IT-Panne, Lehrermangel, Bildungsabsturz – VBE-Chef: “Es ist eine Ungeheuerlichkeit”

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STUTTGART. Wegen eines Softwarefehlers blieben in Baden-Württemberg über Jahre 1.440 Lehrerstellen unbesetzt – mit dramatischen Folgen. VBE-Chef Gerhard Brand meint: Hätten die Lehrkräfte unterrichtet, stünde das Land in Bildungsvergleichen heute deutlich besser da.

“Das ist ein Scherz”: VBE-Landes- und Bundesvorsitzender Gerhard Brand. Foto: VBE Baden-Württemberg

Mehr als 1.400 Lehrerstellen in Baden-Württemberg sind über fast zwei Jahrzehnte versehentlich nicht besetzt worden – wegen eines IT-Fehlers. Das Kultusministerium spricht von einem bedauerlichen Pannenfall. Für Gerhard Brand, Landes- und Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), ist das Problem gravierender: Der Schaden, der für die Schulen in Summe deutlich über einer Milliarde Euro liegen dürfte, habe ganz konkret dazu beigetragen, dass Baden-Württemberg im Vergleich der Bundesländer so stark abgesackt sei. Ein Versäumnis, das nicht einfach durch Aufarbeitung zu korrigieren sei.

Gerhard Brand, selbst Realschullehrer, zeigt sich im Gespräch mit dem Spiegel entsetzt über die Tragweite der Enthüllung: „Als ich von der Nachricht erfahren habe, war ich jedenfalls fassungslos und dachte: Das ist ein Scherz. Es ist eine Ungeheuerlichkeit. Wir hätten die Lehrkräfte dringend gebraucht.“

Wie konnte der Fehler über Jahre unbemerkt bleiben? Auch Brand kann nur mutmaßen. Er sieht die Ursache nicht bei einzelnen Personen oder Parteien: „Ich glaube nicht, dass das Personal in der Verwaltung unsauber gearbeitet hat. Und ich sehe die Schuld auch bei keiner Partei. Das Problem liegt einfach in der Software. Dass es ein High-Tech-Land wie Baden-Württemberg nicht einmal hinkriegt, im Kultusbereich ein reibungslos funktionierendes Personal- und Verwaltungssystem zu installieren, das ist die Blamage überhaupt.“

Zehn Lehrerwochenstunden pro Schule – die nie stattfanden

Konkret geht es um 1.440 sogenannte „Geisterlehrer“ – also Lehrerstellen, die über Jahre hinweg als besetzt galten, obwohl sie unbesetzt waren. Laut Brand bedeutet das einen Ausfall von rund 38.000 Unterrichtsstunden pro Woche – verteilt auf alle Schulen im Land: „Jede Schule in Baden-Württemberg hat so pro Woche zehn Lehrerstunden weniger erhalten, als sie hätte erhalten können. Damit hätte man jede Menge anfangen können.“ Er macht deutlich, was diese zehn Stunden pro Schule hätten bewirken können: „Mit den zusätzlichen Lehrern hätten wir einzelne Schüler gezielter fördern können, etwa mit Unterstützungskursen in Mathe oder Deutsch.“

Und dann kommt sein zentraler Befund – mit weitreichender bildungspolitischer Relevanz: „Seit zehn Jahren sinkt Baden-Württemberg im bundesweiten Bildungsvergleich ab, von der Spitze bis ins Mittelfeld. Hätten wir diese zehn Wochenstunden pro Schule mehr gehabt, wären wir mit Sicherheit nicht so weit nach hinten gerutscht.“ Brand betont: „Es scheitert bei uns weniger an der Qualität als an der Quantität. Die Lehre ist gut, aber es gibt zu wenig Lehrer und Unterrichtsstunden.“

Ländliche Schulen und Grundschulen besonders betroffen

Besonders dramatisch sei die Lage in bestimmten Schulformen und Regionen. „Zu wenig Lehrer gibt es besonders an sehr ländlich gelegenen Schulen wie etwa im Hochschwarzwald und an Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren. Und an Grundschulen. Dort gehen die Kollegen alle auf dem Zahnfleisch.“ Die Folgen: Lehrkräfte verzichten auf Fortbildungen, werden häufiger krank oder streben frühzeitig in den Ruhestand. „Am Ende leiden die Schüler“, sagt Brand.

Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) hat angekündigt, die offenen Stellen nun rasch zu besetzen. Doch Brand warnt davor, daraus falsche Hoffnungen abzuleiten: An einzelnen Schulen werden wir durch die Maßnahmen vielleicht eine Entlastung erleben, aber eine Lösung für das strukturelle Problem des Lehrermangels sind sie nicht.“

Sein Verband unterstütze zwar die angekündigte Aufarbeitung – aber er bleibt skeptisch: „Natürlich unterstützen auch wir vom Verband Bildung und Erziehung die lückenlose Aufarbeitung der IT-Panne und wünschen uns, dass die Stellen möglichst schnell besetzt werden können. Aber das ist weder ausreichend noch realistisch.“

„Die Kollegen sind gar nicht auf dem Markt“

Der Grund: Es fehlen schlicht die Lehrkräfte. „Die Kollegen, die wir brauchen, sind gar nicht auf dem Markt: Lehrer im Grundschul- und Sonderpädagogikbereich.“ Die Landesregierung habe es über Jahre versäumt, den Beruf für diese Schulformen attraktiv zu machen. „Wir fordern deshalb, dass das Geld, das durch die nie besetzten Lehrerstellen eingespart wurde – seit 2005 jährlich bis zu 150 Millionen Euro – genau dafür eingesetzt wird.“ News4teachers

“Geisterlehrkräfte!”, “Größter Bildungsskandal seit Jahrzehnten!” – Schwere IT-Panne: Land entdeckt 1.440 (teils seit 2005!) unbesetzte Lehrerstellen

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Rainer Zufall
5 Monate zuvor

Oh nein, Herr Brandt, Sie irren sich.
Es WIRD noch ungeheuerlich, wenn Sie sehen, wie (ob!) das Land diese Mängel auszugleichen gedenkt -__-

447
5 Monate zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Da ist was dran.

“Quer umsteigende Gitarrensaiten” – oder so? 😀

GriasDi
5 Monate zuvor

Bildungsabsturz seit etwa 2015, fehlende LehrerInnen seit 2005?

GriasDi
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Hätte ja auch sein können, dass durch den Softwarefehler immer derselbe Prozentsatz an freien Stellen unbesetzt blieb.

Rainer Zufall
5 Monate zuvor
Antwortet  GriasDi

Vielleicht haben die Geister dem Algorythmus folgend Lehrkräfte nachgezeugt – bei diesem gigantischen Murks würde mich nichts mehr wundern!

GriasDi
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Dann spielt die Klassengröße ja doch eine Rolle beim Bildungserfolg.

dickebank
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Keiner, es musste nur mal gesagt werden.

PaPo
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Leute, die sich auf J. Hattie berufen, aber nur selektiv gelesen haben u./o. dessen Ergebnisse wissenschaftshteoretisch nicht einordnen können… gerne z.B. Kultusminister.

GriasDi
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Hattie

schwierig,schwierig,schwierig
5 Monate zuvor

Oh ja, wenn unsere Schule 10 Unterrichtsstunden mehr hätte, würden die Leistungen der Schüler deutlich steigen.
Ich schlage auch vor, dass alle Eltern, die ihre Kinder in die Nachhilfe geschickt haben, BW zu verklagen, weil sie ja um ihren Anteil an den 10 Stunden pro Woche gebracht wurden.

Sorry, aber mit solchen Kommentaren disqualifiziert sich der m.E. selber.

ed840
5 Monate zuvor

Wie groß wäre an Ihrer Schule der Anteil dieser Stunden pro Klasse gerechnet?

Wenn meine Informationen stimmen, beträgt laut Stundentafel die Zahl der Wochenstunden in der GS 1-4 zusammen 102 h .

Das wären also 10 mehr als z.B. in Schleswig Holstein oder Bremen.

schwierig,schwierig,schwierig
5 Monate zuvor
Antwortet  ed840

Es ist ja nicht nur die Grundschule betroffen sondern alle Schulen.
Bei 25 Klassen mit 33 Stunden die Woche sind die 10 Stunden ein Tropfen auf den heißen Stein.
Außerdem heißt eineumgesetzte Stelle ja nicht, dass die Lehrkraft immer anwesend ist. Auch diese Lehrkräfte könnten krank sein, auf Fortbildung gehen …..

Das die Stellen nicht besetzt wurden ist schlecht, dass was daraus jetzt gemacht wird, ist politisches motiviertes Geschwafel ohne sinnvollen Hintergrund.

ginny92
4 Monate zuvor

Jein also klar, wenn man jetzt für nächstes Jahr die 10 Stunden mehr hätte würde das wenig an der Schülerleistung erwirken. Auf die 20 Jahren die es nun aber gelaufen ist kommen da ganz andere Effekte zum Tragen: Stunden die gestrichen wurden, Stunden die wegen Überlastung ausfielen, Kollegen die wegen Überlastung im Burn out landeten….

ed840
5 Monate zuvor

Ob man das so einfach begründen kann? Es gibt ja in “The Länd” jemand, der zum Thema Lehrermangel angemerkt hat, dass viel nicht viel hilft, sondern es auf die Qualität des Unterrichts ankäme.

Ich habe auch gelesen, dass in SH Unterrichtsstunden in der SEK 1 gestrichen und über 160 Lehrerstellen abgebaut werden sollen, was aber dann durch bessere Unterrichtsqualität kompensiert werden soll.

Und dann gibt es noch Experten, die Unterricht eh für Zeitverschwendung und den Anfang allen Übels halten. Nach dieser Logik müssten die Schüler in “The Länd” von den fehlenden Stellen dann vermutlich sogar noch profitiert haben.

Da tut man sich als pädagogischer Laie schon schwer zu entscheiden, wer wohl nun recht hat.

447
5 Monate zuvor
Antwortet  ed840
Eddi
5 Monate zuvor

Naja den Bildungsabsturz nun komplett auf dieses Thema zu lenken ist genauso seriös, wie wenn immer noch nach etlichen Jahren des Thema Corona herangetragen wird. Natürlich kann man immer sagen „hätte, hätte Fahrradkette“, aber wirklich klar angeben, wieviel oder wie wenig dies wirklich ausgemacht hätte weiß niemand.
Immerhin erkennt er am Ende des Artikels ja schon, dass diese Stellen am Problem „Lehrermangel auf dem Land“ vermutlich gar nichts geändert hätte.

Das mit den fehlenden Stellen ist ganz großer Mist, und ich würde es auch befürworten, wenn dafür ein verantwortlicher Politiker seinen Kopf hinhalten würde, ebenso bin ich der Meinung, dass dies nicht passieren darf. Jetzt aber damit um die Ecke zu kommen ist die gleiche Stufe, wie wenn Eltern mir am Elternsprechtag erklären, dass ihr Kind nur schlecht sei, weil es ja mal Corona gab, weil es nicht in der ersten Reihe sitzt oder weil der Lehrer es wohl nicht mag.

Bla
5 Monate zuvor

Upsi

schwierig,schwierig,schwierig
5 Monate zuvor

Bitte nachträgliche Verteilung der Lerhkräfte auf die Schulen durchführen, die Vertretungsstuden erfassen, einen Verteilungsschlüssel erstellen, die Stunden abrechnen und nachversteuern. Wie gehen wir mit den aus dem Dienst ausgeschieden Lehrkräften um, die vielleicht nicht mehr unter uns verweilen?