Mit 66 Jahren … plötzlich Deutschlehrer – Pensionär kehrt ins Klassenzimmer zurück (und unterrichtet Flüchtlingskinder)

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SCHORNDORF. Eigentlich war Michael Schulze Berufsschullehrer und hat BWL unterrichtet. Mit 66, längst Pensionär, sattelt er noch mal um – und bringt Flüchtlingen an zwei Tagen die Woche Deutsch bei.

Wieder da: In einigen Bundesländern werden pensionierte Lehrkräfte wieder für den Schuldienst aktiviert (Symbolfoto). Foto: Oliver Hallmann / flickr (CC BY 2.0)
Wieder da: In einigen Bundesländern werden pensionierte Lehrkräfte wieder für den Schuldienst aktiviert (Symbolfoto). Foto: Oliver Hallmann / flickr (CC BY 2.0)

Mit 66 Jahren lernt Michael Schulze die Tücken der deutschen Grammatik kennen. Der Mann mit dem weißen, noch vollen Haar steht an einem Montagmorgen in einem schmucklosen Gebäude in Schorndorf bei Stuttgart. Elf Augenpaare sind auf ihn gerichtet. Hinter ihm an die Wand projiziert stehen Sätze wie: «Ich esse gerne frisch… Brot» oder «Ich trinke gerne kalt… Milch».

Schulze ist Lehrer und unterrichtet in einer Vorbereitungsklasse im baden-württembergischen Rems-Murr-Kreis. Seine Schüler kommen unter anderem aus Syrien, Afghanistan, Gambia, die meisten sind Flüchtlinge. Jetzt sollen sie die Adjektive richtig deklinieren. «Frische Brot»?, probiert es ein junger Mann. «Frisches», korrigiert Schulze.

«Intuitiv macht man als Muttersprachler alles richtig, schwierig war es, die Regeln zu kennen», sagt er. Jahrelang hat er sich vor allem mit Zahlen beschäftigt. An einer Stuttgarter Berufsschule lehrte er BWL und Buchhaltung. Dass er sich heute mit den Feinheiten der deutschen Sprache auseinandersetzt, hat er dem Kultusministerium zu verdanken. Denn eigentlich ist Schulze schon seit drei Jahren im Ruhestand. Mit 63 beantragte er seine vorzeitige Pensionierung. Dann kam ein Brief aus dem Ministerium.

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Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) wirbt gezielt um Lehrer wie ihn, die pensioniert sind oder kurz vor dem Ruhestand stehen. «Wir sind derzeit bei der Lehrerversorgung auf Kante genäht», sagt sie. «Durch eine gewaltige Pensionierungswelle haben wir Schwierigkeiten, alle frei werdenden Stellen zu besetzen.» Wenn Lehrer freiwillig länger arbeiten, so die Hoffnung, sichert das den Unterricht.

«Ich habe die politische Notwendigkeit gesehen, etwas zu tun», sagt Schulze. Er engagierte sich schon davor ehrenamtlich für Flüchtlinge. Zusätzlich steht er seit diesem Schuljahr an zwei Tagen die Woche für acht Stunden vor der Klasse in Schorndorf. Das mache ihm Spaß, sagt er. Unterrichten verlerne man schließlich nicht. Allerdings sieht er sich vor ganz neue Herausforderungen gestellt. «Manche Schüler mussten erst die lateinische Schrift lernen, andere waren vorher noch nie an einer Schule.»

Er ist inzwischen kreativ geworden. Wenn ihn die Jugendlichen verständnislos anschauen, öffnet Schulze ein Programm im Internet und lässt seine Erklärungen in Arabisch und Farsi übersetzen. Oder er ruft ein Bildlexikon auf. «Bevor ich denen einen Igel beschreibe, zeige ich ihn einfach.»

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Sein Einsatz lohnt sich auch finanziell. 1900 Euro erhält er zusätzlich zur Pension, das Extra-Geld muss er zwar versteuern, er zahlt aber keine Sozialversicherungsbeiträge darauf. In seinem Fall gilt die Zuverdienstgrenze, nach der ein Pensionär nicht mehr verdienen darf, als er im aktiven Dienst bekommen hat, nicht. Bei der Betreuung von Flüchtlingskindern handelt es sich um ein dringendes dienstliches Interesse – und da greift eine Ausnahmeregelung. Das Mehreinkommen war ein Anreiz, räumt Schulze ein. Er sagt aber auch: «Das Geld war nicht meine Hauptmotivation, sonst hätte ich auch einen anderen Job machen können.»

Generell bekommen Lehrer, die freiwillig weiterarbeiten, ein Gehaltsplus von zehn Prozent. Bis Anfang Juni haben mehr als 470 Beamte von dem Angebot Gebrauch gemacht.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sieht das nicht nur positiv: «Wir halten mehr davon, Anreize zu schaffen, damit Lehrkräfte bis zur Altersgrenze arbeiten und nicht frühzeitig in den Ruhestand gehen», sagt die Landesvorsitzende Doro Moritz. Denn: Laut Ministerium arbeiteten im Jahr 2015 gerade einmal 26 Prozent aller Lehrer überhaupt bis zum offiziellen Pensionsalter. Jeder 13 schied wegen Dienstunfähigkeit früher aus.

«Manche Lehrer fühlen sich bereits während des Dienstes verheizt», unterstreicht auch der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE). Die freiwillige Weiterarbeit sieht man dort mit gemischten Gefühlen: «Auf der einen Seite sind die Kollegen mit ihrem reichen Erfahrungsschatz ein Gewinn für die Schüler», sagt ein Sprecher. «Auf der anderen Seite haben sich diese Lehrkräfte eigentlich ihren Ruhestand verdient und sollten dann mehr Zeit für sich und die Familie haben.»

Mit Beginn der Sommerferien läuft Schulzes Vertrag aus. Er will im nächsten Schuljahr ins Klassenzimmer zurückkehren – allerdings mit weniger Stunden als momentan. «Ich fühle mich jetzt gesund und fit, davon möchte ich im Ruhestand auch noch was haben.» Von Christine Luz, dpa

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sofawolf
6 Jahre zuvor

ZITAT: „Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sieht das nicht nur positiv: «Wir halten mehr davon, Anreize zu schaffen, damit Lehrkräfte bis zur Altersgrenze arbeiten und nicht frühzeitig in den Ruhestand gehen», sagt die Landesvorsitzende Doro Moritz. Denn: Laut Ministerium arbeiteten im Jahr 2015 gerade einmal 26 Prozent aller Lehrer überhaupt bis zum offiziellen Pensionsalter. Jeder 13 schied wegen Dienstunfähigkeit früher aus.

«Manche Lehrer fühlen sich bereits während des Dienstes verheizt», unterstreicht auch der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE). “

Eben ! Da hilft eben auch kein höheres Gehalt, sondern nur deutliche Entlastung !!! Sag ich doch.

Man stelle sich vor, nicht nur 26% arbeiten bis zum offiziellen Beginn des Rentenalters, sondern 90%. Hätten wir dann überhaupt aktuell noch einen Lehrermangel.

Offensichtlich verzichten aber viele lieber auf Geld und gehen früher in die Rente. Wieso soll also mehr Geld dann ein Anreiz sein?!?