Liebe oder familiäre Pflicht? – Theaterprojekt klärt Schüler über Zwangsehen auf

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REMSHALDEN. Aus Expertensicht ist es «die Spitze der Eskalation»: eine erzwungene Ehe – gegen den Willen der Mädchen und jungen Frauen. Die Schule gilt als geeigneter Ort für Aufklärungsarbeit. Und kurz vor den Sommerferien als geeigneter Zeitpunkt, damit anzufangen.

 «Am Ende der Ferien war Daria mit ihrem Cousin verheiratet.» So abrupt endet die Szene. Sie soll auf ein Problem aufmerksam machen, das nach Angaben der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes und des Integrationsministeriums in Stuttgart gerade in den Sommerferien eine immer größere Rolle spielt: Zwangsehen.

70 Prozent der Betroffenen seien jünger als 21 Jahre, 30 Prozent sogar minderjährig, macht Terre-des-Femmes-Mitarbeiterin Sandra Stopper am Montag in Remshalden (Baden-Württemberg) deutlich. Laut einer Studie für das Bundesfamilienministerium meldeten sich im Jahr 2008 rund 3400 Frauen bei Beratungsstellen. «Das ist schon ein sehr weiter Schritt», sagt Stopper. Die Dunkelziffer liege viel höher.

Monika Memmel, Abteilungsleiterin der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart, berichtet, dass die Beratungsstelle Yasemin jährlich bis zu 200 betroffene Frauen im Südwesten betreut. Hinzu kommen ein paar Männer, weil es für sie keine speziellen Angebote gebe, und «vertraute Dritte» wie Freunde, Lehrer, Ausbilder oder Polizisten.

In einigen Fällen sei das Ziel der Zwangsverheiratung eine Aufenthaltserlaubnis und die Flucht aus armen Verhältnissen in der Heimat, erklärt Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD). Sie wisse von Frauen, die in ihrer Not absichtlich die für die Einreise nach Deutschland erforderlichen Sprachtests nicht bestehen.

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Müssen Schulen einen Gebetsraum für muslimische Schüler einrichten? Foto: DMahendra / Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Gewalt gegen Frauen soll nicht totgeschwiegen werden, fordern die Veranstalter. Foto: DMahendra / Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Und Öney macht deutlich: «Zwangsverheiratung ist eine Straftat.» Seit 2011 sei es ein eigener Straftatbestand – eingeführt unter anderem auf Initiative des früheren baden-württembergischen Justizministers Ulrich Goll (FDP), wie Öney betont. «Es ist aber nicht nur gegen unsere Gesetze. Es ist auch gegen unsere Wertvorstellungen.»

Die Schauspieler der Gruppe «Mensch: Theater!» wollen in der Ernst-Heinkel-Realschule in Remshalden mit den Schülern über Gewalt im Namen der Ehre diskutieren. Dabei geht es auch um das Verbot von Liebesbeziehungen, Sex vor der Ehe und Ächtung von Homosexualität. Immer wieder unterbrechen die Schauspieler die Szenen, um mit den Schülern über mögliche Folgen oder andere Lösungswege zu sprechen. Es ist der Auftakt für 20 Auftritte an Schulen in Baden-Württemberg samt Workshops unter dem Motto «Mein Leben. Meine Liebe. Meine Ehre?».

Den Teil zur Zwangsverheiratung lesen die drei Akteure nur kurz vor, es folgt keine Spielszene. «Wir haben auf Extremfälle verzichtet und versucht, eher unterschwellig vorzugehen», erläutert Tobias Gerstner, Intendant und Regisseur von «Mensch: Theater!». Der Rest solle mit den Schülern erarbeitet werden. Memmel betont: «Zwangsverheiratung ist kein Akt, der aus dem Nichts entsteht.» Die gezeigten Konflikte könnten aber dahin führen.

Dass das Theaterprojekt gerade jetzt, kurz vor den Ferien, startet, ist kein Zufall: In der Urlaubszeit gibt es laut Öney vermehrt Fälle von erzwungenen Hochzeiten. Auch der Ort ist mit Bedacht gewählt: «Die Betroffenen erleben die Schule als einzigen Ort, wo sie sich frei bewegen können, wo sie sich offenbaren können», sagt Memmel. Mitschüler könnten als helfende Dritte eingreifen, meint auch Gerstner. «Als Opfer hat man oft nicht die Chance, sich zu wehren.» Marco Krefting

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