Volksantrag bringt Kretschmann in die Defensive: Debatte um G9 voll entbrannt

14

Die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg will sich einer Debatte über eine flächendeckende Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium  wie etwa in Bayern nicht verschließen. Man habe sich den Volksantrag angeschaut und rechne durch, was das für Konsequenzen habe, sagte Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Man sei bisher mit Strukturdebatten in der Bildungspolitik sparsam umgegangen, weil diese immer Unruhen in die Schullandschaft brächten. Die Regierung werde aber das Gespräch mit den Initiatoren suchen.

„Entschiedener Gegner“: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried
Kretschmann (Grüne). Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg

Die Elterninitiative «G9 jetzt» hat im November die Sammlung von Unterschriften für einen Volksantrag für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium gestartet. Schopper äußerte nun erhebliche Bedenken: Gymnasien seien im Vergleich der Schulformen bereits sehr gut ausgestattet. Man habe zudem im Land Strukturen angelegt, die das Gymnasium in neun Jahren bereits ermöglichten. Für einen Vollausbau für G9 brauche es zudem 1400 bis 2000 Deputate. Sie könne natürlich eine flächendeckende Rückkehr zu G9 nicht ausschließen, wenn der Volksantrag durchgehe, sagte sie. Aber sie arbeite nicht aktiv dafür.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bezeichnete sich am Dienstag als «entschiedener Gegner der Wiedereinführung von G9», aber auch er werde sich keiner Debatte verweigern. In der Sache gebe es aber ganz wenig schlagende Argumente für eine Rückkehr zu G9.

Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz zeigte zwar Verständnis für den Wunsch einer Rückkehr zum Gymnasium in neun Jahren wie etwa in Bayern. «Ich kann auch nachvollziehen, um was es den Initiatoren geht», sagte er zum geplanten Volksantrag. «Weil einfach das auch schon viel Stoff ist, was man so in acht Jahren Gymnasium lernen muss – das kann ich nachvollziehen.» Er sehe, dass da Bewegung da ist, man werde sich mit den Vorschlägen beschäftigen und sich mit Wissenschaftlern beraten.

Dennoch sehe er die Initiative sehr kritisch, sagte Schwarz – weil dafür schlicht das Personal fehle. Eine Umstellung auf G9 würde 1400 Deputate kosten, die man nicht habe, warnte er. «Wir haben in absehbarer Zeit die Lehrer nicht zur Verfügung.» Eine Qualitätsdebatte sei zudem wichtiger als eine Schulstrukturdebatte. Die Lehrer würden gebraucht zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung und der Qualität im Unterricht.

Schwarz betonte weiter, es gebe bereits ein flächendeckendes G9-Angebot in Baden-Württemberg. 280 Schulen im Land eröffneten den Weg, um auch in neun Jahren zum Abitur zu gelangen, etwa an 43 allgemeinbildenden Gymnasien.

«Beides sollte das Land weder von der Finanzierung noch von der Personalseite her vor unlösbare Probleme stellen»

Der Philologenverband Baden-Württemberg bezeichnete Schwarz‘ Aussage zum mangelnden Personal als «stark irreführend». Zwar müssten die für die Umsetzung von G9 notwendigen gymnasialen Lehrerstellen tatsächlich von der Landesregierung neu geschaffen werden, teilte der Verband mit. Allerdings würden zusätzliche Stellen und Lehrkräfte erst ab dem dritten Schuljahr nach der G9-Einführung und dann innerhalb von vier Jahren sukzessive notwendig. «Beides sollte das Land weder von der Finanzierung noch von der Personalseite her vor unlösbare Probleme stellen», hieß es.

Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Stefan Fulst-Blei, warf Schwarz vor herumzueiern. Der Grünen-Fraktionschef nicke gegenüber den Eltern eifrig mit dem Kopf, «aber er macht gleich klar, dass sich gar nichts ändern wird», sagte er laut Mitteilung. Das sei fatal, denn neben dem Wunsch der Menschen nach mehr G9 stünden auch die immer schlechteren Testergebnisse für die Schulbildung im Land. Es brauche endlich klare Ansagen und langfristige Perspektiven. «Dann gäbe es auch eine Perspektive, mehr Lehrkräfte zu gewinnen.»

CDU-Fraktionschef Manuel Hagel erklärte, man halte an der Vereinbarung der grün-schwarzen Koalition fest, in dieser Legislaturperiode keine Schulstrukturdebatte zu führen. «Wir können nicht in jeder Legislatur eine neue Sau durchs Dorf treiben», sagte er. Zudem stehe aktuell die Qualität des Schulsystems im Vordergrund. «Was aber nicht heißt, dass wir diese Frage nicht ergebnisoffen diskutieren können für die Zeit, die vor uns liegt.» News4teachers / mit Material der dpa

Wendemanöver: Jetzt kehrt wohl auch das erste G8-Bundesland zu G9 zurück

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

14 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Carsten60
1 Jahr zuvor

Man kann für oder gegen G8 sein, aber das jämmerlichste Argument ist, dass G9 zu viel Geld kosten würde. Wir hatten mal G9, und beim Übergang zu G8 hat man das eingespart, was jetzt angeblich unverschämterweise G9 kosten würde. Man fragt sich, wie es um die Ehrlichkeit dieser Leute wie Grünen-Fraktionschef Schwarz bestellt ist, die jetzt das Kostenargument in den Vordergrund schieben.
Man hätte eigentlich mal daran denken können, Haupt- und Realschulen zu verlängern, um die Chancen der Absolventen zu erhöhen. Stattdessen das Gymnasium zu verkürzen, ist eine Amputation an der Bildung insgesamt.

Trinkflasche
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Ich verstehe die Down-Votes hier nicht, denn im ersten Abschnitt wird gebaut die Behauptung durch die Labdesregierung aufgestellt: G9 sei mit rund 1400 bis 2000 Stellen zu teuer. Letztlich hat sich The Länd einfach Ausbildungskapazitäten und Stellen mit der G8-Einführung gespart. Und kann im Grunde (flächendeckend) nicht mehr zurück.

Auch Winnie wird nichts mehr richten können. Selbst wenn sein Kabinett mehr Geld bereitstellt, was da ist, würde ich behaupten, es scheitert am fehlenden Personal. Wobei: Aus Sachsen könnte die Rettung kommen (Ironie!)

böse Pruseliese
1 Jahr zuvor

«Wir können nicht in jeder Legislatur eine neue Sau durchs Dorf treiben»

Echt jetzt?
Gibt es im Landtag schon Leute mit G8-Abi? Wohl kaum, oder?
Und dann wird G9 sogar noch als „Schulversuch“ geführt…
Da bleibt einem das Lachen im Hals stecken…

Konfutse
1 Jahr zuvor

Die Grünen: „Eine Qualitätsdebatte sei zudem wichtiger als eine Schulstrukturdebatte.“
Die Schwarzen: „Zudem stehe aktuell die Qualität des Schulsystems im Vordergrund.“
Muahahahahah, selten so gelacht!
Müsste das nicht heißen: „Eine Strukturdebatte ist wichtiger als eine Qualitätsdebatte“? Oder was ihr die letzten 12 Jahre denn so gemacht, da oben? Jetzt ersäuft das Kind im Pool und ihr erkennt, dass die Qualität des Schulsystems im Vordergrund stehen muss? Und das war die letzten 12 Jahre eher dann im Hintergrund bei euch? Mann, wofür werdet ihr bezahlt? Fürs Kasperletheater?

Lehrerin
1 Jahr zuvor
Antwortet  Konfutse

Wenn man die Schulqualität erst einmal durch ideologische Politik systematisch kaputt gemacht hat, stellt man plötzlich fest, dass sie nicht mehr da ist…
So eine Überraschung!

Konfutse
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lehrerin

Jep. Vielleicht sollte mal eine Qualitätsdebatte über die Schul- und Bildungspolitik des Landes Baden-Württemberg bezüglich der letzten 12 Jahre geführt werden…..

Lehrerin
1 Jahr zuvor

„Schwarz betonte weiter, es gebe bereits ein flächendeckendes G9-Angebot in Baden-Württemberg. 280 Schulen im Land eröffneten den Weg, um auch in neun Jahren zum Abitur zu gelangen, etwa an 43 allgemeinbildenden Gymnasien.“ Dieses Zitat zeigt, dass die Grünen partout einfach nicht verstehen wollen, dass es eben nicht dasselbe ist, ob man an ein allgemeinbildendes Gymnasium geht oder an ein berufliches – von den GMS-„Oberstufen“ mal ganz zu schweigen.Der Fächerkanon ist ein anderer, das Level ist verschieden, und die 43 Modellgymnasien sind eben nicht überall erreichbar. Damit gibt es in BW genau das nicht, was die Grünen sonst immer beschwörend fordern: Chancengleichheit oder Bildungsgerechtigkeit! Hast du Glück und erwischst einen Platz an einem echten G9-Gymnasium – oder hast du Pech und keins ist in der Nähe deines Wohnorts?! Aber um den Studienplatz konkurrieren dann unsere Schüler mit den vielen aus anderen Bundesländern, die in 9 Jahren zum Abitur am allgemeinbildenden Gymnasium kamen und damit ein Jahr mehr zum Lernen hatten – soll das vielleicht gerecht sein? Aber Hauptsache, die GMS pampern, die bei weitem (!) mehr Geld pro Schüler vom Land kriegt als andere Schularten! Nach der Devise: „Das G9 ist der natürliche Feind der Gemeinschaftsschule“, wie es eine grüne Aussage war…
Appell an alle: Gebt eure Unterschrift für die Initiative G9 jetzt! Helft Unterschriften sammeln! Hier ist die echte Chance für direkte Demokratie!

B. aus A.
1 Jahr zuvor

Oh… dann sollte man doch schnellstmöglich G7 oder G6 einführen – dann hätte man doch alle Probleme bezüglich des Lehrermangels gelöst…

Vierblättriges Kleeblatt
1 Jahr zuvor

Den Glaubenskrieg um G8 oder G9 kann ich nicht nachvollziehen. Beides geht ohne Qualitätsverlust. Das haben ostdeutsche und westdeutsche Bundesländer bewiesen bzw. DDR und Alt-BRD. Vermutlich haben aber westdeutsche Bundesländer eben doch nur deshalb G8 eingeführt, weil sie dadurch sparen konnten. Das ist ganz sicher so gewesen.

Dass man jetzt zum G8 zurück will, obwohl das eigentlich nicht nötig ist, leuchtet aber genauso wenig ein. Es kommt mir vor wie die Debatte um die alte oder neue Rechtschreibung oder darum, ob Plattdeutsch eine Sprache sei oder ein Dialekt…….

Last edited 1 Jahr zuvor by Vierblättriges Kleeblatt
Carsten60
1 Jahr zuvor

Die DDR hat gar nichts bewiesen, wenn nur eine Elite in die Oberstufe gelangen durfte, so etwa 10-12 %. Der Widerspruch besteht ja darin, dass man G8 auch noch mit der Werbung um mehr Gymnasiasten verbunden hat. Die besten 10 % eines Jahrgangs würden G8 schon verkraften, aber jede Art von Eliteschule ist ja tabu (außer beim Sport).
Und wenn die große Masse der Abiturienten nun an den Gemeinschaftsschulen wäre, dann würden die dort ja Kosten wie für G9 verursachen. Überhaupt: Wenn es nur noch 13-jährige Gemeinschaftsschulen gäbe, dann hätte man höhere Kosten als jetzt. Also ist das Kostenargument nur vorgeschoben.

Nick
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

In der ehemaligen DDR gelangten nur (Leistungs-) Eliten in die Erweiterte Oberschule (EOS). Ausnahmen gab es vielleicht für Schüler, die anschließend Offizier bei der NVA wurden. In der heutigen Zeit kommen Schüler auf ein Gymnasium, welche oft gerade mal mittelmäßige Leistungen aus der Grundschule im Gepäck mitbringen. Dabei ist’s egal, ob es G8 oder G9 ist. Das ist das Ergebnis dessen, dass nahezu jede zweite erweiterte Schule ein Gymnasium ist. Masse bringt keine Klasse.

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor

Wer oder was hier wen oder was in die Defensive bringt, da sollte man weiterhin für „Überraschungen“ offen bleiben, denn: se länd

Klugscheisser
1 Jahr zuvor

G8 wurde nur eingeführt, um Geld zu sparen. Die anderen Argumente dafür waren nur vorgeschoben.
Die Jugendlichen brauchen so weniger Lehrkräfte, gehen früher in das Arbeitsleben, zahlen so früher Sozialabgaben und Steuern. Das war die Hoffnung.

Davon ging kaum eine Annahme auf, außer dem Sparprogramm, was Lehrkräfte anging.

Aber wie ich schon öfter anmerkte: Veränderungen in Schul- und Bildungssystem gab es seit Jahrzehnten nur, wenn es Geld sparte.

Maggi
1 Jahr zuvor

Leider, so befürchte ich, ging es nicht nur um die Einsparungen, sondern auch darum, dass so der anstehende Lehrermangel länger verschleiert werden konnte. Jetzt sind angeblich keine KuK da? In den letzten Jahren wurden viele genötigt in die Grundschule zu gehen, um überhaupt eine Stelle zu erhalten, obwohl sie eine Fakultas haben. Da wäre was zu machen. Im übrigen würde es ja auch bedeuten, dass die Schultage nicht mehr so lange sind, da die Lehrpläne den Stoff auf 9 Jahre verteilen könnten, dies wäre wichtig für die Jugendlichen, aber auch für die Lehrkräfte und würde zum Stressabbau beitragen und die Attraktivität des Berufs steigern – aber wer will sowas schon?
Seit Jahrzehnten, schon unter der CDU-, aber auch unter der GRÜNEN-Landesregierung wurde an den Bildungsausgaben gespart. Wann wird endlich mal langfristig geplant und dies Ausgaben als Investition in die Zukunft gesehen. Ja, diese Einnahmen erscheinen erst nach Jahren in der Statistik, aber dieses Geld braucht man doch dann auch. Aber das kann sich ja die aktuelle Politik nicht auf die Fahnen schreiben.
Ich würde auch gerne mal so arbeiten können, aber die Qualität meiner Arbeit lassen ja die Herrschaften gerne ermitteln und fördern unbezahlte Mehrarbeit.

Manchmal wünschte ich mir wirklich, dass sie den Beamtenstatus für Lehrkräfte aufheben – endlich hat man ein Streikrecht, darf sich offensichtlich und lautstark in den Medien äußern, Überstunden müssen bezahlt werden, man hat das Recht auf Urlaub und die Rente ist auch sicher, egal was man anstellt oder wem ich durch Meinungsäußerung auf die Füße trete. (Sry, der letzte Abschnitt hatte nichts mit dem Thema zu tun.)

Last edited 1 Jahr zuvor by Maggi