Reizthema Nahost – GEW: Aufwühlend, aber „an vielen Schulen gut gelaufen“

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WIESBADEN. Der Angriff der Hamas auf Israel und der Krieg in Gaza wühlt Schülerinnen und Schüler auf und fordert Lehrkräfte heraus. Die GEW wünscht sich in dieser Debatte eine besondere Haltung – dem sensiblen Thema angemessen: Weniger «Ich erkläre Euch die Welt», mehr «Ich höre Euch zu».

Der Krieg in Nahost wühlt viele Menschen auch hierzulande auf. Foto: Shutterstock

Die Ereignisse im Nahen Osten bergen Konfliktpotenzial auch für Schulen. Das Thema sei «eine schwere Herausforderung für die Lehrkräfte», sagte der Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW Hessen, Thilo Hartmann. «Lehrkräfte haben uns in den vergangenen Wochen immer wieder rückgemeldet, dass die Situation in Israel und dem Gazastreifen ein Thema ist, das alle emotional berührt und beschäftigt.» Strafrechtlich relevante Vorfälle gab es nach übereinstimmenden Einschätzungen der GEW Hessen und des Kultusministeriums zumindest in Hessen bisher aber wohl kaum.

Das Kultusministerium will Lehrer in diesen Debatten unterstützen. Es sei wichtig, die Situation altersgemäß zu thematisieren «und zu verhindern, dass sich Hassgefühle und Gewalt – auch im Klassenzimmer oder auf dem Schulhof – ausbreiten», sagte Kultusminister Alexander Lorz (CDU) in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Abgeordneten Nina Heidt-Sommer.

Das Ministerium habe Hilfen für den Unterricht und den Umgang mit Konflikten zusammengestellt. Infos und Materialien könnten über die Internetseite des Kultusministeriums abgerufen werden. Es gebe Angebote für verschiedene Themen: Nahostkonflikt, Antisemitismusprävention, Beratungsangebote, Projekte, rechtliche Hinweise und Meldestellen.

Das Ministerium habe «getan, was man tun konnte», sagte Hartmann. Wie oft die Angebote genutzt wurden, kann die Gewerkschaft aber nicht einschätzen, schließlich komme all das «on top» zu einem vollen Stundenplan und vielen kranken Kollegen. Viele Schulen hätten auch selbst Konzepte entwickelt, viele Lehrer hätten sich stark engagiert. «Ich habe den Eindruck, dass das an vielen Schulen gut gelaufen ist», sagte Hartmann.

Wichtig sei der GEW dabei, dass die Schulen das komplexe Thema Nahostkonflikt nicht von oben herab behandeln: als wüssten die Lehrkräfte Bescheid und die Schülerinnen und schüler müssten es lernen. «Die meisten Pädagogen kennen den Konflikt nur aus den Nachrichten, die Schülerinnen und Schüler haben aus der eigenen Biografie heraus aber oft einen ganz anderen Bezug zu dem Thema.»

Schülerinnen und Schüler mit palästinensischen Wurzeln seien teils verunsichert, schildert Hartmann die Rückmeldungen seiner Kollegen. «Sie fühlen sich nicht ausreichend gesehen. Sie wissen nicht, wie sie ihre Sorgen artikulieren können, ohne als antisemitisch wahrgenommen zu werden.»

Die Haltung der Lehrkräfte sollte daher nicht sein: «Ich erkläre Euch die Welt», sondern: «Ich höre Euch zu», betonte Hartmann. So könne die Schule helfen, Emotionen zu kanalisieren und damit Konflikten vorzubeugen. «Mehr zuhören ist wichtig, um die Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Die Schule ist der richtige Ort, das zu lernen.» Dafür aber bräuchten die Lehrkräfte mehr Zeit und weniger Druck.

Ein Positivbeispiel war kurz vor den Ferien eine Veranstaltung in der Frankfurter Musterschule mit Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef (SPD). Der Politiker diskutierte offen mit den Jugendlichen, fragte nach, hörte zu. Die Lehrerinnen und Lehrer des Gymnasiums hatten die elften Klassen im Politikunterricht auf diese Debatte vorbereitet.

«Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Antisemitismus und Hassgefühle im Klassenzimmer oder auf dem Schulhof zeigen», schrieb Kultusminister Lorz in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage. Darauf müsse «mit aller Klarheit und Entschlossenheit reagiert werden».

Schulleitungen seien verpflichtet, antisemitische Vorfälle der zuständigen Schulaufsichtsbehörde zu melden. Diese müssen dann über weitere Maßnahmen entscheiden. «Neben einer Strafanzeige können die Maßnahmen aus Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern sowie deren Erziehungsberechtigten bis hin zu Ordnungsmaßnahmen wie dem Ausschluss vom Unterricht für den Rest des Schultages oder der Verweisung von der besuchten Schule bestehen.»

Auf Nachfrage teilte das Kultusministerium mit, dass sich die Zahl der aktenkundigen Verstöße «in sehr niedrigem Bereich» bewege. An die Schulämter seien weniger als ein Dutzend Vorfälle gemeldet worden, bei denen ein Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt angenommen wird, sagte ein Sprecher. Beim Verdacht einer Straftat werden die Fälle den zuständigen Strafverfolgungsbehörden zur weiteren Bewertung übergeben. Die Bandbreite der Reaktionen an den Schulen sei groß, darüber werde aber keine landesweite Statistik geführt.

Auch der GEW Hessen liegen keine Erkenntnisse über eine Häufung solcher Meldungen vor. «Wir haben von keiner Schule Hinweise bekommen, dass es vermehrt antisemitische, rassistische oder anderweitig strafrechtlich relevante Vorfällen gab», sagte Hartmann. Dass so etwas den Aufsichtsbehörden gemeldet würde, sei selbstverständlich. «Wir gehen davon aus, dass die Staatlichen Schulämter sich der Brisanz des Themas bewusst sind und die Schulen juristisch und pädagogisch unterstützen», sagte Hartmann. Von Sandra Trauner, dpa

Eskaliert der Nahost-Konflikt auf deutschen Schulhöfen? Hier wird ein Lehrer getreten…

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7 Kommentare
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PaPo
3 Monate zuvor

Die Haltung der Lehrkräfte sollte daher nicht sein: «Ich erkläre Euch die Welt»

Aber genau das ist notwendig, weil die Schüler i.d.R. keine Ahnung haben oder im schlimmsten (aber regelmäßigen) Fall lediglich über gefährliches Halb-, Fehl u./o. Falschwissen über den Nahostkonflikt per se und die aktuellen Ereignisse im Speziellen verfügen. Bei uns sind bspw. DITIB und Co. sehr aktiv, bezieht ein großer Teil unserer muslimischen Schülerschaft seine Informationen ausschl. aus dubiosen social media Kanälen, vom türkischen Staatsfernsehen etc. – und die meisten kollegen fühlen sich auch alleingelassen, weil sie von der Thematik auch keine (hinreichende) Ahnung haben, um da entsprechend aufklärerisch zu wirken (die ‚Unterstützung‘ der KuMi ist wie immer lächerlich), wenden sich dann insb. an uns SoWi-Kollegen.

Realist
3 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

Also sollen die Lehkräfte wieder einmal die Welt und die Gesellschaft retten, weil es die Politik (und die sonst immer so erzieherisch wirkenden Medien) nicht hinbekommen?

Unbezahlt und in ihrer Freizeit? Dubiose Social-Media-Kanäle verfolgen umd „mitreden“ zu können? Und anschließend aus den Erkenntnissen „didaktische wertvolle Materialien“ zusammenzubasteln? Große Teile ihres Unterichts dafür aufwenden, um dann bei der nächsten PISA-Runde oder in den Abschlussprüfungen wieder die übliche Schelte abzubekommen, weil „Demokratierettung“ dort nicht getestet wird? Und die Curricula leider auch keine 25% freie Zeit für solche aktuellen Themen vorhalten? Oder jeden Tag ein „Verfassungsviertelstündchen“ außerhalb des auf das Deputats angerechneten Unterrichts?

Bitte um konkrete Vorschläge!

Lisa
3 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Es gibt gute Gruppen, die man den Schülern empfehlen kann, wie “ Juden und Palästinenser für Frieden“ auf Instagram oder auch studentische gemischte Gruppen in Unisstädten, die man einladen könnte. Da braucht man selber nicht so viel zu tun. Bitte nehmen Sie Pisa nicht zu ernst.

PaPo
3 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Ich schreibe hier nicht der Überantwortung der Verantwortung auf Lehrer insg. das Wort, ich finde Ihre alternative Lösung des Problem (s.u.) deutlich angemessener, auch weil hier die KuMi ja wieder unseren Nacken auf den Richtblock legen. Mir ging es nur darum, dass ich den „‚Ich höre Euch zu‘, auch wenn ihr den größten Schwachsinnv erzapt, keine Ahnung vom Thema habt und Verschwörungstheorien, antisemitischer Propaganda & Co. auf den Leum geht„-Ansatz für unsinnig halte. Ich bin kein Seelsorger, ich bin WIssensmultiplikator mit emanzipatorisch-aufklärerischer, demokratisierender Funktion, deshalb gibt es ein „Ich erkläre Euch die Welt“ (und ein Angebot an Methoden und Techniken, sich Realität selsbt zu erschließen). Ich bin also Ihr falscher Adressat (falls ich das überhaupt war).

Ich unterrichte aber tatsächlich auch Politik/Sozialwissenschaften und setze mich dort regelmäßig mit meinen Schülern mit tagesaktuellen Phänomenen auseinander, da lasse ich dann auch gerne mal Teile des Curriculums(‚WIe gründe ich ein Unternehmen?‘ – für Neunklässler…) fliegen und thematisiere den nahostkonflikt stattdessen. Aber auch nur, weil ich (mehr oder weniger) zufällig glaube, bzgl. dieses Themas hinreichend Expertise zu haben und mit meinen Schülern insg. recht gut kann. Die KuMi glauben ja aber, das schüttelt man ohne Vorkenntnisse einfach mal so aus dem Ärmel, die vermeintl. Unterstützungsmaterialien würden shcon reichen.

Realist
3 Monate zuvor

Warum schicken die Kultusministerien nicht „Teams“ in die Schulen, die das Thema mit den Schülern aufarbeiten? Also „Teams“, die das schwerpunktmäßig machen, so dass es nicht wieder (unbezahlte) Zusatzaufgabe der Lehrkräfte ist, die „schon da“ sind?

Die personellen Ressourcen dafür sind ja scheinbar vorhanden, wie das aktuelle Beispiel in Bayern mit den für den Lehrerberuf Werbenden, von Schule zu Schule „Reisenden“, zeigt…

Lisa
3 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Finde ich eine gute Idee.

Hysterican
3 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Das könnten ja die Teams machen, die den SuS in der Schulen erklären sollen, wie geil der Lehrerjob ist. Vgl dazu den anderen aktuellen Artikel hier bei n4t