BERLIN. Im Notfall, zu festen Zeiten oder zur Überbrückung: In vielen Familien sind Großeltern bei der Betreuung der Enkel lange Zeit stark eingebunden gewesen. Eine neue Studie fragt nun: Hat die professionelle Kinderbetreuung Oma und Opa verdrängt?
Ob Spielen und Toben mit den Enkeln, Hausaufgaben machen oder Eisessen – die Zeit mit Oma und Opa ist aus dem Alltag vieler junger Familien nicht wegzudenken. In Deutschland bleiben Großeltern eine wichtige Konstante für die Betreuung des Nachwuchses. Das zeigt die jetzt veröffentlichte Studie «Oma und Opa gefragt?» des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Ergebnisse verdeutlichen, wie Großeltern die Enkelbetreuung unterstützen – und wie sich Omas und Opas Hilfe auf Enkel und Eltern auswirken kann.
In dem zweijährigen Forschungsprojekt sind aus verschiedenen Erhebungen zu Familien und Kindern zwischen 1997 und 2020 gewonnene Daten genutzt worden, erklärt BiB-Direktorin C. Katharina Spieß im Gespräch mit der dpa. Die Bildungs- und Familienökonomin leitete das von der Stiftung Ravensburger Verlag geförderte Projekt. Mit Blick auf die Rolle von Großeltern bei Bildung und Betreuung des Nachwuchses zwischen null und zehn Jahren wurden die Daten neu analysiert. Je nach Fragestellung beruhen die repräsentativen Erkenntnisse auf den Daten Tausender Familien und Kinder.
Das Ergebnis: Oma und Opa spielen bei der Betreuung von Kindern eine große Rolle und sind ein wichtiger Bestandteil im Leben junger Familien – und das hat sich auch durch den Kita-Ausbau in Deutschland kaum verändert. Zwar besuchen demnach neun von zehn Vorschulkindern in Deutschland eine Kita, dennoch kümmern sich Großeltern zusätzlich nach Bedarf oder regelmäßig um jedes zweite Kind unter sechs Jahren. In einer normalen Woche werden zwischen 20 und 40 Prozent der Mädchen und Jungen unter zehn Jahren regelmäßig von den Großeltern beaufsichtigt. Ihr Einsatz bei der Betreuung ist im Laufe der letzten gut 20 Jahre in etwa gleichgeblieben.
«Wenn ständig Betreuungsprobleme auftreten, leidet auch die Partnerschaftsqualität»
BiB-Direktorin und Studienleiterin Spieß sagt: «Vor 20 Jahren hat im Allgemeinen noch die alleinige Großeltern-Betreuung eine viel größere Rolle gespielt.» Mit dem Kita-Ausbau sei ein bunteres «Betreuungs-Patchwork» entstanden, das neben der Elternbetreuung Kita und Großeltern kombiniere. Die Ergebnisse zeigten nun, dass die Kita zwar an Bedeutung gewonnen habe, die Großeltern aber nicht verdrängt worden seien – im Gegenteil.
Generell hat sich die Großeltern-Enkel-Beziehung aus Sicht des renommierten Erziehungswissenschaftlers Wassilios Fthenakis zuletzt stark gewandelt. Das Verhältnis bestehe längst nicht mehr nur darin, dass Großeltern ihren Enkeln die Welt erklärten und Dinge zeigten. Im Zuge der Digitalisierung brächten auch junge Kinder ihren Großeltern inzwischen viel bei – etwa die Bedienung des Handys oder Computers. «Kinder werden dadurch aktiviert und einbezogen in Lernprozesse zwischen den Generationen», sagt er der dpa. Dennoch sei die Bedeutung der Großeltern für Kinder gleichbleibend groß.
Spieß macht auch auf einen aus ihrer Sicht häufig vernachlässigten Aspekt aufmerksam: Die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund steige – und in vielen Fällen kämen die Großeltern nicht nach Deutschland. «Das sehen wir ganz deutlich, dass bei vielen dieser Familien die Großelternbetreuung als Ressource wegfällt.»
Das Forschungsprojekt weist auch nach, was für viele schon denkbar schien: Wenn Oma und Opa mithelfen, unterstützt das vor allem die Mütter, die nach wie vor meist Hauptbetreuungsperson seien. Mütter sind demnach dann mit ihrer Kinderbetreuungs-Situation und der eigenen Freizeit deutlich zufriedener. Das wirke sich dann wiederum positiv auf die Kinder aus, erklärt Studienleiterin Spieß: «Die Steigerung der mütterlichen Zufriedenheit hat einen direkten Zusammenhang mit der kindlichen Entwicklung.»
Fthenakis, der Ehrenpräsident des Didacta-Verbandes ist, weist darauf hin, dass sich die Unterstützung durch die Großeltern auch positiv auf die Qualität der elterlichen Paarbeziehung auswirken kann. «Wenn ständig Betreuungsprobleme auftreten, leidet auch die Partnerschaftsqualität. Auf der anderen Seite ist die Partnerschaftsstabilität ein wichtiger Faktor für die Entwicklung des Kindes.»
«Vielleicht erlebt man in der Beziehung zum Enkelkind die größte Beziehungsqualität auf Erden»
Auch die Großeltern können gesundheitlich und emotional enorm von einer regen Beziehung zum Enkelkind profitieren, wie mehrere internationale Studien der letzten Jahre hervorheben. An der Redensart «Enkel halten jung» scheint einiges dran zu sein. Fthenakis sieht das ähnlich: «Vielleicht erlebt man in der Beziehung zum Enkelkind die größte Beziehungsqualität auf Erden.» Großeltern investierten Zeit, Emotionen und Geld, ohne eine Gegenleistung zu erwarten – eine ganz besondere Art der Verbindung. «Enkel geben den Großeltern einen Sinn für den Rest ihres Lebens und was noch wichtiger ist, eine zeitliche Dimension, die über ihren Tod hinausgeht. Sie bleiben lebendig in deren Erinnerung.»
Dennoch: Das Team um Spieß schlussfolgert auch, dass ein sehr häufiger täglicher Wechsel von Betreuungspersonen nicht immer für alle Kinder ganz reibungslos funktioniere. Das liege aber keinesfalls daran, dass die Großelternbetreuung schlecht sei, betont Spieß. «Wir vermuten, dass es eher daran liegt, dass es für manche Kinder eben schwierig ist, wenn sie sich an einem Tag auf sehr viele Betreuungspersonen einstellen müssen.» Als Appell sei abzuleiten, dass Kitas und Schulen eine stabile Betreuung mit möglichst wenigen Wechseln bei den Fachkräften bieten sollten. Von Josefine Kaukemüller, dpa
Meine Oma war schon in Rente, als ich klein war. Meine Mama war es nicht, als meine Kinder klein waren. Sie hatte einen Vollzeitjob. Das ist der Grund, weshalb sie im Unterschied zu meiner Oma ihre Enkel nicht betreuen konnte. Und das ist politisch so gewollt.