BERLIN. Ein Schüler, der 18-jährige Nils Dormann, beklagt sich in einem Kommentar im Magazin Cicero über „linksgrüne Pädagogik“. „Die Schule ist zum Ort der Meinungserziehung geworden“, behauptet der Abiturient (und Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen). Unabhängig davon veröffentlicht unterdessen die Lehrerin Svenja Post in der Zeit einen Gastbeitrag über die häufig falsch verstandene Neutralitätspflicht von Lehrkräften. Wir haben die Positionen gegeneinandergestellt – zu einem konstruierten Streitgespräch.

Nils Dormann: „Wir müssen lernen, Dinge wieder zu hinterfragen. Mit Blick auf die Schule und zweifellos auch auf andere staatliche Institutionen lässt sich jedoch bitter feststellen: Genau dieses Hinterfragen scheint nicht gewollt zu sein. Zumindest nicht, wenn es um das Gesagte oder Geschriebene von Verfechtern roter oder grüner Ideologien – ob in Wirtschaft, Wissenschaft, Philosophie oder Kultur – geht. Die öffentlich-rechtlichen Sender wegen mangelnder Objektivität oder Marcel Fratzscher und andere eher linke Ökonomen zu kritisieren, zieht Konsequenzen nach sich. Statt zu hinterfragen und sich – nach Kant – des eigenen Verstandes zu bedienen, wird absorbiert. Wie soll aus einem jeden Kind ein mündiger, in seinem Denken eigenständiger Bürger werden, wenn der Staat den Prozess unterminiert?“
Svenja Post: „Was (..) nicht zur Diskussion steht, ist die Menschenwürde selbst. Und es gibt keine Gleichwertigkeit von Fakten und Lügen. (…) Nur so ist Schule mehr als ein Ort der Wissensvermittlung. Sie ist ein Ort gelebter Demokratie. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, wie Lehrkräfte mit Diskriminierung umgehen. Wenn sie klar Position beziehen, wenn sie die Würde aller schützen, wenn sie deutlich machen, dass manche Dinge nicht verhandelbar sind – dann lernen Schülerinnen und Schüler mehr über Demokratie als aus jedem Schulbuch.“
„Der hysterische Versuch, die Folgen der globalen Erderwärmung dauerhaft auf Kinder einprasseln zu lassen, funktioniert nur bedingt“
Nils Dormann: „Ich selbst erlebe es als Schüler tagtäglich. Wenn man den hundertsten Projekttag zum Thema ‚Nachhaltigkeit‘ macht und diesen gestaltet, in dem man Müll sammelt, Museen besucht, die sich mit dem Sterben der Regenwälder und dem Schmelzen der Pole beschäftigen, oder schlicht alle Lehrer und Schüler anweist, am sogenannten ‚Carfreiday‘ mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV zu kommen, ist dem Anliegen des Klimaschutzes sicher nicht geholfen. Im Gegenteil. Ich sehe Schüler, die lautstark tönen: ‚Dann kommen wir erst recht mit dem Auto!‘ und andere, die sich bewusst von Museumsbesuchen ausklinken, weil sie schlicht keine Lust haben. Der hysterische Versuch, die Folgen der globalen Erderwärmung dauerhaft auf Kinder einprasseln zu lassen, funktioniert nur bedingt.“
Svenja Post: „Diskriminierung zeigt sich im Schulalltag oft subtiler, als man denkt. Sexismus zeigt sich bereits in der Erwartung, dass Mädchen im naturwissenschaftlichen Unterricht die Protokolle schreiben, während die Jungen experimentieren. Er äußert sich in abwertenden Kommentaren über Kleidung, Körper oder sexuelle Orientierung. ‚Du Mädchen‘ als Beleidigung oder ‚Hast du keine Eier?‘ – Beleidigungen dieser Art dürfen Lehrkräfte nicht stehen lassen. Jugendliche testen Grenzen, das gehört zur Entwicklung. Aber Lehrkräfte haben den Auftrag, einzuschreiten, wenn die Würde verletzt wird.“
„Lehrkräfte haben einen klaren Auftrag – und der steht nicht zur Disposition. Er ergibt sich aus dem Grundgesetz selbst“
Nils Dormann: „Auch vor Gendertoiletten und Gendersternen wird kein Halt gemacht. An dieser Stelle muss ebenfalls klargestellt werden: Weder ich noch ein großer und ähnlich denkender Teil unserer Gesellschaft würde sich grundsätzlich gegen Vielfalt positionieren. Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen ist zentral. Jeder Mensch soll sich frei entfalten können und Architekt seines eigenen Lebens sein. Eine Benachteiligung oder Bevorzugung aufgrund einer abweichenden Gesinnung, eines anderen Geschlechts, einer anderen Sexualität oder einer anderen Religion darf es unter keinen Umständen geben – das haben schon die Väter unseres Grundgesetzes so gesehen. Und trotzdem muss man vorsichtig sein. Man muss vorsichtig sein, dass man mit dem unbedingten Willen zur Toleranz nicht die Toleranz selbst als solche gefährdet.“
Svenja Post: „Lehrkräfte haben einen klaren Auftrag – und der steht nicht zur Disposition. Er ergibt sich aus dem Grundgesetz selbst. Artikel 1 stellt die Menschenwürde an die Spitze: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.‘ Artikel 3 verbietet Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Abstammung, Hautfarbe, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben oder religiöser und politischer Anschauung. Artikel 20 verankert das Demokratieprinzip. Diese Artikel sind nicht verhandelbar. Sie bilden den Rahmen, innerhalb dessen sich alles staatliche Handeln bewegen muss – auch und gerade in der Schule.“
„Der Wille, Schülerinnen und Schüler mit wirren Aktionen oder einer bewusst gewählten Sprache politisch zu lenken, ist da, geht jedoch völlig nach hinten los”
Nils Dormann: „Wenn man Lehrer darauf hinweist, dass das Gendern beispielsweise vom Rat der Deutschen Sprache als nicht mit unserer Grammatik vereinbar angesehen wird und 80 Prozent der Deutschen gegen diese Art des Sprechens seien, entgegnen diese kopfschüttelnd: ‚Wir werden mit dir nicht darüber diskutieren.‘ Genau hier wird es problematisch. Diskussionen werden im Keim erstickt, weil man selbst davon ausgeht, dass man die Tugend gepachtet hat.“
Svenja Post: „Das Kontroversitätsgebot verlangt ausdrücklich, dass das, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers erscheinen muss. Aber eben auf der Grundlage des Grundgesetzes. Der Konsens schützt die Demokratie, er schützt nicht die Diskriminierung. Lehrkräfte dürfen im Unterricht keine Werbung für politische Parteien machen. Sie sollen aber nicht neutral gegenüber undemokratischen Werten sein.“
„Auch unterschiedliche Wertvorstellungen können diskutiert werden – solange sie mit dem Grundgesetz vereinbar sind”
Nils Dormann: „Der Wille, Schülerinnen und Schüler mit wirren Aktionen oder einer bewusst gewählten Sprache politisch zu lenken, ist da, geht jedoch völlig nach hinten los. Doch was, wenn nicht mehr hinterfragt wird? Was, wenn nur eine begrenzte Form des Meinungsspektrums abgebildet wird? Was, wenn kein Konservativer oder Liberaler im Klassenraum sitzt, der – wie ich es gelegentlich tue – dem Lehrer auch mal widerspricht? Ich mag es mir gar nicht ausmalen. Einseitig geprägte Kinder verlassen dann die Schule und laufen – in vielen Fällen – beeinflusst von Sprachpolizisten und Moralpredigern durch die Welt.“
Svenja Post: „Was darf dann überhaupt noch kontrovers diskutiert werden im Unterricht? Sehr viel! Politische Maßnahmen, Migrationspolitik, Wirtschaftspolitik, das Bildungssystem – überall gibt es legitime unterschiedliche Positionen, und Schülerinnen und Schüler sollen lernen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Auch unterschiedliche Wertvorstellungen können diskutiert werden – solange sie mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Über Geschlechterrollen lässt sich streiten, über das Verhältnis von individueller Freiheit und Gemeinschaftsbindung, über religiöse Überzeugungen. Was aber nicht zur Diskussion steht, ist die Menschenwürde selbst.“
Nils Dormann: „Lehrer müssen sich weitestgehend heraushalten, sonst wird genau jene Egalität erreicht, die sich das linksgrüne Bildungsbürgertum zutiefst wünscht. Das darf nicht geschehen, denn damit wird der Vielfalt als solcher tatsächlich geschadet.“
Svenja Post: „Im Zentrum dieser Verunsicherung steht häufig ein Missverständnis: die falsch verstandene Neutralitätspflicht. Immer wieder wird der sogenannte Beutelsbacher Konsens herangezogen – jenes Grundsatzpapier aus dem Jahr 1976, das drei Prinzipien für die politische Bildung formuliert: das Überwältigungsverbot, das Kontroversitätsgebot und die Schülerorientierung. Entwickelt wurde er, um zu verhindern, dass Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler im Sinne einer bestimmten politischen Meinung indoktrinieren. Doch was als Schutz vor Manipulation gedacht war, wird heute zunehmend instrumentalisiert – paradoxerweise gerade von jenen politischen Kräften, die demokratische Grundwerte infrage stellen.“ News4teachers
- Hier geht es zum vollständigen Kommentar von Nils Dormann im Magazin Cicero.
- Hier geht es zum vollständigen Gastbeitrag von Svenja Post in der Zeit.









Lieber rechte, schwarz-blaue Pädagogik? Wir wollen unser’n alten Baldur von Schirach wiederhaben. Wie wär’s mit der Wiedereinführung der Prügelstrafe oder des Karzers?
Mann könnte durchaus einen vernünftigen und auch demokratischen Mittelweg finden, oder haben Sie das Interview nicht gelesen? LInks-grün sollte endlich aufhören, seine Überzeugung als die einzig wahre darzustellen und nichts anderes zuzulassen. Meinungsverschiedenheit gehört nun mal zur Demokratie, das haben etliche hier auch noch nicht verstanden. Eigentlich dachte ich, dieses Problem haben wir nur im Bereich der katholischen Kirche.
Während meiner Zeit als Lehrkraft habe ich Schulministerinnen jedweder Couleur als Chefin gehabt. Angefangen habe ich unter rot, danach ging es mit schwarz, grün, gelb und wieder schwarz weiter. Und besser geworden ist trotz des Farbspieles nix. Mir war es deshalb vollkommen egal, wer unter mir die oberste Schulbehörde des Landes geführt hat.
Hmmm, “Mittelweg”?
Ich zitiere die Redaktion aus dem anderen thread:
“Redaktion
1 Tag zuvor
Antwortet DerechteNorden
Es geht nicht um einen Mittelweg (zwischen was: zwischen Unsinn und Sinn?), sondern um einen sinnvollen, zielgerichteten pädagogischen Weg….”
Diesen sinnvollen, zielgerichteten pädagogischen Weg müsste jetzt nur noch jemand festlegen. 🙂
Aus dem Artikel wird deutlich, dass es weniger um pädagogische Methoden geht, sondern der junge Mann offenbar viel eher politisch einseitiges Einwirken seitens des Lehrkörpers bemängelt. Demzufolge wäre wohl “links-grüne Pädagogen” die eher seinen Aussagen entsprechende Wortwahl gewesen.
Aber Authentizität ist doch oberstes Gebot.
Frau Post packt direkt wieder die ganz große Keule “Menschenwürde” aus. Das klassische Totschlagargument, denn wer bei klarem Verstand könnte schon gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde sein. Selbstverständlich niemand, das ist absolut nicht kontrovers. Hingegen besteht durchaus eine sehr kontroverser Diskurs darüber, ob Gender-Sprache oder Unisex-Toiletten überhaupt irgendetwas mit der Menschenwürde zu tun haben.
Demzufolge widerspricht das von Herrn Dormann zitierte Verhalten von Lehrern über das Verwenden von Gendersprache erst gar nicht diskutieren zu wollen sehr wohl dem Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Konsens.