Inklusives Schulsystem in NRW bis 2021?

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DÜSSELDORF. Zwei renommierte Bildungsforscher raten der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die Stellen für Sonderpädagogen aus Förderschulen schrittweise in allgemeine Schulen zu verlagern. Die „Aktion Mensch“ sieht dringenden Handlungsbedarf.

Innerhalb von zehn Jahren soll die so genannte Inklusionsquote bei 85 Prozent liegen. Illustration: US Government / Wikimedia Commons
Innerhalb von zehn Jahren soll die so genannte Inklusionsquote bei 85 Prozent liegen. Illustration: US Government / Wikimedia Commons
Auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem, in dem Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam in denselben Schulen lernen, haben die Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm und Prof. Ulf Preuss-Lausitz der NRW-Landesregierung empfohlen, schrittweise Lehrkräfte für Sonderpädagogik aus den Förderschulen in die allgemeinen Schulen zu überführen. Innerhalb einer Frist von zehn Jahren sollte es so möglich sein, eine so genannte Inklusionsquote von etwa 85 Prozent zu erreichen. Derzeit lernen etwa 17 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf bis zur 10. Klasse in allgemeinen Schulen, 83 Prozent in Förderschulen. Dies teilte das Schulministerium in Düsseldorf nun mit.

Damit liegt Nordrhein-Westfalen nach Recherchen der „Aktion Mensch“ beim „Gemeinsamen Lernen“ von Kindern mit und ohne Behinderung allerdings unter dem Bundesdurchschnitt. Bundesweit habe der Anteil zuletzt 20,1 Prozent betragen, neue Zahlen werde die Kultusministerkonferenz frühestens im November veröffentlichen, hieß es. Dabei seien die Unterschiede zwischen den Städten groß: Während in Bonn 23 Prozent der Kinder mit Förderbedarf eine weiterführende Schule besuchten, seien es in Gelsenkirchen lediglich zwei Prozent. Diese Differenz werde bei den Grundschulen noch deutlicher: Fast 40 Prozent der Kinder würden in Remscheid inklusiv unterrichtet, in Bottrop seien es dagegen nur vier Prozent, teilte die „Aktion Mensch“ mit.

Die beiden Gutachter waren vom Schulministerium beauftragt worden, Empfehlungen für die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems in Nordrhein-Westfalen zu erarbeiten. „Ich bin sicher, dass die Empfehlungen der Gutachter für eine breite und engagierte Debatte sorgen werden“, erklärte Schulministerin Sylvia Löhrmann. Sie betonte,  dass die Empfehlungen der Wissenschaftler für die Landesregierung kein „Drehbuch“ seien, sondern dass es erforderlich sei, dass Eltern- und Lehrerverbände, Träger öffentlicher und privater Schulen, Fachverbände und viele andere Beteiligte offen über die Vorschläge debattierten. Letztlich müsse in den wesentlichen Fragestellungen eine Entscheidung im Landtag getroffen werden.

Die Ministerin zeigte sich überzeugt, dass die Vorschläge zu einer engagierten, aber sachlichen Kontroverse führen werden. Löhrmann: „In diesem Prozess gibt es neben grundsätzlicher Zustimmung auch viele Ängste, wie sie immer entstehen, wenn man Neuland beschreitet und sich Vertrautes verändert. Wir wollen und werden diese Ängste als Landesregierung sehr ernst nehmen; wir wollen aber auch entschlossen dafür sorgen, dass zügig die geltende Rechtslage in Nordrhein-Westfalen an die Bestimmungen des Völkerrechts angepasst wird.“

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Inklusionsplan lässt auf sich warten

Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die Bundesrepublik wie alle anderen Vertragsstaaten dazu verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten. Damit soll das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen zum Regelfall werden. Eine Überweisung von Kindern und Jugendlichen bei der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs auf Förderschulen soll gegen den Willen der Eltern nicht mehr möglich sein.

Das Schulministerium NRW hatte angekündigt, noch im Laufe des Sommers erste Eckpunkte für einen landesweiten schulischen Inklusionsplan vorzulegen, für die auch die Empfehlungen der Gutachter eine Grundlage sein sollten. Da diese jedoch erst nach der Sommerpause in der erforderlichen Gründlichkeit erörtert werden können – sowohl mit den Eltern- und Lehrerverbänden als auch mit den Kommunen und Landschaftsverbänden als Schulträgern – dürfte sich der Prozess geringfügig verzögern, teilte das Ministerium jetzt mit. Gleichwohl hätten Schulaufsicht und Schulträger bereits in diesem Jahr dafür gesorgt, dass fast überall Eltern, die für ihr Kind den Gemeinsamen Unterricht in einer allgemeinen Schule wollten, zum kommenden Schuljahr ein entsprechendes Angebot hätte gemacht werden können.

Die „Aktion Mensch“ sieht trotzdem großen Handlungsbedarf: „Es ist immer noch weitverbreitete Ansicht, dass Kinder mit Behinderung nur in der Sonder- oder Förderschule gut aufgehoben sind oder sie sogar das Fortkommen anderer auf der Regelschule bremsen“, sagt Martin Georgi, Vorstand der „Aktion Mensch“ und Mitglied im Expertenkreis „Inklusive Bildung“ der deutschen UNESCO-Kommission.

Mehr zum Thema Inklusion: https://www.news4teachers.de/2011/08/vbe-lehrerschaft-bei-inklusion-stark-verunsichert/

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