Klimaforscher Latif: “Wie ein Autofahrer im Nebel, der Höchstgeschwindigkeit fährt”

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HAMBURG. Wenn es darum geht, den Klimawandel zu erklären, ist Mojib Latif ein gefragter Mann. Geduldig spricht er in Interviews immer wieder über Ursachen und Folgen der Erderwärmung. Mehr als ein Dutzend Bücher und zahllose Artikel hat er verfasst, Tausende Studenten ausgebildet. Am 29. September wird der charismatische Wissenschaftler mit der Fähigkeit, Kompliziertes einfach auszudrücken, 70 Jahre alt. Er werde weiter arbeiten und er wolle optimistisch bleiben, sagt Latif beim Gespräch in seinem Arbeitszimmer in der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, deren Präsident er ist.

“Der Gamechanger ist die technologische Entwicklung”: Prof. Mojib Latif hat seinen Optimismus nicht verloren. Foto: Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

Dass der Sohn pakistanischer Eltern die Erforschung des Klimawandels zu seiner Lebensaufgabe machen würde, war zunächst gar nicht klar. Nach dem Abitur in Hamburg studierte Mojib Latif Betriebswirtschaft. «Wie das bei vielen jungen Menschen ist, weiß man nicht so genau, was man machen soll nach dem Abi.» Er habe aber sehr schnell gemerkt, dass BWL nicht sein Ding sei und gewechselt. Naturwissenschaftlich sollte es sein und Meteorologie wurde es.

Weg in die Klimaforschung

Zum Thema Klimawandel habe er nach dem Studium im Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI) in Hamburg gefunden. «Eines Tages hat mir der Direktor und spätere Nobelpreisträger Klaus Hasselmann eine Doktorarbeit in seinem Institut angeboten. Und so bin ich in die Klimaforschung gekommen.» Nach Jahren in Hamburg arbeitete der vielfach ausgezeichnete Professor seit 2003 am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und dessen Vorläuferinstituten in Kiel. Er ist heute noch Seniorprofessor dort.

Als die große Mehrheit von einem menschengemachten Klimawandel noch gar nicht überzeugt war, zeigte sich Latifs Talent, in der Öffentlichkeit so über das schwierige Thema zu sprechen, dass es verstanden wird. «Ich dachte immer, und das war ein großer Irrtum, das Wissen zum Handeln führt», sagt er im Rückblick. Entmutigt hat ihn das nicht.

Noch heute, Jahrzehnte später erklärt er geduldig den Unterschied zwischen Wetter und Klima und den Einfluss, den der Klimawandel auf Wetterereignisse hat. Gerade kam die Bilanz des Deutschen Wetterdienstes zum Sommer 2024, der wieder viel zu warm war. Latif schiebt wie nebenbei ein Live-Interview für einen Radiosender ein und erklärt geduldig die Zusammenhänge – wie schon viele Hunderte Male zuvor.

Wissenschaft dringt nur langsam durch

«Klimawissenschaft hat es schwierig durchzudringen, weil es immer den Konflikt gibt zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.» Das sei schon bei der relativ leicht zu lösenden Ozonlochproblematik so gewesen. Es werde gesagt, ohne Wirtschaft gehe gar nichts, die Wirtschaft müsse florieren und die Umwelt müsse hinten anstehen. «Umgekehrt kann man natürlich argumentieren, ohne eine intakte Umwelt wird es auch keine gute Wirtschaftsentwicklung geben.»

Was auch zu sehen sei: «Politik entscheidet sich ungern. Man wartet und wartet, bis man gezwungen ist», kritisiert Latif. Eine Erklärung auch für Verdrängung des Themas bei vielen Menschen biete die Neurowissenschaft. «Alles, was weit weg ist, egal, wie schlimm es ist, interessiert uns eigentlich nicht. Uns interessiert das Hier und Jetzt.» Daher führe Information nicht notwendigerweise zum Handeln.

Wie Autofahrer im Nebel

Die Wissenschaft könne nicht detailliert vorhersagen, wann welche Kipppunkte beim Klima erreicht werden. «Aber das ist der beste Grund, etwas zu tun», sagt Latif. «Wir verhalten uns doch wie ein Autofahrer im Nebel, der mit Höchstgeschwindigkeit fährt und nicht weiß, ob da gleich ein Stauende kommt oder nicht.» Klar sei aber bereits, Hitzewellen werden zunehmen, der Meeresspiegel werde steigen und der Anstieg sich beschleunigen.

Bei den Entscheidungsträgern sei das Thema in den letzten Jahren wirklich angekommen. «Das ist ein Erfolg, den die Klimaforschung sich ans Revers heften kann.» Allerdings dauere die Umsetzung zu lange, es werde zu lange an alter Technologie festgehalten. Das bekomme zum Beispiel die deutsche Automobilindustrie jetzt schmerzlich zu spüren. «Wir werden abgehängt», sagt Latif. «Das kann uns unseren Wohlstand kosten.»

Versäumnisse der Vergangenheit aufholen

Aus Latifs Sicht sind Anreize nötig, auch um die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen. Das Klimageld wäre ein wichtiger Schritt, damit die Menschen das Gefühl haben, sie bekommen etwas und werden nicht nur geschröpft. Es müsse sozial gerecht zugehen. Daher sei zum Beispiel das 49-Euro-Ticket so wichtig. «Es geht um Teilhabe.» Man müsse an die umweltschädlichen Subventionen ran. Als Beispiele nennt Latif das Dienstwagenprivileg, Flugbenzin und Diesel.

Jede Menge Anfeindungen

Widerspruch und Kritik, oft aus Unwissenheit, habe er immer schon bekommen, sagt Latif. «Diese Beleidigungen und Beschimpfungen, dieses in Abrede stellen von wissenschaftlichen Fakten, das habe ich ganz früh gesehen.» Es werde immer mehr und die Gewaltbereitschaft nehme zu. «Es ist mir nicht egal, aber ich ignoriere es einfach.» Bei ihm komme der Rassismus noch dazu.

Schlechte Nachrichten zum Stand des Klimawandels

Zum Stand des Klimawandels hat Latif schlechte Nachrichten. Von den vergangenen 14 Monaten hätten 13 bereits das 1,5-Grad-Ziel überschritten. Das Ziel könne daher nur noch sein, unter zwei Grad zu bleiben. Das wäre theoretisch möglich, wenn die Welt bis 2060 oder 2070 klimaneutral werde. Latif hofft darauf, dass die erneuerbaren Energien so konkurrenzlos billig werden, dass sie sich flächendeckend durchsetzen. «Der Gamechanger ist die technologische Entwicklung.» Dabei denkt der Professor aber nicht an Technologien wie die Abscheidung und unterirdische Speicherung von Kohlendioxid. Denn: «Das verlängert künstlich das Falsche.»

Geburtstag ganz in Ruhe

Viel Zeit bleibt Latif neben seiner wissenschaftlichen Arbeit nicht. Er fahre gerne Fahrrad, in Hamburg oder an der Ostsee. Aber er könne sich nicht vorstellen, den ganzen Tag Golf zu spielen. Schon die Akademie der Wissenschaften in Hamburg, die ganz Norddeutschland abdeckt, biete so viele spannende Themen. Seinen 70. Geburtstag will Latif gemeinsam mit seiner Frau in Ruhe verbringen.

Der frühere Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, Hartmut Graßl, würdigt seinen Kollegen als einen herausragenden Wissenschaftler. Bei der Vorhersage von Klimaanomalien im Bereich von mehreren Jahren seien Latif und seine Mitarbeiter in der internationalen Spitzengruppe. Als besondere Stärke sieht auch Graßl Latifs Öffentlichkeitswirksamkeit. «Er kann allgemeinverständlich und druckreif in Mikrofone oder Kameras sprechen.» Das bewundere er, so Graßl. Von Sönke Möhl, dpa

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RainerZufall
9 Tage zuvor

“Latif hofft darauf, dass die erneuerbaren Energien so konkurrenzlos billig werden, dass sie sich flächendeckend durchsetzen.”

Ersteres ja, aber wir durften ja mitunter Zeug*innen werden, wie spektakulär Zweiteres zu verhindern versucht wird =/

Peterchens Klo knarrt
9 Tage zuvor
Antwortet  RainerZufall

Sobald es einen echten Durchbruch in der Speichertechnik gibt, werden sich die Erneuerbaren durchsetzen. Aber eben erst dann. Es vorher erzwingen zu wollen ist eher keine gute Idee, was man an Deutschland eindrucksvoll sehen kann.

Rainer Zufall
8 Tage zuvor

Das ist eine durchaus vertretbare Option – so lange man dann den Strom Dänischen Firmen abkauft…

Aber wenn die Wirtschaft in Deutschland abwarten will und kein Interesse hinsichtlich des Exportes besteht – bis es keiner neuen Lösungen mehr bedarf – können wir Privatnutzer immerhin noch Technik aus anderen Ländern importieren 🙂

Peterchens Klo knarrt
8 Tage zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Batteriespeicher sind aber kein Durchbruch. Und der im Artikel erwähnte größte Speicher deckt etwa 2 Promille des Bedarfs an Speicherkapazität.

RainerZufall
6 Tage zuvor

In Südaustralien wird dies bereits im großen Stil eingesetzt und kann extrem genau und schnell an den Strombedarf angepasst werden – besser als träge Kohle- und Atomkraftwerke, weniger verschwenderisch als “zu viel” Strom durch Erneuerbare.

Aber was meinen Sie denn genau mit “Durchbruch”?

DerechteNorden
6 Tage zuvor

Stichwort “erzwingen”: In Deutschland kann man in Sachen EE nichts erzwingen, denn hier macht in einigen Bundesländern die Union und auf Bundesebene die FDP nicht mit.
Es ist doch geradezu dämlich, nur aus Machtgelüsten die EE permanent schlecht zu machen, zu bremsen usw.
In meinem Bundesland arbeiten Union und Grüne zusammen, was SH in Sachen EE bereits vor einigen Jahren in die Lage versetzt hat, viel mehr Strom zu produzieren, als wir brauchen.
Weil sich einige BL geweigert haben die Infrastruktur sinnvoll und vor allem schnell auszubauen, müssen Windkraftanlagen runtergefahren werden. Das ist widersinnig!!!

Wir hätten schon viel weiter sein können!
Aber sehr viele Menschen hierzulande scheinen leider ein wenig dumm zu sein.
Wie sagte Kristina Dunz vom RND Mittwoch bei Maischberger? Die Wähler*innen dächten, dass man den Klimawandel irgendwie abwählen könne, wenn man die Grünen nicht mehr wähle.
Und da ist es natürlich super, wenn dann Union, FDP und AfD, irgendwie auch das BSW suggerieren, dass dem auch so ist. Einfach ausgedrückt also: Keine Grüne = kein Klimawandel = kein Verzicht

Wir werden noch erleben, wie Deutschland das auf die Füße fallen wird. Aber dann werden auch wieder die Grünen verantwortlich gemacht. Es wird dann heißen, die hätten nicht genügend getan, um die Wende zu erzwingen.

Lisa
9 Tage zuvor

Vor allen Dingen ist Klimapolitik langfristig. Da reicht für einen sichtbaren Erfolg eine Legislaturperiode nicht aus.
Und es bleibt die Frage: Was nützt es, wenn nur wir das machen und USA und BRICS nicht mitziehen?
Nebenher bemerkt wäre es am klimafreundlichsten, keine heißen Kriege zu führen.
Das 49 Euro Ticket läuft übrigens aus bzw soll enorm verteuert werden. Passiert vielleicht nicht, vielleicht ja. Aber schon die Diskussion ist schädlich. Und da bei uns die Bahn bis 2026 nicht fährt, sind auch wieder viele vom öffentlichen Nahverkehr abgesprungen.

Rainer Zufall
8 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

Stimme da zu. Hoffentlich bricht Putin noch seinen Angriffskrieg ab, die Chancen sehen aber düster aus.

Was BRICS und USA betrifft, sollten wir erstmal unser eigenes Päckchen tragen, bevor wir (wieder) oberlehrern. Peterchen sieht es leider anders, aber SOLLTEN wir uns auf eine Energiewende umstellen und entsprechende Technologien fördern, KÖNNTEN wir diese später exportieren und die besagten Ländern unter finanziellem Mehrgewinn verbessern 🙂

Lisa
8 Tage zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Selbst ein gutes Beispiel geben wäre ja nicht so oberlehrerhaft 🙂

RainerZufall
6 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

Bessere Technologie zu verkaufen ist es tatsächlich nicht.
Chinesische Hersteller belehren die Europäer nicht, aber deren Autos bedienen den Massenmarkt für günstigere Elektrofahrzeuge, die künftigen Vorschriften und diesen folgender Nachfrage genügen.

Ich schätze, wir bekommen bald sehr viel Angst vor China zu lesen, welche Zölle auf nichts außer Fahrzeuge bedeutet. Welch Glück für die europäischen Hersteller – nochmal etwas Zeit zum Verschlafen 😉

DerechteNorden
6 Tage zuvor
Antwortet  RainerZufall

China macht es so: Man subventioniert gewisse Industrien, so dass man auf dem Weltmarkt alle unterbietet. Das macht die teureren Hersteller kaputt.
Deshalb muss man gegenhalten. Entweder ähnlich agieren oder chinesische Produkte (durch Zölle z.B.) verteuern.

RainerZufall
5 Tage zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Dann kann die Menschheit sich ja freuen wenn China auf Erneuerbare setzt.

Schade, dass Deutschland seine Solarindustrie zu Grabe trug – hätte ein Exportschlager für Fans von Menschenrechten seien können 🙂

potschemutschka
6 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

“Gutes Beispiel” ist DE doch schon, z. B. beim Tempolimit. Da sind wir weltweit eines der wenigen Länder (neben Afghanistan, Buthan, …), die keines haben und in Europa, so weit ich weiß, sogar die Einzigen. Das ist Vorbildwirkung und gar nicht oberlehrerhaft, oder? 🙂
https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2021/10/klimaschutz-was-bringt-ein-tempolimit