Nur „Nachholeffekte“? Zahl der körperlichen Übergriffe auf Lehrkräfte gestiegen

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HANNOVER. Lehrerinnen und Lehrer haben einen schwierigen Job. Dabei geht es nicht immer nur um lernunwillige Schüler. Manchmal werden die Pädagogen beleidigt, bedroht und in Einzelfällen sogar körperlich attackiert, wie eine neue Statistik aus Niedersachsen zeigt.

eine Frau vor weißem Hintergrund hält die ausgestreckte Hand vor Ihr Gesicht
Während der Pandemie ist die Zahl der Gewalttaten gegen Lehrer zurückgegangen – jetzt steigt sie wieder. Foto: Shutterstock

Die niedersächsische Polizei hat sich im vergangenen Jahr mit einer gestiegenen Zahl von Übergriffen auf Lehrkräfte befassen müssen. Es handele sich um 159 Fälle von Körperverletzung mit 199 Opfern, teilte das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen auf Anfrage mit. Im Vorjahr waren es 121 Fälle mit 150 Opfern gewesen, allerdings war 2021 noch mehr von der Pandemie und Distanzunterricht geprägt. Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren 197 Fälle und 230 Opfer in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst worden.

Im ersten Halbjahr 2023 gab es abermals im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen leichten Anstieg der registrierten Körperverletzungen, die sich gegen Lehrkräfte richteten. Es handele sich lediglich um eine Tendenz, betonte eine LKA-Sprecherin. Halbjahreszahlen aus der PKS würden nicht veröffentlicht. An den allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen unterrichten insgesamt rund 68.500 hauptamtliche Lehrkräfte.

In den Jahren 2017 bis 2019 sind darüber hinaus kontinuierlich mehr Bedrohungen gegenüber Lehrerinnen und Lehrern bekannt geworden. Diese seien lediglich im Jahr 2020 zurückgegangen, seitdem würden sie weiter steigen, sagte die LKA-Sprecherin. Insgesamt sei die Kriminalität im Schulkontext im vergangenen Jahr wie erwartet nach einem wohl pandemiebedingten Rückgang markant gestiegen.

Für die gestiegene Jugendkriminalität werden im Jahresbericht Jugend 2022 des LKA mehrere mögliche Ursachen genannt. So könne es sich um «Nachholeffekte» nach Aufhebung der meisten coronabedingten Beschränkungen handeln. Zudem könnte es geschadet haben, dass Jugendliche zeitweise keine Gruppen mit Konflikten und Lösungsstrategien erlebt hätten. Des Weiteren sei die emotionale und psychische Belastung junger Menschen während der Corona-Pandemie enorm gestiegen.

An diesem Montag fiel das Urteil im Prozess gegen ein Elternpaar und deren erwachsene Tochter vor dem Amtsgericht Vechta, wie ein Gerichtssprecher mitteilte. Weil der Sohn des Paares einen Schulverweis einer Realschule in Damme erhalten hatte, stürmten die drei Angeklagten nach Auffassung des Gerichts kurz vor Weihnachten 2022 ins Sekretariat der Schule. Dort bedrohten und beleidigten sie demnach den mutmaßlich für den Verweis verantwortlichen Lehrer. Die Mutter und die Tochter müssen jeweils 20 Tagessätze à 30 Euro wegen Beleidigung zahlen. Der Vater wurde wegen Beleidigung und Bedrohung zu 40 Tagessätzen à 50 Euro verurteilt. News4teachers / mit Material der dpa

Gewalt gegen Lehrer nimmt deutlich zu – GEW mutmaßt, dass Personalmangel an Schulen damit zu tun hat

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Maggi
8 Monate zuvor

Es lässt sich schon feststellen, dass viele Menschen derzeit enttäuscht sind und deshalb nach einem Ventil suchen. Meistens werden die Beamten als Vertreter der Staatsgewalt als Ventil benutzt, da man an die vermeintlich Schuldigen nicht herankommt.
Die Anweisung des KMs, dass während Corona alle Schüler*innen versetzt werden, rächt sich jetzt. Jahrelang hat man Jugendliche in die nächste Klassenstufe kommen lassen, wo man wusste, dass sie das Wissen dafür nicht haben. Die Folge ist jahrelanger Schulfrust. Das dürfen dann die Lehrkräfte ausbaden, denn jetzt krachen halt die Noten. Alle Boni sind aufgehoben und es gibt wieder normale Noten und Prüfungen.
Damit gilt es umzugehen. Unterstützung wird es eh keine geben.

Lukas
8 Monate zuvor
Antwortet  Maggi

Das können Sie doch nicht ernst meinen. Es geht hier meiner Meinung nach um eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, wo Respekt gegenüber Autoritäten immer weniger eine Rolle spielt. Das zeigt sich den Lehrern gehenüber, aber auch oft den Polizisten gegenüber.

Biene
8 Monate zuvor
Antwortet  Lukas

Nicht nur Lehrkrätfe Polizisten haben das Problem. Auch die Rettungsdienste und die Feuerwehr.
Da freut man sich als Feuerwehrler wirklich, wenn man „nur“ beleidigt wird, andern Orts fliegen neben Beleidigungen auch Eier oder anderes. Und ich rede hier von den ehrenamtlichen Feuerwehrlern!!!! Die Hauptamtlichen leiden mit Sicherheit auch noch mehr, weil die gerade in den entsprechenden Städten (ab 80.000 Einwohnern möglich, ab 100.000 Einwohnern Pflicht) mehr zu tun haben.

Dejott
8 Monate zuvor
Antwortet  Maggi

Glaube kaum, dass das auch nur im Ansatz ein Grund für die gesellschaftliche Entwicklung wäre.
Im Umkehrschluss würde das auch heißen: Sitzenbleiben bei mangelnden Leistungen verhindert Gewalt. Absurd.

Riesenzwerg
8 Monate zuvor
Antwortet  Dejott

Nicht ein Grund oder der Grund – aber bei frustrationsintoleranzen Schülern in jeglicher Hinsicht – wohin sollen sie mit ihrem Frust? Dem Erkennen und Vor-Augen-Halten ihrer leistungsmäßigen Unzulänglichkeiten?

Jahrelang – alles ist gut, so wie du bist (und dein Lernverhalten spielt keine Rolle) und plötzlich – PENG!

Dass es mal „ernst“ wird, hat doch niemand gewusst?
Dass es tatsächlich Konsequenzen gibt – wer kann das ahnen?

Dann die Familien nicht zu vergessen – da läuft kaum was gut und richtig, eher im Gegenteil!

Damit haben wir gefrustete Schüler und gefrustete Eltern.

Daraus besteht ein erheblicher Teil unserer Gesellschaft. Und dass die ihrem Frust Luft machen… ist doch klar.

Klar ist damit aber auch, dass das ein gesamtgesellschaftliches Problem ist – nicht ein Schüler, nicht eine Familie, nicht eine Schule, nicht ein Bundesland, … wir sind weltweit auf diesem Weg.

Mein Dank diesbezüglich geht an – die WS.

Wer schon mal meine Beiträge gelesen hat, weiß, wen oder was ich meine.

Clara
8 Monate zuvor

Tja, wer Lehrer wird, wird halt Prügelknabe vom Dienst.

Lisa
8 Monate zuvor

Nachholeffekte? Wie bitte! Im Spanischen gibt es da ein Wort Civismo. Ich weiß nicht, wie man das im Deutschen gut sagt. (Staats) Bürgerliches Verhalten und Einstellung? Gruppen halten sich nicht mehr an gewöhnliche bürgerliche Umgangsformen. Das macht nicht nur Lehrern sondern auch der Polizei zu schaffen, denn eine Bürgerpolizei funktioniert nur mit Bürgern. Also Zivil – isierten. Und das Problem wird klein geredet, um nicht in den Verdacht von irgendwas zu kommen. Anstatt angegangen.

Cuibono
8 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Irgendein Bundesland hat jetzt eine PR Initiative in Social Media gestartet (Kurzfilmchen) und versucht so um mehr Verständnis und Akzeptanz für Polizisten, Sanitäter und Feuerwehr zu werben.

Vielleicht sollten sie die Lehrer auch mit reinnehmen.

potschemutschka
8 Monate zuvor

„Nachholeffekte“? – Was, bitte, wird da nachgeholt? Heißt das, eine gewisse Anzahl solcher Taten ist normal und jetzt muss das „Versäumte“ nachgeholt werden?

Egon
8 Monate zuvor
Antwortet  potschemutschka

Ich finde es unmöglich, dass selbst körperliche Angriffe auf Lehrer nicht — mehr oder weniger automatisch — den Verweis von der Schule zur Folge haben. Die Kinder loten aus, wie weit sie gehen können. Wenn nichts Konsequenzen hat, machen sie weiter. Und das „Nachholen“ klingt in der Tat danach, als ob sie darauf auch noch eine Art von Recht hätten. Haben sie aber nicht, es gelten die Gesetze, man müsste sie nur anwenden.

kanndochnichtwahrsein
8 Monate zuvor
Antwortet  potschemutschka

Ich musste auch heftig schlucken bei der Überschrift und erst Recht bei gewissen Aussagen im Text.
Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Man kann alles entschuldigen? Lehrer müssen alles ertragen, alle anderen sind aus jeder Verantwrtung raus, weil ES ja raus muss aus den Kindern, warum dann nicht eben in der Schule…??????????????????????

Habe ich mit meinem Dienstantritt unterschrieben, dass die SuS ein gewisses Maß an Aggression und Gewalt an mir auslassen dürfen – womöglich auslassen müssen/sollen?
Wer würde es sonst abkriegen, wenn wir Lehrer nicht allgemein akzeptierte Prügelknaben wären???

Haben die SuS irgendein Guthaben an Missetaten, dass sie abarbeiten dürfen?
Wohgemerkt: hier geht es nicht um jugendlichen Übermut, Streiche, sondern um GEWALT!

Habe ich unterschrieben, dass SuS jedem Bedürfnis ungestraft (sorry, ja, hier nutze ich absichtlich das Wort „Strafe“, auch wenn das nicht im Geringsten meinem pädagogischen Verständnis entspricht…) nachgehen und es an mir auslassen dürfen, sogar im Nachhinein, sozusagen abgearbeitet?

Demnächst dann schon im Vorhinein, sozusagen auf Kredit? Könnte ja eine Situation kommen, in der sie ihre Aggressionen nicht anderweitig adäquat loswerden, also lieber schonmal in der Schule abladen als nachher bei Fußballtrainer, Opa, Mutter…? Dafür sind die Lehrer da????

Irre Schulwelt – nicht mehr meine Welt.
Was erwartet die Gesellschaft eigentlich von Lehrern, wenn sie ihnen ALLE Probleme der Gesellschaft aufbürdet, sie verharmlos, sie in die Norm zerrt, Maßstäbe und Grenzen endlos verschiebt…

Meine persönliche Schmerzgrenze ist längst überschritten!
Mein Fluchtreflex ist kaum noch im Zaum zu halten…

Oh man……………….

Marion
8 Monate zuvor

„Was erwartet die Gesellschaft eigentlich von Lehrern,…“
Das war doch erst kürzlich hier in einer Überschrift zu lesen.
Schulen, und damit die Lehrer, sollen die Demokratie retten.
Außerdem sollen sie das Interesse derJugendlichen für Polizeiarbeit wecken.(Steht auch über einem Artikel hier.)
Und für’s Handwerk.
Und für’s Gesundheitswesen und die Altenpflege.
Und sie sollen Kindern und Jugendlichen nützliche Alltagsaufgaben, z.B. wie eine Steuerklärung auszufüllen ist, näherbringen.
Und gesunde Ernährung.
Und Umweltbewußtsein.
Und sie sollen die Schüler für die Gefahren des Klimawandels sensibilisieren.
Und für queere Lebensmodelle am besten mit Hilfe von Projekten zum Thema.
Hmmm, was noch? War da nicht mal was mit Filmen. Mehr über das Filmgeschäft in Schulen, oder so?
Bei all dem Input kann man es den Schülern ja wirklich nicht verübeln, wenn sie mal ausrasten. Da müssen die Lehrer ihnen halt beibringen, wie man seine Emotionen im Zaum hält.
Also wirklich, nun stellt euch doch nicht so an.
Und bitte nicht vergessen:
DEMOKRATIE RETTEN!!!!!!!

Jule
8 Monate zuvor
Antwortet  Marion

Grandioser Kommentar, der anschaulich zeigt, was Schulen und Lehrer alles für die Gesellschaft leisten sollen. Dabei fehlt noch einiges an weiterenen Wünschen und Forderungen.
Ich bin mir jedoch sicher, dass dieser Wildwuchs an Aufgaben nicht von der Gesellschaft selbst kommt, sondern von relativ wenigen Leuten, die sich gut zu organisieren, zu vernetzen und die nötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen wissen. Ihre Gruppenerwartungen landen zuerst in den Medien, dann in der Politik, bei den Behörden und schließlich auch in Schulen und Kindergärten.
Der Nachwuchs soll frühzeitig auf die erwünschten Gleise gesetzt werden und nicht erst später, wenn die Sache mühseliger wird.

Von der Gesellschaft selbst kommen ganz andere Bildungs- und Erziehungswünsche, die eher traditionell und konservativ sind.
Ihre Gegner diffamieren diese Erziehung als „unmodern“ und „mittelalterlich“, als „fortschrittsfeindlich“ und „stupide“ oder auch als „Dressur-“ und „Strafpädagogik“.
Der Großteil der Gesellschaft denkt jedoch ganz anders und möchte für seine Kinder wieder gute Bildung statt Bildungschaos und zufriedene Kinder statt verwirrte und aggressive Kinder.
Das „erwartet die Gesellschaft von den Lehrern“. Sie sollte ihre Erwartungen jedoch an andere richten, denn die Lehrkräfte denken größtenteils ähnlich wie sie. Als staatstreue Diener müssen sie jedoch die Anweisungen ihrer Dienstherren und -damen befolgen, wenn auch oft verzweifelt und zähneknirschend.

Canishine
8 Monate zuvor
Antwortet  potschemutschka

Auch das Immunsystem musste ja wieder trainiert werden, warum nicht das Frust-Abreagiersystem? Man kommt so schnell aus der Übung …

Gelbe Tulpe
8 Monate zuvor

Das Problem ist doch, dass die Politik ganz eifrig dabei ist, massenhaft Arbeitsplätze durch Globalisierung und EU ins Ausland zu verlagern. Den Missmut der Menschen über diese Politik kriegen dann auch die Lehrer als Staatsvertreter ab.

Freiya
8 Monate zuvor

Durch Verwöhnen lebensunfähige Eltern und Schüler treffen auf eine starre Struktur – da MUSS es doch knallen.
Fragt sich nur, was/wer sich ändern muss…