„In Wikipedia ist PR und Manipulation allgegenwärtig“

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FRANKFURT/MAIN. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist schlechter als ihr Ruf. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS), nach der „PR und Manipulation in Wikipedia allgegenwärtig“ sind. Die gegenwärtige Struktur der offenen Wissensdatenbank könne verfälschende Eingriffe nicht wirksam verhindern, heißt es.

Die „Mitmach-Enzyklopädie“ Wikipedia gehört weltweit zu den Top Ten der beliebtesten Internetseiten. Tag für Tag nutzen Millionen von Menschen Wikipedia als Informationsquelle – darunter ungezählte Schüler und Lehrer. Der Einfluss von Wikipedia auf die Meinungsbildung der Öffentlichkeit wachse stetig, so heißt es nun in der OBS-Studie. Im seltsamen Kontrast zu dem ungebrochenen Siegeszug von Wikipedia als Informations-, Orientierungs- und Deutungsquelle stehe die interne Struktur von Wikipedia, die es bisher nicht vermöge, „PR in Wikipedia effektiv zu verhindern und Manipulationen in Wikipedia wirksam zu unterbinden.“

„Je länger ich mich mit dem Thema Wikipedia beschäftigt habe, desto mehr habe ich den Eindruck gewonnen, dass PR in Wikipedia weit verbreitet ist. Es gibt einen regelrechten Markt darum“, sagt der Autor der Studie, Marvin Oppong. Der Journalist und Dozent hat konkrete Einzelfälle recherchiert und zeigt, wie Unternehmen, Politiker und andere Akteure auf das elektronische Weltwissen Einfluss ausüben.

Dokumentiert sind etwa folgende Fälle:

• Die Wikimedia Foundation hat eine große Zahl von Profilen abgeschaltet, hinter denen offenbar Autoren standen, die in Einträgen gezielt Werbung untergebracht hatten. In einer Erklärung begründete die Wikimedia-Direktorin Sue Gardner den Schritt damit, es gebe „mehrere hundert“ Profile, die gegen Bezahlung Wikipedia-Artikel verfassen würden. In den Texten würden Organisationen oder Produkte beworben, was jedoch gegen die Regeln verstoße. Deshalb seien mehr als 250 solcher Profile geschlossen worden. Augenscheinlich steht die Aktion im Zusammenhang mit dem Skandal um einen hochrangigen Wikipedia-Mitarbeiter. Er soll eine Agentur betreiben, die damit wirbt, PR-Texte gegen Geld in der Online-Enzyklopädie zu platzieren.

• Ein Direktor von Wikimedia Großbritannien und früherer Vorstandsvorsitzender der Organisation soll allein im August 2012 17 Beiträge über Gibraltar auf der Startseite der englischsprachigen Wikipedia platziert haben, die mit täglich etwa 263 Millionen Seitenaufrufen zu den meistbesuchten Websites der Welt gehört. Pikant: Der Mann ist offenbar PR-Berater von Beruf und einer seiner Kunden ist die Regierung von Gibraltar, die den Tourismus fördern möchte.

• Im Dezember 2011 sperrte die Wikipedia zehn Profile, deren Autoren womöglich für ein großes Unternehmen in Großbritannien, das politischen Lobbyismus betreibt, gearbeitet haben. Aufgeflogen war die Geschichte durch verdeckt ermittelnde Journalisten. Sie hatten sich als mögliche Kunden ausgegeben und einen Chef der Firma dabei gefilmt, als der sich „dunkler Künste“ bei Wikipedia rühmte – er könne dafür sorgen, dass Beiträge in dem Online-Lexikon in seinem Sinne bearbeitet würden.

• Erstmals wurde eine Nutzergruppe 2009 komplett aus der Wikipedia-Gemeinschaft ausgesperrt, als eine Schiedskommission der Online-Enzyklopädie beschloss, Autoren zu blockieren, die von Scientology-Rechnern aus auf die Enzyklopädie zugreifen. Damit werde die Konsequenz daraus gezogen, dass Lexikoneinträge offenbar wiederholt im Auftrag der umstrittenen Glaubensgemeinschaft verändert wurden.

Ziel der Studie sei es aber nicht nur, auf die Gefahren verdeckter PR und gezielter Manipulationen hinzuweisen. Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung: „Wir wollten auch wissen, ob interne Strukturen den Missbrauch begünstigen und ob die Wikipedia-Community sich überhaupt des Problems bewusst ist“. Ergebnis: Der Verein Wikimedia Deutschland gehe das Thema „nur zögerlich mit einem kleinen Projekt an“, stellt Oppong fest. Und auch die Wikipedia-Community vermag es nicht, „dem Problem selbst Herr zu werden“, zieht Oppong ein weiteres Fazit. Der Autor: „Unternehmen, Verbände und Parteiapparate sind personell zu gut bestückt und finanziell zu gut aufgestellt, als dass die Wikipedia-Community mit ihren Freiwilligen gegen die zahlreichen Manipulationsversuche ankommen könnte.“ News4teachers

Zum Bericht: 72 Prozent aller Internetnutzer vertrauen auf Online-Lexika

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