Montessori-Studie: Verbreitete Skepsis gegenüber digitalisiertem Unterricht – aber…

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BERLIN. Die Alanus Hochschule hat die Montessori-spezifische Auswertung der MünDig-Studie zur Digitalisierung an reformpädagogischen Schulen und Kitas vorgelegt. Dabei zeigt sich, dass die allermeisten Eltern den Montessori-Einrichtungen attestieren, eine altersgerechte Medienbildung zu betreiben. Gleichwohl ist damit die Debatte um einen angemessenen Einsatz von digitalen Lernmedien nicht beendet – sagt Jörg Boysen, Bundesvorsitzender von Montessori Deutschland.

Montessori-Lehrkräfte bringen Schülerinnen und Schüler vor der siebten Klasse kaum mit Computern in Kontakt. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

In der MünDig-Studie („Mündigkeit und Digitalisierung“), einer quantitativ-explorativen Online-Befragung der Alanus Hochschule Alfter an reformpädagogischen Schulen und Kindergärten, ging es um die Frage: „Wie können Bildungseinrichtungen Kinder so begleiten, dass sie medienmündig statt mediensüchtig werden, dass sie vor Digital-Risiken geschützt und zugleich langfristig zum Ergreifen der Digital-Chancen befähigt werden?“ An der Montessori-Stichprobe, deren Ergebnisse jetzt vorliegen, haben sich über 600 Eltern beteiligt, davon etwa fünf Sechstel Schuleltern, sowie knapp 200 Fachkräfte, davon etwa zwei Drittel an Schulen, ein Drittel an Kinderhäusern.

„Beginn der Debatte“: Montessori-Verbandsvorsitzender Jörg Boysen. Foto: Sabine Kristan

Die beiden Gruppen von Befragten (Eltern und Fachkräfte) zeigen im Ergebnis sehr hohe Übereinstimmungen in ihren medienbezogenen Einstellungen: Im gesamten Kindergarten- und weit bis ins Unterstufenalter hinein sei „Medienbildung ohne Bildschirm“ in ihren vielfältigsten Ausprägungen sinnvoll – und zwar durch Einsatz von Medien ohne Bildschirm für verschiedene Zwecke (u.a. Produzieren/Präsentieren, Kommunizieren/Kooperieren, Informieren/Recherchieren, Problemlösen/Modellieren) wie auch durch Aktivitäten, die einem noch breiteren Verständnis von Medienbildung zuzuordnen sind. Ab Klasse 7 wird von fast allen Befragten zusätzlich die direkte Heranführung an den kritischen, produktionsorientierten und reflektierten Umgang mit digitalen Bildschirmmedien klar befürwortet.

Jörg Boysen, Bundesvorsitzender von Montessori Deutschland, erklärt dazu: „Digitale Medien sind Bestandteil der Lebenswelt unserer Kinder und Jugendlichen. Das Angebot digitaler Medien erreicht längst auch die Praxis in Montessori-Kitas und Schulen. Eltern erwarten von Montessori-Pädagog:innen konstruktive und intelligente Antworten auf deren Einsatz im Unterricht, verbunden mit einer Erziehungspartnerschaft mit dem Ziel eines verantwortlichen Umgangs mit digitalen Medien in der Einrichtung und zuhause.“

Tatsächlich, das zeige die vorliegende MünDig-Studie auf, sei die Zufriedenheit diesbezüglich hoch. „Montessori-Fachkräfte setzen nach Einschätzung derjenigen Eltern, die sich hierzu ein Urteil zutrauen, (sowie nach ihrem eigenen Bekunden) in den allermeisten der abgefragten Bereiche eine entwicklungsphasenangepasste Medienbildung weitgehend angemessen um. In den oberen Klassen der Schulen schwindet die Zustimmung der Eltern zwar etwas, verbleibt aber auf hohem Niveau“, so Boysen.

„Digitale Lernmittel können den Lernprozess transparenter gestalten, indem sie den Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler messen“

Ist das Thema für Montessori Deutschland damit abgeschlossen? „Wer sich in der weiten Bildungslandschaft umschaut, nimmt allerhand Dynamik wahr. Es gibt Ansätze in der Schule, die Lernprozesse neu auszurichten – mittels KI-Technologie und sogenanntem ‚intelligenten‘, automatisiertem Einzelunterricht. Es werden Lernplattformen entwickelt, die Kindern das Lernen in Form von ‚Gaming‘ schmackhaft machen möchten. Hybridunterricht, bei dem die Lehrkraft per Video live in den Klassenraum gestreamt wird, soll Präsenzformate ergänzen. Ein Argument, das immer wieder für die Digitalisierung des klassischen Unterrichts angebracht wird, ist, dass dann endlich die Individualität, die im Unterricht ja neuerdings gefordert würde, garantiert sei“, sagt Jörg Boysen. „Das leistete die Montessori-Pädagogik bereits ohne Digitalisierung, aber es stimmt: Digitale Lernmittel können den Lernprozess transparenter gestalten, indem sie den Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler messen. Dadurch können Lehrkräfte schneller und effektiver auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Schüler:innen eingehen.“

Andererseits gelte: „Sogenannter ‚intelligenter‘, automatisierter Einzelunterricht bzw. Lernevents für selbstgesteuerte digitale Kompetenzentwicklung vermitteln – höchstens – abfragbares Wissen, fördern aber eher nicht das kritische Denken, geschweige denn die Entwicklung der Persönlichkeit mit all ihren Schattierungen. Kinder brauchen hingegen ein Gegenüber, sie wollen diskutieren. Sie wollen in ihrer ‚peer group‘ bestehen und Anerkennung finden.“ Digitale Medien seien Fenster zur Welt, die weite Ausblicke erlauben – „aber eben nur denjenigen, die zwischen Trugbild und Realität unterscheiden können“.

Der Bundesvorsitzende von Montessori Deutschland betont: „Wir müssen weitere didaktische Überlegungen anstellen, wie Kita-Kinder und Schüler:innen an den Umgang mit Medien herangeführt werden sollen, so dass sie genau verstehen, welche positiven, aber auch negativen Dinge damit bewirkt werden können. Sie sollen die digitalen Medien als Hilfsmittel erleben, die man umsichtig benutzt.“

„Wir müssen ein stärkeres gemeinsames Verständnis darüber entwickeln, welche digitalen Medien in welchem Entwicklungsalter und wie jeweils in den pädagogischen Alltag sinnvoll eingesetzt werden“

Das bedeute konkret für die in Montessori Deutschland zusammengeschlossenen Bildungseinrichtungen: „Wir müssen ein stärkeres gemeinsames Verständnis darüber entwickeln, welche digitalen Medien in welchem Entwicklungsalter und wie jeweils in den pädagogischen Alltag sinnvoll eingesetzt werden. Es stellt sich dabei die Frage, ob nicht gerade die Montessori-Pädagogik einen eigenen, auf die individuelle Entwicklung des Kindes fokussierten Beitrag dazu anzubieten hat. Es gibt sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis vieler Montessori-Einrichtungen bereits wichtige Impulse zum Thema. Es gilt, diese zu sichten, weitere anzustoßen und möglichst zu einem gemeinsamen Verständnis zu kommen, das in die Montessori-Ausbildung Eingang erhält, unseren Pädagog:innen für ihre tägliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hilft und unseren Eltern einen Rahmen bietet.“

Boysen: „Die vorliegende MünDig-Studie markiert in Deutschland einen wissenschaftlichen Auftakt dieser Debatte – nicht ihren Endpunkt.“ News4teachers

Hier geht es zur Studie der Alanus Hochschule.

Ein Tablet für jeden Schüler? Pädagogik-Professor Zierer warnt vor „Digitalisierungswahn“ in der Bildungspolitik

 

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2 Kommentare
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Carsten
5 Monate zuvor

Analogisierung ist sexy – Schweden haut die Tabletts wieder raus. https://orf.at/stories/3330743/

Pete
5 Monate zuvor
Antwortet  Carsten

Ganz so einfach ist es wohl nicht, da selbst in dem verlinkten Artikel Gegenstimmen angebracht werden. In dem Fall ist es eher ein politisches Machtringen bzw. politischer Machtwechsel, der mit der Abkehr einhergeht.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin sicherlich nicht für den digitalen Einsatz, einzig weil er möglich ist und auf Teufel komm raus, sondern für einen durchdachten Einsatz. Die Welt ist im Wandel und Kinder sollten dementsprechend darauf vorbereitet werden.