Rechtsextemismus beginnt in der Kindheit: Neues Forschungszentrum

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JENA. Die Neonazi-Terrorzelle NSU hat ihren Anfang in den 90er Jahren in Jena genommen. Die dortige Universität will nun etliche Daten zum Rechtsextremismus aus dieser Zeit noch einmal analysieren. Ihre Forschung soll in einem neuen Kompetenzzentrum gebündelt werden.

Wie viel Forschung an der Universität Jena zum Thema Rechtsextremismus betrieben wird, hat offensichtlich selbst Rektor Klaus Dicke überrascht. Das von ihm nach Bekanntwerden der Neonazi-Mordserie initiierte neue Kompetenzzentrum sollte im Juli starten. Doch sei das Projekt sowohl in und außerhalb von Thüringens größter Hochschule auf so große Resonanz gestoßen, dass der Zeitplan organisatorisch nicht zu halten gewesen sei, erklärte er. Ziel sei es, diese Forschung zu bündeln und zu koordinieren, um einen neuen Blick auf den Rechtsextremismus und den Umgang mit ihm zu gewinnen. Zum Auftakt ist im November – ein Jahr nach Auffliegen der aus Jena stammenden Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) – ein breitangelegtes Symposium geplant.

Mehr als zwei Dutzend Wissenschaftler seien einem ersten Aufruf des Rektors gefolgt – Soziologen und Politologen sind darunter ebenso vertreten wie Psychologen, Kunstwissenschaftler, Theologen und Medienforscher. So wollen sie etwa untersuchen, welche Faktoren zu einer rechtsextremen Gesinnung führen und was dafür ausschlaggebend ist, dass sich daraus Gewalt entwickelt. «Kein Mensch wird als Rechtsextremer geboren», betonte Psychologe Prof. Andreas Beelmann.

Einige aktuelle Fragen - etwa das Versagen der Geheimdienste bei der Aufklärung der NSU-Mordserie - wollen die Jenaer Wissenschaftler zunächst den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen überlassen. Foto: quapan / Karl-Ludwig G. Poggemann / Flickr (CC BY 2.0)
Einige aktuelle Fragen – etwa das Versagen der Geheimdienste bei der Aufklärung der NSU-Mordserie – wollen die Jenaer Wissenschaftler zunächst den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen überlassen. Foto: quapan / Karl-Ludwig G. Poggemann / Flickr (CC BY 2.0)

Die Wurzeln für fremdenfeindliche Einstellungen liegen nach seinen Erkenntnissen oft schon in der Kindheit. Folglich müssten Präventionsprogramme in Vor- und Grundschule ansetzen. Eine Auswertung von 113 Studien weltweit habe ergeben, dass Kinder vor allem im Alter von fünf bis sieben Jahren verstärkt ethnische oder nationale Vorurteile entwickeln. Danach ebbe dies häufig wieder ab, sagte Beelmann. Später spiele weniger das Alter als vielmehr das soziale Umfeld wie Freundeskreis und Familie eine größere Rolle, berichtete der Experte.

Das Grundschulalter sei deshalb eine kritische Zeit, in der sich Vorurteile festigen können, erklärte Beelmann. „Wenn es keinerlei Kontakt zu sozialen Fremdgruppen gibt, kann man auch keine persönlichen Erfahrungen machen und hält an pauschalen negativen Bewertungen länger fest.“ Das erkläre die oft hohe Fremdenfeindlichkeit in Regionen mit wenig Ausländern. Einmal entstandene Vorurteile könnten so auch in späteren Lebensjahren auf hohem Niveau relativ konstant bleiben. Gerade im Grundschulalter sei es daher wichtig, Kindern Kontakte zu Angehörigen anderer Nationalitäten zu ermöglichen. „Wenn ich einen Freund habe, gehört er zu meiner Identität“, erklärte Beelmann. Dann sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass ein Kind dessen Ethnie ablehne, weil es dann auch einen Teil seiner selbst ablehne.

Bester Schutz vor Vorurteilen: ausländische Freunde

Wichtig sei aber, dass bei Präventionsprogrammen nicht nur Kontakte hergestellt, sondern auch gemeinsame Ziele vermittelt werden – etwa über kooperatives Lernen oder gemeinsame Mannschaften im Sport. Auch über indirekte Kontakte oder Geschichten könne Vorurteilen gegen Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe vorgebeugt werden, berichtete Beelmann. Etwa wenn darin ein deutsches und ein russisches Kind gemeinsam Abenteuer erleben. „Erstaunlicherweise funktioniert das fast genauso gut wie bei echten Kontakten.“ Aus Studien über längere Zeiträume hinweg sei bekannt, dass es bei Kindern, die mit ausländischen Kindern befreundet sind, extrem unwahrscheinlich sei, dass sie fremdenfeindliche Vorurteile bis hin zum Rechtsextremismus entwickeln.

Zu den umfangreichen Daten, die den Jenaer Forschern zur Verfügung stehen, gehört auch der Thüringen-Monitor, bei dem seit 2001 die Thüringer zu ihren politischen Einstellungen befragt werden. Ziel sei es zunächst nicht nur zusammenzutragen, was bisher an Studien zu Rechtsextremismus gelaufen ist, sondern auch herauszufinden, wo es Lücken gibt, erklärte Rektor Dicke. Einige aktuelle Fragen – etwa das Versagen der Geheimdienste bei der Aufklärung der NSU-Mordserie – wollen die Wissenschaftler dagegen zunächst den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen überlassen. ANDREAS HUMMEL, dpa

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