Abitur-Chaos: „Ausweichtermin ist eine Katastrophe“, sagen Schüler – Freitag droht Bahnstreik

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DÜSSELDORF. Nach dem IT-Crash zum Start des Zentralabiturs in Nordrhein-Westfalen haben Lehrerverbände und die organisierte Schülerschaft Schulministerin Dorothee Feller (CDU) scharf kritisiert. „Schon wieder müssen wir Schüler*innen das Versagen der Landesregierung ausbaden”, sagte Phil Robin Weber vom Landesvorstand der LSV. Der von Feller festgelegte Ausweichtermin am Freitag sei eine Katastrophe – angesichts des drohenden Bahnstreiks.

Könnte schwierig werden, am Freitag zur Schule zu kommen. Foto: Shutterstock / Jiaye Liu

„Für die angehenden Abiturient*innen bedeutet der neue Prüfungstermin nicht nur mehr Stress durch fehlende Lernpausen oder mehr Belastung, sondern im Zweifelsfall auch eine schlechtere Note. Unser aktuelles Schulsystem erzieht die Schüler*innen dazu, Inhalte nur für einen bestimmten Zeitraum – den Tag der Klausur – abrufen zu können. Das wirkt sich natürlich auch aus, wenn die Klausur jetzt weiter nach hinten verschoben wird“, befand Sebastian Dahlmann, ebenfalls aus dem Landesvorstand der Landesschüler*innenvertretung.

Besonders problematisch aus Sicht der LSV: der für Freitag angekündigte ganztägige bundesweite Streik bei der Bahn. Dieser sorge dafür, dass Schülerinnen und Schüler Angst hätten, zum Ersatztermin am Freitag die wichtige Prüfung nicht oder nur verspätet antreten zu können. Zudem feierten viele Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte am Freitag das Zuckerfest. „Der Ausweichtermin ist eine Katastrophe, Frau Ministerin provoziert mit dem Ausbleiben der Rahmenbedingungen die Zukunft junger Menschen zu verspielen, indem sie die Prüfungen mit einem noch höheren Stresslevel belegt“, so Weber.

Konsequenz der LSV: das Zentralabitur abschaffen – und durch dezentrale Prüfungen ersetzen. „Die Zentralisierung schafft ohnehin nur eine scheinbare Vergleichbarkeit, da weder die Voraussetzungen aller Schüler*innen gleich noch die Bewertung objektiv ist“, heißt es.

„Es ist absolut nicht nachzuvollziehen, dass die Absage und die Verschiebung erst nach 20.00 Uhr kommuniziert wurde und die Lehrkräfte in der Warteschleife immer weiter vertröstet wurden“

Auch die GEW zeigte sich verärgert über die Panne. „Für alle Schülerinnen und Schüler, die auf den Punkt genau für die Prüfungen gelernt haben und für alle Kolleginnen und Kollegen, die bis in den Abend hinein in den Schulen saßen, um die Klausuren herunterzuladen und zu kopieren, nicht hinnehmbar. Es ist absolut nicht nachzuvollziehen, dass die Absage und die Verschiebung erst nach 20.00 Uhr kommuniziert wurde und die Lehrkräfte in der Warteschleife immer weiter vertröstet wurden. Das ist weder für die Schülerinnen und Schüler wertschätzend, noch für die Lehrkräfte“, erklärte Landesvorsitzende Ayla Çelik.

„In der Pandemie haben wir oft die Kommunikation des Schulministeriums kritisieren müssen. Wir hatten gehofft, dieses Kapitel nun abgeschlossen zu haben. Da wurden wir leider enttäuscht. Wir erwarten, dass es für solche Situationen klare Kommunikation und einen belastbaren Plan B gibt. Das Ministerium muss dringend sicherstellen, dass die weiteren Prüfungen reibungslos verlaufen“, so die Gewerkschafterin. Es fehle der Bildungsgewerkschaft jegliches Verständnis dafür, dass es für einen solch wichtigen Abschnitt sowohl im Schul(-Leben) von Schüler*innen als auch im Organisationsablauf einer Schule offensichtlich nicht genügend Tests der technischen Infrastruktur und keinen Notfallplan gab.

„Sie haben sich wie 100-Meter-Sprinter auf den Punkt vorbereitet – und erfahren jetzt, dass das Rennen um zwei Tage verschoben wird“

„Zu hoffen bleibt, dass diese Panne kein Indiz für den Stand der Digitalisierung in NRW ist. Für diese Abi-Vorbereitung gibt es sicherlich keine Eins“, so Çelik weiter. Zu den ganzen Krisen im Bildungsbereich komme nun auch noch unnötiges Chaos hinzu. „Und mit der Verschiebung ist es ja auch nicht allein getan – das zieht Organisationsaufwand nach sich, den die Kolleg*innen wieder kurzfristig schultern müssen.“ Aufsichten müssten geregelt, die Klausuren kopiert und die Räume vorbereitet werden, wofür auch die Personalplanung noch einmal neu gemacht werden müsste.

Bitter ist die Verschiebung für die Schüler*innen. „Sie haben sich wie 100-Meter-Sprinter auf den Punkt vorbereitet – und erfahren jetzt, dass das Rennen um zwei Tage verschoben wird. Zusätzliche Belastungen können die Schülerinnen und Schüler sicher nicht brauchen“, so die Vorsitzende der GEW NRW. Dass die Verlegung auf den 21. April auch noch auf das Ende des Ramadans – das Zuckerfest – fällt, sei besonders für gläubige muslimische Schüler*innen und deren Familien eine böse Überraschung.

Der VBE hofft, dass nun nicht noch weitere Störungen im Abitur auftreten. „Es bleibt zu hoffen, dass die restliche Prüfungsphase reibungslos verläuft“, erklärte der stellvertretende Landesvorsitzende Klaus Köther – hier sei das Schulministerium nun in einer besonderen Verantwortung. News4teachers / mit Material der dpa

Abitur-Chaos nach IT-Crash: Feller entschuldigt sich – kann aber weitere Störungen nicht ausschließen

 

 

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Ureinwohner Nordost
1 Jahr zuvor

Meine Empfehlung:
Morgen (20.04.23) Mittag auf Wanderschaft gehen. Wetterfesten Schlafsack im Gepäck
Das schafft doch wohl jeder, oder?

Canishine
1 Jahr zuvor

„Unser aktuelles Schulsystem erzieht die Schüler*innen dazu, Inhalte nur für einen bestimmten Zeitraum – den Tag der Klausur – abrufen zu können. Das wirkt sich natürlich auch aus, wenn die Klausur jetzt weiter nach hinten verschoben wird“

Die meisten Lehrer versuchen verzweifelt zu verhindern, dass Schüler sich dies selbst angewöhnen. Dann muss es wohl am System liegen …

Grundsätzlich habe ich Verständnis für den Unmut und den Stress der Schüler, als Lehrer war ich gestern auch mittendrin. Aber die Argumentationen und Vergleiche mit 100-Meter-Sprintern usw. sind ein wenig weit hergeholt.

Last edited 1 Jahr zuvor by Canishine
Ureinwohner Nordost
1 Jahr zuvor

Wat de Jecke allet aushalte müsse, oh oh.

Шутка (ein Spaß) in einer schlimmen Lage, für die Abiturienten und die KM.
Jedoch auch für die Kollegen.

KARIN
1 Jahr zuvor

Anscheinend wird Klausurstoff nur noch auf den Tag der Klausur abrufbereit gelernt!
Was ist den das für eine Aussage? Dies bedeutet für mich, dass der Stoff nicht verstanden, erarbeitet und durchdacht wurde vom Schüler und , was ich noch für viel schlimmer halte, dass er nur für kurze Zeit im Kurzzeitgedächtnis abrufbereit zu finden ist!
Dann kann man hier nicht von Wissen der Schülerschaft ausgehen, sondern von kurzzeitigem Auswendig lernen!
Wenn das heute das Ziel an Schulen ist,dann kann Schule vergessen werden, dann reicht Google um sich kurzzeitig zu informieren!

KARIN
1 Jahr zuvor

Mein Ziel über 40 Jahre war Wissen so zu vermitteln, dass es verstanden wurde, warum das so ist und welche Folgen entstehen würden, wenn zum Beispiel Fehler beim Vorgehen gemacht werden!
Eigentlich bin ich über den obigen Satz mehr als fassungslos!

Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor

Die zentralen Prüfungen am Ende der Gymnasiallaufbahn müssen abgeschafft werden. Es gibt sie ja auch beim Master nicht mehr.

Kritischer Dad*NRW
1 Jahr zuvor

Stadtbuslinien und Schülerbusverkehre werden am Freitag in einzelnen Städten auch bestreikt, siehe Bocholt.

SB HS Lehrer
1 Jahr zuvor

Argumente wie Zugchaos und Zuckerfest lasse ich gelten – aber punktgenau auf den Tag vorbereitet wie ein Leistungssportler ist doch wohl hoffentlich ironisch gemeint.

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  SB HS Lehrer

Über dieses Argument bin ich ebenfalls „gestolpert“. Lernen die Abiturienten heute wirklich nur für Klausuren und Prüfungen, um am nächsten Tag alles zu vergessen? Wenn das nicht ironisch war, dann sieht alles noch viel schlimmer aus in unserem Bildungssystem als ich befürchtet habe. Ist das unsere Zukunft?

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  potschemutschka

Ja, so sieht es aus. Das sind die neuen „outputorientierten“ Bildungsziele, und es wäre auch nicht im Widerspruch zu den „21st Century Skills“. Heimliches Bildungsziel ist, als Arbeitnehmer zu funktonieren.

Anne S.
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Das hat mit „outputorientierten Bildungszielen“ nun wirklich nichts zu tun. Wohl eher etwas mit einer suboptimalen Prüfungskultur, die nicht auf nachhaltiges Lernen ausgelegt ist.

„Heimliches Bildungsziel ist, als Arbeitnehmer zu funktonieren.“

Referieren Sie hier auf den Begriff „Heimlicher Lehrplan“?

Last edited 1 Jahr zuvor by Anne S.
Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Anne S.

Nach PISA 2000 hat man neue Bildungsziele definiert, und zwar „outputorientiert“ im Gegensatz zu den vorherigen „inputorientierten“. Und alle Prüfungen (und auch Tests) sind daran ausgerichtet worden, besonders die zentralen.
Manche Leute sagen, die Prüfungen bilden den „heimlichen Lehrplan“. Ich dachte eher an die strategischen, personalen, kommunikativen usw. Kompetenzen, die in ganz ähnlicher Formulierung im Vokabular von Personalchefs von Unternehmen auftauchen. Neudeutsches Stichwort: „Employability“ statt Bildung.

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor

Schreibt NRW halt bei BW mit. Paar Stühle dazustellen.

alter Pauker
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

(aus B-W) Ob das eine Lösung ist 😉 ? Also, nur zum Bleistift: wenn genau dann (einer der Abiturienten oder *innen wird doch Beziehungen haben, wär‘ ja gelacht) mal wieder der Zug bestreikt wird – oder sich ein paar Leute auf den Schienen festgeklebt haben? Fliegen! Ja das wärs‘ doch. Was aber wenn in Stuttgart mal wieder die Fluglotsen Verdi spielen?

Last edited 1 Jahr zuvor by alter Pauker
alter Pauker
1 Jahr zuvor

Das Problem mag auch daran liegen, dass nicht mehr gut verankertes und gut in sich vernetztes Breitenwissen umfangreich vermittelt wird, sondern auch weil es für die Kollegen einfacher ist, wenn nur singuläre Themen auf Tiefe gelehrt werden. Auf der Basis eines soliden Breitenwissen hingegen, können spezielle Themen vertieft und intensiv gelehrt, dann aber auch vom Schüler verarbeitet, gelernt und durch die entstandenen Verknüpfungen länger „behalten“ werden. Entsprechende Theorien und Praktiken muss ich hier sicher nicht erläutern. Isoliertes Lernen von Bildungsplan-Inhalten (in welchem Fach auch immer), führen dazu, dass die Schüler keinen Sinn darin sehen können und nicht mehr für sich, sondern nur auf prüfbare Inhalte „büffeln“ , weil sie weder Zusammenhänge zum „Ganzen“ mehr erkennen können. (Denken Sie an Ihre eigene Schulzeit und die Zeit vor dem Abi – kommt Ihnen das nicht bekannt vor?)
Da ihnen gute Verknüpfungen fehlen, die ein längeres Behalten des Erlernten sichern würden, sind sie zwangsläufig das Auswendiglernen angewiesen – und das Gelernte bleibt auf diesem Hintergrund nur für einen gewissen, individuell verschiedenen Zeitraum, präsent.

Auf diesem Hintergrund können wenige Tage Verschiebung (in Verbindung mit dem verbundenen emotionalen Stress) viel ausmachen.
Man vergleiche nur die Lernfähigkeit von Kindern bei unterschiedlichen Grundstimmungen wie „fröhlich, heiter“ gegen „bedrückt, verärgert, traurig“ – aber das sind Dinge, die wohl in den Ministerien, oft auch in den Gymnasien unbekannt sind, nach dem Motto: … „was bedeutete doch Pädagogik und Psychologie… das gar in Verbindung mit Stoffwechsel und endokrinen Prozessen?  Ich habe das mal gehört aber wen hat das schon interessiert“ 

(wenn ich betrachte, was meine eigenen Kinder erleben „durften“, lief es oft genug hinaus).

alter Pauker
1 Jahr zuvor
Antwortet  alter Pauker

Am Anfang fehlt zum Beipiel:
Abgesehen von der fehlenden sozialen Kompetenz der Ministerin, die eine Prüfung sicher nicht auf den Weihnachtstag verschoben hätte, dabei jetzt aber genau das für ein hohes Fest der Islamischen Abiturienten und *innen so macht,zeugt das von erheblicher Ignoranz. Zu den Lernproblemen „auf den Punkt“: wenn man hier Ursachen sucht, findet man das Problem seit vielen Jahren tiefer.

Ich bitte für manchen halben Satz oben um Entschuldigung. Ich war gerade im Änderungsmodus und wollte speichern, als das System meldete, dass kein Upload mehr möglich sei. Sorry, es gibt also teils halbe Gedanken und viele Satzbaufehler à la carte.

Last edited 1 Jahr zuvor by alter Pauker
Ursula
1 Jahr zuvor
Antwortet  alter Pauker

Das Problem liegt allerdings tiefer. Es darf nicht sein, dass gerade die wichtigen Inhalte nur auf den Punkt vermittelt werden. Themen wie Bruch- und Prozentrechnung, Dreiecksberechnungen, grammatikalische Grundlagen und viele weitere Grundlagen sollten im Idealfall so vermittelt werden, dass sie nie mehr vergessen werden. Es hat mich vor ein paar Jahren wirklich geschockt, dass eine Abiturientin mit 1,0 sich wunderte, dass ich meinen Sohn 30 Jahre nach meinem eigenen Abitur auf die Zentralprüfungen Realschule Klasse 10 vorbereitet habe. Man sollte von jedem, der Abitur hat, erwarten können, dass er zumindest die Grundlagen in Deutsch, Mathe und Englisch auf Klasse 10- Niveau beherrscht. In meiner Schulzeit wurden in den meisten Klausuren nicht nur neue sondern auch ältere Themen abgefragt, um den längerfristigen Lernerfolg zu gewährleisten.