Zu Jahresbeginn fordern Lehrerverbände endlich einen Aufbruch in der Schulpolitik

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BERLIN. Endlich einen Aufbruch in der Bildung, der die Schulen ins 21. Jahrhundert katapultiert – das erwarten viele Menschen von der Politik zu Beginn des anbebrochenen neuen Jahrzehnts. Zwei Lehrerverbände, der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und der Verband Deutscher Realschullehrer (VDR), konkretisieren in aktuellen Pressemitteilungen, was sie darunter verstehen. An erster Stelle steht bei beiden die Beseitigung des grassierenden Lehrermangels. Nur mit genügend Personal könne Schule das leisten, was zu ihren gesellschaftlichen und politischen Kernaufgaben gehöre: Möglichst vielen jungen Menschen einen Bildungsaufstieg ermöglichen (darauf fokussiert der VBE) und die Grundlagen für die Demokratie legen (was der VDR betont).  

Um die Bildung nach oben zu bringen, ist viel Treibstoff notwenig – sprich: Geld. Foto: pixabay

„Wir erwarten, dass die verantwortliche Politik die bestehenden Herausforderungen zu Beginn des neuen Jahrzehnts mit einer nachhaltigen und dem tatsächlichen Bedarf Rechnung tragenden Strategie beantwortet“, sagt VBE-Chef Udo Beckmann. „Es muss Schluss sein mit halbherzigen Schritten, die die Realität an den Schulen ignoriert.“ Für den VBE sei unabdingbar, dass die KMK „endlich ein gemeinsames Bildungsverständnis entwickelt und anerkennt, dass die bestehenden pädagogischen Herausforderungen nur mit einem Zwei-Pädagogen-System zu bewältigen sind.“ Mit Blick auf die Inklusion fordert der Verband seit langem eine Doppelbesetzung aus Lehrkraft und Sonderpädagoge im Unterricht.

„Nach dem Aus für den Nationalen Bildungsrat, der Wissenschaft und Praxis beteiligen sollte, ist die KMK mehr denn je in der Pflicht zu beweisen, dass sie in der Lage ist, mehr als einen Minimalkonsens zustande zu bringen“, meint Beckmann, der damit auf den Rückzug Bayerns und Baden-Württembergs aus dem geplanten neuen Gremium für die Bildung in Deutschland anspielt (News4teachers berichtete). Der Fachkräftemangel, der sich wie ein roter Faden vom Elementarbereich bis in die Sekundarstufe I ziehe, sei dabei, so Beckmann, die größte Herausforderung.

„Lehrermangel ist verheerendes Ergebnis einer verfehlten Personalpolitik“

Der Verbandsvorsitzende klagt an: „Das ist das verheerende Ergebnis einer verfehlten Personalpolitik des zurückliegenden Jahrzehnts. Das Eingeständnis der KMK, dass bis 2023 an Grundschulen 12.400 Lehrkräfte fehlen und sich diese Versorgungslücken bis 2030 dann an die Sekundarschulen (außer dem Gymnasium) und Berufsschulen verlagert, ist weiterhin eine Schönfärbung des tatsächlichen Bedarfs. Bis 2025 werden es allein an Grundschulen laut Bertelsmann 30.000 fehlende Lehrkräfte sein. Diese Berechnungen beziehen sich aber nur auf den Status quo. Allein, um den Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung an Grundschulen ab 2025 einzulösen, werden 100.000 weitere pädagogische Fachkräfte benötigt. Diese befinden sich aber nicht auf dem Markt. Bereits jetzt fehlen 130.000 Erzieherinnen und Erzieher. Das bedeutet: Ganze Schülergenerationen werden um ihre Bildungschancen gebracht.“

Der VBE-Chef erklärt: „Wie fatal sich der wachsende Fachkräftemangel an den Bildungseinrichtungen auswirkt, zeigt die Tatsache, dass der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen im reichen Deutschland ungebrochen weiter besteht, wie zuletzt die PISA-Studie zeigte. Kindern aus schwierigen sozio-ökonomischen Verhältnissen erschwert dies den Bildungsaufstieg. So wird die Schule zunehmend zur Sozialfalle. Die Reaktion der KMK auf die bestehende Situation ist in erster Linie durch Ratlosigkeit gekennzeichnet. Es ist beschämend, wie weit die Lücke zwischen Sonntagsreden mit dem Hohelied auf Bildung und der tatsächlichen Realität an Schule mit der unzureichenden Investitionsbereitschaft der Politik klafft.“

„Schulen verkommen zu gesellschaftlichen Reperaturwerkstätten“

Auch der VDR geht hart mit der Politik ins Gericht. Der Lehrermangel sei ein Zeichen der „gesellschaftlichen und politischen Vernachlässigung der Bildung in unserem Land“, meint Verbandschef Jürgen Böhm. „Wer Bildung herabwürdigt und Schulen zu gesellschaftlichen Reparaturwerkstätten verkommen lässt, der muss sich nicht wundern, dass der Beruf des Lehrers nicht mehr angesehen und gefragt ist“, meint er. Dabei müsse auch mit Blick auf die Demokratie in Deutschland alles getan werden, um junge Menschen zu mündigen, aufgeklärten und gebildeten Staatsbürgern zu erziehen, die die Herausforderungen einer digitalen Welt meistern können.

„Mit Beginn der zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts müssen wir Lehren aus den Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts ziehen. Die Diktaturen, Autokraten und ideologischen Rattenfänger der letzten hundert Jahre dürfen im kommenden Jahrzehnt nicht in neuem Gewand auferstehen“, fordert Böhm. Und er betont: „Ein starker demokratischer Staat, der von den Menschen akzeptiert und getragen wird, braucht gerade heute gut ausgebildete, selbstbewusste und demokratisch gefestigte Lehrkräfte, die als Persönlichkeiten Wissen, Normen und Werte vermitteln und die Freiheit als hohes Gut verteidigen.“ News4teachers

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