„IQ ist nicht gleichzusetzen mit Erfolg im Leben“: Womit Hochbegabte hadern

14

DUISBURG. Ein ungewöhnliches Date: Mehr als 1000 Menschen – allesamt mit erstaunlichem IQ – treffen sich in Duisburg. Es gibt Hirnnahrung, Austausch, Vorträge. Klar wird hier: Hochbegabung kann auch Bürde sein.

Als hochbegabt gelten Menschen mit einem IQ von über 130 – als höchstbegabt von über 145. Illustration: Shutterstock

Beim Kaffee tauscht man sich über Astrophysik und Philosophisches aus. Vor dem Vortrag über Radioaktivität oder die koreanische Schrift ist noch Zeit für ein 1000-Teile-Puzzle. Und am Rande einer Zechen-Führung lässt sich gut über IT-Fragen oder Windkraft plaudern. Wenn mehr als 1000 Hochbegabte mit einem erstaunlichen IQ von mindestens 130 zusammenkommen, sind die Gesprächs- und Seminarthemen breit gefächert und intellektuell anspruchsvoll.

«Wir können keinen Small Talk, sind immer auf der Suche nach Tiefgang und sprechen auch gerne über mehrere Themen gleichzeitig», schildert Claus Melder vom Mensa-Vorstand. Der Verein Mensa, mit rund 16.000 Mitgliedern das bundesweit größte Netzwerk für Hochbegabte, hat das Treffen in Duisburg ausgerichtet.

Die Teilnehmerschar – aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland – ist bunt. Siefke Lüers erzählt: «Bei mir läuft alles wie von selbst, das war so in Schule und Studium und das ist so im Beruf.» Mit einem IQ von 145 ist der aus München angereiste Unternehmer sogar höchstbegabt.

Rund zwei Prozent der Bevölkerung sind nach Mensa-Angaben hochbegabt mit einem IQ von mindestens 130. Ab 145 wird von Höchstbegabung gesprochen. Bei den meisten Menschen liegt der Intelligenzquotient bei 100.

«Alles, was ich jemals blauäugig angepackt habe, hat funktioniert», sagt Lüers, locker, selbstsicher. «Ich hatte kein akademisches Umfeld, komme vom Bauernhof und umgebe mich auch nicht so gerne mit Akademikern.»

Seine Partnerin Sabine Lettenmeyer räumt schmunzelnd ein: «Er hat ein enormes Wissen und kann gut argumentieren, da komme ich schon an meine Grenzen.» Und: «Er ist sozial sehr kompetent. Das kann man nicht in allen Fällen so sagen.»

Hochbegabung kann auch Ballast und Bürde sein

Tatsächlich zeigt sich schnell: Hochbegabung ist nicht gleichzusetzen mit einem Leben im unbeschwerten Überflieger-Modus. Sie kann auch mit vielen Hürden verbunden sein, zur Belastung werden, krankmachen. Das Gefühl, abgelehnt zu werden, als verschrobener Nerd abgestempelt zu werden, kennen viele.

Als ihr Freunde vor zehn Jahren sagte, sie sei «anders», machte sich Ulrike Alt erst mal auf die Suche im Internet. «Ich habe nach psychischen Störungen gesucht, welche ich wohl habe», berichtet die Mentaltrainerin. «Ich habe immer Wissen gesammelt. Sobald ich etwas verstanden habe, habe ich etwas Neues gemacht.»

Sie war eine schlechte Schülerin, hat zwei «Ehrenrunden» gedreht, ihre Hochbegabung blieb unentdeckt. Nach Stationen als Schmuck-Unternehmerin, IT-Projektmanagerin und Zauberkünstlerin bietet die 49-Jährige nun Coachings für Hochbegabte und Begabungsdiagnostik an.

In Duisburg erläutert sie in einem Vortrag humorvoll und praxisnah, wie die stressige Gedankenflut im Hochleistungsgehirn sich bremsen lässt. Sie bedauert: «Es gibt viele unpassende Bilder über uns, das ist schade. Wir sind nichts Besonderes, wir denken nur einfach schneller und haben enorme Skills.»

Hochbegabte fahren manchmal «mit Volldampf gegen die Wand»

Mensa-Vorstand Melder sagt: «Manche Hochbegabte haben eine schlechte Frust-Toleranz.» In Schule und Studium hätten viele alles ohne Arbeitsaufwand abgehakt. Man habe nicht gelernt, mit Problemen umzugehen, die sich dann spätestens im Job einstellten – etwa im Umgang mit Vorgesetzten.

«Wir neigen zu komplexem, vernetztem Denken. Das kommt im Beruf oft nicht so gut an. Da heißt es dann: „Stell‘ doch nicht immer alles infrage“», erklärt Melder. Weil Hochbegabte schneller sind, langweilen sie sich auch schnell, verlieren die Lust. Und: «Wir stürzen uns oft mit Volldampf in eine Mission Impossible und fahren dann auch schon mal vor die Wand», sagt der Maschinenbauingenieur. Die verbreitete Annahme, dass Hochbegabung immer auch Karriere bedeute, sei falsch.

Claus Melder ist höchstbegabt, hatte leitende Posten bei Industriekonzernen und -verbänden inne, berät Investmentbanker, schreibt Kinderbücher, ist von Psychologie und Philosophie fasziniert.

Er gehöre zu den «Späterkennern», habe erst mit 40 Jahren einen IQ-Test gemacht – und verstanden, warum er als Jugendlicher als Exot galt. Mehr Beratung und die Förderung junger hochbegabten Menschen in der Schule und außerschulisch sei wichtig, um die wertvollen Potenziale und Talente zu heben, sagt Melder.

Mehr Verständnis, Aufklärung und Förderung werden gewünscht

Viele Hochbegabte sind im Schulunterricht massiv unterfordert, was teilweise fatale Folgen für deren Lernmotivation und auch Gesundheit bedeuten könne, unterstreicht die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind.

Manche seien permanent gelangweilt, unzufrieden, traurig. Andere werden als «Klugscheißer» beleidigt, es gebe traurige Schicksale, auch Verhaltensauffälligkeiten. Nötig seien bessere Erkennung und Förderung, mehr Flexibilität im Schulsystem – etwa über Früheinschulung oder mehrfaches Klassen-Überspringen.

Ingenieur Ulrich Pieper beobachtet: «Die Gesellschaft tut sich sehr schwer mit der Integration von oben.» Der 61-Jährige aus Osnabrück kennt Burn-out, aber auch Bore-out – krank machende Unterforderung und Langeweile im Job.

Er verfolgt nach vielen Jahren in der Industrie nun eigene Projekte, darunter eine technologische Erfindung im Umweltbereich, wie er bei dem mehrtägigen Event in Duisburg schildert. «Ich möchte der nächsten Generation ein Zukunftsprojekt weitergeben, mit dem Energie und Rohstoffe in hohem Maße eingespart werden können» – im Bereich der Kupferrohr-Produktion.

Buchprojekt mit Innenansichten von «Späterkannten»

Piepers Geschichte ist eine von vielen im Erzählband «Plötzlich hochbegabt» mit Schilderungen zahlreicher «Späterkannter». Das Projekt – das Buch ist bisher nicht veröffentlicht, eine Verlagssuche steht vor dem Abschluss – macht Pieper zufolge deutlich: Die Hochbegabten passen in keine Klischee-Schublade. Es seien Menschen mit mehreren Studienabschlüssen oder ganz ohne Ausbildung darunter, unsichere wie starke Persönlichkeiten. Und es zeige, dass Hochbegabte häufig zugleich hochsensibel seien.

Susanne Kaptmann aus Baden-Württemberg, mit ihrer hochbegabten Schwester angereist, meint: Wenn man intelligent sei, Weitblick habe, den zweiten Schritt schon sehe, wenn andere noch beim ersten sind, dann ecke man damit in schöner Regelmäßigkeit an. Die promovierte Chemikerin stellt klar: «IQ ist nicht gleichzusetzen mit Erfolg im Leben.» Und: «Viele Hochbegabte scheitern, wenn sie in Selbstzweifel geraten.» Von Yuriko Wahl-Immel, dpa

Gehen hochbegabte Kinder im starren Schulsystem (allzu häufig) unter? Gesellschaft schreibt Brandbrief an die Kultusminister

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

14 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Unfassbar
23 Tage zuvor

Rund zwei Prozent der Bevölkerung sind nach Mensa-Angaben hochbegabt mit einem IQ von mindestens 130. Ab 145 wird von Höchstbegabung gesprochen. Bei den meisten Menschen liegt der Intelligenzquotient bei 100.

Das ist keine Überraschung, weil die Intelligenzverteilung als Normalbürger mit Mittelwert 100 und Standardabweichung 15 skaliert wird. Entsprechend haben auch rund zwei Prozent der Bevölkerung einen IQ von höchstens 70. Eine zeitliche oder räumliche Schwankung wird nicht untersucht. Allerdings ist dieses Eisen zugegebenermaßen sehr heiß.

Realist
23 Tage zuvor
Antwortet  Unfassbar

Auch interessant: Corona-Infektion führt zu IQ-Verlust:
https://www.focus.de/gesundheit/news/briten-studie-mit-ueber-100-000-probanden-corona-infektion-kann-zu-iq-verlust-fuehren-doch-es-gibt-auch-eine-gute-nachricht_id_259727956.html

Aber wie wir wissen, sind ja nur die faulen S… daran Schuld, dass die PISA-Ergebnisse immer weiter sinken…

A.M.
23 Tage zuvor
Antwortet  Realist

Wow!!!

„Auch Impfungen hatte eine, wenn auch sehr geringe, positive Auswirkung – so wurde nach der ersten Impfung ein Anstieg um 1 IQ-Punkt und nach der zweiten Impfung um 2 IQ-Punkte festgestellt.“

Man kann es glauben – oder auch nicht.

Sepp
23 Tage zuvor

Was bei der Verteilung von Intelligenz und der Förderung in der Schule spannend ist:

Etwa 68% liegen im Normalbereich von 85 bis 115.
Für die Kinder, die darunter liegen, haben wir schulisch massive Unterstützung, Lernbegleiter, es gibt eigene Studiengänge (Sonderpädagogigik) usw.

Aber es gibt auch 14% überdurchschnittlich intelligenten Kinder und 2% Hochbegabte in den Klasse. Wie werden die gezielt gefördert? Wo gibt es flächendeckend Spezialisten dafür?

Pit2020
23 Tage zuvor
Antwortet  Sepp

@Sepp

Das sehe ich auch so, über 1% mehr oder weniger möchte ich hier nicht streiten (bevor nach Quellen, Studien usw. gefragt wird).
Die Grundidee und die daraus resultierenden Fragen sind einleuchtend für jeden KuK mit ein wenig Erfahrung.

Zum letzten Absatz drei spontane Gedanken:

  • „14% überdurchschnittlich intelligenten Kinder und 2% Hochbegabte in den Klasse“ … Tjoah, brauchen wir wohl nicht, darum keine Förderung??? (Meine Meinung ist das nicht!)
  • „Wie werden die gezielt gefördert?“ – … *grübel* … Ääähhh, vielleicht … hängt das zusammen mit dem allgemeinen Fachkräftemangel? … womit sich das „Wie“ komplett erledigt hat.
  • „Wo gibt es flächendeckend Spezialisten dafür?“ – Entsprechendes Personal wurde/wird für „Leuchtturm-Projekte“ verheizt?

Solange wir uns DAS noch leisten können … 🙁

Lisa
22 Tage zuvor
Antwortet  Sepp

Soweit ich den Artikel verstanden habe, heißt Hochbegabung nicht, dass das Kind keine Unterstützung braucht . Die Schule erzieht Generalisten. Viele Hochbegabte sind Spezialisten und machen nur, was sie interessiert.

Sepp
21 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

Natürlich brauchen überdurchschnittlich und hochbegabte Kinder auch spezielle Förderung.

Ich sehe, dass wir uns unglaublich anstrengen, alles für die unteren 16% zu machen und die oberen 16% einfach funktionieren sollen.

Schon bitter, dass wir es uns „leisten“, das Potential besonders begabte Kinder wenig zu fördern.

Blau
18 Tage zuvor
Antwortet  Sepp

Unser Unterricht ist idr dreifach differenziert. Das höchste Niveau ist für die 14% gedacht. Ab Kl.9 gibt es noch extra Begabungskurse, wo ich mathematisch fördere mit besonders anspruchsvollen Aufgaben. Das könnten alle Schulen easy so umsetzen, ist nicht viel dabei

Tester
23 Tage zuvor

Für SuS mit einem IQ über 115, aber unter 130 ist es, meiner Meinung nach, sogar noch schlimmer.

Ab 130 gilt man als hochbegabt, was heißt, dass sie auf spezielle Schulen dürfen für Hochbegabte. Aber was ist mit den 14%, die genau dazwischen liegen?

Für die gibt es nichts. Diese 14% werden nicht gefördert. Folglich sind sie häufig genauso unterfordert wie Hochbegabte.

Bei mir war es genauso. Ich habe mich im Mathe-Unterricht gelangweilt, weil ich alles schneller kapiert und ich schneller gerechnet habe als meine Mitschüler. Aus Langeweile habe ich mir das nächste Thema angeguckt, welches ich auch schnell kapiert habe. Was war also geschehen? Ich habe schon Aufgaben vorgerechnet und dabei unwissentlich die Hausaufgaben gemacht.

mama51
22 Tage zuvor
Antwortet  Tester

Es ist alles korekt, was Sie schreiben und Ihre spezielle Schulsituation kann ich voll und ganz nachvollziehen.[Ich hatte schon etliche Überflieger, dazu auch welche mit „überdurchschnittlicher Begabung“ ( IQ =125 – 129)]
Schön, dass Kinder mit IQ Ü130 diese „Extra-Schulen“ besuchen dürfen
NUR: WO sind sie denn, die Schulen für Hochbegabte? Die sind so dünn gesät wie Goldnuggets in der Rheinischen Tiefebene 🙁
Dazu häufig PRIVAT, sodass sich die Eltern, die ich kenne, sich das gar nicht leisten konnten. Für ein Stipendium deren Bezüge allerdings wieder zu „hoch“ waren.

Realist
22 Tage zuvor
Antwortet  Tester

„Für die gibt es nichts. Diese 14% werden nicht gefördert.“

Früher gab’s für die was. Nannte sich „Gymnasium“.

Heute sitzen sie mit den anderen 36% mit IQ >= 100 in einer gemeinsamen Schule. Nennt sich komischerweise auch „Gymnasium“.

Tester
21 Tage zuvor
Antwortet  Tester

Gebt einfach mal in einer Suchmaschine „IQ 115 fördern“ ein. Was kommt sind Artikel, wo von Förderung von Schülern mit einem IQ ab 130 sprich Hochbegabung gesprochen wird.

Blau
18 Tage zuvor
Antwortet  Tester

So war es bei mir auch in allen Fächern. Ich konnte meine MutSuS nicht verstehen (Gesamtschule) und auch heute noch als Lehrerin fällt es mir oft schwer zu verstehen, wieso meine SuS Dinge nicht nachvollziehen können.

Alx
23 Tage zuvor

Ein hoher IQ ist trotz kaum existenter Förderung der beste Prädiktor für beruflichen Erfolg.