweisendes Werk“, aber dennoch für verzichtbar im Abitur. Sie sagte: „Es gibt ja auch viele andere gute literarische Werke; da ist es in Ordnung, wenn die Themen von Zeit zu Zeit wechseln.“ Passierte auch: „Nathan der Weise“ rückte an die Stelle. News4teachers / mit Material der dpa

„Kosinussatz streichen! Lyrik verkürzen!“: Das nächste Schuljahr kann nur gelingen, wenn die Lehrpläne abgespeckt werden

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Leisetreter
1 Jahr zuvor

So richtig wüsste ich auch nicht, warum man das gelesen haben muss? Um sagen zu können, dass man das gelesen hat?

mama51
1 Jahr zuvor
Antwortet  Leisetreter

…und ich weiß ganz sicher, dass zu viel Bildung und Wissen bisher noch niemandem ernsthaft geschadet hat!

Hornveilchen
1 Jahr zuvor
Antwortet  mama51

Das ist doch nicht mehr als eine hohle Phrase.

Was genau lernt man aus Faust, was man nicht auch anders lernen könnte? Bitte antworten Sie!

Last edited 1 Jahr zuvor by Hornveilchen
Quacksalber
1 Jahr zuvor
Antwortet  Hornveilchen

Ob da noch was kommt von „Mama51“?

Moritz Rehfeld
1 Jahr zuvor
Antwortet  Hornveilchen

Aus dem Faust lernt man so viel, dass es unmöglich ist, diese Frage einfach zu beantworten. Alleine die zwei Vorspiele der Tragödie ersten Teils weisen Abstraktionsstufen auf, die bewusst machen, wie Figuren in Dramen zu verstehen sind, wie Gott und Religion im Werk zu verstehen sind, was die Stellung zwischen Gott und Teufel zu sein scheint, was die Motivationen von Theatergängern sind, die einem Drama zusehen und so weiter.
Darüber hinaus stellen die Figuren des Faust und des Mephistopheles, und, in Abwesenheit, Gottes, eine klassische Formation der Literatur dar, die es bis zu dem Zeitpunkt selten gab. Nur die Odyssee scheint von literarischer Qualität heran zu kommen; was im Faust II deutlich wird.
Die Tropen des Werkes sind eine Abhandlung mit Mystizismus des gemeinen Volkes und ein Abgesang an die vermeintliche Weltweisheit der Weisen, es ist ein Jubelruf auf die Jugend und auf die Gesellschaft.
Und, zu guter Letzt, ist es heute mehr denn je gefordert, die offensichtlichen männerchauvinistischen Themen des Faust zu analysieren und einer Kritik zu unterziehen.
Als mein Deutschlehrer (Grundkurs) verkündete, dass Faust nicht gelesen werden würde, war ich ausser mir. Eine solche Literatur ist extrem wichtig, um die späteren Aufklärer zu verstehen, die mit Goethe in Kontakt standen und eine Zeit der Verbesserung zugrunde legten.
Aber: „Wer sich von dreitausend Jahren nicht weiß Rechenschaft zu geben bleibt im Dunklen unerfahren mag von Tag zu Tage leben.“
Whatever.

Eric Thalo
1 Jahr zuvor
Antwortet  Moritz Rehfeld

SO JETZT REICHTS MIR ICH BIn IN DER 10. KLASSE AM GYMNASIUM UND DIE SCHEISSE GEHT MIR GEWALTIG AUF DIE EIER

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Leisetreter

Was muss man denn gelesen haben? Harry Potter? Ikea-Bauanleitungen? Das Formular zur Steuererklärung? Den UN-Migrationspakt?
Oder wählt halt jeder nach Gutdünken aus, je nach Gusto? Man kann doch bei fast jedem einzelnen, das in Bildungsplänen steht, sagen: „das muss nicht unbedingt sein“. Oft ist das auch nicht falsch. Aber wozu gibt’s denn noch Pläne?
Ich denke übrigens, allein der Eingangsmonolog bei Faust mit seinen Seitenhieben auf Kirche und Theologie (und anderes) ist es wert. „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ Wo sonst wird das so klar gesagt? Das „ich weiß, dass ich nichts weiß“ ist dagegen doch blass. Und dann „die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ mit der Antwort „man muss dran glauben!“ ist doch hochaktuell in der religiös dominierten Welt. Gerade hat der Iran den Rushdie für das Attentat auf ihn selbst verantwortlich gemacht, wie im Mittelalter („Ketzer sind selbst schuld, wenn sie auf dem Scheiterhaufen enden“).

Walter Hasenbrot
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Der Satz „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ist nur dann blass, wenn man es nicht versteht, ihn in den Kontext der sokratischen Methode zu setzen.

Dass die Schule einen nichts Sinnvolles lehrt („Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“), glaubt die Mehrheit der Schüler ohnehin.

Die Textstelle bezieht sich außerdem nicht im Kern auf Theologie, sondern nennt daneben auch Philosophie, Jura und Medizin. Also den gesamten Kanon der mittealterlichen Universitäten.

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

„… auch Philosophie, Jura und Medizin“
Ich hatte doch „und anderes“ geschrieben. Allerdings wird wohl niemand bestreiten, dass die Medizin reale Erkenntnisse gewonnen hat, sonst gäbe es ja z.B. keine Impfungen. Das konnte Goethe so noch nicht wissen. Was uns aber die Theologie in all den Jahrhunderten an Fortschritten gebracht hat, erscheint mir in der Tat fraglich. Sie gibt sich heute manchmal als Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln.

Stina
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Was die Theologie in all den Jahrhunderten an Fortschritten erbracht hat, erscheint Ihnen fraglich?
Erst durch die Christianisierung wurden Kindstötungen,die in der Antike noch legitim waren, verboten. Das Christentum und auch der Islam haben durch ihre Sozialethik Hospitalswesen,Armenversorgung,Bildungswesen ect.ect.maßgeblich vorangebracht.Das Subsidaritätsprinzip unseres Sozialstaates wurde m.M.n.von der katholischen Kirche erdacht..
Das sind nur die Beispiele die mir ganz spontan zu Theologie und Fortschritt einfallen.
Die „realen Erkenntnisse der Medizin“ wären ohne die intensive Krankenbeobachtung in den Spitälern schwer vorstellbar…..

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Stina

Christianisierung ist doch keine Theologie. Und die Bekehrung der „Heiden“ zum Christentum wurde oft genug mit Gewalt vollzogen. Wer sich widersetzte, wurde hingerichtet.
Ich frage mich, was in 1000 Jahren christliches Deutschland die universitäre Theologie uns gebracht hat. Ich erinnere an Galilei, der mit Folter bedroht wurde, weil seine physikalischen Erkenntnisse mit der Theologie kollidierten. Noch heute werden hier und da Leute bedroht oder benachteiligt, wenn sie die biologische Evolutionstheorie vertreten, auch in der islamischen Welt Die Theologen haben einfach zu viel Macht an sich gerissen, scheint mir, sie haben noch heute zu viel Einfluss.

Stina
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Theologie bedeutet, aus dem Altgriechischen übersetzt, die Lehre von Gott.
Es war der Zustrom großer Teile der Bevölkerung in die christlichen Urgemeinden,die die Abwendung von den mytologischen Gottheiten hin zur Lehre eines Gottes begünstigte .Schon ab diesem Zeitpunkt würde ich von Theologie sprechen.
Den Menschen der Antike haben wir naturwissenschaftlich,technisch und kulturell sicher eine ganze Menge zu verdanken. Allerdings waren viele Menschen von diesen Errungenschaften ausgeschlossen.Die Idee der Menschenwürde war noch nicht entzündet. Und daher durfte das männliche Familienoberhaupt z.B.auch darüber bestimmen, ob das Neugeborene in die Familie aufgenommen oder ausgesetzt oder auf andere Art umgebracht wird. Erst als der römische Kaiser Konstantin die christliche Lehre zur Staatsreligion erklärt, wurden Kindstötungen verboten.
Aus meiner Sicht haben wir der christlichen Lehre das Fundament unserer Sozialethik und weitere Schätze, die ich als Kulturgüter bezeichnen würde, zu verdanken.
Allerdings haben Glaubenskriege,Inquisitionen,…..all das was Sie wahrscheinlich auch so entsetzt, unglaubliches Leid gebracht..
Was die ursprünglich christliche Lehre mit diesen wahnhaften Durchsetzen von Dogmen noch zu tun hat…
Dass neben der staatlichen Justiz noch ein Kirchenrecht existiert, finde ich schlimm…..Vertuschung und Machtgebaren sind so Tür und Tor geöffnet.
Und auch haben Theologie und Kirche unsere Zivilisation vorangebracht.
Den Widerstand gegen den größten Zivilisationsbruch der jüngeren Geschichte haben viele Theologen mit KZ-Haft oder auch mit ihrem Leben bezahlt..

447
1 Jahr zuvor

Kultur (und ganz besonders anstrengende, die keinen „fun“ macht ey!) ist ja auch doof. Außerdem war dieser Götzengöthe ein alter, weißer Mann und hat bestimmt mit seinem SUV Klimagase gemacht… passt schon alles ins Bild.

Gelassen bleiben, entfällt Göthe halt.

So wie „Lesen“ überhaupt – das machen dann eben nur diejenigen, die für ihre Kinder Bücher anschaffen. Und die wiederum für ihre Kinder dann auch.

Nächste Station auf der Bildungsreise: „Jammer-jammer, soziale Herkunft determiniert Bildungserfolg, jammer-heul! Soziale Herkunft abschaffen, kreisch!“

Trollbuster
1 Jahr zuvor
Antwortet  447

Verschwörungstheorien kannste aber gut 447. Respekt

Hans Hoffmann
1 Jahr zuvor
Antwortet  Trollbuster

Dafür können Sie keine Ironie. 😉

Walter Hasenbrot
1 Jahr zuvor
Antwortet  Hans Hoffmann

Ironie ist nicht notwendig ein Qualitätsmerkmal.

Man kann auch ironisch dumme Dinge sagen.

Seebald
1 Jahr zuvor
Antwortet  Trollbuster

Ja, ja, immer diese Schwurbler mit ihren Verschwörungstheorien (nebenbei, sie sind nicht auf dem Laufenden: das aktuelle Framing lautet „Verschwörungserzählungen“)

…wenn nur nicht alle Verschwörungstheorien in letzter Zeit wahr werden würden…

„Uns wurde gesagt: Lesen, schreiben und rechnen ist nicht wichtig. Das sagte ein Schulinspektor 2012.
Da veränderte sich für mich mein Leben, als jemand, der ein Controlling ausübt über eine Schule, sagte: Das ist egal, ob die lesen, schreiben, rechnen können.
Das kann ich als Arbeiterkind nicht mehr nachvollziehen. Das ist auch nicht nachvollziehbar!

Partizipation, das wurde mir auch gesagt von hohen Beamten, wäre wichtiger als lesen, schreiben, rechnen. Das hätte ich zu verstehen dazu loyal zu sein. Dazu werde ich nie loyal sein!

Man kann nur partizipieren in dieser Gesellschaft, wenn man Fähigkeiten hat, und dazu gehört mit Sicherheit lesen, schreiben und rechnen.“
Michael Rudolph, Berliner Schulleiter in der RBB-Doku „Berlin.macht.Schule“

https://www.youtube.com/watch?v=HIABkOzojc4

Zum Glück läßt Nancy Faeser solche „unloyalen“ Kollegen zukünftig als Delegitimierer durch den Verfassungsschutz beobachten.

Last edited 1 Jahr zuvor by Seebald
447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Seebald

Und deswegen plädiere ich für Gelassenheit:“Jawoll Frau Dienstherr, schwere Dinge lesen die keinen fun machen ist heteronormativ-patriarchaler Müll und der Geniekult um alte weiße Männer reifiziert kolonialistische Denkstrukturen! Jawoll! *Hackenzusammenknall* Frau Dienstherrin, die Planquote für das Neulesen von Grähfik Nuu-wähls habe ich in meinem Kurs zu 470% übererfüllt! Den Donald Duck haben wir zusätzlich kapitalismuskritsch aufgearbeitet, Jungpioniere errichten die Plakataufklärungswand quer über das ganze PZ! Melde mich ab!“

Kommt der Göthe u. ä. eben in die Begabtenförderung der OS oder so, freiwillig. Werden starke Kinder noch stärker, schwache Kinder noch schwächer. Ist dann halt so.

Last edited 1 Jahr zuvor by 447
laromir
1 Jahr zuvor

So ändern sich die Zeiten. Wir haben damals (nicht in Bayern) „Faust“ noch im GK gelesen und er war Bestandteil des Abiturs. Schade. Ich fand ihn damals gut! Ob es tatsächlich Abwechslung in der Literatur geben soll oder ob das Textverständnis vielleicht so angenommen hat??? Wer weiß das schon…

Leseratte
1 Jahr zuvor
Antwortet  laromir

Ich fürchte, Letzteres 😉 SuS tun sich ja schon schwer mit aktuellen Texten. Sich durch Goethe- und Schillertexte „durchzukämpfen“, ist ja anstrengend!
Man kann den „Faust“ aber tatsächlich auch etwas schülerkonformer besprechen, als wir das in unserer Schulzeit erlebt haben … es gibt z.B. die Rockoper und es gibt Tobias Mann und Sommers Weltliteratur to go 😉

https://youtu.be/TdgWfZy8dR8
https://youtu.be/OMXvK6uScnY

“Faust“ kann auch spannend und interessant sein, wenn SuS nicht den Text einfach als Ganzlektüre für zuhause vor den Latz geknallt bekommen. 😉

laromir
1 Jahr zuvor
Antwortet  Leseratte

Wir haben Faust auch ganz gelesen und Schiller ebenfalls, bereits im der 10. Fand ich beides nicht schlecht. Zudem gibt es auch moderne Bücher, die echt öde sind. Es liegt vielleicht an der der Haltung, dass alles witzig und heititei sein muss, am besten gar nicht mehr als Buch, sondern nur als Film bearbeiten… Niveau erreicht bald echt nur noch Bordsteinkante

Pit2020
1 Jahr zuvor
Antwortet  laromir

@laromir

„Niveau erreicht bald echt nur noch Bordsteinkante“

Da werden wir uns in Zukunft aber ganz schön strecken müssen …

Und jetzt alle mitraten: Ob DAS wohl Ironie war? 😉

Andre Hog
1 Jahr zuvor
Antwortet  laromir

Ja, „Tauben im Gras“ von Köppen…ein echter (runter-)Reißer…

Manmanman, was haben die SuS geflucht.
Richtig aktuell ist der ja auch schon nicht mehr – aber eben auch verpflichtend (und ich finde ACHTUNG SUBJEKTIV – echt öde)

mercurius
1 Jahr zuvor

Ich möchte dazu einen Absatz aus einem Artikel zitieren, der vor einigen Monaten einmal auf dieser Seite erschien und der mir wirklich aus dem Herzen spricht:

„Das deutsche Schulsystem wurde während des vergangenen Jahrzehnts einem Paradigmenwechsel unterworfen, bei dem es darum ging, den traditionellen Schwerpunkt, der bis dahin auf den in den Lehrplänen festgelegten, althergebrachten Wissensinhalten gelegen hatte, zu sogenannten „Bildungsstandards“ und „Kompetenzorientierungen“ hin zu verlagern.

Was uns Lehrkräften zu Beginn keine so große Sache zu sein schien, entpuppt sich mittlerweile als eine stille Zersetzung unseres altehrwürdigen, auf humanistischem Gedankengut basierenden Wissens- und Wertekanons und damit natürlich auch unseres althergebrachten Lehrerberufsbildes als dem Träger und Vermittler eben dieser humanistischen Gedanken und Leitbilder.

Für uns Lehrkräfte ist dies umso fataler, als dass uns mit der Zersetzung des humanistischen Weltbildes, das innerhalb der alten Lehrpläne noch seinen unverrückbaren Platz hatte, die einzige reale und allgemein verbindliche ethische Grundlage verloren geht, auf die wir verbeamteten Lehrkräfte uns – trotz unseres Neutralitätsgebots – bei der Arbeit mit unseren Schülerinnen und Schülern jederzeit berufen durften, und zwar sowohl in erzieherischer als auch in moralischer und philosophischer Hinsicht. [13]

Die Politik, die es niemals versäumt, Schulen mit immer neuen Vorschriften und Verordnungen zu überhäufen, hat es bis heute nicht fertig gebracht, uns Lehrerinnen und Lehrern brauchbare und vor allen Dingen allgemein verbindliche ethische Leitlinien an die Hand zu geben, und zwar abseits von meist zusammenhangslos hingeworfenen, politisch korrekten Phrasen, die selbst junge Schüler bereits als hohl und wenig überzeugend zu entlarven pflegen.

Lutz Bernhard , stellvertretender Chefredakteur der „Frankfurter Neuen Presse“, bringt in einem Artikel das Versagen der Politik in Bezug auf unser Bildungssystem treffsicher auf den Punkt:

„Was ist nur los an Hessens Schulen? … Die Überlastungsanzeigen folgen ganz konkret auf das Ausufern des Aufgabenspektrums der Lehrer. … Die größte Last ergibt sich … aus den Mammutaufgaben Integration und Inklusion. Hier wurden – zu Recht – gesellschaftspolitische Ansprüche formuliert. Aber … am Ende wird eine ehemals gut gemeinte Sache dann zum Brandsatz, wenn an der Basis keiner weiß, wie es denn gehen soll.

Weil Wunsch und Realität nicht zusammenpassen. Weil auf halber Strecke dann doch der politische Mut fehlt, sich mit der Praxis wirklich auseinanderzusetzen. … Es fehlen Leitlinien, die verbindlich regeln, wie genau beispielsweise Inklusion und Integration pädagogisch und organisatorisch umgesetzt werden sollen. Es fehlt vor allem aber die Bereitschaft seitens der Politik, sich ideologiefrei mit den Problemen an der Basis zu beschäftigen. Durch die Überlastung unserer Schulen pflanzt sich das Politikversagen in tausenden Schülerbiografien fort – und wird damit zum Nährboden für Demagogen.“ [14]

Die katastrophale Vorhersage, die Lutz Bernhard in seinem abschließenden Satz trifft und die sich an allen deutschen Schulen bereits zu vollziehen im Gange ist, könnte möglicherweise noch abgewandt werden, wenn es der Politik gelänge, das oben beschriebene ethische Vakuum wieder zu füllen mit Inhalten, die für alle Beteiligten nicht nur eine formale äußere, sondern auch eine inhaltliche innere Gültigkeit besäßen. Dazu jedoch wäre ein Sprung in eine alle Religionen und Ideologien umfassende Dimension notwendig, für den ich allerdings derzeit in keinem der politischen bzw. gesellschaftlichen Lager, und schon gar nicht der religiösen, irgendwelche Ansätze sehe.“

Artikel „Entrechtete Lehrer, Teil III“, in: news4teachers, 31. Mai 2021

Hornveilchen
1 Jahr zuvor
Antwortet  mercurius

Das Nibelungenlied sollte auch jeder lesen müssen, nicht wahr?, und was genau daraus lernen?

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  Hornveilchen

Reicht doch, wenn man die BILD-Zeitung liest.

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  potschemutschka

Roter Daumen: Ironie nicht verstanden oder BILD-Leser?

Seebald
1 Jahr zuvor
Antwortet  Hornveilchen

Also mir würde es schon reichen, wenn „1984“ und „Farm der Tiere“ Pflichtlektüre wären.

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  Seebald

„Fahrenheit 451“ und „Schöne neue Welt“ wären auch nicht schlecht.

Seebald
1 Jahr zuvor
Antwortet  potschemutschka

stimmt

Walter Hasenbrot
1 Jahr zuvor
Antwortet  Hornveilchen

Ich bin mir nicht sicher, ob nicht manche Kommentatoren aus einer politischen Richtung kommen, für die das Nibelungenlied absoulut essenziell ist.

SekII-Lehrer
1 Jahr zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

Den Eindruck habe ich auch.

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

Das Nibelungenlied geht von mittelalterlichen Sozialstrukturen aus, einer Feudalherrschaft mit Königen, einem Hofstaat, Vasallen, Rittern usw., Frauen haben nichts zu melden (Brünhild versucht’s ohne Erfolg), Frauen dürfen „gezüchtigt“ werden, es wird viel gemordet, um die Herrschaft zu sichern, und es geht um den Nachruhm nach dem Tode (Heldenmythos). Mich erinnert das eher an die Taliban in Afghanistan, aber kommentieren die hier?

Ron
1 Jahr zuvor
Antwortet  mercurius

Mercurius, Sie bringen das ganze Dilemma der heutigen Bildung auf den Punkt. Doch wer soll daran etwas ändern? Wir steigern doch sogar noch ständig unsere Geisterfahrt in die neue Richtung. Humanismus und kritisches Denken bzw. das Hinterfragen von Dingen ist nicht mehr woke und kann weg. Damit verliert auch der Faust seine Berechtigung als Schullektüre.

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Die chinesische Kulturrevolution lässt grüßen. Die hätte den Faust bestimmt sogar verboten, wenn der Teil der chinesischen Kultur gewesen wäre. Bei der propagierten Herrschaft des Proletariats gilt ja auch: „wo gehobelt wird, fallen Späne.“ 🙂
In manchen Ländern war zeitweilig Beethovens 9. Sinfonie verboten wegen des Textteils: „alle Menschen werden Brüder“ nach dem vorherigen „was die Mode streng geteilt“. In welchen Ländern? Gute Frage. Suchet, so werdet ihr finden.
Und Heinrich Heine stand auf dem katholischen „Index“ (was also Katholiken nicht lesen durften), Hitlers „Mein Kampf“ dagegen nie. Warum? Ebenfalls gute Frage.

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  mercurius

Ich stelle doch fest: Die Rezeption der von mercurius formulierten Gedanken ist hier merkwürdig schlapp. Offenbar haben die Ideologen keine Kraft, ihre Ideologie zu verteidigen. Weder das Nibelungenlied noch die Bildzeitung haben damit was zu tun, das ist — fällt mir jetzt erst auf — ein (inszeniertes?) Ablenkungsmanöver.
Was also ist mit Inklusion und Integration, wenn man beides ernst nähme und nicht nur mit Phrasen abspeiste? Was ist mit den „politisch korrekten Phrasen“? Was ist mit den Religionsfunktionären, die unter „Integration“ vorwiegend ein Implementieren ihrer eigenen religiösen Vorschriften in die deutsche Gesellschaft und tendenziell ein Abschotten ihrer „Schäfchen“ verstehen, damit die nicht jene laxe Haltung zu Religion annehmen, die in Deutschland längst üblich ist?

Minna
1 Jahr zuvor

Ach, schade, dabei entdeckt die Welt langsam aber sicher die queere Seite vieler Literaturgrößen. Shakespeare, Austen, Goethe, Montgomery, Lindgren … da gibt es sehr viel zu entdecken, gerade auch in den Texten. Sehr unterhaltsam, dass gerade diese AutorInnen zu Nationalgrößen wurden.
Im übrigen sollte im Unterricht mehr Weltliteratur in Form von Übersetzungen gelesen werden. Erweitert den Horizont.

Stina
1 Jahr zuvor
Antwortet  Minna

Erweitert den Horizont und würde Jugendlichen mit Migrationsgeschichte, falls Literatur aus ihrem Heimatland gelesen wird, vermutlich auch noch mal besonders bereichern.

Alx
1 Jahr zuvor

„Da steh‘ ich nun, ich armer Tor,
Und bin so klug als wie zuvor!
Heiße Magister, heiße Doktor gar,
Und ziehe schon an die zehen Jahr‘
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum –
Und sehe, daß wir nichts wissen können!“

Passt wie Faust aufs Auge

Walter Hasenbrot
1 Jahr zuvor

Warum sollte man statt „Faust“ im Unterricht nicht auch „Nathan der Weise“ oder „Don Carlos“ oder andere Dramen des Bildungskanons lesen?

Die Zeit im Unterricht ist begrenzt und eine Faust-Monokultur gewiss nicht sinnvoll. Da darf ruhig mal ein bisschen Abwechslung sein.

laromir
1 Jahr zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

In meiner Schulzeit haben wir alles drei gelesen, nur mal nebenbei. Nathan schon in der 10. Klasse. Heute sicher nicht mehr denkbar. Kant scheint heute ein Brotende und Göte gibt es nur noch im Kontext mit fack ju.

Leseratte
1 Jahr zuvor
Antwortet  laromir

Wir lesen den „Nathan“ auch in der 10. Aber egal, was man macht, es mehren sich Sprüche wie: „Ich will doch zur Bundeswehr. Wozu brauche ich dann sowas?“, „Ich lerne nichts, was ich wirklich brauche, z B. wie eine Steuererklärung gemacht wird.“ usw.

laromir
1 Jahr zuvor
Antwortet  Leseratte

Ja. Überall das Gleiche. Steuerklärung hat mir auch keiner gezeigt. Eltern gefragt, selbst nachgelesen… aber ja, ich vergaß… in der Schule sollen sämtliche Dinge des Lebens aufgefangen werden. Eltern helfen nicht und selbst lesen ist extrem anstrengend… würde man mal mehr lesen, auch eben anspruchsvolle Literatur, könnte man sich am End auch über andere Dinge schlau machen… nur ne doofe Idee am Rande

Walter Hasenbrot
1 Jahr zuvor

Die Argumentation einiger Kommentatoren, die sich für den Faust aussprechen, erinnert mich ein bisschen an Fausts engstirnigen Famulus Wagner.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

Kann ich nachvollziehen. (Auch wenn ich da aus Ihrer Sicht wohl drunter falle) Sie können das witzigerweise nur denken, weil sie den Faust geles…. MOMENT MAL! 😉

Last edited 1 Jahr zuvor by 447
Walter Hasenbrot
1 Jahr zuvor
Antwortet  447

Ich habe so ziemlich alle klassischen Texte gelesen. Aber nicht in der Schule.

Die Schule ist dafür auch nicht da. Dort muss notwendigerweise eine Auswahl getroffen werden.

Und in dieser Auswahl muss „Faust“ nicht notwendig enthalten sein. Es gibt genug andere hervorragende Dramen.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

Stimme zu. Nur wissen wir doch wohl alle, wie die „exemplarische Auswahl“ unter [setze hier noch fünf politkorrekt klingende Eigenschaftsworte ein] dann ausgeht:
1. Niveau runter, mehr Abiturienten, „mmmmmeeaaahr!“ blöcken die abitursüchtigen Politikgefaller
2.Niveau runter!
3. Niveau runter, gottverdammte Lehrer, ihr!

SekII-Lehrer
1 Jahr zuvor
Antwortet  447

Ist es nicht deutlich wahrscheinlicher, dass der Kollege das denkt bzw. den Faust so gut kennt, weil er ihn selbst unterrichtet oder weil er Literaturwissenschaft studiert hat, als dass dieses Denken auf seiner eigenen Leseerfahrung als Schüler beruht…?

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  SekII-Lehrer

Das kann gut sein.

90% aller Menschen findet Mathe doof – könnten Menschen wirklich frei (also echt frei, nicht „moderiert“) wählen, wären Mathkurse leer.

Also… Algebra abschaffen, Funktionen sowieso…
1) Braucht man nicht, jedes Mobiltelefon kann mehr ausrechnen als der Computer, der die Mondlandung gesteuert hat (und zwar ein vielfaches mehr)
2) Ist doof und undemokratisch
3) „Kein Mensch“ (gut, ausser alle, die unsere Zivilsation materiell am laufen halten, aber das sieht und fühli-fühlt man ja nicht) braucht Mathe im Alltag – und wenn siehe 1)

Sie merken, worauf das hinausläuft?

Hochkultur gehört zumindest abschnittsweise ins Schülerhirn – und ja, auch sogar GEGEN deren expliziten, demokratischen Willen.

Theoretisch, wenn man das beste will… ich bescheide mich angesichts des Zeitgeistes aber auch gerne mit der oben skizzierten Gelassenheitsstrategie.

Geht auch klar.

Walter Hasenbrot
1 Jahr zuvor
Antwortet  447

Es ist doch albern das Niveau des Unterrichts an einem einzigen Text festmachen zu wollen.

Teacher Andi
1 Jahr zuvor

Ach ja, wir sollten mit der Zeit gehen. TikTok ist ja schon angesagt, und was könnte uns Goethe schon mitteilen, was die vielen Influencer nicht besser könnten? Es lebe der moderne Irrsinn, alles andere ist doch überflüssig. Oder war es nicht umgekehrt? Wahnsinn, was hier abgeht. Fehlt nur noch, dass Goethe in die Gendersprache übersetzt und nach Diskriminierungsfällen abgesucht wird. Das wäre doch was für den Deutschunterricht! Tirili.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Kein Ding. Für die gender- und diskriminierungsfreie, C02-neutrale Übersetzung biete ich mich an, ich mache das dann im home office bei vollem Gehal… äh, mit Gehaltserhöhung für den Aufwand und so.
Ich stehe bereit!
Danach noch interdisziplinäre Evalution, Brüssel… da wären so 4, 5 Jahre Urlaub drinnen!

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Immer positiv denken und gelassen bleiben: Dann gibt es halt TikTok-Unterricht. (Ich halte das mittlerweile für gefährliche Satire und durchaus für real möglich – bitte nicht auf Ideen bringen!)
TikTok-Unterricht nicht vorbereiten, machen was fun macht – Differenzierung für starke SuS ist dann eben das, was wirklich was bringt. Sollen die anderen halt Tiktok klimpern, da entstehen bestimmt auch coole, witzige Situationen und man unterhält sich mal richtig gut, lässt sich zeigen was „in“ ist, lernt SuS besser kennen und… na ja, hat ne gute, kommunikative Zeit.

Wenn es der Dienstherrin so gefällt, soll es so sein. Wasserdicht dokumentieren, „isch over“.

Last edited 1 Jahr zuvor by 447
SekII-Lehrer
1 Jahr zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Ja, fehlt nur noch, dass man sich etwa der Gretchenfigur aus der Perspektive der Gegenwart nähert. Am Ende lernt noch jemand etwas, das ihn – oder sie – selbst betrifft…

PaPo
1 Jahr zuvor

Die Kanonisierung eines Werks als verpflichtende Schullektüre darf, ja sollte kritisch hinterfragt werden, nicht ihre Notwendigkeit salopp, ohne intersubjektivierbare Argumentation unkritisch-affirmativ postuliert, eine Kanondebatte pauschal ausgeschlossen werden. Einem Werk ubiquitärer und -temporär eine ubiquitäre und -temporäre, unabdingbare Notwendigkeit als verpflichtende Schullektüre attestieren zu wollen, scheint wenig plausibel.

Mithin ist der Kanonisierungsprozess selbst ist bereits problematisch: Eine ominöse Kommissionen entscheidet hinter verschlossenen Türen und oktroyiert das Ergebnis ihrer Entscheidung Lehrern und Schülern als verpflichtende Schullektüre, ohne (hinreichend) zu kommunizieren, was das einschlägige Werk zur unbedingt notwendigen Lektüre avancieren lassen sollte. Der verdacht wiegt schwer, dass das Agens dieser opaken Entscheidungen insb. zwischen dem idiosynkratischen Gusto der Kommissionsmitlgieder und ihrer gleichermaßen individuellen Wertschätzung von Tradtion oszilliert.

Wo diese Idiosynkrasien mit denjenigen der Menschen außerhalb dieser Gremien koinzidieren, ob bei Lehrern, Schülern, Personensorgeberechtigten, pol. Entscheidungsträgern und Co., dort fällt die Akzeptanz leicht, auch ohne (hinreichende) sachlich-fachliche Begründung der vermeintl. Notwendigkeit der Kanonisierung, dort wird auf Kritik despektierlich, regelmäßig auch überlegenheitsdünkelnd, vom hohen Ross einer vermeintl. Hochkultur herab, reagiert. Auch dgl. ist natürlich keinerlei Argument für die Kanonisierung eines Werkes, oszilliert zwischen Argumenten ad populum (als sei es hinreichend, dass nur genügend – der ‚richtigen‘ – Personen der Kanonisierung zustimmten), ad verecundiam (so bspw. der Verweis auf die literaturgeschichtliche Bedeutung von J. W. v. Goethe oder die Meinung vermeintl. Koryphäen), ad lapidem (die Infragestellung der Notwendigkeit der Kanonizität eines Werks sei bereits absurd) u.ä. Wo das Postulat einer Notwendigkeit eines Werks als verpflichtende Schullektüre dieses argumentative Niveau nicht übersteigt, ist die entsprechende Kanonisierung lediglich autotelisch.

Und weil dem Infragestellen der Kanonizität eines Werkes regelmäßig auch mit einer entsprechenden (unlauteren) reductio ad absurdum begegnet wird, folgendes als Klarstellung: Dies ist keine Infragestellung des (einschlägigen) Werts der Auseinandersetzung mit historischen Kulturprodukten, komplizierteren Texten o.ä. Natürlich hat die kritisch-analytische, selbstreflexive Rezeption sozio-kulturell/-poltiisch einflussreicher Werke, ob historisch oder kontemporär, eine bzgl. des Sinns und Zwecks von Schule wichtige Aufgabe, ist Mittel zum Zweck nicht nur der Generierung allgemeiner Bildung (der als Einziges hier Selbstzweckhaftigkeit als hinreichend zugebilligt werden könnte) und mehr noch zum Verständnis sozio-kultureller und -poltiischer, geselslchaftlicher Gegenwart.

… aber dazu braucht es nicht zwingend J. W. v. Goethes Faust. Den will ich ach niemandem madig machen. Dies ist vielmehr ein Plädoyer für deutlich weiter gefasst Wahlfreiheit für uns Lehrer (und mithin auch ein Plädoyer gegen das Zentralabitur).

Andre Hog
1 Jahr zuvor
Antwortet  PaPo

Gute Idee, bitte berichte von Ergebnis!!

PaPo
1 Jahr zuvor
Antwortet  PaPo

Gerne… aber bitte ohne meine Tippfehler 😉 Auf das Ergebnis bin ich gespannt.

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  PaPo

Ihnen ist bewusst, dass das Abitur schwerer wird, wenn es nicht mehr zentral gestellt wird?

PaPo
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Umgeachtet dessen, dass ich dies tendenziell begrüßen würde, entgegne ich: quod esset demonstrandum. Wie schwer ein lokales Abitur ist, ist ja dann wohl Sache des Lehrers (unter den Rahmenbedingungen der jeweiligen Schule etc.).

Zudem sind die inhaltlich-thematischen Eingrenzungen bzw. Spezifizierungen in den Kernlehrplânen bzw. Abiturvorgaben regelmäßig so weitläufig und opak, dass es einem Ratespiel gleichkommt, mit welchen Inhalten die Schüler im Abitur konfrontiert werden könnten und worauf man sie folglich vorbereiten muss.

Wenn es in Englisch in NRW bspw. unter dem Thema „Postkolonialismus –
Lebenswirklichkeiten in einem weiteren anglophonen Kulturraum“ und ohne weitere Erläuterungen im KLP schlicht heißt „Voices from the African Continent: Focus on Nigeria“, dann ist das von einer Unbestimmtheit, die es im Grunde dem Zufall überlässt, ob man denn jetzt im Unterricht auch die Inhalte behandelt hat, die für das Abitur auch relevant sind. Macht es in der Theorie unnötig ’schwer‘, um mal euphemistisch zu sein, insb. weil die Quakifikationsphase in diesem Fach z.B. ausschl. mit solchen schwammigen Themenkomplexen vollgestopft ist und man so unter Zeitdruck steht, dass man keines davon umfassend behandeln kann, um angesichts dieser Opazität für alle Eventualitäten gewappnet zu sein (ungeachtet dessen, dass bislang die Abiklausuren iirc bei diesem Thema diesbzgl. so gestaltet waren, dass man sie auch ohne thematisches Vorwissen erfolgreich hätte bestreiten können).

Auch deswegen habe ich etwas gegen das Zentralabitur… ich bin immer froh, wenn ich ausschl. Abiturienten habe, die das Fach bei mir in der mdl. Prüfung haben, da kann ich ganz individuell den Fokus setzen und meine Schüler und mich gezielt vorbereiten.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  PaPo

Zitat:“ (und mithin auch ein Plädoyer gegen das Zentralabitur).“

Wenn so Leute mit IQB-Aufschrift auf der Jacke mit Ihnen hinter der Turnhalle ’ne „didaktische Diskussion“ führen wollen… laufen sie sofort los! Nicht mehr umdrehen! Einfach rennen!

Grundschullehrer
1 Jahr zuvor

Ich persönlich finde es nicht richtig, den Faust zu streichen. Ich habe dieses Werk in der 10. Klasse mit Faszination gelesen.

Ragnar Danneskjoeld
1 Jahr zuvor
Antwortet  Grundschullehrer

Richtig, wir sollten nicht den Faust, sondern die Wände streichen. Zudem sollten wir alle Ronja Räubertochter lesen weil ich das in der Schule auch mit Faszination gelesen habe und ich der Maßstab für alle anderen bin.

Grundschullehrer
1 Jahr zuvor

Sollte man dann im Musikunterricht auch nicht mehr Bach, Mozart und co. behandeln? Im Kunstunterricht auch nichts mehr von Dürer usw. hören?

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Grundschullehrer

„Musikunterricht“
So wurde es kürzlich hier bei new4teachers zumindest nahegelegt, Überschrift: Warum es Sinn macht, Instagram, Tik Tok und Spotify im Musikunterricht zu nutzen.

Gabriele
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

etwas schiefe inhaltliche Verkürzung! Tendenziös! Hat also ein Geschmäckle!

dickebank
1 Jahr zuvor

Goethe und Schiller waren beide nicht aus Bayern, warum sollten bayrische Schüler*innen deren Werke also lesen? Reicht es nicht aus, dass die bildungsaffinen Franken auf dem grünen Hügel mit sächsischer Musik gequält werden?

Küstenfuchs
1 Jahr zuvor

Man könnte sich hier auch eine Tüte Popcorn nehmen und amüsiert zuschauen!
An alle, die nun den Untergang der Kultur oder des Abendlandes und den Verfall der Jugend sehen: Lektüre, die nicht mehr Pflicht ist, kann im Unterricht trotzdem unterrichtet werden. Und der Hinweis, dass man viele Dinge auch mit anderer Lektüre lernen kann, ist kaum bestreitbar richtig. Damit wird nicht alles leichter oder das Abitur verschenkt, und irgendwelche Hinweise, dass Abiturienten nicht mehr als BILD und TikTok verstehen könnten, sind ebenso dumm wie überflüssig.

potschemutschka
7 Monate zuvor

„Ein Konfuzius aus Weimar: China holt sich Goethe – Das chinesische Propagandaministerium übersetzt das Gesamtwerk Johann Wolfgang Goethes. Peking will von ihm mehr Realismus lernen. Das sollte uns zu denken geben“
(„Berliner Zeitung“ vom 9./10. September 2023 – ein Interview mit Dr. Manfred Osten, Diplomat)
Leider kann ich dieses Interview nicht verlinken, ich lese die Zeitung ganz altmodisch in Papierform 🙂

potschemutschka
7 Monate zuvor
Antwortet  potschemutschka

… besonders interessant fand ich folgendes aus diesem Interview:
“ … Xi (Jinping) ist also im Grunde ein Konfuzianer. Er hat auf Deutsch Frau Merkel den entsprechenden Satz aus Goethes Faust II vorgetragen: „Nur der gewinnt sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss“
… Er hat Goethe als bildungs- und leistungsorientierten Konfuzianer verstanden. Vielleicht wusste er sogar, dass Goethe seinen Faust versiegelt hat. Denn Goethe hat nicht geglaubt, dass die Deutschen seine Prophetie der großen Krisen der Moderne verstehen würden.“

Wie weitsichtig Goethe doch war! – und deshalb wird er aus den Lehrplänen gestrichen!