Studie zum Spicken: Fast nur Jüngere haben noch ein schlechtes Gewissen

0

LEIPZIG. Junge Schüler schummeln bei Klassenarbeiten und Tests deutlich weniger als ihre älteren Mitschüler. Psychologen an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Leipzig fanden in Langzeitstudien heraus, dass nur 20 Prozent der Sechsklässler Spicken und Abschreiben in Ordnung finden. Bei den Zwölftklässlern sind es dagegen 80 Prozent. Die Jüngeren haben mehr Angst, erwischt zu werden und argumentieren, Schummeln sei unmoralisch, sagte die Leiterin der Studie, Brigitte Latzko.

Ausgerechnet die Lehrer sorgten oft dafür, dass die Bereitschaft zu mogeln im Laufe der Schullaufbahn größer werde. Es sei vielerorts eine unausgesprochene schulische Regel, dass man für gute Noten durchaus mogeln soll, sagte Latzko. «Man soll sich aber eben nicht erwischen lassen.»

Bei jüngeren Schülern dürfte die Angst vor dem Erwischtwerden noch überwiegen. Foto: Foto: Hcky So / flickr (CC BY-NC 2.0)
Bei jüngeren Schülern dürfte die Angst vor dem Erwischtwerden noch überwiegen. Foto: Foto: Hcky So / flickr (CC BY-NC 2.0)

Das Interview mit der Psychologin Latzko im Wortlaut:

Sie haben wissenschaftliche Erkenntnisse zum Spicken und Mogeln gesammelt. Wie erforscht man das denn?

Latzko: Das ist unterschiedlich. Wir wählten eine psychologische Zugangsweise. Uns interessiert, wie Jugendliche Regelübertritte bewerten und empfinden. Salopp könnte man sagen: Gilt Mogeln als Kavaliersdelikt? Eine Kernfrage lautet, ob Lehrkräfte ihre Schüler so befördern sollen, dass sie nicht mogeln oder ob es eher so ist, dass sie sagen, das gehört dazu, das akzeptieren wir stillschweigend.

Und was ist die Antwort auf diese Frage?

Latzko: Diese Antwort hängt mit der Frage zusammen, was eigentlich der Sinn von Schule ist. Geht es um eine reine Leistungsbeurteilung oder darum, tatsächliche Lernzuwächse zu erreichen? Mithilfe unserer Forschungsergebnisse können wir sagen, dass die Schüler, die sich selbst Fähigkeiten aneignen wollen, eher gegen das Mogeln sind. Diejenigen, für die Erfolg und ein gutes Zeugnis im Vordergrund stehen, sind durchaus dafür.

Und wie stehen die Lehrer dazu?

Latzko: Das finde ich selbst kurios. Einerseits erklären Lehrer, Schummeln sei nicht akzeptabel. Und andererseits ist der Leistungsdruck oft sehr hoch und unterschwellig wird suggeriert, es sei doch okay zu mogeln, wenn man sich nicht erwischen lässt. Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass nicht nur die Schüler betrachtet werden müssen. Vielmehr sollten die Lehrerkollegien zusammenkommen und klären, wie jeder Lehrer zum Thema Schummeln steht. Meine Hypothese lautet: Wenn eine Klassenarbeit nicht nur als Leistungsindikator genutzt würde, sondern als Diagnoseinstrument, wo es in der Klasse noch Wissenslücken gibt, die man gemeinsam aufarbeitet, dann würde weniger gemogelt werden.

Und wer sind nun die Schummler in den Schulklassen?

Latzko: Zum einen wissen wir, dass Jungen eher schummeln als Mädchen. Was wir außerdem belegen können ist, dass die Akzeptanz für das Mogeln mit dem Alter der Schüler zunimmt. In unseren Leitfadeninterviews mit etwa 100 Schülern gab nur jeder fünfte Sechstklässler an, dass er Mogeln in Ordnung findet. Bei den Zwölftklässlern sind es 80 Prozent. Und auch die Begründungen verändern sich. Sechstklässler argumentieren eher moralisch. Sie sagen: Das darf man nicht, das ist gegen die Regeln. 94 Prozent von ihnen gaben auch an, ein schlechtes Gewissen zu haben. Bei den Zwölftklässlern traf das nur noch auf jeden Dritten zu.

Und welche Rolle spielt dann der Lehrer?

Latzko: Obwohl die Akzeptanz des Mogelns mit steigendem Alter zunimmt, betonen die Schüler immer wieder, dass der Lehrer die Instanz ist, die Spicken und Ähnliches verhindern soll. Sie können sehr genau differenzieren, wer eher wegguckt und wer ein «scharfer Hund» ist. Und vor allem bei den Befragungen der Zwölftklässler kam immer wieder zum Ausdruck: Sie spüren, dass es akzeptiert ist. Es ist eine schulische Regel, dass man durchaus mogeln soll. Man soll sich aber eben nicht erwischen lassen.

Sie sind jetzt schon seit zwölf Jahren der Psychologie des Abschreibens und Spickens in der Schule auf der Spur. Haben sich die Methoden im Zeitalter des Smartphones verändert?

Latzko: Eigentlich nicht. Die Schüler präparieren immer noch ihre Trinkflaschen, schreiben sich etwas auf die Hand, ins Uhrband oder auf’s Lineal. Das einzige, was sich eben verändert ist, dass die neue Handytechnik genutzt wird. Die Schüler gehen, wenn sie können, auf die Toilette und nutzen wie im Fernsehen ihre Telefonjoker. Aber dass die Toilette prinzipiell mit Spickzetteln oder versteckten Büchern präpariert wird, das gab es schon immer.

Aber das wissen die Lehrer doch und kontrollieren.

Latzko: Da gibt es anscheinend oft juristische Unsicherheiten. Die Lehrer sind zum Beispiel oft nicht sicher, ob sie einem Schüler das Handy wegnehmen dürfen und da sind, finde ich, Lehrer und Schulen oft auch nicht mutig genug.

Gibt es denn auch eine besonders raffinierte Spickmethode?

Latzko: Mich hat eine zum Spickzettel umfunktionierte Tafel Schokolade einmal sehr beeindruckt. Ansonsten habe ich auch schon selbst erlebt, dass Kinder ihre Spicker runterschlucken, wenn sie nur ein Stück Papier haben, und so natürlich alle Beweise vernichten. dpa

Zum Bericht: „Spicken mit Smartphone beliebt – Schulen halten dagegen“

 

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments