„Auch künftig passgenau“: Wie sich die Bildungspolitik mit Iglu lächerlich macht

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Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek

BERLIN. Schlimm, schlimm – die Reaktionen aus der Politik auf die Iglu-Studie fallen gebührend betroffen, aber routiniert aus. «Alarmierend» nennt  Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) den Befund, dass jeder vierte Viertklässler in Deutschland nicht richtig lesen kann. KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch redet von einem «ernüchternden» Resultat – so als hätte es nicht schon vor über 20 Jahren den Pisa-Schock nach einem ähnlich desaströsen Ergebnis gegeben. Von einer «Zeitenwende», die auch die Bildung in Deutschland dringend nötig hätte, spricht dagegen niemand.

„Noch nachhaltiger“: Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Foto: Shutterstock / photocosmos 1

«Gut lesen zu können, ist eine der wichtigsten Grundkompetenzen und das Fundament für Bildungserfolg», weiß Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Sie sagt mit Blick auf die Iglu-Studie: «Es ist daher alarmierend, wenn ein Viertel unserer Viertklässlerinnen und Viertklässler beim Lesen als leistungsschwach gilt» – und betont: «Wir müssen jetzt tun, was für die Kinder am besten ist.»

Klartext: News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek. Foto: Tina Umlauf

Und was ist für die Kinder am besten? Natürlich das, was Frau Stark-Watzinger ohnehin vorhatte (weil der Koalitionsvertrag der Bundesregierung eine entsprechendes Projekt vorsieht, das aber leider, leider noch immer auf sich warten lässt): «Der Bund unterstützt derzeit schon mit Initiativen wie Lesestart 1-2-3 und BiSS-Transfer», sagt sie (übersetzt: Pipifax-Programme, die der Dimension des Problems nicht im Geringsten gerecht werden.) «Mit dem Startchancen-Programm wollen wir das noch nachhaltiger tun. Etwa 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler sollen Startchancen-Schulen werden. Dabei wollen wir einen Fokus auf Grundschulen und die Stärkung der Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen legen. Bund und Länder können so gemeinsam für mehr Chancengerechtigkeit sorgen und den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg aufbrechen.» Wann das Programm kommt und wie viel Geld dort hineinfließt? Steht in den Sternen.

«Die Iglu-Studie zeigt, dass wir dringend eine bildungspolitische Trendwende benötigen, damit es mit den Leistungen unserer Kinder und Jugendlichen wieder bergauf geht»

Eine Zeitenwende, wie sie der Bundeskanzler im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg sieht, beschwört die Liberale in der Bildung dann auch gar nicht erst herauf, um ihren Parteivorsitzenden und Bundesfinanzminister nicht zu ärgern, der dann womöglich schon wieder ein Sondervermögen besorgen müsste. Sie beschreibt das Problem brav ein paar Nummern kleiner: «Die Iglu-Studie zeigt, dass wir dringend eine bildungspolitische Trendwende benötigen.» Ein bescheidener Wunsch, der ja schon dann erfüllt wäre, wenn der Absturz nicht noch tiefer ginge.

Ähnlich inhaltsarm äußert sich die neue Berliner Bildungssenatorin und frischgebackene KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch (CDU): «Die Leseförderung ist und bleibt eine der wichtigsten Maßnahmen, um Kindern und Jugendlichen einen erfolgreichen Bildungsabschluss und somit einen erfolgreichen Start in das berufliche Leben zu ermöglichen. Leider liegen zu viele Schülerinnen und Schüler unter dem Mindeststandard, so ist gesellschaftliche Teilhabe nur eingeschränkt möglich. Die Ergebnisse der Iglu-Studie sind ernüchternd.» Das wirft die Frage auf: Waren wir bislang alle berauscht? (Von der Bildungspolitik in Deutschland ganz sicher nicht. Man ahnte irgendwie, dass es nicht zum Besten steht.)

Auch Günther-Wünsch gehörte vor wenigen Wochen noch zu den Mahnern – von der Oppositionsbank aus. Als schulpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sparte sie nicht mit Kritik an der damaligen Bildungssenatorin und KMK-Präsidentin Astrid-Sabine Busse (SPD) und forderte sogar deren Rücktritt schon nach ein paar Monaten im Amt («Frau Senatorin Busse hat bei den Herausforderungen der Schulpolitik völlig versagt»). Kaum selbst ins Amt gekommen, hat Günther-Wünsch aber plötzlich Corona als Ursache für die Leistungsdefizite entdeckt. Und die Migration. «Die Pandemie und eine zunehmend heterogene Schülerschaft stellen die Lehrkräfte vor immer größere Herausforderungen. Das ist uns bewusst, und wir werden uns diesen Herausforderungen stellen», erklärt sie jetzt (Subtext: Konnte ja keiner ahnen – keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll).

Und weiter: «Mit Bund-Länder-Initiativen wie zum Beispiel ‚Schule macht stark‘ und BiSS-Transfer wollen wir auch künftig die Förderung von Kindern mit Migrationsgeschichte und Kindern in sozialen Brennpunkten passgenau unterstützen. Die Ergebnisse der IGLU 2021-Studie zeigen einmal mehr, wie wichtig weitere intensive Maßnahmen sind. Wir Länder müssen gemeinsam nach schnellen, wirksamen und nachhaltigen Lösungen suchen. Die Unterstützung durch den Bund ist hierbei außerordentlich wichtig.» Aha. Dann fangt mal an zu suchen – über 20 Jahre nach der ersten Pisa-Studie.

Von dem, was die Christdemokratin ihrer sozialdemokratischen Amtsvorgängerin (übrigens einer Schulleiterin) vorgehalten hatte – Desinteresse, Ideenlosigkeit und fehlendes Engagement für Schulen, sie unternehme zu wenig gegen den Lehrkräftemangel und lasse überhaupt jegliche Vision für die Bildungslandschaft vermissen -, ist plötzlich keine Rede mehr. Wie sagte schon der alte Marx? Das Sein verändert das Bewusstsein. Und als Kultusministerin hat man dann offenbar eine mildere Sicht auf die Probleme…

«Die ergriffenen Maßnahmen in den vergangenen beiden Jahrzehnten haben kaum Wirkung im Hinblick darauf gezeigt, den Bildungserfolg sowie Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland zu verbessern»

«Auch künftig passgenau»? «Noch nachhaltiger»? An dieser Stelle ist es geboten, die Statements der beiden obersten Repräsentantinnen der Bildung in Deutschland mal mit der Erklärung der Iglu-Studienleiterin Prof. Nele McElvany abzugleichen. Die sagt nämlich: «Die verschiedenen ergriffenen Maßnahmen in den vergangenen beiden Jahrzehnten haben kaum Wirkung im Hinblick darauf gezeigt, den Bildungserfolg sowie Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland zu verbessern.»

Im Klartext: Die Iglu-Studie zeigt keinen kleinen Nachsteuerbedarf auf. Sie legt das Scheitern der Bildungspolitik in Deutschland offen – seit 20 Jahren! Zeit also, liebe Bildungspolitikerinnen, für eine Zeitenwende nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für die Kitas und Schulen. Erster Schritt dahin: Kein Blabla und Schönsprech mehr, keine albernen parteipolitischen Spielchen mehr – stattdessen eine ehrliche Bestandsaufnahme dessen, was die Bildungspolitk in den vergangenen zwei Dekaden versäumt und verbockt hat. Ich fürchte allerdings, darauf können wir noch lange warten. Womöglich weitere 20 Jahre. News4teachers

Iglu-Studie: Jeder vierte Viertklässler kann nicht richtig lesen – 20 Jahre gescheiterte Bildungspolitik!

 

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kanndochnichtwahrsein
11 Monate zuvor

… wenn es nicht so traurig wäre…

Kinder müssten eine viel wichtigere Stellung in der Gesellschaft haben. Und damit ist nicht gemeint, dass sie als Individuen im Mittelpunkt stehen sollen, sondern dass sie als Persönlichkeiten unsere Zukunft tragen können müssen.
Sie müssen die Chance haben, autentische, kompetente, zukunftsbewusste Erwachsene zu werden, die alle Fähigkeiten und Kenntnisse mitbringen, die sie für ihre und unser aller Zukunft brauchen.

Können wir uns wirklich leisten, nochmal 20 Jahre ohne effektives Gegensteuern ins Land gehen lassen?
Meiner Meinung nach sind seit dem Erkennen der Probleme auch schon weit mehr als 20 Jahre ungenutzt vergangen. Kein Lehrer braucht(e) eine Studie, um die Entwicklung sehen und die Weiterentwicklung abschätzen zu können!
Unter Gegensteuern verstehe ich auch nicht, der Schule/den Lehrern einfach – wie immer – die Aufgabe weiterzureichen und darauf zu vertrauen, dass die Sache schon laufen wird, dass die Lehrer den Karren schon aus der Sch… ziehen werden.
Werden sie nicht, weil es jetzt ziemlich endgültig ausgereizt ist mit dem „immer wieder am eigenen Schopf aus der Sch… ziehen“.
Und das Wort „Corona“ kann ich auch nicht mehr hören – zu praktisch, alles Versagen diesem Umstand anzuhängen und wieder mal „nicht schuld zu sein“.
So wird das nichts mit der dringend notwendigen, grundlegenden Verbesserung!
Lehrer müssten einen ganz neuen Stand in der Gesellschaft haben.
Sie dürfen nicht länger die Putzleute der Nation sein – alles was andere verbaseln, regelt irgendwie die Schule…
Echte Zukunftschancen kann Schule nur eröffnen, wenn Lehrer unter besseren Bedingungen ihre Arbeit tun können.
Diese Bedingungen müssen alle anderen schaffen: Eltern durch Erziehung, Wirtschaft durch Prioritäten und Mitverantwortung, Politik durch umsichtiges und mutiges Anpacken der Probleme.
Ja, Geld braucht es dazu auch; das sollte selbstverständlich, kein Diskussionspunkt und vor allem kein Hindernis sein.

Rüdiger Vehrenkamp
11 Monate zuvor

Vielen Dank für diese passgenaue Analyse. Denn genau das, ist mein Eindruck: Die Politik macht einfach „weiter so“ und zieht aus ihren bildungspolitischen Fehlentscheidungen überhaupt keine Konsequenzen. Stattdessen gibt es diese routinierten Allerweltssprüche wie vor den Wahlen. Das zieht sich durchweg durch die ganze Parteienlandschaft. Wir bräuchten eine Bildungs- und Sozialpartei, die sich diesen Themen mal wirklich annimmt. Der Personalschlüssel für soziale Arbeit, die eigentlich unterstützen sollte, wurde nur rudimentär angepasst. Oder anders: Es reicht vorne und hinten nicht, den Bedarf auch nur annährend zu decken.

Leider werden Politiker hier nur selten mitlesen… Doch es ist eine Schande, wie man die Bildung einfach weiterlaufen lässt, falsche Entscheidungen nach wie vor als richtig darstellt (Beispiel: Gemeinschaftsschulen) und den Lehrkräften an der Front immer neue Steine in den Weg legt (z. B. unbezahlte Mehrarbeit, mehr Verwaltung und Statistik etc.).

Rüdiger Vehrenkamp
11 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Schade, dass die Damen und Herren dann offensichtlich nicht imstande sind, die Belange der Basis ernstzunehmen.

mama51
11 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Politiker? Lesen? Verstehen? Denken?
Wenn (!??) sie das tun ,scheint es nur ein Versuch zu sein, denn:
Wer lesen kann ist echt im Vorteil! Den die Politik aber nicht nutzt☹️

Dil Uhlenspiegel
11 Monate zuvor

Auf, auf, in die nächsten zwei Jahrzehnte hinab!

Georg
11 Monate zuvor

Wie hoch war der Anteil schlecht lesende Viertklässler vor zehn Jahren? Wie gut können die Eltern dieser Kinder selbst deutsche und ggf. herkunftsprachige Texte lesen und verstehen? Welchen Wert sehen die Eltern in vernünftiger Schulbildung ihrer Kinder?

Chapeau Claque
11 Monate zuvor
Antwortet  Georg

Man denke auch an die Freiwilligen als Leselernhelfer oder Vorlesepaten, gab es vor etwa 15 Jahren in vielen GS-Klassen. Und heute trifft man diese eher bei Senioren als in der GS.

Alex
11 Monate zuvor
Antwortet  Chapeau Claque

Bei uns hatte das tatsächlich was mit Datenschutz bzw. Kinderschutz zu tun. Die damaligen „Lesemütter“ haben nämlich fröhlich durchs Dorf getratscht, wer wie schlecht lesen kann.

Claudia Weber
11 Monate zuvor
Antwortet  Alex

Ich war auch Lesepatin. Ich käme nie auf die Idee zu tratschen. Solche Erfahrungen lassen sich nicht verallgemeinern.

Achin
11 Monate zuvor

Vielen Dank dafür, dass im Rahmen dieser treffenden Analyse auch die Vielzahl mit lautmalerischen Namen versehen „Rettungsprogramme“ thematisiert werden.

Zudem sollten wir uns im Kolleg*innenkreis aber auch ehrlich machen:

Es gibt eine Vielzahl von Lehrerinnen und Lehrern in der Kultusverwaltung, an Hochschulen, an Ausbildungsseminaren, in Gewerkschaften und an Fortbildungsinstitutionen, welche die offenkundigen Mängel (strukturell und finanziell) verdrängen oder gar leugnen, aus banalen Karrieregründen oder weil man es sich mit einem „Spezialthema“ gemütlich gemacht hat.

Hier vermisse ich während mancher Konferenzen und Veranstaltungen offene Worte, eine innere Emigration verändert nichts.

Kritischer Dad*NRW
11 Monate zuvor

Für NRW prescht Frau Feller ja bereits voran:
Drei mal 20 Minuten verbindliche Lesezeit pro Woche – das ist die Kurzformel …

Ureinwohner Nordost
11 Monate zuvor

Das bedeutet ja nur 2 Minuten pro Schüler in der Woche zusätzlich oder integriert.

Das reicht nicht.

Eine Gute Nacht Geschichte vor dem Schlafengehen, allabendlich. Das würde wohl helfen.

Leider können das Erzieher und Lehrer nicht machen.
Wer da wohl gefordert ist?

Alex
11 Monate zuvor

Bin gespannt auf die ( laminierte?) Anleitung, wo ich die 60 Minuten herholen soll.

Mika
11 Monate zuvor

Mich wundert‘s nicht. Wundern und erstaunt tun kann nur derjenige, der denkt, dass jemand, der nicht oder nicht ausreichend qualifiziert dafür ist, Kindern erfolgreich die Grundlagen für ihr zukünftiges Bildungsleben vermitteln kann. Das ist genauso, als wenn man Menschen von der Straße weg in die Pflege steckt, sie nebenbei ein paar Wochen mit mehr oder weniger sinnvollen Kursen „qualifiziert“ und sich dann „wundert“, dass trotz des so mühevoll rekrutierten Personals Dekubitus, Infektionen oder Todesfälle auf den Stationen zunehmen. 100Milliarden für die Bundeswehr finden sich in der Bundesrepublik über Nacht; bei uns in der Schule (Gymnasium) reicht es nicht mal dafür, Mathegrundkurse mit unter 28 SuS aufmachen zu dürfen: da bräuchten wir ja 4LWS mehr pro Woche (statt zwei Kursen à 28 dann drei Kurse à 19) und das wird nicht genehmigt – zu teuer.
Das verlogene und berufsbetroffene Ministerialpack im Bildungsbereich kann mir einfach mal den Buckel kreuzweise runterrutschen!

Last edited 11 Monate zuvor by Mika
D. Orie
11 Monate zuvor

Seit über 20 Jahren ist dieser Misstand erkennbar, und es ist absehbar, dass es noch schlimmer wird. In ein paar Tagen ist alle Aufregung wieder vergessen, die Wellen glätten sich, und es bleibt beim gleichen Mist! Es ist so schlimm, was wir den Kindern (und allen Beteiligten) antun!

Maggie
11 Monate zuvor

Da Bildung und vor allem die Kinder und Jugendlichen keine entsprechende Lobby haben und es in der Gesellschaft viel leichter ist über deren Faulheit zu klagen, wird sich in der Politik nichts ändern. Erst, wenn die Gesellschaft in großen Bereichen aufschreit passiert plötzlich etwas – dann werden irgendwelche unüberlegten Ideen verkündet, wie in der Umweltpolitik.

Es wird Zeit, dass man die Bildung nicht als Ausgaben ansieht, sondern als Investment in die Zukunft des Landes. Ohne gut ausgebildete junge Menschen mit eigenen Ideen wird die deutsche Wirtschaft immer mehr abgehängt.

Eine für mich ideale Schule sähe so aus, dass sie wie ein Betrieb organisiert ist. Es gibt die Klassenräume, in denen Unterricht stattfindet. Es gibt eine große Schüler*innen Bibliothek mit Zugang zum Hochschulkatalog, die von Bibliothekar*innen geleitet wird. Es gibt verschiedene Arbeitsräume, in denen die Jugendlichen lernen können, sowohl Gruppen-, Einzel- und Stilarbeitsräume.
Die Lehrer*innen sind mit einem richtigen Arbeitsplatz, mit Dogingstation für ihr Device ausgestattet und haben vor Ort eine Bibliothek in der sie die aktuellen Lehrbücher und Handreichungen etc. vorfinden. Die Arbeitszeit ist geregelt und wird genau erfasst, wie in jedem anderen Beruf auch. Es gibt ein Diensttelefon in jedem Büro, das max. mit drei bis vier Lehrkräften besetzt ist, damit man auch wirklich arbeiten kann.
Es gibt Anrechnungsstunden, die eins zu eins sind, d.h. eine Beratungslehrkraft hat z.B. eine Sprechstunde von vier Deputatsstunden, d.h. diese Lehrkraft bekommt fünf Anrechnungsstunden, da ja alles dokumentiert werden muss. Die Lehrkraft hält sich auch an diese fünf Stunden, mehr wird nicht gemacht. Wenn diese Sprechstunden ausgebucht sind, muss eine weitere Lehrkraft diese Ausbildung machen, damit alle Schüler die Möglichkeit haben, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen. Außerdem müssen dafür entsprechende Besprechungsräume zur Verfügung stehen und eine Möglichkeit, die Unterlagen dort abgeschlossen zu lagern.
Die Infrastruktur der wird von Fachkräften gepflegt und es gibt eine richtige Mensa mit gesundem Essen.
Außerdem werden Nachmittags die Schüler*innen bei den Aufgaben betreut, oder sie können bei Fragen zur Lehrkraft ins Büro gehen, da diese ja jetzt in der Schule arbeiten können.

Ja, das kostet einiges. Aber ohne diese Modernisierungen wird der Bildungsmissstand immer größer werden. Es ist ein parteiübergreifendes Versagen und es wird sich immer herausgeredet. Die Bildungsgerechtigkeit ist auch eine reine Utopie. Zwar werden die Schüler*innen in der Schule gleich gefördert, doch sind die Startbedingungen unterschiedliche. Die einen können kein Deutsch, die anderen schon schreiben und lesen. Die einen sitzen nachmittags vor dem Fernseher oder der Konsole und die anderen werden gefördert, sei es durch Bücher, Nachhilfe oder weiterbildende Hobbys wie Musik etc.

Wenn man wirklich die Bildungsgerechtigkeit umsetzten will, müsste der Staat deutlich mehr in die Rechte der Eltern eingreifen und die Kinder dann verpflichtend in Vorschulen geben, auch teilweise mehrere Jahre, bis das Kind das vorgesehene Niveau für die Grundschule hat.

JOCHEN KLEIN
11 Monate zuvor

Wir bilden seit 30 Fachkräfte für Förderung bei Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen aus Lerntherapeut*innen, die überwiegend außerhalb von Schulen sehr erfolgreich arbeiten, leider nur, wenn Eltern das bezahlen oder wenn die Kinder schlecht genug nach mehreren Jahren Schulpproblemen „behindert oder von Behinderung bedroht“ sind. Sehr erfolgreiche Initiativen von Lerntherapeut*inn IN Schule wie ‚Früh fördern statt spät sitzenbleiben‘ entstehen aus Vereinsinitiative (KREISEL e.V ). Anschreiben an etliche KuMi werden immer mit Verweis „machen wir schon“ abgelehnt.

Chapeau Claque
11 Monate zuvor

Eine Bestandsaufnahme „Bildungspolitik in Deutschland der letzten 20 Jahre“ wird es als geheime Verschlussache an entsprechender Stelle sicher schon so lange geben, wie auch Kinderrechte im Grundgesetz verankert eingefordert werden.

Kami
11 Monate zuvor

„Alles wird besser, alles wird besser, aber nichts wird gut“ (Silly,1989). 34 Jahre später und die Politik schwafelt sich immer noch die Hucke voll. Noch passgenauer, noch besser, noch…. würde voraussetzen, dass da schon etwas da ist. Da ist aber eben dank gnadenloser Sparpolitik im Bildungsbereich schon lange nichts mehr. Vor etwa 14 Jahren wurden wir an allen Schulen Brandenburgs aufgefordert, Konzepte zur Entwicklung der Lesekompetenz zu entwickeln – und zwar bis s einschließlich Klasse 10. Da hat wohl das schönste Konzept nichts gebracht, aber man kann es als Politiker ja nochmal versuchen.
Unabhängig vom Rest meines Kommentars:
Unbekannterweise liebe Grüße an kanndochnichtwahrsein, ich finde Ihre Kommentare immer äußerst lesenswert.

kanndochnichtwahrsein
11 Monate zuvor
Antwortet  Kami

🙂 Unbekannterweise danke!
Manchmal sicher schade, dass man nicht weiß, wer sich hinter den Pesudonymen verbirgt.
Ich persönlich bin aber sicher, dass man unter Klarnamen nach bestimmten nicht gewünschten Kommentaren Folgen zu befürchten hätte… trotz aller Beteuerungen entgegen früherer Drohungen, dass Lehrer „keinen Maulkorb (mehr) haben“… glaube das, wer sich traut es zu glauben…
Solange anonym, kann man zumindest sicher sein, nicht früher (via Disziplinarmaßnahmen) aus dem „System Schule“ geworfen zu werden, als man selbst irgendwann bereit ist, alle Versuche einer Verbesserung von innen aus eigener Entscheidung und eigenem Antrieb (wenn nicht Krankheit) aufzugeben und die „Segel zu streichen“.
Ich hoffe irgendwie immer noch, der Punkt kommt nie – bin mir aber von Jahr zu Jahr immer weniger sicher, wie weit persönliche Resilienz dauerhaft vor unpersönlich aufgebürdeter Dauerüberforderung schützen kann…
Yogakurse brauch ich sicher nicht, um Jahr für Jahr doch noch ein Jahr durchhalten wollen zu wollen.
Leider verhindert die Anonymität aber auch, dass sich „Gleichgesinnte“ vernetzen können. 🙁
Gäbe es einen Weg, trotz Pseudonym (mit beiderseitigem Einverständnis) Kontakt untereinander aufzunehmen, würden sich vielleicht auch starke Kräfte zusammenfinden, die DOCH etwas verändern könnten???

Kami
11 Monate zuvor

„Ein Pessimist ist ein Optimist mit Erfahrung.“ Und so glaube ich leider nicht mehr an die Möglichkeit,im Großen etwas verändern zu können. Regelmäßig hat die Brandenburger Lehrerschaft die Regierenden auf das sich abzeichnende Problem aufmerksam gemacht.Aber man hört einfach nicht zu. Und jetzt bedauert man, die ach so plötzlich aufgetretenen Probleme nicht über Nacht lösen zu können.kqn hört sich in den Ministerien anscheinend nicht einmal selbst reden, sonst wüsste man, dass „noch besser“ voraussetzt, das eine Sache bereits gut ist. „Wir müssen besser werden“ wäre da schon ehrlicher.Unsere Nicht – mehr -Minsterin Ernst hat es ja geschafft, die ihr unterstellte Lehrerschaft völlig zu ignorieren und nicht einmal den Versuch gestartet, Interesse vorzutäuschen. Das ist allerdings nicht die Ehrlichkeit, die jetzt nötig wäre. Ich habe mich in der Mitte der 80er Jahre in der DDR für den Lehrerberuf entschieden.Damals meinte mein Vater, der selbst Lehrer war:Es ist ein toller Beruf, aber das Drumherum , das Bildungssystem heißt,ist einfach Mist. Er meinte damals den ganzen politischen Kram, aber unter anderer Sichtweise stimmt das Statement heute wieder.

Zu deiner Sorge, dass offene Äußerungen negative Folgen haben lönnten: Kann ich nachvollziehen, wobei ich zu Zeiten purer politischer Verzweiflung nicht glaube, dass man eine „funktionierende“ Lehrkraft aus dem System schmeißen würde.Allerdings kann einem auch im System das Leben schwergemacht werden. Ich finde allerdings auch, dass deine Kommentare eher sachliche Analysen beinhalten, deshalb mag ich sie ja im Vergleich zu reinen Frustkommentaren.
Kleiner fun fact zu mein ersten Kommentar: Das Konzept zur Entwicklung der Lesekompetenz,von dem ich schrieb, haben wir als Fachkonferenz für das Fach Mathematik entwickelt…. Ging also nicht mehr um die Frage, wie Viertklässler besser lesen lernen, sondern vielmehr darum, was wir als Mathelehrer Klasse 7 bis 10 noch dazu beitragen können…..

Anne S.
11 Monate zuvor
Antwortet  Kami

Ich bin der Meinung, dass mehr gewagt werden muss, Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Gerade weil viele Lehrer sich entweder hinter anderen verstecken oder sich unsichtbar machen oder sich nur trauen anonym ein bisschen Frust abzulassen, ändert sich an den Rahmen- und Arbeitsbedingungen nichts. Solange die Obrigkeit glaubt, unantastbare Obrigkeit sein zu dürfen, wird sie das auch bleiben.

(Mir geht es nicht um Unruhe, destruktiven Stress, Streit; das ist für mich nur äußerstes Mittel in äußersten Extremsituationen).

kanndochnichtwahrsein
11 Monate zuvor
Antwortet  Anne S.

Die Freiheit, mehr zu wagen, auch zu wagen, was eigentlich keine/kaum Aussicht auf Erfolg hat, besteht eher im direkten Umfeld.
Das geht da, wo man seine Mitmenschen (Kollegen, Vorgesetzte) einschätzen kann und direkten Austausch pflegen, direkte Reaktionen erfahren kann.
So kann man Grenzen nach hinten schieben, ausreizen was andere für aussichtslos halten.

Öffentlich ist es eine ganz andere Nummer.
Das bringt m.M.n. nichts als Ärger.
Und den braucht man nicht. Das ist kontraproduktiv und zeugt von veralteten („Führungs-„/“Macht-„)Strukturen; Ärger klaut nur Zeit für das, was unsere eigentliche Aufgabe ist.

Kami
11 Monate zuvor
Antwortet  Anne S.

Habe mal mit einer Anne S. an einer längst geschlossenen Schule gearbeitet… Aber das wäre jetzt ein echter Zufall. Ansonsten halte ich es allerdings mit kanndochnichtwahrseins zweiter Antwort – nämlich vor Ort das Richtige tun zu wollen. Ich muss aber auch zugeben, dass die Bedingungen im konkreten Umfeld es durchaus möglich machen, die alltägliche Arbeit zu leisten,ohne daran kaputtzugehen. Das sieht ein paar Schulen weiter schon anders aus. Leider weiß ich auch, dass es genau das ist, worauf man sich ganz oben verlässt – dass wir das der Kinder wegen weiterhin tun.

LevMama
11 Monate zuvor

Wann wird endlich verstanden,dass lamentieren nicht ausreichend ist. Mehr Bildungsinvestition, mehr Lehrkräfte, eine höhere Wertschätzung des Themas Bildung und endlich eine Veränderung der Didaktik und Methodik. Sonst verspielt man nicht nur die Zukunft der Kinder, sondern auch ein politischer Wandel weg von Demokratie wird die Folge sein.