„Die Situation trägt nicht dazu bei, den Lehrerberuf attraktiver zu machen.“

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WIESBADEN. Nächste Woche startet in Hessen das neue Schuljahr für 787.000 Kinder und Jugendliche – darunter 59.000 Erstklässler. Nach den Corona-Einschränkungen soll es laut Kultusminister wieder mehr um «Kernanliegen» gehen. Die Lehrerverbände zeigen sich allerdings weniger optimistisch. Kritik kommt auch von der Landtags-Opposition.

„Wir starten guten Mutes“: Hessens Kultusminister Alexander Lorz. Foto: HKM/ Patrick Liste

Im neuen Schuljahr 2022/2023 steigt in Hessen unter anderem wegen der Zuwanderung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine die Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler deutlich. Künftig werden rund 787.000 Kinder und Jugendliche die Schulen besuchen, etwa 25.500 mehr als noch im zurückliegenden Schuljahr, wie Kultusminister Alexander Lorz (CDU) am Freitag in Wiesbaden ankündigte.

Bisher sind mehr als 13.000 geflüchtete ukrainische Schülerinnen und Schüler im Land angekommen. «Noch nie – auch nicht während der Flüchtlingswelle der Jahre 2015 und 2016 – kamen in so kurzer Zeit so viele schulpflichtige Kinder und Jugendliche nach Hessen», erläuterte Lorz. Alleine seit Beginn des Krieges in der Ukraine seien 700 zusätzliche Intensivklassen eingerichtet worden, im neuen Schuljahr würden noch einmal rund 140 hinzukommen. Die Zahl der Lehrerstellen wachse auf 55.680 an. «Wir starten guten Mutes ins neue Schuljahr», sagte Lorz. Er sei zuversichtlich, dass sich die Schulen nach den Einschränkungen in der Corona-Pandemie nun wieder mehr ihren Kernanliegen zuwenden könnten. In Hessen gehen am kommenden Montag die Sommerferien zu Ende.

Die GEW sieht dem Beginn des Unterrichts mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits sei nach den Schulschließungen unter dem Vorzeichen der Corona-Pandemie erfreulich, dass der Unterricht zunächst ohne größere Einschränkungen wiederaufgenommen werden könne. Andererseits zeichne sich jedoch bereits jetzt ab, dass das beginnende Schuljahr erneut von enormen Herausforderungen geprägt sein wird.

„Es fehlen nach wie vor Lehrkräfte an Grundschulen, Förderschulen und berufsbildenden Schulen“

Heike Ackermann, stellvertretende Vorsitzende der GEW Hessen, wies auf den sich verschärfenden Lehrkräftemangel hin: „Es fehlen nach wie vor Lehrkräfte an Grundschulen, Förderschulen und berufsbildenden Schulen. Hinzu kommen zahlreiche Mangelfächer an allen weiterführenden Schulen, besonders im MINT-Bereich sowie in den musischen Fächern.“ Bezüglich der Grundschulen habe Hessen inzwischen einen erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Bundesländern, da es an einer geringeren Besoldung in diesem Lehramt festhalte.

Schon jetzt müsse jede zehnte Unterrichtsstunde in Hessen von einer Vertretungskraft ohne Lehramtsausbildung gehalten werden: Die Beteuerungen von Kultusminister Lorz, der anlässlich des Schuljahresbeginns betont hatte, dass „hinter jeder Stelle im Haushalt auch Menschen“ stünden, hält die GEW für wenig glaubhaft.

Neben dem Personalmangel bestehen laut Gewerkschaft weitere Probleme fort. GEW-Landeschef Thilo Hartmann betonte in diesem Zusammenhang den schlechten baulichen Zustand vieler Schulen: „Nachdem Schülerinnen und Schüler und das Personal in den vergangenen beiden Wintern aufgrund der Corona-Lüftungsregelungen und der fehlenden Luftfilteranlagen frieren mussten, droht nun ein dritter Winter mit kalten Füßen. Obwohl die Priorität der Bildung immer wieder proklamiert wird, scheint sie von vielen Verantwortlichen in der aktuellen Energiekrise am Ende doch hintenangestellt zu werden.“

So habe der Hessische Städtetag angekündigt, dass die Raumtemperatur in den Klassenräumen flächendeckend abgesenkt werden soll. „Wären alle Schulgebäude in den vergangenen Jahren – wie von uns gefordert – auch energetisch modernisiert worden, dann würden sich solche Maßnahmen jetzt erübrigen“, so Hartmann. „Ein politischer Wille zu ernsthaften Einsparungen beispielsweise im Verkehrssektor ist hingegen noch immer nicht zu erkennen. Wir fordern Vorfahrt für Bildung, nicht nur in Sonntagsreden.“

Kritik kommt auch vom Philologenverband. Das Kultusministerium beschwöre einen Start mit „Qualität und Innovation“, so heißt es dort. Der politische Wunsch entspreche aber leider nicht der erfahrbaren Realität. Landesvorsitzender Reinhard Schwab konstatiert: „Die aktuelle Situation trägt nicht dazu bei, den Lehrerberuf attraktiver zu machen.“

„Laien als Lehrer, die mit Kettenverträgen bis zu fünf Jahre unterrichten, ohne dafür qualifiziert zu werden“

Unterrichtsqualität erreiche man nicht mit vollen Klassen und Lehrkräftemangel. Die Schulen seien durch den erheblichen organisatorischen Aufwand im Zusammenhang mit dem hessischen Aufholprogramm „Löwenstark“ und der Flüchtlingsbeschulung sowie Zuwanderung, aber auch weiterhin mit Corona-Maßnahmen herausgefordert. Die Umsetzung des Maßnahmenpakets zur Deutschförderung komme nicht richtig in Fahrt.

Auch die SPD-Landtagsfraktion erwartet im kommenden Schuljahr einen dramatischen Lehrkräftemangel. Die Landesregierung setze auf «Laien als Lehrer, die mit Kettenverträgen bis zu fünf Jahre unterrichten, ohne dafür qualifiziert zu werden», kritisierte Bildungsexperte Christoph Degen. «Dabei sind gut ausgebildete Lehrkräfte entscheidend, um Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern zu steuern und für gleiche Bildungschancen zu sorgen.» News4teachers / mit Material der dpa

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Schattenläufer
1 Jahr zuvor

Da stellt sich jetzt die Frage, hatte einer der glorreichen 16 da einen lichten Moment oder einen Black-Out der dazu führte, dass er versehentlich die Wahrheit sagte?

Änne
1 Jahr zuvor
Antwortet  Schattenläufer

Er hat festgestellt, dass öffentlich schlecht über ihn berichtet wurde. Das ist alles, was ihn interessiert. Er kann es nicht!

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor

In der Echokammer: attraktiver – tiver – tiver – tiver – tiver – …

Carsten60
1 Jahr zuvor

Wo bleibt eigentlich die Analyse, wie es zu diesem Mangel kommen konnte, nachdem es früher mal arbeitslose Lehrer gab? Was hat eigentlich den Lehrerberuf in der Attraktivität sinken lassen? Waren das nicht doch etliche Maßnahmen, die genau aus den Schulministerien kamen? Statt nur Minister zu zitieren, könnte die Redaktion doch dazu mal eine eigene Meinung äußern.

Alla
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Schon jetzt wird schon wieder suggeriert, dass es in einigen Jahren wieder zu einer Leherschwemme kommen könnte!
Deshalb haben die mir bekannte Lehramtsstudenten wieder umgesattelt und studieren erst einmal einen „richtigen Beruf“, mit dem sie ja später als Quereinsteiger immer noch Lehrer werden könnten, aber nicht so festgelegt sind. Vor allem wird die Referendariatszeit dann voll bezahlt, während “ normale“ Lehrer im Vorbereitungsdienst nur 1400€ brutto bekommen (die private KV geht davon noch einmal herunter, also eigentlich nur 1100€ brutto).
In den GS Bereich wollen ohnehin kaum noch Menschen hinein. Zu anstrengend, keine wirklichen Karrierechancen, zu geringes Ansehen….

Seit 27 Jahren haben wir zum ersten Mal keinen Referendar an den 4 GS unserer Kleinstadt. In den nächsten 2 Jahren gibt es 17 LK, die in den Ruhestand gehen. Alles Vollzeitkräfte, während die bis dato neu eingestellten LK nur 18 bis 20 Stunden unterrichten wollen. Grund: „Mehr schaffe ich nicht, wenn ich wirklich guten inklusiven Unterricht machen will.“ Wir Alten sind da natürlich im Vorteil. 40+ Jahre Erfahrung und keine eigenen Kinder mehr zu Hause, also mehr „Freizeit“ zur Unterrichtsvorbereitung. Aber nur noch ganz wenige wollen und können verlängern oder zusätzlich zur Pension arbeiten. Die meisten sind „auf“ und wollen dem „Irrenhaus Schule“ einfach nur noch entrinnen.

Dirk
1 Jahr zuvor
Antwortet  Alla

Wenn man nur A12 zahlt muss man sich auch nicht wundern. Da NRW da jetzt bald was ändert, sollte in Hessen auch näher hingeschaut werden.

Alla
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dirk

Das ist es nicht in ERSTER Linie. Viele BL steuern da ja nach und sind in einigen Jahren wohl auch bei A13 angekommen.

Die Arbeitsbedingungen (Lärm, oft marode Gebäude, drangvolle Enge überall, fehlender Gesundheitsschutz, schwammige Arbeitszeiten und immer mehr Anforderungen verbunden mit häufiger Geringschätzung) wiegt für viele Studenten schwer, sind sie es doch gewohnt, sehr wichtig genommen zu werden und ihre Bedürfnisse befriedigt zu bekommen.
Wie man mit Lehrern umgehen kann, das wissen sie aus eigener Erfahrung….

Wer den hohen NC (1,x) für das Lehramt GS schafft, hat ja auch andere Optionen, kann sich dann den AG aussuchen und ggf wechseln und eine „Karriere“ machen. So bietet ein Lehramtsstudium mit dem Fach Mathe wesentlich geringere Möglichkeiten als „Angewandte Mathematik mit dem Schwerpunkt Finanz- und Versicherungswesen“. Da die ersten beiden Semester bei uns anerkannt werden, ist die Versuchung zu wechseln und sich dann nur auf das eine Fach zu konzentrieren schon groß.

Ist jetzt aber nur meine Erfahrung von einem Treffen der vorletzten Abiturienten, zu dem ich als eine ihrer GS-Lehrerinnen eingeladen war.

Alex
1 Jahr zuvor
Antwortet  Alla

Für mich hat Dirk recht, die Besoldung ist es in erster Linie. Dies kombiniert mit den von ihnen genannten Missständen ist zusammen ein Skandal.

Pia
1 Jahr zuvor

Der Lehrerberuf wird attraktiver, wenn die Besoldung steigt! 4000 Euro netto Einstiegsgehalt sollte drin sein, nachdem man 5 Jahre + 1,5 Jahre Ref hinter sich hat. Da noch 300 Euro PKV abgezogen werden, würden ohnehin nur 3700 Euro übrig bleiben. Dies würde deutlich mehr junge Menschen dazu führen, Lehramt zu studieren – trotz aktuell miserabler Arbeitsbedingungen.

Alex
1 Jahr zuvor
Antwortet  Pia

Genau das

GS in SH
1 Jahr zuvor
Antwortet  Pia

Ich bekomme 3640€ netto nach Abzug der PKV, allerdings in der Endstufe nach 40Jahren. Davon kann ich gut leben, solange ich die Vollzeitstelle schaffe.

Es ist allerdings schwierig, wenn ein Berufseinsteiger, evtl noch mit kleinen Kindern, keine Vollzeitstelle schafft. Oder wenn man diese aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr schafft. Oder weil man (ohne Berufserfahrung) allen Anforderungen zu 100% nachkommen will. Oder wenn man zu zart beseitet ist und sich die Anfeindungen einzelner Eltern zu sehr zu Herzen nimmt.
Außer der Liebe zu Kindern muss man in diesem Beruf eine robuste Gesundheit (Schulen sind immer voller Krankheitserreger), eine hohe Arbeitsmoral und eine sehr gefestigte Psyche (besonders keine Neigung zu Depressionen!) mitbringen.
Dann ist der Beruf sehr befriedigend und kann auch bis zur Pensionierung durchgezogen werden.

Last edited 1 Jahr zuvor by GS in SH
Marc
1 Jahr zuvor
Antwortet  Pia

In NRW ist man als GS Lehrer in A12 abzüglich PKV bei 2700 netto. Die hätte man auch für eine Ausbildung bei der Bank haben können. Oder mit Zulagen bei der Polizei im mittleren Dienst.

Da wollen wirklich nur die GS Lehrer werden, die Geld nicht interessieren muss.