BAMBERG. Fünf Jahre lang hat das Forschungsteam der Langzeitstudie INSIDE an 246 Schulen untersucht, wie gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Förderbedarf tatsächlich funktioniert. Die Befunde, veröffentlicht im Sammelband der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, zeigen: Inklusion gelingt punktuell – aber sie stößt im Alltag immer wieder an Grenzen. Entscheidend sind Haltungen, Strukturen und Beziehungen.

„Wir wollten wissen, wie Inklusion in den Schulen praktisch umgesetzt wird, welche Bedingungen Inklusion fördern, wie Schülerinnen und Schüler unterstützt werden und welche Folgen das gemeinsame Lernen für ihre schulischen Leistungen, ihr soziales Miteinander und ihren weiteren Bildungsweg hat“, sagt Dr. Amelie Labsch, Projektleiterin der Langzeitstudie INSIDE (das Kürzel steht für: Inklusion in der Sekundarstufe I in Deutschland) am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe.
Das Forschungsprojekt – eine Kooperation von LIfBi, IQB/Humboldt-Universität, Universität Potsdam und Bergischer Universität Wuppertal – begleitete mehr als 4.000 Schülerinnen und Schüler durch die Sekundarstufe I. Erstmals liegen damit Längsschnittdaten zur schulischen Inklusion in Deutschland vor.
Lehrkräfte im Fokus: Kooperation als Schlüsselfaktor
Einer der zentralen Befunde betrifft die Zusammenarbeit von Regel- und Sonderpädagoginnen und -pädagogen. „Die Kooperation von allgemein- und sonderpädagogischen Lehrkräften ist zentral für erfolgreichen inklusiven Unterricht“, heißt es in der Pressemitteilung.
Im INSIDE-Band konkretisieren Jacquelin Kluge und Kolleginnen diese Aussage anhand einer Befragung von mehr als 1.200 Lehrkräften aus 234 Schulen. „Das Gefühl der Vorbereitung auf den gemeinsamen Unterricht, die Selbstwirksamkeit sowie eine positive Arbeitsatmosphäre“ hängen eng mit der Qualität der Zusammenarbeit zusammen, schreiben sie. Regelschullehrkräfte bewerten die Kooperation dabei positiver als Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen.
Zudem zeigen sich klare strukturelle Einflussgrößen: Schulen, deren Leitung Kooperation fördert und Ressourcen bereitstellt, erzielen bessere Ergebnisse. „Selbsteinschätzungen könnten durch soziale Erwünschtheit beeinflusst sein“, merkt das Team an – ein Hinweis darauf, dass Anspruch und Wirklichkeit im Kollegium nicht immer deckungsgleich sind.
Digitale Medien: Haltung zählt mehr als Ausstattung
Wie stark digitale Medien zur Differenzierung beitragen, hängt laut INSIDE weniger von der Technik als von der Haltung ab. Lehrkräfte, die sich gut auf inklusiven Unterricht vorbereitet fühlen, stehen digitalen Medien offener gegenüber. „Deutsch- und Mathematiklehrkräfte an inklusiven Regelschulen der Sekundarstufe I sehen digitale Medien somit durchaus als Chance für Differenzierung im inklusiven Unterricht“, schreiben Katrin Böhme, Robert Reggentin und Cornelia Gresch.
Gleichzeitig gibt es Grenzen. In besonders heterogenen Klassen, etwa mit vielen Schülerinnen und Schülern mit Rechenschwäche, sinkt die Zustimmung zum Medieneinsatz. Die Forschenden vermuten einen Überforderungsfaktor: Wer täglich sehr unterschiedliche Leistungsniveaus bedienen muss, empfindet digitale Differenzierung eher als Belastung denn als Entlastung.
Demokratiebildung: Wo Vielfalt gelebt wird, wächst Mitbestimmung
Ein weiterer Beitrag – verfasst von Cornelia Gresch, Annika Francke und Lena Külker – zeigt, dass schulische Inklusion und Demokratiebildung positiv zusammenhängen. „Demokratiebildung ist konzeptionell mit schulischer Inklusion assoziiert“, so die Autorinnen.
Empirisch bestätigt sich das: Schulen mit einer stark inklusiven Ausrichtung berichten über „eine ausgeprägtere demokratische Schulkultur“. „Mehrebenenmodelle weisen auf eine hohe Bewertung der Demokratiebildung hin, die von Lehrkräften höher eingeschätzt wird als von Schüler:innen“, schreiben die Forscherinnen.
Ihr Fazit: Inklusives Denken stärkt demokratisches Denken – und umgekehrt. Wo Vielfalt als Normalität gilt, wird auch Teilhabe und Mitbestimmung gefördert. „Für die inklusiven Rahmenbedingungen zeigen sich positive Effekte, die sich teilweise zwischen Schüler:innen und Lehrkräften unterscheiden.“
Kompetenzen: Lernfortschritte ja – aber auf sehr unterschiedlichem Niveau
Die INSIDE-Kompetenzmessungen gehören zu den umfangreichsten, die in Deutschland je zu Inklusion durchgeführt wurden. Getestet wurde mehrfach zwischen Jahrgangsstufe 6 und 7 – in Lesen und Mathematik, mit standardisierten, psychometrisch überprüften Tests auf Basis des Nationalen Bildungspanels (NEPS).
„Alle Schüler:innen wurden unabhängig von ihrem Förderbedarf in die Erhebung einbezogen“, heißt es. Dazu wurden Testhefte und Bedingungen angepasst, etwa durch vereinfachte Instruktionen und Unterstützungsangebote.
Das Ergebnis: Alle Lernenden machen Fortschritte, doch die Abstände bleiben groß. Besonders Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen zeigen schwächere Zuwächse als solche mit dem Förderschwerpunkt Sprache. „Die Ergebnisse spiegeln die aktuelle Heterogenität schulisch erworbener Kompetenzen wider“ – und belegen, dass differenzierter Unterricht grundsätzlich funktioniert, wenn die Bedingungen stimmen.
Universal Design for Learning: Differenzierung ist kein Allheilmittel
Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Konzept des „Universal Design for Learning (UDL)“. Es beruht auf drei Prinzipien: Inhalte auf verschiedene Weisen darstellen, unterschiedliche Ausdrucksformen zulassen und vielfältige Lernwege eröffnen. Ziel ist es, Unterricht von vornherein so zu planen, dass alle Schüler:innen Zugang zu Lerninhalten erhalten.
Die INSIDE-Auswertungen zeigen: Lehrkräfte wenden UDL-Prinzipien im Deutschunterricht häufiger an als in Mathematik. Im Fach Deutsch bleibt der Effekt auf die Lesekompetenz neutral – in Mathematik zeigt sich überraschend ein „signifikanter negativer Effekt“ auf die Lernentwicklung.
Die Forschenden warnen vor Fehlinterpretationen: In leistungsschwächeren Klassen wird Differenzierung häufiger eingesetzt, was den Effekt verzerren kann – ein klassisches Beispiel für das Simpson-Paradoxon, bei dem äußere Rahmenbedingungen einen scheinbar negativen Zusammenhang verursachen.
Soziale Teilhabe: Inklusion bleibt verletzlich
Besonders sensibel fallen die Befunde zur sozialen Integration aus. Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf berichten durchgehend eine niedrigere soziale Partizipation als ihre Mitschüler:innen ohne Förderbedarf – am stärksten bei Förderschwerpunkten im Bereich emotionale und soziale Entwicklung.
„Im Laufe der Sekundarstufe I sinkt die selbsteingeschätzte soziale Partizipation bei allen Schülerinnen und Schülern“, heißt es im Band. Entscheidend ist hier die Beziehungsqualität: „Positive Lehrkraft-Schüler:innen-Beziehungen reduzieren diesen Rückgang der sozialen Partizipation.“ Individualisierender Unterricht, der unterschiedliche Lernvoraussetzungen berücksichtigt, stärkt zudem das Zugehörigkeitsgefühl.
Fazit: Inklusion ist machbar – aber nicht selbstverständlich
Die INSIDE-Studie zeigt kein Schwarz-Weiß-Bild. Weder gelingt Inklusion flächendeckend noch scheitert sie systematisch. Sie hängt von den konkreten Bedingungen ab – auch von Haltungen, von Zusammenarbeit und von Führung. „Auf Schulebene erweisen sich eine förderliche Schulkultur und unterstützendes Schulleitungshandeln als zentrale Einflussfaktoren“, heißt es im INSIDE-Sammelband. Oder, wie es die Gesamtergebnisse andeuten: Wo Menschen gemeinsam Verantwortung übernehmen, kann Inklusion gelingen – zum Nutzen aller. News4teachers
Hier lässt sich der Sammelband gratis herunterladen (nicht vom offenbar verunfallten Titelbild irritieren lassen).









Haltung – alle Lehrkräfte wollen guten Unterricht für alle SchülerInnen. Praktisch nicht realisierbar, habe ich jetzt eine negative Haltung? Ist es eine zu realistische Einstellung, wenn ich zugebe, mit drei Leistungsniveaus plus FS Lernen plus dreimal ESE-Individualbetreuung überfordert zu sein? Positive Haltung reicht nicht, um die Aufgabe zu bewältigen. Übrigens, auf welchen gemeinsamen Unterricht mit den Förderkollegen bereite ich mich vor, es gibt kaum Doppelbesetzungen? Wann haben die eigentlich Zeit für diese ‘Vorbereitung’, wenn sie in fünf bis zehn Klassen SchülerInnen haben?
Strukturen – sind so wie es alle wissen, siehe Doppelbesetzungen oder gemeinsame Vorbereitung.
Beziehungen – mit der späteren Pubertät sind oft die Kontakte zu anderen vorbei. Da nützt auch eine gute Lehrer/Schüler-Beziehung wenig, die bewirkt eher das Gegenteil.
Der UDL-Ansatz ist nicht unbedingt neu, aber kein Effekt beim Lesen und negativer Effekt in Mathematik sprechen nicht gerade dafür, wenn Aufwand und Ergebnis betrachtet werden. Lehrerarbeitszeit gibt es ja genug, also wird eine Interpretation dafür gesucht. Es geht um den Lernzuwachs, der sollte auch bei schwächeren Klassen signifikant sein, doch wenn es keinen oder negativen Effekt gibt…
Fazit also: mal besser, mal schlechter, nirgends ein Rezept wie es funktionieren kann. Nur der gute Rat, noch etwas intensiver und mit viel positiver Einstellung jeden Tag am lecken Schiff weiter zu pumpen. Tut mir leid, aber ich erlebe an einer sehr engagierten Schule jeden Tag, wie die realen Probleme Inklusion erschweren. Das Rezept ist immer, die vorhandenen Leute mit noch mehr Aufgaben und Erwartungen einzudecken. Sorry, aber irgendwann merkt jeder, dass diese emotionale Erpressung nur die Gesundheit kostet. Vielleicht bewirken die Grenzen, die man setzen muss, dann ein Studienergebnis: die Haltung ist hier nicht positiv genug, aber dann ist das eben so.
Kokonstruktive Kooperation: Ja, sehr gerne! Das hieße: Ich bereite nicht mehr alleine alles vor, der Unterricht wird in Doppelbesetzung durchgeführt.
Realität: Ich bereite alles alleine vor und manchmal sitzt ein Sonderpädagoge im Lehrerzimmer, zieht sich 20 Minuten nach Unterrichtsbeginn „ein paar Kinder raus“ oder blubbert mich in der Pause voll, was ich noch alles machen müsste.
Da liegen Welten dazwischen.
Was bräuchte es?
Ressourcen!
Feste Doppelbesetzung: zu wenig Sonderpädagogen da, auch wenn man heute ALLE Förderschulen dichtmacht – in SH gibt es kaum noch welche, Ergebnis: siehe oben
Feste Beratungs- und Teamzeiten: Dazu müsste das Deputat runter, dazu bräuchte man mehr Lehrer, die gibt es aber nicht.
Ist also nicht falsch, was die Studie sagt, es ist nur wieder mal: sehr wohlfeil und schert sich einen Dreck um die tatsächlichen Möglichkeiten der Umsetzung.
Die üblichen Hinweise auf das richtige Mindset sorgen für den gewohnt schalen Beigeschmack.
Differenzierter Unterricht funktioniert grundsätzlich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen – so ist es wohl. Aber bis so ein Unterricht an allen Schulen umgesetzt werden kann, ist noch ein weiter Weg vor uns. Sonderpädagogen, die eng mit dem Regelschullehter zusammenarbeiten, gibt es an unserer Grundschule und auch an der weiterführenden Schule gar nicht. Wir stolpern schon beim ersten Schritt.
Das Problem ist eben, dass jedes Krankheitsbild individuell ist.
Ich selbst habe beispielsweise Triple X und damit einhergehend eine Störung der Feinmotorik. Dadurch hatte ich ausgerechnet bei den Dingen, die die meisten Kinder als “einfach” empfinden, wie Sport, Kunst, Handarbeit, Werken und Geometrie Probleme. Viel kann ein Lehrer da auch nicht tun. Um Ergotherapie hatten sich meine Eltern selbst gekümmert.
Verletzt hatte ich mich nur in der ersten Klasse gefühlt. Durch die Störung meiner Feinmotorik hatte ich auch Probleme mit dem Erlernen des Schreibens. Meine Klassenlehrerin hatte mich in die gleiche Förderstunde wie die Schüler, die Probleme beim Lesen hatten, gesteckt. Dass ich bei der Einschulung schon lesen konnte hatte sie nicht interessiert gehabt.
Mal überspitzt formuliert: Wenn ich als C-Kreisliga Verteidiger bei der ersten Mannschaft des BVB trainiere, ist das gut für mich und die Profis stärken ihre sozialen Fähigkeiten und lernen viel über ihre Geduld. Aber das Leistungsniveau wird sinken.
Wenn der DFB dies so möchte, fahre ich gerne die paar Kilometer und bringe zum einstand auch vier Kisten Bier mit. Nur möchte das weder der DFB, noch der BVB oder irgendein anderer Verein.
Ich bin auch gerne bereit die Fachleute des VW-Vorstandes mit meinem Fachwissen zu unterstützen. Auch da könnte ich viel lernen und auch der Vorstand würde in sozialen Angelegenheiten genauso profitieren, wie die BVB-Spieler. Nur möchte weder der VW-Vorstand noch der Vorstand eines anderen Unternehmens.
Wenn es um Leistung geht gibt es nun mal Unterschiede.
Die KMK muss entscheiden, ob es in Schule um Leistung oder soziale Fähigkeiten geht.
Wenn man die Diskussionen hier und in anderen Lehrerforen verfolgt, sind die meisten Lehrer wohl der Meinung es ginge in den letzten Jahren viel zu wenig um Leistung, denn diese darf schon lange Zeit nicht mehr wirklich gefordert werden.
Und die Inklusion zu versuchen ohne den Personalschlüssel massiv zu ändern ist völlige Illusion. Dann leidet das Leistungsniveau und auch die sozialen Fähigkeiten und die Lehrer sind überlastet.
Jeder Schalker würde bestätigen, dass der BVB dadurch eine steile Lernkurve hinlegen würde.