Bildung.digital-Debatte: Wie ChatGPT und Co die Schule verändern – Prof. Strasser über KI (und Lehrkräfte als Lernende)

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ESSEN. Künstliche Intelligenz, so hieß es unlängst in einer Zukunftsstudie der Unternehmensberatung McKinsey, werde die Bildung so stark verändern wie keine andere Branche – was rollt da auf die Schulen zu? Dr. Thomas Strasser ist Hochschulprofessor für Fremdsprachendidaktik und technologiegestütztes Lehren und Lernen an der Pädagogischen Hochschule Wien – er referiert am 26. September auf der Kongressmesse Bildung.digital in Essen zum Thema. Wir sprachen mit ihm vorab.

Spricht auf der Bildung.digital über die Schule der – nahen – Zukunft: Prof. Dr. Thomas Strasser. Foto: Andreas Barnabas Huber-Marx

News4teachers: Sie bezeichnen Digitalisierung häufig als „Buzzword“ oder als Plastikwort. Was meinen Sie damit?

Strasser: Das sage ich, weil im Kontext Schule und Bildung, immer von der digitalen Transformation gesprochen wird. Und das ist natürlich ein total wuchtiger Begriff, denn Schule, Hochschule und Bildung digital zu transformieren ist eine Herkulesaufgabe. Und es hilft nicht, wenn im Diskurs und auch in den Medien von der Digitalisierung gesprochen wird, ohne dass konkrete Anwendungsbeispiele genannt werden oder konkrete Überlegungen stattfinden. Ich kann nicht einfach schreiben „So gelingt die Digitalisierung in der Bildung“. Das ist einfach eine viel zu verallgemeinernde Aussage, unter der sich niemand etwas vorstellen kann. Gleichzeitig entwickeln sich die Begriffe Digitalität oder Digitalisierung ständig weiter. Vor fünf Jahren haben sie noch etwas anderes bedeutet als jetzt, im Zeitalter von KI. Und deshalb kritisiere ich den Einsatz dieser Begriffe hin und wieder.

BILDUNG.DIG!TAL

Sich bei Expertinnen und Experten (wie Prof. Strasser) aus erster Hand über Trends und Technik zu informieren, mit Kolleginnen und Kollegen über praktische Erfahrungen und Lösungen auszutauschen und in kompetenter Runde über relevante Fragen zum Thema zu diskutieren – das bietet Lehrkräften, Schulleitungen, Schulträgern sowie kommunalen IT-Verantwortlichen ein neues Veranstaltungsformat: die Kongressmesse BILDUNG.DIG!TAL, die am 26. September 2023 erstmals in Essen stattfindet.  

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News4teachers: Würden Sie sagen, Künstliche Intelligenz (KI) ist die Technik, die die Schulen gerade am meisten verändert, vielleicht sogar umkrempelt?

Strasser: Umkrempeln würde ich vielleicht noch nicht sagen, aber neudeutsch: Es triggert die Schulen momentan gewaltig. Im Schulbereich wird das Thema KI ja häufig mit ChatGPT gleichgesetzt, was momentan natürlich für große Aufruhr sorgt, weil man daran deutlich sieht, was schon alles möglich ist. Und da haben viele Lehrkräfte und auch Eltern berechtigte Ängste: Wie verändert sich die Schule? Wie schaut meine Rolle als Lehrkraft im Kontext solcher KI-Technologien aus? Das sind wichtige Fragen.

„Ich würde nicht sagen, wir müssen alles über Bord werfen. Das ist eine vollkommen falsche Ansatzform im Kontext einer Schulentwicklung“

News4teachers: Was denken Sie denn, was wird sich verändern?

Strasser: Also mittel- bis kurzfristig gedacht bin ich schon fest davon überzeugt – und da gibt es auch schon einiges an Forschungen und empirischen Daten –, dass wir die Prüfungs- und Aufgabenformate im Kontext von KI und ChatGPT adaptieren und neu denken müssen. Ich würde nicht sagen, wir müssen alles über Bord werfen. Das ist eine vollkommen falsche Ansatzform im Kontext einer Schulentwicklung, immer wieder zu sagen, Unterricht und Schule müssen komplett neu gedacht werden. Das ist nicht zielführend. Was ich damit meine, ist, dass es an den Hochschulen beispielsweise keinen Sinn mehr machen wird, klassische Seminar- oder Hausarbeiten schreiben zu lassen. Das müsste man im Zeitalter von ChatGPT weiterdenken, indem man sagt: Okay, wir verwenden jetzt auch ChatGPT, wir schreiben möglicherweise kürzere Hausarbeiten und versuchen dann, diese Hausarbeit mündlich intensiver präsentieren zu lassen. Sprich: Wir müssen mehr Augenmerk auf die Mündlichkeit legen. Das gilt auch für die Schulen.

News4teachers: Haben Sie ein Beispiel, wie Sie in Ihrer Lehrtätigkeit damit umgehen?

Strasser: Ich mache gerne sogenannte Open-Book-Formate. Das bedeutet, meine Studierenden dürfen während bestimmten Prüfungen zum Beispiel einer Online-Prüfung, ChatGPT und all ihre Unterlagen verwenden. Ich hatte vor kurzem das Thema Grundlagen digitaler Medienbildung und in der Prüfung stelle ich beispielsweise solche Aufgaben: „Versuchen Sie, das Thema Künstliche Intelligenz aus der Sichtweise Ihres Faches kritisch zu reflektieren, indem Sie sich überlegen, wie Sie ein Tool wie Midjourney in Ihrem Englischunterricht einsetzen können, und wo möglicherweise die Grenzen sind.“ Das ist natürlich eine relativ komplexe Frage. Die können Sie tausendmal in ChatGPT eingeben, da werden sie eher allgemeine Antworten bekommen. Aber die Studierenden dürfen es nutzen, um zumindest ein bisschen in die richtige Richtung gelenkt zu werden.

Und in der Prüfung fordere ich die Studierenden dann auch auf, ihre Antworten auf bestehende Literatur oder den aktuellen Forschungsstand zu beziehen. Das heißt, meine Studierenden müssen auch zeigen, dass sie bestimmte Literatur gelesen haben und sie kritisch hinterfragen. Viele Studierende sagen, dass solche Prüfungen für sie aufwendiger und nachhaltiger sind als klassische Multiple-Choice-Fragen. Also das wäre zum Beispiel ein Ansatz. Schwieriger wird es natürlich bei klassischen Einführungsvorlesungen, w oftmals basales Fachwissen geprüft werden muss. Also klassische deklarative Wissensprüfungen muss es auch weiterhin geben. Es kommt wie immer auf den Kontext an, würde ich sagen.

News4teachers: Das heißt aber, ChatGPT komplett aus den Schulen zu verbannen, wird nicht funktionieren?

Strasser: Nein. Das ist kein Lösungsvorschlag. Problematisch ist, dass ChatGPT natürlich eine Art All-In-Wohlfühl-Bot ist, bei der ich einfach eine Frage eingebe und dann bereits gefiltert Infos kriege – ob die dann auch korrekt sind, sei dahingestellt. Das war beim Googeln noch anders, das musste man immerhin unterschiedliche Links und Quellen aufrufen, weiterlesen, vergleichen, kritisch prüfen. Das war schon ein bisschen mehr Oldschool-Recherche. Das fällt jetzt oftmals alles weg, was natürlich aufgefangen werden muss, vor allem wenn es um kritisch-reflexive Quellprüfung geht.

News4teachers: Wie müssen Schulen also reagieren?

Strasser: Ich glaube, Informationskompetenz wird zu einem immer wichtigeren Skill und sollte noch stärker in den Curricula vorkommen. Wir müssen unseren Schülerinnen und Schülern, aber auch den Studierenden beibringen, unterschiedliche Quellen zu checken, zu re-checken, möglicherweise zu überarbeiten, zu vergleichen und so weiter. Das ist sind ja die ureigensten Kompetenzen, die man generell beim Lernen braucht. Und darauf sollte jetzt noch mehr Augenmerk gelegt werden.

News4teachers: Sollte jede Lehrkraft mal ChatGPT benutzt haben?

Strasser: Ja. Wenigstens mit den Grundlagen sollte sich jede Lehrkraft auseinandersetzen. Das gilt natürlich vor allem auch für angehende Lehrkräfte. Da sind wir jetzt wieder beim Punkt Digitalität. Meiner Meinung nach sollten Themen, die die „digitale Transformation“ betreffen, als Querschnitte in den Lehramtsstudien verankert sein. Ich meine damit nicht, dass es jetzt überall ein Seminar zum Thema ChatGPT im Unterricht braucht. Als viel wichtiger empfinde ich, dass so etwas wie KI und disruptive Technologien – zusammen mit allen ethischen und philosophischen Fragestellungen zum Datenschutz, zu Menschenrechten – auch in der Soziologievorlesung behandelt werden, in den Erziehungswissenschaften und so weiter. Leider ist es im Moment noch so, dass es oftmals Glücksache ist, ob man an der Uni etwas zum Thema Digitalität in einer Lehrveranstaltung lernt.

News4teachers: Durch die neue Technik werden Lehrerinnen und Lehrer in gewisser Weise wieder selbst zu Lernenden. Wie können Schulen damit umgehen?

Strasser: Das ist natürlich, würde ich sagen, die schulentwicklerische Gretchenfrage: Wie nehme ich meine Lehrkräfte mit? Da gibt es natürlich viele Überlegungen. In Österreich wird es jetzt so gestaltet, dass es mittlerweile den Unterrichtsgegenstand „Digitale Grundbildung“ gibt. Das bedeutet, in der Sekundarstufe I haben alle österreichischen Schülerinnen und Schüler eine Wochenstunde Digitale Grundbildung, wo sie diese Themen KI, Social Media, Medienproduktion und so weiter lernen. Und unsere Lehrkräfte werden dahingehend vorbereitet, dass sie das jetzt als Lehramtsstudium studieren können, so wie sie Englisch oder Biologie studieren können. Und bis die ersten ausgebildeten Lehrkräfte an die Schulen kommen, werden hunderte österreichische Lehrerinnen und Lehrer in einem Lehrgang „Digitale Grundbildung“ fort- und weitergebildet, sodass sie dieses Fach unterrichten können.

Also das ist jetzt sozusagen die institutionalisierte Strategie, dass wir im Rahmen von Lehrgängen und Lehramtsstudien unsere Lehrerinnen und Lehrer für ein Fach „Digitale Grundbildung“ fit machen. Das hat aber natürlich auch eine problematische Seite, denn jetzt gibt es eben ein konkretes Fach. Und da sagt vielleicht beispielsweise der Mathelehrer: Super, jetzt muss ich mich mit diesem Thema ja eigentlich nicht mehr auseinandersetzen. Das wäre aber ein fataler Ansatz, denn so etwas wie digitale Grundbildung und Digitalität muss meiner Meinung nach fachintegrativ gedacht werden. Also auch der Mathelehrer, die Biolehrerin, der Sportlehrer sollte das letztendlich unterrichten.

News4teachers: Und wenn es eben kein eigenes Fach gibt, wie in Deutschland?

Strasser: Es gibt unterschiedliche Studien und auch Erhebungen zum Thema: Wie hole ich Lehrkräfte im Kontext der Digitalität ab? Und da gibt es zum Beispiel immer einen kleinsten gemeinsamen Nenner und das ist letztendlich immer der pädagogische Nutzen eines Werkzeugs oder eines digitalen Tools. Wenn ich Lehrkräfte davon überzeugen kann, dass der Einsatz eines Padlets zum Beispiel im Geografieunterricht von Vorteil für die Schülerinnen und Schüler sein kann, dann hole ich die Lehrer dahingehend ab. Ich muss Lehrkräfte also über dieses Narrativ des pädagogischen Potenzials abholen. Weniger über das Technische. Also zu sagen: Ja, wir haben jetzt die coolsten, tollsten iPads und das schnellste Internet, ist nicht der Schlüssel. Ich werde Lehrkräfte sehr wahrscheinlich nur über die Pädagogik und die Didaktik abholen können. Das zeigen jedenfalls unterschiedliche Studien.

News4teachers: An welche Studien denken Sie da vor allem?

Strasser: Es gibt einen sehr spannenden Beitrag zum Beispiel von Bettina Waffner. Sie hat sich in ihrer Arbeit angesehen, wie die Einstellung von Lehrkräften gegenüber digitalen Medien ist. Ihr Critical Review der internationalen Forschungsliteratur zeigt Digitalisierungsprozesse in der Schule aus Sicht der Lehrpersonen und die Implikationen für Fort- und Weiterbildungen. In Ihrem Beitrag (unter vielen weiteren) wird gezeigt, dass Lehrerinnen und Lehrer eine grundsätzlich positive Einstellung gegenüber digitalen Medien haben. Und das ist schonmal ziemlich interessant zu sehen, denn es räumt mit dem Klischee auf, dass Lehrer Fortschrittsverweigerer seien.

Wo es dann aber spannend wird, ist, dass eine Diskrepanz festgestellt wurde, zwischen der positiven Haltung gegenüber digitalen Medien und einer „handlungspraktischen Umsetzung“ wie es im Beitrag heißt. Aus meiner Sicht bedeutet das unter anderem auch, dass den Lehrerinnen und Lehrern häufig das Rüstzeug beziehungsweise die Unterstützung fehlt, diese positive Haltung gegenüber Digitalität auch umzusetzen. Und da sind wir jetzt genau wieder bei diesem Punkt, dass wir sagen, wir brauchen zum einen konkretere, schnellere Fortbildungen, aber zum anderen vor allem auch in der Lehrer*innenausbildung mehr Aspekte der Digitalität. Und das ist ein bisschen leichter gesagt als getan. Aber letztendlich geht es vor allem darum, dass Ganze schon in der Ausbildung schon nachhaltiger zu denken. Und nicht immer nur dann die Feuerwehr zu spielen und spontan ein paar Fortbildungen an die Schulen zu bringen.

News4teachers: Aber schauen wir doch trotzdem nochmal an die Schulen. Ich habe das Gefühl, die Technik kommt langsam an den Schulen an, die Möglichkeiten sind da. Und jetzt stellt sich ja die Frage, was machen denn die Lehrkräfte jetzt damit? Wie geht es jetzt konkret weiter?

Strasser: Da habe ich als Fachdidaktiker natürlich immer die gleiche Antwort: Wir müssen abgesehen davon, dass das Thema Digitalität oder digitale Grundbildung als Querschnitt in der Lehrerbildung verankert wird, mehr in die digitalen Fachdidaktiken investieren. Also das ist der springende Punkt. Wir müssen davon ausgehen, dass die Lehrkraft Expertin in ihrem Fach ist, dass sie weiß, wie sie unterschiedliche Themen didaktisiert. Und jetzt geht es vor allem darum, dass wir fachspezifisch unterrichten, wie man dann zum Beispiel so was wie Midjourney als KI-App im Sprachunterricht einsetzt, um mit den Schülerinnen und Schülern zum Beispiel schwierige Sätze zu visualisieren. Oder wenn man zum Beispiel in der Biologie das Thema Fotosynthese behandeln möchte, dass man weiß, da gibt es mittlerweile wunderbare Anwendungen, durch die man bestimmte naturwissenschaftliche Prozesse und Experimente auch mit KI-Apps visualisieren kann. Also da sehe ich vor allem die große Power der KI-Apps, die Inhalte im jeweiligen Fach zu didaktisieren. Das ist es, was es unbedingt braucht. Nicht das Wissen, wie man jetzt wieder das Tablet an den Beamer ansteckt.

News4teachers: Haben Sie weitere Beispiele, in welchen Bereichen der Einsatz von Apps oder KI-Tools besonders gewinnbringend sein kann?

Strasser: Ja, es gibt einige konkrete Beispiele, die gar nicht so sehr raketenwissenschaftlich sind. Lehrkräfte können sich zum Beispiel ihren Unterricht vorbereiten oder sich neue Impulse geben lassen. Das funktioniert mittlerweile schon sehr gut, wenn es darum geht, Unterrichtsplanung mit ChatGPT unterstützen zu lassen. Aus Schüler*innensicht ist es zum Beispiel hilfreich, wenn man schwierige Texte rezipieren muss. Sie können ChatGPT verwenden, indem sie sich die Texte kürzen lassen oder sich in eine leichtere Sprache übersetzen lassen. Aber es geht ja nicht nur um ChatGPT. Es gibt ja mittlerweile großartige KI-Tools, die beim Erstellen von Präsentationen unterstützen und eine passende Layoutgestaltung generieren. Und es gibt Visualisierungs-KIs, so was wie mysimpleshow. Das ist eine Anwendung, wo Sie im Endeffekt in das Programmeinen Text reinschreiben können und dann wird basierend auf diesem Text automatisch ein animiertes Erklärvideo produziert. Und das hat natürlich auch tolle Visual-Facilitation-Potenziale. Das ist ein sehr spannendes Projekt, wenn es zum Beispiel darum geht, kreativ mit Medien zu arbeiten.

„Bei der Frage nach den digitalen Kompetenzen, da sind sich Wissenschaft und Praxis relativ einig, geht es immer wieder in unterschiedlichen Nuancen um Informationskompetenz“

News4teachers: Das heißt aber auch, die Lehrerinnen und Lehrer, die schon an Schulen unterrichten, müssen sich dieses Wissen im Zweifel selbst erarbeiten?

Strasser: Ja. Und da kommt es natürlich immer auch auf die grundsätzliche Haltung der Lehrkraft an. Aber fairerweise muss man auch sagen, dass Lehrerinnen und Lehrer ja ohnehin schon mit einem hardcore operativen, administrativen Alltag zu kämpfen haben. Und es gibt tausend andere Themen neben der Digitalisierung, wie Diversität, Inklusion, politische Bildung, Nachhaltigkeit und so weiter. Das sind alles Themen, die eigentlich fordern, sich damit auseinander zu setzen, weil das natürlich Querschnitte sind, die in jedem Unterrichtsfach Platz haben sollten. Also da jetzt Lehrerinnen und Lehrer zu „verdonnern“, sich mit dem Thema Digitalisierung zu beschäftigen, wird wahrscheinlich der falsche Weg sein. Natürlich können Fortbildungen an der ein oder anderen Stelle helfen und auch motivieren, aber letztendlich führt kein Weg daran vorbei, das Thema in der Lehrer*innenausbildung zu verankern. Und noch wichtiger, es auch schon im Schulunterricht als Thema zu manifestieren. Denn die Schülerinnen und Schüler sind ja vielleicht die Lehrer von morgen.

News4teachers: Was sollten Lehrerinnen und Lehrer idealerweise alles selbst können und wissen, um es dann auch an die Schülerinnen und Schüler weiterzugeben?

Strasser: Bei der Frage nach den digitalen Kompetenzen, da sind sich Wissenschaft und Praxis relativ einig, geht es immer wieder in unterschiedlichen Nuancen um Informationskompetenz. Also im Sinne von: Lehrende, egal welches Fach sie unterrichten, sollten grundsätzlich immer, wenn es um digitale Medien geht, diese kritisch reflektierte Grundhaltung aufweisen – und sie natürlich auch weitergeben. Sie sollten mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam Quellen prüfen, versuchen herauszufinden, warum welche Quelle glaubwürdig ist. Was gibt es da für Indizien? Gleichzeitig geht es auch darum, mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam gewisse gesellschaftspolitische Themen zu diskutieren, also zu fragen, warum ist KI so ein enorm wichtiges Thema. Wie können mir bestimmte Tools im Unterricht helfen? Das darf nicht auf den Informatikunterricht beschränkt sein. Also dieses Thema KI und Digitalität ist eigentlich kein technokratisches Thema mehr, sondern ein gesellschaftspolitisches. Und da kann ich schon von jeder Lehrkraft fordern, dass sie dieses Thema aufnimmt und im jeweiligen Fachspektrum kritisch thematisiert.

News4teachers: Und neben der Informationskompetenz, welche Kompetenzen brauchen Lehrerinnen und Lehrer noch?

Strasser: Es gibt ja bereits unterschiedliche Kompetenzmodelle, zum Beispiel die DigCompEdu, Dort ist ganz klar aufgelistet wird: Was müssen denn Lehrkräfte können? Und es gibt mittlerweile auch die sogenannten AI Literacies, also KI-Kompetenzen, vor allem auch für Lehrkräfte. Dort geht es dann neben der Fähigkeit, Quellen kritisch zu prüfen, beispielsweise auch darum, Schülerinnen und Schüler durch individuelle Lernpfade zu unterstützen. Hier können KI-Tools wie ChatGPT wunderbar im Unterricht eingesetzt werden, dass Lernende alleine, basierend auf ihren Lernbedürfnissen, Dinge erlernen können. Das bedeutet, es gibt mittlerweile schon ziemlich coole KI-Nachhilfelehrer. Lehrkräfte können dann einen Quellcode in ChatGPT reinkopieren. Und als Lernende können Sie dann angeben: Ich bin eher ein schüchterner Lerner, ich lerne gerne visuell oder ich hätte jetzt gerne einen ChatGPT-Nachhilfelehrer, der mit mir auf auditive und humoristische Art und Weise das Thema Simple Past im Englischen übt. Und siehe da, diese Parameter verwendet dann ChatGPT, um mit dem Lernenden gemeinsam Dinge zu erarbeiten. Da sehe ich schon ziemlich coole Potenziale. Das Ganze ist sicherlich noch nicht komplett ausgereift, aber der richtige Schritt in Richtung indvidualisierte Lernpfade. Und das wäre eine wichtige Fähigkeit für Lehrkräfte, diese Potenziale von KIs im Sinne der Individualisierung zu erkennen.

News4teachers: Über das Thema KI sprechen Sie auch am 26. September auf der Kongressmesse Bildung.digital. Ihr Vortrag hat den Titel „Zurück in die Zukunft. Eine Bildungszeitreise mit der KI und dem Fluxkompensator“. Wieso haben Sie diesen Titel gewählt?

Strasser: Um nicht zu viel zu verraten. Der Fluxkompensator ist ja ein wichtiges technisches Gerät im Film „Zurück in die Zukunft“, das es ermöglicht, sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft zu reisen. Und so ähnlich sehe ich es mit der Debatte von neuen Technologien wie KI. Da ist schon viel dabei, was wir schon vor 15 oder 20 Jahren diskutiert haben, wenn es um technologische Innovationen geht. Aber es gibt gleichzeitig vieles, was wir uns noch genauer anschauen müssen und Fragen, die noch immer nicht beantwortet wurden. Deshalb auch der Blick in die Zukunft. Was ich damit sagen möchte, ist, auch wenn eine Technologie vermeintlich innovativ und als Gamechanger daherkommt, so gibt es bestimmte Fragestellungen in der Bildung, die schon vor Jahren diskutiert wurden – ohne, dass es die jeweilige Technologie bereits gab. Und das ist genau der springende Punkt meines Vortrags, dass wir uns möglicherweise auf die schon bestehenden Fragestellungen im Kontext Schule und Unterricht konzentrieren sollten, ohne dabei immer zu sehr den Fokus auf die Cutting-Edge-Technologie zu legen. Laura Millmann, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview

Von Praktikern für Praktiker: Auf der Kongressmesse BILDUNG.DIG!TAL steht das Unterrichten im Mittelpunkt!

 

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Dil Uhlenspiegel
7 Monate zuvor

Oder wenn man zum Beispiel in der Biologie das Thema Fotosynthese behandeln möchte, dass man weiß, da gibt es mittlerweile wunderbare Anwendungen, durch die man bestimmte naturwissenschaftliche Prozesse und Experimente auch mit KI-Apps visualisieren kann. Also da sehe ich vor allem die große Power der KI-Apps, die Inhalte im jeweiligen Fach zu didaktisieren“ und dem Hirn somit immer mehr Arbeit und Trainingsanlässe wegzunehmen, so dass man es im Vorstellungsvermögen zunehmend unterstimuliert.

ulschmitz
7 Monate zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Sie sagen es – und ich grüble gerade vor mich hin: Warum fühle ich mich von etlichen Passagen im Interview verstört, warum werde ich misstrauisch – muss an den zeiten liegen, als man uns Commodore 8032 und 4040 als „die Zukunft“ verkauft hat. Die Welt ist voller „wunderbarer Apps“ und wortgewaltiger Propheten derselben. Liest man dann noch, wie miss die Finanzlage der Schulen in NRW ist, fragt man sich: Woher soll das Geld für die Segnungen der Digitalisiefung und der KI-tisierung kommen? Bald müssen Schulen auch mit Quantencomputefn ausgerüstet werden; wenn dann noch die großen IT-Macker mit neuen Analogcomputefn rauskommen, an denen sie ja heimlich arbeiten, nun, dann stellt sich die alte Scherzfrage aus dem Könef Karneval: „Wer soll das bezahlen…?“

Fresh L
7 Monate zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Sehe ich auch so. Genau dasselbe hatte ich mir gedacht, als es um Visualisierung von Erklärungen in Präsentationen ging.
Wieviele Denkprozesse angeregt würden, wenn SuS selbst visualisierende Erklärvideos herstellten.
Was ja bis vor Kurzem auch noch in Fortbildungen angeboten wurde.
Jetzt haben wir das schon übersprungen und sind bei durch die KI vorgekauten Erklärvideos.
Klar, Zeit- und Arbeitsersparnis allemal. Aber ist es das wofür die KI am Ende sorgen soll?
Beim Lernen ist bekanntlich der Weg das Ziel.

Ureinwohner Nordost
7 Monate zuvor
Antwortet  Fresh L

Unfug,
immer ist das Ziel das Ziel.

Ich muss allerdings das Ziel festlegen.

Wenn Lernen lernen das Ziel ist, dann sollte Lernen lernen das Ziel sein.
Der Weg dazu ist schnurzpiepegal.

Fresh L
7 Monate zuvor

Wenn Lernen lernen das Ziel ist, dann sollte Lernen lernen das Ziel sein.“

Dann sind wir uns ja glücklicherweise mit dem „Unfug“ einig.
Nichts anderes schrieb ich:

„Beim Lernen ist bekanntlich der Weg das Ziel.“

Lernen ist das Ziel. Nur durch Lernen erarbeite ich mir und festige ich den informativen Inhalt. Der Weg ist Lernen. Die unterschiedlichen Denkprozesse auf dem Weg die Information zu verarbeiten.

„das Ziel ist das Ziel“

Ist mir auch etwas zu trivial.
Das Lernen ist das Lernen.
Der Weg ist der Weg.

Nein, das ist zu philosophisch für eine sachliche Diskussion, denke ich.

Finagle
6 Monate zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Nunja, immerhin sind viele der für Simulationen Applikationen aus digitalen Schutzgründen auf schulseitig bereitgestellten Endgeräte ja eh deaktiviert und on-stick-Lösungen ebenfalls aus denselben Gründen unterbunden, so dass selbst eine Software, die nicht diese Eigenschaften hat, erst nach einer Prüfung erst freigegeben wird. Erster Schritt einer Prüfung besteht übrigens darin, emtsprechende Anträge ein Jahr liegen zu lassen und zu warten, ob es noch mehr Interessenten an der Software gibt. Wenn nicht, wird der Antrag aus Mangel an Interesse angelehnt – kann man sich nicht ausdenken. Aber so regulieren sich die selbstverliebten Extrempole aus Digitalbefürwortern und Datenschützer irgendwie selber. Ist doch auch was.

Realist
7 Monate zuvor

Viele vernünftige Aussagen und Ansätze.

Was aber auch notwendig ist: Die „Transformation“ des Unterrichts und die notwendigen Forbildungen auf Seiten der Lehrkräfte müssen auch im Arbeitszeitmodell abgebildet werden (siehe aktuelle Diskussion um die Arbeitszeiterfassung und das Deputatsmodell). Pauschal ein paar Fortbildungsstunden pro Schuljahr ansetzen, bei denen externe Referenten aus dem Homeoffice per Videokonferenz immer wieder dasselbe erzählen, reicht da bei weitem nicht. Wenn Lehrkräfte das alles neben ihren täglichen Aufgaben in unbezahlter Freizeit machen sollen, ist die Transformation des Unterrichts zum Scheitern verurteilt. Jedes vernünftige Unternehmen bildet seine Angestellten in der Arbeitszeit weiter (und entbindet sie währenddessen von den üblichen Tätigkeiten) oder es geht langfristig pleite. Ein „Durchwurschteln“ wie in der Schule funktioniert dort nicht (und in der Schule langfristig auch nicht, wie man gerade sieht).

Einer
7 Monate zuvor

Ich habe in den letzten Jahren immer ein Problem mit dem Begriff „Lernenden“. Nicht wegen dem gendern, sondern weil ich das Gefühl habe, die meisten Schüler wollen nicht mehr lernen. Ich unterrichte am BK viel in der HÖH und die Schüler können und wollen nicht mehr lernen. Sie erwarten kleinstschrittige vorgekaute Lösungen. Auf Vorwissen aus den Zubringerschulebn können Sie nicht zurückgreifen. Sie wissen nichts mehr. Auch Allgemeinwissen aus Technik, Umwelt und Natur ist nicht vorhanden. Simple Dinge wie Lineal halten, Geodreieck nutzen, Magnetismus, Dreisatzrechnung, Prozentrechnung, Länderwissen (Bundesländer, Städte und Hauptstädte). Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Die meisten Schüler sind gelangweilt und nicht mehr neugierig. Sie wollen nichts mehr.
Außer auf ihrem Handy irgendwas von rechts nach links wischen. Und mehr können sie auch nicht mehr.
Und nun kommen KIs daher und nehmen den Schülern noch den letzten Rest notwendiger Denkarbeit, Sucharbeit und Vorstellungsarbeit ab.