BOCHUM. Knapp ein Drittel aller Studierenden in Deutschland beendet das Studium ohne Abschluss. Für das Handwerk sind sie eine wichtige Zielgruppe, auch um Abiturienten quasi nachträglich zu erreichen. Der Erfolg ist nur schwer zu messen.
Große Höhen und mitunter schlechtes Wetter: Zum Arbeitsalltag von Christian Hinz gehört beides dazu. Der 31-Jährige ist Gerüstbaumeister. «Ich war schon immer hibbelig und gerne draußen», erzählt er. «Den ganzen Tag im Büro zu sitzen, das wäre nichts für mich.» Mit seinen Kollegen baut Hinz gerade ein Fassadengerüst in einem Bochumer Gewerbegebiet ab. Baustellen wie diese sind seit 10 Jahren sein Arbeitsplatz. Reiner Zufall – denn eigentlich wollte er Lehrer werden, hatte ein Studium in Sport und Sozialwissenschaften begonnen. Zum Gerüstbau kam er als Aushilfe in den Semesterferien und war sofort begeistert. «Es ist Lego für große Jungs», erzählt er. Schließlich brach er das Studium ganz fürs Handwerk ab.
«Quereinsteiger» wie Hinz sind für das Handwerk im Ruhrgebiet eine wichtige Zielgruppe. Das schlussfolgert der Regionalverband Ruhr (RVR) aus einer gemeinsamen Erhebung mit der Arbeitsgemeinschaft Handwerk Region Ruhr, die Anfang Februar veröffentlicht wurde. In der gesamten Region zeigt sich demnach die Tendenz zu höheren Schulabschlüssen. Doch Abiturienten entscheiden sich nur selten für eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb. Für die Studie wertete der Verband knapp 100 000 Ausbildungsverträge aus, die zwischen 2011 und 2021 geschlossen wurden.
Mit speziellen Beratungsangeboten für Studienabbrecher sollen diese doch noch für das Handwerk gewonnen werden, erklärt Philipp Kaczmarek von der Handwerkskammer Dortmund. Ein Umstieg bringe viele Vorteile: Wer ein Abitur oder Fachabitur hat, könne seine Ausbildung um bis zu ein Jahr verkürzen. «Unter Umständen kann zusätzlich die Abschlussprüfung um ein halbes Jahr vorgezogen werden.» In überschneidenden Fächern sei gegebenenfalls auch die Anrechnung von Inhalten möglich. «Aber das Handwerk lebt eben auch vom Praktischen», sagt Kaczmarek weiter.
Berater der Handwerkskammer Dortmund sind seit 2018 an vier Hochschulen in Dortmund und Bochum im Einsatz, 2022 kam ein Angebot an der Hochschule Hamm-Lippstadt hinzu. Bis zu 30 Studierende kommen pro Jahr in diese Sprechstunden. Ähnliche Angebote stellen auch die anderen nordrhein-westfälischen Handwerkskammern, die Arbeitsagentur und die Industrie- und Handelskammer. Unter dem Projekttitel «Next Career» fördert das Ministerium für Kultur und Wissenschaft Beratungsangebote an 20 NRW-Hochschulen sowie die überregionalen «Thementage Studienzweifel».
Wie sich Studierende nach einer Beratung letztlich entscheiden, ist allerdings kaum nachzuverfolgen. «Wir bekommen selten direkte Rückmeldungen», sagt Kaczmarek. Konkrete Zahlen zu Ausbildungsvermittlungen könnten dadurch von den Handwerkskammern nicht erhoben werden. Auch für die Universitäten sind die Karrierewege ihrer Studierenden nicht eindeutig nachvollziehbar. Ob ein Student nach einer Exmatrikulation an eine andere Hochschule wechsle, eine Ausbildung beginne oder ohne Abschluss in einen Beruf einsteige, werde nicht erfasst, erklärt Eva Prost von der Technischen Universität Dortmund.
Fest steht allerdings: Knapp ein Drittel aller Studierenden in Deutschland beendet das Studium ohne Abschluss. Die Zahlen dazu erhebt das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), zuletzt wurden 2022 neue Ergebnisse vorgestellt. 28 Prozent der Bachelorstudierenden brechen demnach vorzeitig ab, bei den Master-Studierenden sind es 21 Prozent. Der Bachelor sei oft die größere Hürde als der Master, bestätigt auch Prost. «Die schwierige Phase ist die Studieneingangsphase.» Deshalb versuche die Universität, Studierenden möglichst schon im ersten Semester Beratungsangebote zu machen.
Für NRW hat das DZHW außerdem Studienabbrecherinnen und -abbrecher zu ihren Beweggründen befragt. In der 2021 veröffentlichten Studie gaben die Befragten an, Gründe für Studienzweifel seien vor allem Leistungsdruck und mangelndes Interesse am Studienfach, aber auch finanzielle beziehungsweise familiäre Schwierigkeiten gewesen. Auch das Streben nach praktischer Arbeit wurde als Grund genannt.
Nicht immer muss ein Studienabbruch gleich mit einem kompletten Neustart verknüpft sein. Das erzählt zum Beispiel Jan Bruder, der in Dortmund einen metallverarbeitenden Betrieb führt und aktuell einen Handel für Metallprodukte mit aufbaut. Der heute 29-Jährige begann nach seinem Abitur zuerst ein duales Studium: Wirtschaftsingenieurwesen in Kombination mit einer Ausbildung zum Industriemechaniker. Die Ausbildung schloss er nach zwei Jahren ab, das Studium geriet über dem Berufseinstieg in Vergessenheit. «Sehr zum Leidwesen meiner Mutter», erzählt Bruder. Er sei jedoch immer schon mehr «ein praktischer Lerntyp» gewesen.
Heute bildet er selbst aus und sucht, auch über Quereinsteiger, «wirklich immer» nach neuen Kräften. «Wir haben schon keinen Fachkräftemangel mehr, wir haben einen allgemeinen Arbeitskräftemangel», fasst er die Situation zusammen. Seine mehr als 20 Angestellten hätten allesamt sehr unterschiedliche Biografien.
Als Studienabbrecher sei er in seinem Handwerk noch eine Ausnahme, sagt Gerüstbauer Hinz. In seiner Berufsschulklasse sei nur ein anderer Azubi mit Abitur gewesen, der ebenfalls auf Umwegen zum Gerüstbauhandwerk gefunden hatte. Sein Studium sei unter Mitschülern durchaus Thema gewesen, da sei auch mal gefrotzelt worden. «Dann heißt es: «Was willst du überhaupt hier?»», erzählt Hinz. «Aber das war nie böse gemeint. Und da muss man eben auch drüber stehen.»
Er selbst nutzte alle Vorteile, mit denen auch die Handwerkskammern für einen Einstieg in die Branche werben: Die Ausbildung verkürzte er auf zwei Jahre, schloss dann fast unmittelbar den Meister an. Danach sammelte er ein Jahr lang weitere Erfahrung in Australien, baute etwa Tribünen und Ränge für Großveranstaltungen wie die Formel 1 oder die Australian Open. «Wer will, kann in dem Job zügig aufsteigen», berichtet er. Anfang 2024, das ist schon beschlossene Sache, will Hinz den Bochumer Betrieb endgültig übernehmen. Sein Geschäftspartner sei bereits im Rentenalter und froh, nun endlich einen Nachfolger zu haben. (Rabea Gruber, dpa)
Die Verdienstbilanz dürfte hier bald besser ausfallen als auf Seiten der Akademiker.
Klasse 8 ganzes Jahr auf’n Bau oder in Industrie und Handwerk:
-da kann man Eisen verbiegen
-muss nicht stillsitzen
-wird individuell wahrgenommen (und drangenommen)
-danach will man in ähnliche Berufsfelder, hat also ein Ziel
-oder man will nicht mehr in ähnliche Berufsfelder, hat also ein Ziel
-Schüler*in zu sein erscheint vielleicht zum ersten Mal interessant hinterher
-LuL eingespart (wow!)
-Taschengeld verdient für Fingernägel, Tattoos, Kippen oder Vermögensanlagen (kommt in Klasse 9), perfekt.
Jemand dagegen? Ne, also mach mer so.