BERLIN/KÖLN/ULM. Knapp 25 Jahre ist es her, dass Deutschland Gewalt in der Kindererziehung ein Ende setzen wollte und das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankerte. Eine aktuelle Umfrage zeigt nun: Die Maßnahme war erfolgreich, auch wenn der Weg zu echter Gewaltfreiheit noch weit ist. Denn weiterhin betrachten Millionen Deutsche Körper- und seelische Strafen als „angemessen“. Die Initiatoren der Studie, darunter das Kinderhilfswerk Unicef, schlagen Alarm – und fordern mehr Schutz für Kinder, unter anderem durch die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz.

Die gute Nachricht vorweg: Der Anteil der Menschen, die Gewalt als Erziehungsmethode anwenden beziehungsweise als angebracht ansehen, ist seit der Jahrtausendwende insgesamt gesunken. Darauf verweist eine nach eigenen Angaben repräsentative Umfrage von Unicef Deutschland und dem Universitätsklinikum Ulm anlässlich des Tages der gewaltfreien Erziehung am 30. April. Das Berliner Sozialforschungsinstitut Usuma befragte dafür Ende 2024, Anfang 2025 über 2.500 Menschen in Deutschland ab 16 Jahren. Demnach lehnen zwei Drittel der Befragten körperliche Bestrafungen ab (66,8 Prozent). Das sind deutlich mehr als im Vergleich zu den Erhebungen aus dem Jahre 2016 (55,2 Prozent) und 2020 (56,6 Prozent).
Von echter Gewaltfreiheit noch weit entfernt
Allerdings – und nun kommen wir zur schlechten Nachricht: „Trotz der bislang erzielten Fortschritte bleibt einiges zu tun“, resümieren das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen und das Universitätsklinikum. Denn ein Teil der deutschen Bevölkerung bewertet „Körperstrafen und emotionale Strafen weiterhin als angemessene Erziehungsmaßnahme“. So hat der früher weitverbreitete „Klaps auf den Po“ zwar stark an Zustimmung verloren, doch fast ein Drittel hält ihn aktuell noch für angebracht (30,9 Prozent). Das ist etwa jede dritte Person (zum Vergleich: 2016: 44,7 Prozent; 2020: 42,7 Prozent). Eine leichte Ohrfeige bewerteten in der aktuellen Umfrage noch 14,5 Prozent der Befragten als angemessen. 2020 waren es noch 17,6 Prozent gewesen, 2016 noch 17 Prozent.
Dabei zeigt sich, dass Frauen Körperstrafen generell häufiger ablehnen als Männer (70,3 Prozent zu 62,5 Prozent). Darüber hinaus erachten Männer die einzelnen Formen von Körperstrafen ebenfalls insgesamt häufiger als angemessen im Vergleich zu Frauen. Ähnliches gilt mit Blick auf die Altersgruppen: Unter den 61- bis 92-Jährigen halten den Klaps auf den Hintern 42,9 Prozent für angebracht, bei den 16- bis 30-Jährigen sind es dagegen 17,2 Prozent. „Die jüngste Altersgruppe lehnt zu 80,1 Prozent körperliche Bestrafungen in der Erziehung von Kindern ab, gegenüber 54,9 Prozent in der Gruppe der ältesten Befragten“, heißt es im Faktenblatt zur Befragung.
Mehr Ablehnung gegenüber emotionalen Strafen
Ein Schlaglicht wirft die Umfrage auch auf den Bereich der emotionalen Strafen wie „Anschreien“, „Kleinreden oder herabsetzen“ oder „Entzug von Aufmerksamkeit und Liebe“. Diese lehnen mehr Menschen in Deutschland ab als körperliche Strafen (73 Prozent im Vergleich zu 66,8 Prozent). Auch die Zustimmung zu den einzelnen Formen der Bestrafung fällt geringer aus als die zum „Klaps auf den Hintern“. Zu den emotionalen Strafen, die im Rahmen der Umfrage am häufigsten als angemessen bewertet wurden, gehören:
- „Anschreien“ (16,1 Prozent)
- „ins Zimmer einsperren (9,2 Prozent) und
- „nicht mehr mit dem Kind sprechen bzw. Kommunikationsverweigerung“ (8,6 Prozent).
Erneut zeigen sich Unterschiede zwischen den erhobenen Geschlechtern und Altersklassen: Frauen und jüngere Befragte (76,8 Prozent, 77,4 Prozent) lehnen emotionale Bestrafung häufiger ab als Männer und ältere Befragte (68,5 Prozent, 68,8 Prozent).
Maßnahmen für mehr Schutz
„Gewalt als Mittel der Erziehung ist niemals zu rechtfertigen und jedes Kind hat das Recht auf Schutz vor jeglicher Form von Gewalt“, betont Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland. Das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung aus dem Jahr 2000 sei ein wegweisendes Signal gewesen. Die Aufgabe, Kinder vor psychischer und physischer Gewalt zu bewahren, habe allerdings auch 25 Jahre später nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Ähnlich beurteilt Kinder- und Jugendpsychiater sowie Psychotherapeut Professor Dr. Jörg M. Fegert vom Universitätsklinikum Ulm die Befragungsergebnisse: „Auch wenn der Trend positiv ist, dürfen wir uns nicht ausruhen.“ Hinzu komme, dass die Misshandlungsform der Vernachlässigung – also Gewalt durch Unterlassung – nach wie vor weitgehend unbeachtet bleibe. „Auch die Ächtung dieser Form der Gewalt muss endlich gesetzlich verankert werden“, fordert Fegert.
Um die Situation weiter zu verbessern und „Kinder nachhaltig vor Gewalt zu schützen“, fordern das Kinderhilfswerk und das Universitätsklinikum daher
- die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, um diese zu stärken. Denn „die Geschichte der gewaltfreien Erziehung in Deutschland zeigt, wie gesetzliche Maßnahmen zu nachhaltiger positiver gesellschaftlicher Veränderung führen“.
- den Begriff der gewaltfreien Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch um die Misshandlungsform der Vernachlässigung zu erweitern. Denn „während die Ablehnung körperlicher Gewalt und auch zunehmend der emotionalen Gewalt im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert ist, fehlt es weiterhin an einer breiten Sensibilisierung für die Folgen unterlassener Fürsorge.“
- die Datenlage zu Gewalt in der Erziehung zu verbessern, um Prävention als auch Intervention gezielter gestalten zu können. Denn „nur durch fundierte Daten lassen sich das Ausmaß und die Risikofaktoren von Gewalt gegen Kinder erkennen. Darauf aufbauend lassen sich Lösungen erarbeiten sowie politischer und gesellschaftlicher Handlungsdruck erzeugen.“ News4teachers
Das Thema wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers heiß diskutiert (Auszug):










Niemand sagte, es würde schnell gehen, aber es geht allmählich.
Hängt vielleicht auch mit unangebrachten Vergleichen zusammen, dass die eigene Erziehung ja nicht so schlecht gewesen sein kann.
Mit Freude auf ein langes Wochenende verkneife ich mir die politische Diskussion 🙂
Zur Titelzeile:
Zum Schlagen hat meine Mutter dann immer meinen Vater gerufen – den Part wollte sie nicht übernehmen. Wenn geschlagen wird, dann sind beide dafür verantwortlich.
Und nun, die Methode ist einfach archaisch, und die Kinder lernen nicht durch Einsicht in ihr fehlverhalten dieses zu ändern. Schläger werden zu Schlägern erzogen.