HAMBURG. Eine Grundschul-Lehrerin aus einem Ort bei Hamburg schreibt einen empörten Brief an Eltern und fordert diese darin auf, ihre Kinder besser zu erziehen. Der Anlass: ein offenbar aus dem Ruder gelaufener Ausflug mit den ErstklĂ€sslern. Das Schreiben wird öffentlich â und sorgt fĂŒr eine heftige Debatte. âAch ja. Schon wieder eine Lehrerin, die zu gut fĂŒr ihre Kinder istâ, Ă€tzt etwa Alan Posener, Autor der Tageszeitung âWeltâ.
Detailliert beschreibt die PĂ€dagogin in dem fĂŒnfseitigen Brief das Verhalten ihrer Klasse auf einem Ausflug in die Kunsthalle Anfang Dezember, schildert die Sechs- und SiebenjĂ€hrigen als desinteressiert und disziplinlos, mit schlechten Manieren und einem Hang zur FĂ€kalsprache. âWir haben ein Problem mit Aggressionen an unserer Schuleâ, sagt die Lehrerin, âund der Brief soll eine GesprĂ€chsgrundlage seinâ. Von vielen wird das Schreiben (in dem es heiĂt: âIch habe mich geschĂ€mtâ) allerdings als Provokation aufgefasst. Vor allem an einem Punkt entzĂŒndet sich die Debatte. In Sachen Erziehung schreibt die PĂ€dagogin: âSie denken: Wie putzig, das ist ja auch ihr Job? Falsch: Mein Job ist der, Ihre Kinder zum Lernen zu bewegen.â
Posener meint nun: âNein, Frau B., ist er nicht. Ihr Job â der wichtigste Job, den es in diesem Land gibt, zweifellos â wird in allen Schulgesetzen aller BundeslĂ€nder als âUnterricht und Erziehungâ umrissen. Lehrer mĂŒssen die Kinder nicht nur âzum Lernen bewegenâ; sie mĂŒssen ihnen oft Mutter oder Vater ersetzen; Zeit und Aufmerksamkeit geben, die zuhause fehlen; Strenge auch, GrundsĂ€tze, Werte, wenn man so will; aber immer mit Geduld, Respekt und vor allem Liebe.â PĂ€dagogen, die das nicht wahrhaben wollten, hĂ€tten schlicht den falschen Job.
Immer wieder, so meint der Journalist, wĂŒrden Klagen von offenbar ĂŒberforderten Lehrern ĂŒber SchĂŒler öffentlich. âManche LehrkrĂ€fte haben ein Problem mit Kindern, egal, wie die sind. Wir kennen doch alle diese Leute aus der eigenen Kindheit. Sie sind unglĂŒcklich in ihrem Beruf. Und statt ihn zu wechseln, machen sie andere dafĂŒr verantwortlich.â
TatsĂ€chlich, so Posener, sei Lehrer kein einfacher Beruf. Der PĂ€dagogin aus dem vermeintlich idyllischen Hamburger Vorort schreibt er ins Stammbuch: âSie mĂŒssten nur mal aus der heilen Welt der Kleinstadt etwa in eine innerstĂ€dtische Schule ziehen.”
Sicher seien auch âdie verzogenen Einzelkinder aus den angeblich besseren Viertelnâ anstrengend. âSie haben es ja beschrieben. Jede Anweisung muss begrĂŒndet, jede Leistung gelobt werden; RĂŒcksicht und Nachsicht haben diese Kinder nicht gelernt; und oft sind sie Opfer der Wohlstandsverwahrlosung: âNicht jetzt, Liebling, Papa hat keine Zeit. Geh mal Nintendo spielen.ââ
Eine erste Klasse zu unterrichten sei vielleicht der schwierigste Job, den es an der Schule gibt. Jede Lehrerin, jeder Lehrer komme im Verlauf dieses ersten Jahres an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Aber: So sei nun mal der Job. Posener: âDie Lehrer können sich andere Eltern und Kinder wĂŒnschen, aber sie werden nicht kommen. Die Schule muss sich die Kinder heranziehen, die sie haben will: sie muss sie erziehen. Wer das als PĂ€dagoge nicht wahrhaben will, hat den falschen Beruf erwischt.â
Der Kommentar war offenbar auch innerhalb der âWeltâ-Redaktion umstritten. Sie nahm einige Tage nach Erscheinen von Poseners Text einen Kommentar der Redakteurin Annette Prosinger ins Blatt. In dem deutlich sachlicheren Beitrag heiĂt es: âEine komplette erste Klasse, die nicht schulreif ist? Wer Dampf ablĂ€sst, ĂŒbertreibt gern. Und es ist kein Verbrechen, Eltern darauf aufmerksam zu machen, dass ihre Gören dem Lehrer ganz schön zusetzen. Bis der nicht mehr kann. Eigentlich gut, wenn jemand so etwas öffentlich macht. Statt schlaflos vor Ărger zu sein, sich in Lehrerzimmerintrigen abzureagieren oder Burn-out anzumelden. Lehrerin B. begreift ihren Wutausbruch nicht als Kapitulation, sondern als âGesprĂ€chsgrundlageâ, das zeugt immerhin von pĂ€dagogischem Ehrgeiz. Sie will die Eltern in die Pflicht nehmen, aus ihren BrĂŒllbestien respektable Menschen zu machen.â
Lehrer könnten ruhig mal mit Eltern schimpfen, falls auf dieser “GesprĂ€chsgrundlage” gemeinsam nach Lösungen gesucht werde, schreibt Prosinger. Sie kommt aber auch zu dem Schluss: âEines aber können Lehrer nicht: ihren Erziehungsauftrag ablehnen.â
Auch unter den Leserinnen und Lesern von News4teachers hat der Brandbrief der Lehrerin fĂŒr eine engagierte Debatte gesorgt – im Forum unter dem ursprĂŒnglichen Beitrag nachzulesen.
Zum Kommentar von Alan Posener in der “Welt”.
Zum Kommentar von Annette Prosinger in der “Welt”.
Zum Bericht: Lehrerin schreibt Brandbrief an Eltern: âIch habe mich fĂŒr Ihre Kinder geschĂ€mtâ
Eltern und Staat (Schule) sind bei der Erziehung der Kinder einander nicht ĂŒber- oder untergeordnet, sondern gleichberechtigt. D.h. zum einen, dass nicht die Schule erziehen muss, die Eltern aber nicht und umgekehrt, dass nicht die Eltern alleine erziehen und die Schule nicht. Siehe auch: http://blog.4teachers.de/schulrechtsgedanken/2013/10/05/elternhaus-und-schule-gleichberechtigt/
Von Eltern darf man nicht erwarten, dass sie erziehen. Lehrer dagegen mĂŒssen mit jedem Verhalten von Kindern (und zwar von ca. 25 Kindern zugleich) zurechtkommen – meint Mr. Posener offenbar.
Ich meine nun: âNein, Herr Posener, ist es nicht. Ihre Aufgabeâ die wichtigste die es in einem Leben gibt, zweifellos â wird in dem Moment in dem Sie Vater werden, diese Kinder zu erziehen. Eltern mĂŒssen die Kinder nicht âzum Lernen bewegenâ; sie mĂŒssen ihnen einfach Mutter oder Vater sein; Zeit und Aufmerksamkeit geben, die sonst fehlen; Strenge auch, GrundsĂ€tze, Werte, wenn man so will; aber immer mit Geduld, Respekt und vor allem Liebe.â Eltern, die das nicht wahrhaben wollten, hĂ€tten schlicht keine Kinder bekommen sollen.