Schulstart in Sachsen-Anhalt – die entscheidende Frage: Wird der Lehrermangel gravierender?

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MAGDEBURG. Sechseinhalb Wochen waren die Schultüren offiziell zu. Jetzt kommen Lehrer und Schüler zurück – und auch die Frage, ob der Unterricht besser abgesichert ist als zuletzt.

Am Donnerstag sind die Sommerferien in Sachsen-Anhalt vorbei. Sachsen-Anhalts Schülerinnen und Schüler bevölkern wieder die Klassenzimmer. Damit kehren auch die Sorgen um Unterrichtsausfall und Lehrermangel zurück. Die wichtigsten Fragen:

Wie viele Schüler werden in die Klassenzimmer zurückkehren?

Offizielle Angaben des Bildungsministeriums gibt es dazu noch nicht. In den vergangenen Jahren seien die tatsächlichen Zahlen zu sehr von den vorläufigen abgewichen, hieß es. Daher will das Ressort von Minister Marco Tullner (CDU) diesmal erst einige Wochen nach dem Start ins Schuljahr belastbare Zahlen zu Schülern und zur Unterrichtsversorgung bekannt geben. Klar ist: Rund 191 000 Schülerinnen und Schüler starteten vor sechseinhalb Wochen in die Sommerferien. Tausende von ihnen zum letzten Mal, weil sie einen Schulabschluss in der Tasche haben. Rund 18 000 Erstklässler werden laut Bildungsministerium eingeschult. Der Grundschulverband rechnet mit gut 2500 Grundschülern mehr als im vorherigen Schuljahr.

Wird die Situation an den Schulen besser?

Da scheiden sich die Geister. Bildungsminister Tullner sagt: Ja. In einigen Schulformen werde die Unterrichtsversorgung dem gesteckten Ziel der schwarz-rot-grünen Koalition schon sehr nahe kommen. Das liegt bei 103 Prozent und soll Krankheit, Schwangerschaften und kurzfristige Ausfälle abpuffern. Im vergangenen Jahr hatte die Versorgung knapp unter 100 Prozent gelegen. Seit vergangenem Jahr seien mehr als 930 neue Lehrer eingestellt worden, zuletzt 270. Allerdings blieben auch gut 100 ausgeschriebene Stellen unbesetzt.

Die hätte es aber mindestens gebraucht, damit sich die Situation an den Schulen nicht verschlechtert, hält die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Eva Gerth, gegen. «Aus unserer Sicht wird es wieder ein schlimmeres Schuljahr als im Vorjahr.» Ähnlich sieht es der Bildungsexperte der Linken-Fraktion, Thomas Lippmann. Trotz der Neueinstellungen werden weniger Lehrer vor der Klasse stehen, weil eine ähnliche Zahl Kollegen ausgeschieden ist, sagt er. Real werde die Unterrichtsversorgung bei 97 Prozent liegen – mit Schwankungen zwischen den Schulformen.

Wie kommen die unterschiedlichen Einschätzungen zustande?

Die GEW und der Grundschulverband sagen: Das liege an Rechentricks des Ministeriums. Im Amtsdeutsch heißt der Kniff effizienzsteigernde Maßnahmen. Um zu ermitteln, wie viele Lehrer je Schule nötig sind, wird neben einem Sockelwert ein Faktor mit der Schülerzahl multipliziert, erklärt die Vorsitzende des Grundschulverbands, Thekla Mayerhofer. Dieser wurde um 0,1 abgesenkt. «Die Schule hat also weniger Lehrerstunden, obwohl sie nicht weniger Schüler hat.» Auf dem Papier werde die Unterrichtsversorgung damit besser, aber die Probleme in den Schulen würden größer, moniert Mayerhofer.

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Welche Schulformen sind besonders betroffen?

Laut Gewerkschaft GEW kommen die Gymnasien noch am glimpflichsten davon. Hier sei der Lehrermangel seit Jahren tendenziell weniger gravierend, weil sich mehr junge Menschen für das Lehramt an Gymnasien entschieden. An Sekundar-, Gemeinschafts- und Förderschulen sehe die Situation düsterer aus. Bei den Grundschulen kämpfe der überwiegende Teil mit Problemen, sagt Verbandschefin Mayerhofer. Ein Großteil von ihnen habe zwei Klassen pro Jahrgang, sei klein oder mittelgroß. Hier falle auch das Fehlen von einem oder zwei Lehrern schon stark ins Gewicht. «Das lässt sich nicht immer nur mit größeren Klassen lösen», sagt Mayerhofer. Je größer sie seien, desto schwieriger werde es, beim Krankheitsausfall eines Kollegen die Schüler sinnvoll auf andere Klassen aufzuteilen.

Wie geht es den Privatschulen?

Die freien Schulen melden großen Zulauf. Binnen sechs Jahren sei die Zahl der Schüler um fast die Hälfte, beziehungsweise knapp 5800, gestiegen, erklärte der Geschäftsführer des Landesverbands Deutscher Privatschulen (VDP), Jürgen Banse. Doch auch er spricht von sich weiter verschärfendem Lehrermangel – und von einer verfassungswidrigen Benachteiligung der Privatschulen. So werde den freien Schulen untersagt, Lehrer auch mal in Fächern einzusetzen, für die sie keine Ausbildung haben – dabei sei das an staatlichen Schulen gängige Praxis.

Wie viele Lehrer werden gebraucht?

Darüber gibt es seit Monaten politischen Streit. Die Kenia-Koalition will bis zum Ende der Wahlperiode im Jahr 2021 14.500 Vollzeitstellen erreichen. Bildungsminister Tullner legte zuletzt Berechnungen vor, nach denen bis zum Jahr 2030 jährlich 650 Vollzeitstellen neu besetzt werden müssen. Die Zahl der Studienplätze an Sachsen-Anhalts Unis sollen daher auf mindestens 800 angehoben werden. Eine Volksinitiative sammelt seit einigen Monaten Unterschriften, und will 1000 zusätzliche Lehrer und 400 Pädagogische Mitarbeiter erreichen.

Was kann Linderung bringen?

Keiner der Experten sieht eine sofortige Lösung des Problems. Lehrer sind bundesweit rar, weil viele Bundesländer ähnliche Engpässe bekämpfen. Das Bildungsministerium will zeitnah bis zum Herbst nicht nur die 100 bisher unbesetzten Posten, sondern insgesamt 180 Stellen ausschreiben. Dabei würden bereits die Referendare gezielt angesprochen, die Ende September ihre Ausbildung abschlössen. Zudem werden Referendare von diesem Schuljahr an deutlich früher als bisher alleinverantwortlich vor der Klasse stehen. Laut Bildungsministerium bereits fünf Wochen nach dem Start ins Referendariat – zunächst betrifft das 470 junge Kollegen.

Gewerkschaft und Grundschulverband kritisieren das scharf: Nicht umsonst gehöre das Referendariat zur Ausbildung. Zwar gebe die Uni durchaus das pädagogische Rüstzeug mit, doch in der Praxis stellten sich oft Fragen, für die es den Rat erfahrener Kollegen brauche. «So werden die Referendare gleich zum Start verheizt», sagt Mayerhofer. Angedacht ist auch, Mehrarbeit zu bezahlen. Doch dafür müsste das Ministerium deutlich tiefer in die Tasche greifen, sagt GEW-Chefin Gerth. «Bisher gibt es für die Überstunde die Hälfte wie für eine reguläre Arbeitsstunde.» Es müsse mindestens gleich bezahlt werden. dpa

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sofawolf
6 Jahre zuvor

Neulehrer sind die einzige Chance, den Lehrermangel kurzfristig zu mindern. Da müssen unkonventionelle Wege gegangen werden (berufsbegleitende Ausbildung u.dgl.)

Wir alle – ich möchte wieder dafür werben – sollten die Kollegen „von außen“ unterstützen, so gut es geht. Man hört leider eher das Gegenteil, doch wir sollten nicht vergessen, dass sie uns vor weiteren Überlastungen bewahren !

dickebank
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

OBAS – gibt es in NRW schon länger. Es müssen aber auch Kandidaten gefunden werden …