Personalnot und Kostendruck: Was den Start ins neue Kitajahr belastet

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DÜSSELDORF. Seit Jahren steigt die Zahl der Kinder, die in Kitas betreut werden – doch Ausbau und Qualitätsentwicklung können nicht Schritt halten. Auch in Nordrhein-Westfalen nicht, wo jetzt das neue Kita-Jahr beginnt. Was Eltern zum Start wissen sollten.

Die Kitas kommen an ihre Grenzen (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Familien, die einen Kindergartenplatz ergattert haben, können sich eigentlich freuen – schließlich übersteigt die Nachfrage nach Betreuungsplätzen allen Ausbaubemühungen zum Trotz auch in NRW das Angebot. Doch das System der frühkindlichen Bildung steckt Experten und Verbänden zufolge in einer tiefen Krise. Was sind die größten Probleme? Was braucht es im Kampf gegen Personalnot und Kostendruck? Ein Überblick zum Start ins neue Kitajahr am 1. August.

Wie geht es mit dem Ausbau voran?

Tatsächlich ist die Kita-Landschaft in NRW wieder ein kleines Stückchen größer geworden: Rund 760 000 Kinder werden zum beginnenden Kitajahr in den vom Land geförderten Kitas oder Tagespflegestellen betreut – ein Zuwachs von mehr als 8000 Betreuungsplätzen im Vergleich zum Kitajahr 2022/23. Mehr als 220 000 Plätze stehen den unter Dreijährigen, knapp 540 000 den über Dreijährigen zur Verfügung.

Sind denn damit alle versorgt, die einen Betreuungsplatz wollen?

Davon ist insbesondere bei den Ein- und Zweijährigen nicht auszugehen. Zwar gilt für Kinder ab einem Jahr seit zehn Jahren ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Einer Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zufolge klafft aber zwischen Angebot und Nachfrage eine große Lücke: So hatten in NRW 2022 bei einer Befragung 47,8 Prozent der Eltern von Kindern unter drei Jahren Bedarf angemeldet, tatsächlich betreut werden in NRW aber nur rund 30,4 Prozent der Kinder dieser Altersgruppe.

Und worauf müssen sich Eltern einstellen, die einen Kita-Platz haben?

Das System leide unter andauerndem Personalmangel und zuletzt durch Inflation und Lohnsteigerungen gestiegenem Kostendruck, so die Träger. Unter diesen Bedingungen sei es zurzeit nicht möglich, das reguläre Bildungs- und Betreuungsangebot aufrecht zu erhalten, warnt etwa der Paritätische Wohlfahrtsverband NRW. So sieht es auch Klaus Bremen, NRW-Geschäftsführer im Deutschen Kitaverband: «Um die zurzeit in NRW geltenden gesetzlichen Vorgaben erfüllen zu können, müssen Betreuungszeiten gekürzt werden», warnt er.

Die Folgen spüren berufstätige Eltern und deren Arbeitgeber: Kitas gehen in den Notbetrieb, schließen zum Beispiel früher oder legen Gruppen zusammen. Zahlen aus dem Ministerium zeigen, dass von den landesweit 10.700 Einrichtungen im vergangenen halben Jahr immer wieder Hunderte ihr Angebot zeitweise einschränken mussten, weil Personal fehlte. Auf dem Höhepunkt war diese Entwicklung im März 2023 mit fast 1500 betroffenen Kitas.

Wie wirkt sich Personalmangel auf die Arbeit in den Kitas aus?

Fachleute beklagen seit langem, dass die Qualität der pädagogischen Arbeit unter einer zu dünnen Personaldecke und zu wenig finanziellen Mitteln leide – und nicht systematisch gegengesteuert werde. «Die Kosten unzureichenender Bildung in dieser sensiblen Phase werden wir als Gesellschaft zu spüren bekommen», warnt etwa Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung bei der Bertelsmann Stiftung.

Bereits mit Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz hätte es einer «systematischen, großangelegten prognostischen Sichtweise» bedurft, um etwa rechtzeitig Ausbildungskapazitäten hochzufahren, den quantitativen und qualitativen Ausbau voranzutreiben und entsprechende Mittel bereitzustellen, so die Expertin. Stattdessen fehle es seit Jahren an Daten und Analyse, was dazu führe, dass es viele vernachlässigte Stellschrauben gebe, etwa bei der Ausbildung von Erzieherinnen oder dem Lehrpersonal für pädagogische Fachkräfte.

Wie kann nun gegengesteuert werden?

Aus Sicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes braucht es neben akuten Finanzspritzen auch eine langfristige Anhebung der Mittel pro Kind und mehr Investitionen in die Ausbildung von pädagogischem Fachpersonal. «Wenn NRW ein Bildungsland sein will mit einer vielfältigen, demokratischen und gebildeten Gesellschaft, dann muss das Land das Portemonnaie für Kitas aufmachen», sagt Mechthild Thamm, Fachgruppenleiterin Kinder und Familien.

Und wo soll das fehlende Personal kurzfristig herkommen?

Das Landesfamilienministerium betont, weiter in den Ausbau, die Qualität und Entspannung der Personalsituation investieren zu wollen. Dazu sollen unter anderem auch künftig Alltagshelfer in den Kitas eingesetzt werden können, die seit der Pandemie die Fachkräfte unterstützen. Eine Imagekampagne soll zudem neue Zielgruppen erschließen – etwa Männer oder Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Kurzfristige Entspannung verspricht Familienministerin Josefine Paul (Grüne) aber nicht: «Dies ist kein Sprint, sondern ein Marathon», heißt es in einer aktuellen Mitteilung.

Mehr Quereinsteiger fordert der Deutsche Kitaverband. «Wir können uns in der jetzigen Situation nicht erlauben an einem strikt ausgelegten Fachkraftprinzip festzuhalten», so der Appell von Klaus Bremen. Zwar hat die Landesregierung zuletzt den Weg für Menschen mit pädagogischen Qualifikationen frei gemacht, das reiche aber nicht aus, um die Lücken zu füllen. Aus dem Ministerium heißt es dazu, dass man in Abstimmung mit den Praxisvertretern an entsprechenden Möglichkeiten des qualifizierten Quereinstiegs arbeite. Von Florentine Dame, dpa

„Wir können den nicht erfüllen“: Fachkräfteverband fordert, den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz auszusetzen

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6 Kommentare
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PaPo
9 Monate zuvor

«Um die zurzeit in NRW geltenden gesetzlichen Vorgaben erfüllen zu können, müssen Betreuungszeiten gekürzt werden»
… dann verdienen die Erzieher weniger und das Problem mit der Personalnot wird noch schlimmer.

Fachleute beklagen seit langem, dass die Qualität der pädagogischen Arbeit […] leide […].
Zu große Gruppen, zu wenig Personal – es geht nur um Verwahrung… sry, meine natürlich Betreuung. Qualitatives Arbeiten am und mit dem Kind ist doch im Regelfall gar nicht mehr möglich, zumal auch das Problem der Inklusion quasi ungefiltert auf die Erzieher einbricht – mancherorts werden entsprechende Inklusionsbedarfe erst bspw. ab 4 Jahren diagnostiziert, entsprechende Kapazitäten umgeschichtet (sofern überhaupt möglich), aber auch nur, wenn die Eltern mitspielen, auch wenn schon vorher eindeutig ist, dass hier ein Kind ein entsprechendes Defizit hat. Und es sind auch hier insb. die durch Aggressivität u.ä. verhaltensauffälligen Kinder, die in einer Gruppe, in der ein bis 2 Erzieher bald zwei Dutzend Kinder (die im Gros auch nciht mehr im Mindesten mitbringen, wwas früher von der jeweiligen Altersklasse standardmäßig erwartbar war) betreuen müssen, sämtliche Kapazitäten der Erzieher binden… und dass ist dann nicht ein Kind, das sind zwei oder vielleicht drei oder………

Der Karren wurde sehenden Auges mit Vollgas an die Wand gefahren, da gibt es keine Rettung mehr.

Last edited 9 Monate zuvor by PaPo
Angelika Mauel
9 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

Mit den Kürzungen sind hauptsächlich Kürzungen der Betreuungszeit für die Kinder gemeint. Die Träger kürzen zwar die tägliche Betreuungszeit, aber das trifft die Erzieherinnen nicht nur zu ihrem Nachteil. Nicht wenige bewusst nur in Teilzeit arbeitende Erzieherinnen bevorzugen einzelne Tage in Vollzeit und teilen sich eine volle Stelle. Längst nicht überall waren ErzieherInnen bereit, ihre Teilzeitstelle aufzustocken. Die eigene Familie geht vor und wenn der Ehepartner erheblich besser verdient, was ja öfter vorkommt, dann bleibt netto immer noch zu wenig übrig. Und endlich können Erzieherinnen, die aufgrund ihrer Gesundheit/Erschöpfung ihre Arbeitszeit reduzieren wollten, diese Chance nutzen. Zuvor wurden Anträge auf Verkürzung abgelehnt.

Dass der Karren sehenden Auges mit Vollgas gegen die Wand gefahren, das lässt sich nicht leugnen. Aber Politik und Wirtschaft lehnen sogar eine Kehrtwende ab, um aus der Misere raus zu kommen. Wie heißt es doch im Volksmund: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.

Jetzt fällt es den Eltern immer schwerer, sich die Betreuung ihrer Kinder systematisch schönzureden, was früher bei einigen sehr gut geklappt hat. Da war von „weltbesten“ Erzieherinnen die Rede. – Heute werden manche der Ex-Weltbesten beschimpft und Eltern sind sauer auf die Falschen, wenn die Betreuungszeiten nicht eingehalten werden können.

Angelika Mauel
9 Monate zuvor

Dass der Deutsche Kitaverband (noch) mehr Quereinsteiger fordert, muss man nicht prima finden.
Hätte man in diesem Artikel nicht auch erwähnen können, dass der Kitafachkräfteverband in BW eine Rücknahme des Rechtsanspruchs auf Betreuung für die Jüngsten als sinnvollen Weg ansieht?
Jetzt haben wir endlich so viele Kitafachkräfteverbände und immer noch kommt es vor, dass nur die Statements der altbekannten Verbände wiedergegeben werden!

Anstatt sich gemeinsam mit ungelernten Kolleginnen als Manövriermasse benutzen zu lassen, könnten ErzieherInnen sich mit vielen guten Argumenten gegen das, was den Kindern und ihnen zugemutet werden soll, wehren.
Nur ein Beispiel: Wenn Ungelernte da sind und anderswo benötigte Fachkräfte fehlen, schicken Träger mehrgruppiger Einrichtungen gern eine Fachkraft von einer Kita zur anderen. Manches Mal kommt sie dann als Bazillenschiff zurück und es trifft die Kinder und KollegInnen der eigenen Einrichtungen.
(Mein Eindruck: Länger daheim betreute Kinder, Kinder in der Tagespflege und nicht zu vergessen Kinder in Waldkindergärten sind weniger von Infekten und Kopfläusen betroffen als die Kinder in Kitas mit einer „wirtschaftlich genehmen Anzahl von Kindern“ – dir selbstverstämdlich auch im Arbeitgeberinteresse möglichst lange betreut werden müssen.)

Ungelernte und Quereisteiger sollen mehr Betreuung zu unzureichenden Bedingungen ermöglichen: Ja oder Nein?

Fräulein Rottenmeier
9 Monate zuvor

Meine Güte, was ich da immer lese und höre erschreckt mich zutiefst. Was waren das für paradiesische Zustände vor rund 15 Jahren, als meine Kinder noch in der Kita waren. In der „kleinen altersgemischten Gruppe“ gab es 12 Kinder und drei Erzieherinnen…..wunderbare Menschen, die sich mit soviel Energie um meine und andere Zwerge gekümmert haben. In der normalen Gruppe später waren es immerhin noch 2 Erzieherinnen und so rund 20 Kinder. Auch da war alles tutti. Die Kita bot ausschließlich 45 Stunden Plätze an, um auch den Anspruch auf die Anzahl der Erzieherinnen zu halten, denn es gab ein Überangebot…..und so etliche tolle Erzieherinnen mussten gehen, weil es nicht genug Kinder gab…..wie sich in kurzer Zeit die Parameter ändern, unglaublich….
Heute würde ich mir sehr genau überlegen, ob ich meine Kinder länger als nötig in die Kita geben würde oder vielleicht käme ich auf die Idee mehrere Spielgruppen zu besuchen….denn Aufbewahrung wäre mir zu wenig.

Annika
9 Monate zuvor

Wenn die Situation in den Kitas laut Josefine Paul eher einem Marathon gleicht, denn einem Sprint, frage ich mich ja, welche Rolle sie bei diesem Marathon inne hat. Steht sie lediglich klatschend am Straßenrand um die erschöpften Marathonläuferinnen anzufeuern nochmal alles zu geben, bevor sie zusammenbrechen? Oder ist sie nach dem Zieleinlauf für die Siegerehrung zuständig? Alle, die unterwegs kollabierten, sind eh nicht mehr der Rede wert (sie werden ja durch junge frische Fachkräfte die mittels Zuzug oder fancy Imagekampagnen geworben werden ersetzt). Bleibt also nur, den wenigen Zieleinläuferinnen einen feuchten Händedruck zu verpassen und dabei zu betonen, wie dankbar man doch für ihre Selbstaufopferungsbereitschaft ist (während man sich gleichzeitig ob der grenzenlosen Dummheit dieser selbstzerstörerischen Idealistinnen ins Fäustchen lacht).

Oder ist es vielleicht die dritte Variante und Josefine Paul ist für die Planung des Marathons zuständig? Eigentlich hätte dieser auch ein Sprint sein können und kein Marathon sein müssen, aber dafür hätten Josefine Paul und ihre Vorgängerinnen samt ihren Planungskomitees tatsächlich selber auch mal etwas tun müssen (zum Beispiel Geld in die Hand nehmen). Da ist es doch einfacher, die Misere auf dem Rücken der opferbereiten Erzieherinnen und der hilflosen Kinder auszutragen. Nun plant sie also einen Marathon und sorgt dafür, dass die Marathonstrecke so unwegsam wie möglich ist und auf keinen Fall Erfrischungen für Zwischendurch zur Verfügung stehen (ungelernte Hilfskräfte, Fachkräfte ohne Deutschkentnisse…). Man könnte fast meinen, dass Ziel sei, dass möglichst wenige Fachkräfte diesen Marathon durchhalten. Ist doch auch ganz praktisch, wenn am Ende nur noch unqualifizierte Hilfskräfte in den Kitas arbeiten. So lassen sich die Personalkosten wunderbar niedrig halten. Qualität? Was soll denn das sein? Ach, da erfindet Josefine Paul einfach ein hübsches Gütesiegel welches sie den maroden quereinsteigergeführten Kitas verpassen kann.

potschemutschka
9 Monate zuvor
Antwortet  Annika

@Annika
Für diese gelungene, bildhafte Darstellung der Situation und der Rolle der zuständigen Politiker würde ich gern mehrere grüne Daumen vergeben!