Iglu-Sonderauswertung zum Einsatz digitaler Medien: Deutschland abgehängt

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DORTMUND. Am Tablet Lesen üben oder lernen, im Internet Fakten zu recherchieren – digitale Medien bieten vielfältige Leseanlässe und können die Lesemotivation steigern. Doch in Deutschland nutzen Grundschullehrkräfte diese Möglichkeiten „nicht sehr häufig“, sagt Privatdozentin Dr. Ramona Lorenz vom Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der TU Dortmund. Sie ist Projektleiterin der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu 2021) und ist mit weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des IFS auf Basis der Iglu-Daten der Frage nachgegangen, wie Grundschullehrkräfte digitale Medien im Unterricht einsetzen. Ein Ergebnis: Schon bei der Nutzungshäufigkeit liegt Deutschland „weit hinter dem Durchschnitt“ – sowohl im internationalen Vergleich als auch im EU-Vergleich und im Vergleich mit den OECD-Staaten.

Nur wenige Grundschulkinder in Deutschland nutzen digitale Medien wöchentlich zum Lesen. Symbolfoto: Shutterstock

„Die Unterschiede sind eklatant“, so Iglu-Projektleiterin Lorenz. Während in Ländern wie Norwegen oder Neuseeland digitale Medien bei über 85 Prozent der Schülerinnen und Schüler mindestens wöchentlich für das Lesen in der Grundschule zum Einsatz kommen, gilt das in Deutschland lediglich für rund ein Viertel der Lernenden (26,7 Prozent). „Insgesamt liegen wir weit unter den Vergleichsgruppen der EU mit 37,3 Prozent, der OECD mit 43,2 Prozent und auch dem internationalen Mittelwert mit 41,2 Prozent.“

Dabei weist die Sonderauswertung darauf hin, dass in den meisten Teilnehmerstaaten – auch in Deutschland – eine bis zu 30-minütige Nutzungsdauer digitaler Medien für das Suchen und Lesen von Informationen für die Schule oder in der Schule mit den höchsten mittleren Lesekompetenzen einhergeht.

Häufigster Verwendungszweck: das Lesen digitaler Texte

Das Forschungsteam um Lorenz wollte allerdings nicht nur wissen, wie häufig Grundschulkinder digitale Endgeräte zum Lesen nutzen, sondern auch für welche Leseaktivitäten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konzentrierten sich auf drei Varianten: digitale Texte lesen, Fakten und Definitionen recherchieren sowie Rechercheprojekte durchführen.

In Deutschland nutzen Grundschulkinder, die wöchentlich mit digitalen Endgeräten arbeiten, diese demnach am häufigsten zum Lesen (29,3 Prozent), seltener für Recherchen von Fakten und Definitionen (23,3 Prozent). Rechercheprojekte bilden eher die Ausnahme (10,1 Prozent). Damit liegt Deutschland der Sonderauswertung zufolge für alle drei betrachteten Lesezwecke erneut signifikant unter den Durchschnittswerten der EU, der OECD und dem internationalen Mittelwert. Zum Vergleich: In Dänemark und Schweden setzen mehr als 70 Prozent der Viertklässler digitale Geräte mindestens einmal pro Woche ein, um Fakten und Definitionen zu recherchieren. Bei der Hälfte der Grundschulkinder gehören sogar Rechercheprojekte wöchentlich zum Schulalltag.

Aktuelle Analysen zum Lesen in Online-Umgebungen

Trotz der im internationalen Vergleich geringen Nutzungsdauer digitaler Medien zeigen aktuelle Analysen zum Lesen in Online-Umgebungen (ePIRLS) allerdings, dass die Schülerinnen und Schüler in Deutschland überwiegend gut in einer Umgebung, die wie das Internet aussieht, lesen, interpretieren und kritisch reflektieren können. Im Zuge der Erhebung mussten sie unter Anleitung eines Lehrkraft-Avatars durch Webseiten navigieren, um Fragen zu beantworten, Zusammenhänge zu erklären und Informationen zu interpretieren und zu integrieren. Die Webseiten enthielten dabei Fotos, Diagramme und Karten sowie Navigationsfunktionen und dynamische Funktionen, darunter Animationen, Hyperlinks und Pop-up-Boxen. Insgesamt mussten die Viertklässlerinnen 123 Aufgaben zu fünf Texten bewältigen.

In der Gesamtschau dieser Online-Aufgaben landet Deutschland etwa im Mittelfeld, heißt es im Kurzbericht des Dortmunder Forschungsteams. Deutsche Schüler zeigten dabei jedoch vermehrt Schwierigkeiten mit Aufgaben, die von ihnen verlangten, Schlussfolgerungen zu ziehen oder Informationen zu interpretieren und kombinieren. In diesem Bereich liege Deutschland signifikant unter dem Durchschnitt der EU-Teilnehmer. Fazit: Auch hier bestehe Nachholbedarf. News4teachers (ach)

Iglu-Studie: Jeder vierte Viertklässler kann nicht richtig lesen – 20 Jahre gescheiterte Bildungspolitik!

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16 Kommentare
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Martina
5 Monate zuvor

müssen digitaler werden und uns öffnen

Projekte, Gruppenpräsentationen, Kleingruppen und teilweise homeschooling

3 Tage in der Lerngruppe, 1 Tag homeschooling und 1 Tag in Kleingruppen Aufgaben und Projekte

Alisia
5 Monate zuvor
Antwortet  Martina

Also 3 Tage wie bisher, ein Tag an dem die Kinder je nach Elternhaus was lernen oder auch nicht und ein Tag an dem bei allen nichts herumkommt?

Grandioser Plan!

Mo3
5 Monate zuvor

Das mag logischerweise auch daran liegen, dass in Deutschland die Grundschule bis zur 4. Klasse geht und danach ein Schulwechsel erfolgt. Interessant wäre daher, ob ab der 5. Klasse aufgeholt wird. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Schulen in Deutschland immer noch nicht zu 100 % mit WLAN und schnellem Internet ausgestattet sind. Da die Schüler trotz Nachholbedarf immerhin im Mittelfeld landen, mag das digitale Arbeiten in dieser Altersstufe nicht so entscheidend sein. Daher ist es wohl zunächst nur eine sinnvolle Ergänzung zum Unterricht. Es spricht allerdings auch nichts dagegen, dieses weiter auszubauen.

FL62
5 Monate zuvor

Die Frage, ob „international abgehängt“ in diesem Zusammenhang positiv oder negativ zu bewerten ist, wird anscheinend gar nicht mehr gestellt. Und nebenbei bemerkt hat sich die OECD in den letzten 20 Jahren ja nun nicht gerade, sagen wir mal, bildungsfreundlich gebärdet.

Alisia
5 Monate zuvor

Mich würde interessieren ob der Autor dieses Artikels zufällig Anteilseigner einer Optikerkette ist?

Ein anderer Grund warum man behaupten oder implizieren sollte, dass das Lesen-Üben am Tablet irgendwelche Vorteile hat, erschließt sich mir nämlich nicht.

Das viele Bildschirm-Gestarre schädigt nachweislich die Augen, insbesondere bei Kindern. Zudem ist mehr Ablenkung vorhanden und das die Informationsaufnahme (wieder bei Grundschulkindern ganz besonders) mit Papierbüchern besser klappt bestätigen sowohl anekdotische Evidenz als auch einige Studien.

In der Grundschule im Internet zu „Recherchieren“ halte ich auch für völlig unnötig. In den ersten vier Schuljahren sollte es um grundlegende Fähigkeiten gehen.
An denen hapert es genug, dass man sich vielleicht vorrangig mit Lesen/Schreiben/Rechnen und nicht mit für die Altersgruppe schwer zu konkretisierenden Begriffen wie „kritisches Denken“ beschäftigen sollte.

In der weiterführenden Schule ist das mit selbständiger Recherche natürlich was anders, da kann das Internet durchaus nützlich sein.

Aber Tablets statt Papierbüchern zum Lesenlernen/-üben zu verwenden ist einfach nur eine schreckliche Idee!

Uwe
5 Monate zuvor
Antwortet  Alisia

Das viele Bildschirm-Gestarre schädigt nachweislich die Augen, insbesondere bei Kindern.“

Nein. Die Augenschäden die in Südkorea z.B. auftreten sind durch überlange Schulzeiten mit überlangem fixiertem Lesen bedingt. Das schädigt die Augen, weswegen in südkoreanischen Schulen inzwischen auf fenster wert gelegt wird (damit die Schüler*innen zwischendurch in die Ferne sehen können). Es ist aber völlig egal ob man auf ein tab, ein handy oder ein Papierbuch schaut. Alles im Übermaß schädlich.

EmpiD
5 Monate zuvor
Antwortet  Alisia

„Zudem ist mehr Ablenkung vorhanden und das die Informationsaufnahme (wieder bei Grundschulkindern ganz besonders) mit Papierbüchern besser klappt bestätigen sowohl anekdotische Evidenz als auch einige Studien.“

Also das möchte ich sehen. Aber bitte bei Studien, die nicht 30 oder 20 Jahre alt sind. Denn in diesem Kontext ist es vollkommen unmöglich, dass die noch als evident gelten.

GriasDi
5 Monate zuvor

Das Karolinskainstitut in Schweden kritisiert den Einsatz digitaler Medien/Geräte in der Grundschule, da keine empirischen Daten über deren Wirksamkeit vorlegen. Besonder das Recherchieren koste zu viel kostbare Lernzeit.

Müllerin
5 Monate zuvor
Antwortet  GriasDi

Könnten wir nicht zufrieden sein, wenn alle Viertklässler am Ende der Grundschulzeit gewöhnliche Texte auf Papier fließend lesen können? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dann später mit Texten auf einem Bildschirm Schwierigkeiten haben werden. Die Texte sehen doch genauso aus, und Digitalisierung ist kein Selbstzweck.

Uwe
5 Monate zuvor
Antwortet  GriasDi

Kritisieren kann man viel, die mangelnde Studienlage anmahnen, wie wäre es denn dann mal Studien vorzulegen? Und wie sollen die aussehen? Unterricht mit dem iPad sieht ja höchst unterschiedlich aus und dann gibt es , das wird die Fortschrittsfeinde hier irritieren auch noch unterschiedliche Fächer und auch unterschiedlich engagierte Kolleg*innen ( was wie ich wenn ich hier mitlese bei Einigen fast schon Sabotage ähnliche Züge annimmt)

Carsten
5 Monate zuvor
Antwortet  Uwe

„Fortschritt“ scheint auch ein Schlagwort zu sein, das man überall draufkleben kann.

GriasDi
5 Monate zuvor
Antwortet  Uwe

Würde digitales Lernen gut funktionieren, würde ich die ganze Zeit nix anderes machen. Meine SchülerInnen haben mich aber vom Gegenteil überzeugt. Ab und zu digitale Inhalte einbinden, ansonsten aber schön analog – lenkt nich so sehr ab.

Bienchenmitstern
5 Monate zuvor

Paar Stunden am Pad kanbn auch Spaß machen und jetzt im Winter bei Schnee und Kälte iost auch nicht schön. Alles ab 5. Kl kann ab und zu von zuhause Stunden machen digital

Einer
5 Monate zuvor

Ich bin IT-Lehrer und seit 30 Jahren ein echter Power-User, aber Tablets haben in den Grundschulen NICHTS zu suchen!!!
Lesen lernen, schreiben lernen und rechnen lernen MUSS analog erfolgen. Und es MUSS geübt werden. Das macht vielleicht keinen Spaß, aber ist schnell, effektiv und nachhaltig.

Lisa
5 Monate zuvor

Die Superdigitalisierten wie Schweden rudern gerade wieder zurück ( gerade in der Presse) Fazit: Digital lesen bringt nichts für den Leserwerb. Stattdessen macht man sich von einem energiefressenden Medium abhängig.

Freiya
5 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Genau so ist es!