BERLIN. Madlena Ulrich ist in der internationalen pädagogischen Szene eine Größe: Die Norwegerin leitet an der Universität von Südostnorwegen als Programmdirektorin die Ausbildung von Montessori-Erzieher*innen – und hat als Expertin für die Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen auch schon in Russland und China gearbeitet. Weltweit hält sie Vorträge, so am 9. November in Berlin auf dem Fachtag Montessori Move 02 in Berlin. Wir sprachen mit ihr im Vorfeld darüber, warum gerade die vorschulische Bildung so wichtig ist.
News4teachers: Frau Ulrich, was begeistert Sie an der Montessori-Pädagogik und was fasziniert Sie heute an Ihrer Arbeit, besonders da Sie nun Fachkräfte ausbilden?
Madlena Ulrich: Ich bin gerade auf einer Konferenz, und obwohl mir die Inhalte meist bekannt sind, bin ich jedes Mal beeindruckt, wie Maria Montessori Kinder auf einzigartige Weise sah. Sie erkannte das Potenzial der Kinder und schuf ein Umfeld, in dem Lernen Freude bereitet und das Selbstwertgefühl stärkt. Besonders heute, wo viele Kinder Schwierigkeiten in der Schule haben, zeigt sich die Bedeutung einer solchen Herangehensweise.
Montessori-Pädagogik bietet eine Alternative zum traditionellen Schulsystem, das oft Gewinner und Verlierer schafft. Das System ist eher das Problem, nicht die Lehrkräfte, die ihr Bestes geben. Montessori hingegen zielt darauf ab, die Kraft des Kindes zu sehen und auf dessen Entwicklungsbedürfnisse einzugehen. Kinder sollen aktiv am Unterricht teilnehmen können, begleitet von der Lehrkraft, anstatt passiv Inhalte aufzunehmen. Dies fördert ihre Eigenständigkeit und Lernfreude. Die Kinder lernen früh, dass sie selbst gestalten und forschen können. Dies stärkt ihre Neugierde und den Willen zur Weiterentwicklung.
Beeindruckend ist auch, wie global Montessori dachte: Sie lehrte, dass wir eine Menschheit sind, verbunden durch unsere gemeinsame Geschichte und unsere Verantwortung füreinander und die Umwelt. Mit Erwachsenen zu arbeiten, ist ähnlich spannend. Sie entdecken die Welt durch die Montessori-Perspektive neu und finden oft eigene Stärken, die sie früher nicht sahen. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellen fest, dass sie doch Mathematik oder Musik verstehen können – nur war ihre Lernerfahrung damals nicht optimal. Mit dem Material zu arbeiten, vermittelt ihnen oft neue Fähigkeiten und stärkt ihr Selbstbild.
News4teachers: Warum ist die Entwicklungsphase von drei bis sechs Jahren, auf die Sie mit Ihrer Arbeit fokussieren, so entscheidend?
Möchten Sie Madlena Ulrich live erleben? Am 8. und 9. November 2024 tritt sie (neben fünf anderen renommierten Referent:innen) in Berlin beim internationalen Montessori-Fachtag Montessori Move 02 auf. Der richtet sich unter dem Motto „Let’s talk about Work!“ an pädagogische Fachkräfte.
Erzieher:innen, Lehrkräfte und Fachpersonal aus Krippen, Kinderhäusern, Grund- und Sekundarschulen werden zusammenkommen, um über die Rolle bedeutungsvoller Aktivitäten im Leben von Kindern und Jugendlichen zu sprechen. Die Veranstaltung ist eine Kooperation von Nienhuis Montessori, DAMIP e. V. und Montessori Deutschland. Aufgepasst: Nienhuis verlost jetzt vier Eintrittskarten für den Fachtag.
Wer ein Ticket für den Fachtag Montessori Move 02 gewinnen möchte, schreibt bitte eine Mail mit dem Betreff “Gewinnspiel Montessori Move 02” an k.worrmann@nienhuis.de. Die Eintrittskarten werden unter den Einsenderinnen und Einsendern verlost. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Hier gibt es weitere Informationen zum Fachtag Montessori Move 02 – und reguläre Tickets.
Madlena Ulrich: Diese Phase – die gesamte erste Entwicklungsstufe bis sechs Jahre – ist zentral, weil hier die Grundlagen der Persönlichkeit und des Selbstwertgefühls gelegt werden. Kinder entwickeln in dieser Zeit ein Bild von sich selbst, das sie ihr Leben lang begleitet. Sie nehmen wahr, ob sie gemocht werden, ob sie kompetent sind, ob sie Freunde finden können. Diese Erfahrungen prägen die eigene Identität und das soziale Verhalten.
Erwachsene haben hier eine große Verantwortung, Kinder zu unterstützen und Raum für ihre Entwicklung zu schaffen. Positives Erleben hilft Kindern, sich selbst und die Welt offen zu sehen, ohne Abwehrmechanismen aufzubauen. Die Montessori-Umgebung hilft dabei, indem sie den Kindern Freiheit und klare Strukturen bietet. So entwickeln sie Selbstvertrauen und gehen später unbelasteter auf ihre Bildungsreise.
News4teachers: Würden Sie sagen, dass das norwegische Bildungssystem reformpädagogischen Ansätzen gegenüber offen ist?
Madlena Ulrich: Ja und nein. Norwegen hat viele Montessorischulen, jedoch aus politischen Gründen. In den letzten Jahrzehnten wurden Dorfschulen geschlossen, was die Eltern in kleinen Gemeinden veranlasste, Montessorischulen als Privatschulen zu gründen, um ihre Schulen zu erhalten. Private Schulen müssen hier allerdings entweder eine anerkannte Pädagogik wie Montessori nutzen oder religiös sein. In den Kindergärten gibt es weniger Montessori-Einrichtungen, da die Regierung hier auf einen einheitlichen Kindergartenplan setzt. Viele Eltern sind dennoch mit dem staatlichen Angebot zufrieden, da es in Norwegen eine gute Kindergartenpädagogik gibt.
News4teachers: Welche Unterschiede sehen Sie zwischen der Montessori-Arbeit in Deutschland und Norwegen?
Madlena Ulrich: Deutschland wirkt teils bürokratischer (lacht). Grundsätzlich sollte die Montessori-Pädagogik überall ähnlich aussehen, da das Konzept universell ist. Unterschiede entstehen eher durch kulturelle oder politische Vorgaben, beispielsweise bei der Gruppenstärke oder dem Betreuungsschlüssel. Montessori-Einrichtungen finden aber meist Wege, um so nah wie möglich an den pädagogischen Grundsätzen zu arbeiten, trotz solcher Vorgaben.
News4teachers: Das klingt, als gäbe es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.
Madlena Ulrich: Ja, das sehe ich auch so. Die Montessori-Pädagogik ist flexibel genug, um sich verschiedenen Rahmenbedingungen anzupassen, ohne ihren Kern zu verlieren.
News4teachers: In Kürze sind Sie auf dem „Montessori Move“-Fachtag in Berlin. Was erhoffen Sie sich von der Veranstaltung?
Madlena Ulrich: Ich freue mich sehr darauf, den deutschen Montessori-Bereich kennenzulernen, neue Kolleginnen und Kollegen zu treffen und die Herausforderungen und Erfolge hier zu erfahren. Solche Konferenzen sind oft inspirierend. Selbst wenn man die Inhalte schon kennt, erinnern einen manche Vorträge daran, warum man diese Arbeit liebt. Man erhält Impulse für den eigenen Unterricht oder neue Ideen für Materialien und Methoden. Wichtig ist auch der Austausch – man merkt, dass man nicht allein mit seinen Herausforderungen ist, sondern Teil einer internationalen Gemeinschaft, die sich dafür einsetzt, dass Kinder sich zu gesunden und verantwortungsbewussten Menschen entwickeln.
News4teachers: Sie selbst besuchten als Schülerin eine Waldorfschule. Was führte Sie dennoch zur Montessori-Pädagogik und dazu, AMI-Trainerin zu werden?
Madlena Ulrich: Ich hatte an der Waldorfschule eine schöne Schulzeit. Waldorf sieht vor, dass Schülerinnen und Schüler jährlich ein zwei- bis dreiwöchiges Praktikum machen, um das Berufsleben kennenzulernen. In der neunten Klasse war ich auf einem Bauernhof, dann in Handwerksbetrieben, in der Industrie, und in der zwölften Klasse schließlich im Kindergarten. Dieser zweiwöchige Einsatz im Kindergarten prägte mich besonders, da ich das Arbeiten mit Kindern als angenehm empfand.
Nach dem Schulabschluss reizte mich ein theoretisches Studium wenig. Stattdessen wollte ich etwas Praktisches, Berufliches machen. Also entschloss ich mich, Kindergärtnerin zu werden, und absolvierte mein Studium in Norwegen. Währenddessen hörte ich von einer örtlichen Schule, die zur Montessorischule umgestaltet wurde, und kurze Zeit später eröffnete dieselbe Schule auch einen Montessori-Kindergarten. Ich erinnerte mich, wie schön meine eigene Montessori-Erfahrung gewesen war, und bewarb mich dort.
Das Bewerbungsgespräch verlief prägend. Beim Warten vor dem Gespräch erkannte ich das Material wieder und fühlte mich sofort heimisch. Dieses vertraute Gefühl blieb, und glücklicherweise bekam ich die Stelle. Anfangs arbeitete ich im Kindergarten, jedoch ohne Montessori-Ausbildung. Schnell wurde klar, dass schöne Kindheitserinnerungen allein nicht ausreichten, um den Kindern optimal zu begegnen. Daraufhin beschloss ich, die Montessori-Ausbildung zu machen.
An der Schule, in der ich arbeitete, war es zudem Voraussetzung, dass alle Lehrkräfte die AMI-Ausbildung machen. So verbrachte ich ein Jahr in Dublin, um meine Grundausbildung zu absolvieren. Darauf folgten 15 Jahre tägliche Arbeit im Kindergarten, in denen ich meine Erfahrungen und Expertise aufbaute. Unsere Schule und der Kindergarten waren noch jung, sodass ich von Anfang an aktiv am Aufbau und der Weiterentwicklung des pädagogischen Konzepts beteiligt war. Gemeinsam mit engagierten Kollegen bildeten wir das Leitungsteam und halfen, das Montessori-Konzept zu festigen.
In dieser Zeit wurden in Norwegen immer mehr Montessorischulen und -kindergärten gegründet. Bei vielen Schulen stellte sich jedoch heraus, dass die Umsetzung der Montessori-Pädagogik problematisch war. Oft fehlten ausgebildete Fachkräfte, und dennoch wurden große Schulklassen betreut. Die Qualität ließ teils zu wünschen übrig, und auch die Nachhaltigkeit der Ansätze war nicht immer gegeben.
Meine Kollegin Carla Foster und ich überlegten schließlich, wie wir eine hochwertige Montessori-Ausbildung in Norwegen anbieten könnten. Daraus erwuchs unser Entschluss, AMI-Trainerinnen zu werden. 2008 begannen wir unsere Ausbildung: Carla fokussierte sich auf die Grundschule, ich auf den Kindergarten. So konnten wir nach Abschluss unserer Ausbildung qualitative Montessori-Programme an der Universität von Südost-Norwegen aufbauen und anbieten.
Seitdem arbeite ich auch international. Aber unser Hauptinteresse bleibt: dass die Montessori-Pädagogik in Norwegen durch gut ausgebildetes Fachpersonal weiterwachsen kann und ihren hohen Qualitätsansprüchen gerecht wird. Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.
Montessori Move 02: Internationaler Fachtag in Berlin – Nienhuis verlost vier Eintrittskarten