Personalmangel, fehlende Schutzräume, notleidende Kinder: Jugendämter in der Krise

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DÜSSELDORF. Der Kinderschutzbund ist besorgt wegen einer steigenden Zahl von Kindeswohlgefährdungen. Platznot, Fachkräftemangel und Überlastung in Jugendämtern gehen laut Experten zulasten der Schutzbedürftigen.

Ersticken die Jugendämter in einer Flut von Fällen? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Immer mehr Fälle von Kindeswohlgefährdung werden bekannt – zugleich fehlt in vielen Jugendämtern Personal. Und die Unterbringungsmöglichkeiten für schutzbedürftige Minderjährige reichen bei weitem nicht. Experten sind besorgt. Sozialpädagogin Gabriele Flößer vom Kinderschutzbund betont: «Ganz deutlich muss darauf hingewiesen werden, dass angesichts des Personal-, Fachkräfte- und Platzmangels die den Kindern und Jugendlichen zugesicherten Rechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung nicht vollumfänglich gewährleistet werden können.»

Auch zahlreiche Jugendämter in Deutschland sehen unzureichende Bedingungen, wie eine WDR-Befragung offenlegt. Von Gewerkschaftsseite kommen ebenfalls Kritik und Forderungen an die Politik.

Der Kinderschutzbund sieht gravierende Defizite

Man beobachte mit großer Sorge die seit Jahren steigenden Zahlen zu Fällen von Kindeswohlgefährdung, sagt Flößer, Vorsitzende des Kinderschutzbunds in NRW. Aktuelle Studien zeigten zugleich, dass einzelne Mitarbeitende des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) im Jugendamt viel zu viele Einzelfälle zu bewerten hätten, was Arbeitszeiten überschreite und belaste. Folgen könnten «weniger gelungene Gefährdungseinschätzungen und Dokumentationen» oder Bearbeitungsstaus sein, schildert die Professorin für Sozialpädagogik an der Uni Dortmund.

Flößer zufolge ist die Lage der Unterbringungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen unübersichtlich, «weil diese nicht nur von der öffentlichen Jugendhilfe, sondern überwiegend von freien Trägern bereitgestellt werden.» Fakt sei, «dass die Anzahl der Anfragen nach geeigneten Plätzen die vorhandenen deutlich übersteigt und es auch hier zu dramatischen Entscheidungen kommt.»

Die Suche nach freien Plätzen laufe inzwischen bundesweit, sodass Kontakte zur Herkunftsfamilie oder wohnortnahe Aktivitäten nahezu ausgeschlossen seien. «Permanente Beziehungsabbrüche durch eine hohe Fluktuation des Personals erschweren die pädagogische Arbeit darüber hinaus.»

Bei der Kindeswohlgefährdung steigen die Fallzahlen seit Jahren

Mit 63.700 bestätigten Fällen erreichte die Zahl der Kindeswohlgefährdungen im Jahr 2023 laut Statistischem Bundesamt einen neuen Höchststand. Kindeswohlgefährdung kann Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt sein. Tatsächlich dürften die Zahlen aber deutlich höher liegen, da laut Bundesamt nicht alle Jugendämter Daten für 2023 melden konnten – zum Teil auch, weil das Personal dort überlastet war. Im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW hält der steigende Trend ebenfalls an.

Befragung unter Jugendämtern: Kinderschutz gefährdet

Ein Mangel an erfahrenem Personal, Geld und Unterkünften für Kinder in Not sei für viele Jugendämter Realität und gefährde den Kinderschutz, bilanzierte auch ein WDR-Bericht vor wenigen Tagen. Gut die Hälfte der vom WDR befragten 300 Jugendamtsleitungen hatte angegeben, das Gefühl zu haben, unter den derzeitigen Bedingungen Kinderschutz nicht immer gut gewährleisten zu können. In jedem zehnten Amt kam es demnach wegen Personal-, Geld- oder Platznot schon zur Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen.

Mehr als die Hälfte der Jugendamtsleitungen sprach in der WDR-Befragung für den TV-Beitrag «Jugendämter in Not: Kinder in Gefahr?» (abrufbar in der ARD-Mediathek) von häufiger Überlastung ihrer Mitarbeitenden im ASD. Weil es zu wenig Unterkünfte gebe, müssten Kinder oder Jugendliche manchmal länger als angebracht in ihren Familien bleiben. Einige Behörden gaben dem Sender zufolge an, dass Minderjährige in den Räumen des Amts übernachten mussten.

Nordrhein-Westfalen verweist auf viele Verbesserungen

Im bevölkerungsreichsten Bundesland habe man den Kinderschutz strukturell gestärkt und unterstütze Kommunen und Jugendämter, sagt Familienministerin Josefine Paul auf Anfrage. Mit dem Landeskinderschutzgesetz habe NRW neue Standards gesetzt, die den Kinderschutz verbessern. «Wir wissen aber auch um die großen Herausforderungen, vor denen nicht zuletzt die Kinder- und Jugendhilfe steht.» Der Fachkräftemangel treffe die Jugendämter stark.

Die Landesregierung unterstütze die für die Jugendämter zuständigen Kommunen auch finanziell und bei der Personalgewinnung, betont eine Ministeriumssprecherin. Ein Beispiel: Im Studium werde der Praxistransfer gestärkt, um Studierende früh an die Arbeit der Jugendämter heranzuführen. Neue Ausbildungs- und Studiengangmodelle seien gemeinsam mit Unis und Jugendämtern in der Entwicklung. Man habe eine Fachkräfteoffensive für Sozial- und Erziehungsberufe «in enger Abstimmung mit allen beteiligten Akteuren» initiiert. Auch zur hohen Qualifizierung von Mitarbeitenden und für verbindliche Qualitätsverfahren seien Maßnahmen in Gang gekommen.

Forderungen kommen auch von Gewerkschaft und Opposition

Verdi moniert: «Familien, Kinder und Jugendliche bekommen nicht die bedarfsgerechte Unterstützung, die sie dringend brauchen.» Der Alltag in den Jugendämtern sei auch von «überbordender Bürokratie geprägt». Für präventive Arbeit bleibe keine Zeit mehr. Die Arbeitsfähigkeit der Jugendämter sei massiv gefährdet, warnt Gewerkschaftssekretär Philipp Stewart.

Die Regierung müsse die Arbeitsbedingungen mit Sofortmaßnahmen verbessern, um wieder mehr qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und langfristig zu halten. Laut Kinderschutzbund kann eine Fachkräfteoffensive wohl nur erfolgreich sein, wenn die Arbeitsbedingungen und Belastungen kritisch unter die Lupe genommen würden. Die FDP-Landtagsfraktion in NRW fordert Entlastung für die Jugendämter. Die Lage sei katastrophal. News4teachers / mit Material der dpa

Mädchen jahrelang eingesperrt – Der Fall in Attendorn schlägt Wellen: Sind die Jugendämter zu überlastet, um Kinderschutz zu gewährleisten?

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Rainer Zufall
27 Tage zuvor

Durchhalten! So viele Parteien haben sich “mehr Sicherheit” auf die Fahne geschrieben, da kann es nur besser werden! …

Realist
27 Tage zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Ironie bitte kennzeichnen…

Für die Jugendämter gilt dasselbe wie für den gesamten Bereich der “öffentlichen Daseinsfürsorge” (wozu auch Gesundheit, Bildung und Sicherheit gehören): Seit mind. 20 Jahren kaputtgespart (“Schwarze Null”) und mit immer mehr Aufgaben aufgrund der politischen Fehlentscheidungen der letzten 10 Jahre überfrachtet.

Man kann nur jedem raten, sich beruflich von diesem Bereich fernzuhalten, so weit weg, wie es nur geht (es sei denn man plant z.B. als Arzt im Ausland zu arbeiten). Lieber in der kuscheligen Industrie seinen Job suchen: Trotz “Krise” immer noch 5% Lohnerhöhung pro Jahr, 35-Stunden-Woche, Homeoffice, bezahlte Überstunden und andere Annehmlichkeiten. Und wenn’s dann problematisch wird, kommt “Vater Staat” und regelt das, z.B. indem er wie aktuell in der Automobilindustrie für zwei Jahre praktisch den Großteil der Lohnkosten übernimmt oder sich wieder neue Subventionen in zweistelliger Milliardenhöhe ausdenkt. Und dabei dann immer schön SPDG wählen: “Sozialistische Partei der deutschen Großindustrie”. Dann ist bis zur Rente aus- und vorgesorgt. Ohne großen Stress. Und möglichst schnell weg in den steuerzahlersubventionierten Vorruhestand mit 6-stelliger Abfindung.

Rainer Zufall
26 Tage zuvor
Antwortet  Realist

“Ironie bitte kennzeichnen…”

Daumen hoch! 🙂

Rüdiger Vehrenkamp
26 Tage zuvor

Gruß aus der sozialen Arbeit. Wir monieren seit Jahren, dass wir immer mehr Familien unterstützen (sollen), aber nicht mehr Personal dazu haben. Wobei die Wahrheit auch so aussieht, dass es nahezu keine Bewerber auf offene Stellen gibt. Es gibt nicht genügend Fachpersonal.

Und solange das so ist, braucht mir keiner über “multiprofessionelle Teams” an Schulen schwadronieren.

Rüdiger Vehrenkamp
26 Tage zuvor
Antwortet  Redaktion

Leider haben Sie absolut recht mit dem, was Sie hier schreiben, liebe Redaktion. Grund zur Euphorie sehe ich heuer nicht. Im Gegenteil: Schaue ich mir die Umfragen zu den Wahlen an, wird es die nächsten Jahre nur schlimmer werden.