«Wen Gott liebt…»: Gewalt von Priestern gegen Kinder – Aufarbeitung gefordert

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LIMBURG. Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche bestimmt die Schlagzeilen. Doch es hat bei ihr einst auch rein körperliche Gewalt gegen Kinder gegeben. Wird diese ebenfalls aufgearbeitet? Der Vorsitzende einer Initiative hat mit dem Limburger Bischof Bätzing gesprochen.

«Früher war die Prügelstrafe relativ normal.» Foto: Shutterstock

Johannes Heibel steht vor der katholischen Kirche von Siershahn im Westerwald und erinnert sich an Schmerzen in seiner Kindheit. Am linken Ohr habe ihn hier 1965 ein Kaplan kurz vor einem Kindergottesdienst im Kirchenschiff nach hinten gezerrt – wegen einer Lappalie. «Nicht die Schmerzen, sondern die Demütigung vor der ganzen Gemeinde hat mir lange zu schaffen gemacht», sagt der Vorsitzende der bundesweit aktiven Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen mit Sitz in Siershahn. Sexueller Missbrauch der katholischen Kirche bestimmt die Schlagzeilen. Auch im Bistum Limburg gibt es schon länger Bemühungen um seine Aufarbeitung. Aber was ist mit rein körperlicher Gewalt?

«Die Bischofskonferenz soll endlich auch die körperliche und psychische Gewalt durch Kleriker anerkennen wie die sexuelle Gewalt»

Der einstige Kaplan und spätere Priester sei zu keinem Gespräch bereit gewesen, habe über seinen Anwalt jede Schuld abgestritten und sei 2004 gestorben, berichtet Heibel. Der Sozialpädagoge im Ruhestand hat nach eigenen Angaben kürzlich mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), dem Limburger Oberhirten Georg Bätzing, über seinen Fall gesprochen. Heibel will nach eigenen Worten erreichen, dass die DBK «endlich auch die körperliche und psychische Gewalt durch Kleriker ebenso anerkennt und bewertet wie die sexuelle Gewalt». In dem Gespräch sei es unter anderem darum gegangen, dass körperliche Gewalt gegen Kinder früher bei weitem nicht immer ein Straftatbestand gewesen sei. Das Bistum Limburg erstreckt sich auf hessisches und rheinland-pfälzisches Gebiet.

Bätzings Sprecher Stephan Schnelle bestätigt die Unterredung mit Heibel. Auf den Inhalt gehe er aber nicht ein, weil «Privatgespräche» des Bischofs vertraulich seien. Rein körperliche Gewalt sei zwar nicht ausdrücklich Thema in den Leitlinien der DBK zum Umgang mit sexuellem Missbrauch, ihre Aufarbeitung sei noch nicht generell «strukturell verankert». Doch dies werde längst zunehmend in den Blick genommen, etwa mit der Beteiligung der katholischen Kirche am Runden Tisch und den Fonds zur einstigen Heimerziehung. «Wir wollen das Wohl der Menschen und nicht deren Leid», betont Schnelle.

DBK-Sprecher Matthias Kopp nennt auch die Mitwirkung der Kirche an der Stiftung Anerkennung und Hilfe, die Opfern mit Erfahrungen von Leid und Unrecht in der Behindertenhilfe oder in der Psychiatrie unterstützt, und die DBK-Rahmenordnung Prävention gegen sexualisierte Gewalt. Demnach müssen kirchliche Mitarbeiter laut Kopp einen Verhaltenskodex unterschreiben, der «eine klare Absage an jedwede Form der Gewalt, also auch körperliche Gewalt», vorsehe.

Christian Weisner vom Bundesteam der Reformbewegung Wir sind Kirche verweist auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung im Laufe der Jahrzehnte: «Früher war die Prügelstrafe relativ normal» – auch außerhalb der Kirche. Die Vorsitzende des bundesweiten Vereins Frauenwürde, Annegret Laakmann, sagt, katholische Auffassung sei einst gewesen, Prügel schadeten nicht: «Wen Gott liebt, den straft er.» Bei körperlicher Gewalt sei das Unrechtsbewusstsein geringer gewesen als bei sexuellem Missbrauch. «Das hieß dann: „Ich wollte nur dein Bestes“.» Weisner betont, egal ob sexuelle, körperliche oder psychische Gewalt: Immer gehe es um Demütigung. Zudem könne Gewalt wieder Gewalt erzeugen: «Diesen Zirkel muss man durchbrechen.»

Oft ist auch sexueller Missbrauch mit körperlicher Gewalt einhergegangen, etwa in Internaten. Gezeigt haben das beispielsweise zwei Studien über frühere Gewalt bei den Regensburger Domspatzen. In der Eifel läuft noch ein Projekt zur Gewalt in einem einstigen katholischen Internat in Gerolstein. Hier zählen zu den Vorwürfen früherer Schüler in einem Zwischenbericht etwa sexueller Missbrauch beim Duschen – aber auch Ohrfeigen, Kopfnüsse und Stockschläge.

«Individuelle Gewalterfahrungen hier aufzuarbeiten, ist eine Sisyphosarbeit»

Und die Protestanten? Ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) spricht beim Thema Gewaltaufarbeitung ebenfalls von einem «Fokus auf sexuell bestimmte Taten» sowie von der Beteiligung am Runden Tisch und den Fonds zur früheren Heimerziehung. Daraus seien teils auch regionale und lokale Projekte zur Aufarbeitung unterschiedlicher Gewalt entstanden. Für andere Taten wie Mobbing oder Diskriminierung «halten Landeskirchen eigene Strukturen vor».

Rein körperliche Gewalt soll es früher vielerorts auch im kirchlichen Bereich gegeben haben. Die Frauenwürde-Vorsitzende Laakmann sagt: «Individuelle Gewalterfahrungen hier aufzuarbeiten, ist eine Sisyphosarbeit.» Der Vorsitzende der Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, Heibel, betont, egal unter welcher Gewalt Kinder gelitten hätten: «Ein Trauma ist ein Trauma und muss als solches auch bewertet und anerkannt werden.» Bei Gewaltaufarbeitung müsse stets «vom Kind ausgegangen werden». Von Jens Albes, dpa

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