Frisch und frech: Wie Berliner Schüler Merkel und Gabriel begegnen

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BERLIN. So sieht sich Perfektionistin Angela Merkel eigentlich gar nicht gern: unvorteilhaft von unten geknipst, das Gesicht halb abgeschnitten, der Mund weit auf. Doch auf dem Schulhof und vor Wahlen gelten bekanntlich andere Regeln. Da geht die Kanzlerin auf Tuchfühlung, Blazer-Schulter an Schüler-Schulter, und lacht ins Handy. Interesse wecken für die Europawahl ist ihre Mission an diesem Vormittag in Berlin – ein Selfie mit Kanzlerin die begehrte Trophäe.

Werbeauftritt in der Schule: Bundeskanzlerin  Angela Merkel. Archiv-Foto: Aleph / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)
Werbeauftritt in der Schule: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Archiv-Foto: Aleph / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)

Keine zwei Monate sind es bis zur Europawahl am 25. Mai. Merkel ist auf Werbetour. Sigmar Gabriel (SPD) auch. Der Vizekanzler rollt auf dem Schulhof der Carl-von-Ossietzky-Schule in Kreuzberg ein. Auf dem Sportplatz nebenan besuchte er schon 2011 die Fußballerinnen von Türkiyemspor. Das Kraftpaket knallte der Torhüterin, einer Deutsch-Libanesin, einen Elfmeter aufs Tor. Doch die hielt.

Jetzt begrüßt er einen Grundschüler mit «Na, Chef?», einem anderen tätschelt er den Kopf, auch hier werden die Handys gezückt. Dann blafft er die Fotografen an: «Sie sind nicht die Hauptpersonen hier.» Die Schüler stehen auf, als hätte der Lehrer die Klasse betreten. Es gehört zu Gabriels Stärken, jedem Publikum auf Augenhöhe zu begegnen – und Lehrer war er selbst mal.

Für Nachhilfe in Sachen Europa sind Merkel und Gabriel an diesen Schulen eigentlich falsch. Auf dem Schulhof in Wilmersdorf herrscht deutsch-polnisches Sprachdurcheinander – und ist anders als in den Problemkiezen auch gern gehört. Geschichte oder Bio lernen die Kinder hier auf Polnisch, in Kreuzberg auf Türkisch oder Griechisch. «Wir leben Europa längst», sagt die Neuntklässlerin Karolina Kolodziej. Die Politiker besuchen 2 von 30 Europaschulen in Berlin.

So wird mit Kanzlerin Merkel dann – alles andere als auf Anfängerniveau – über die Rolle der EU in der Krim-Krise diskutiert. «Russland hat viel zu sehr noch diesen Blick: Die Ukraine gehört zu mir oder die Ukraine gehört zu Europa. Diesen Unterschied müssen wir überwinden», fordert Merkel. Die Schüler hinterfragen Völkerrechtsverletzungen beim Referendum und den Sinn von Sanktionen.

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Gabriel spricht davon, dass niemals das Recht des Stärkeren gelten sollte – aber genau das unterstellt er indirekt nicht nur Russland, sondern auch den USA. Als es um Asyl für Edward Snowden geht, den Aufdecker der massenhaften Ausspähung durch den US-Geheimdienst NSA, sagt Gabriel: «Da, wo er jetzt ist, ist er sicher.» Ein Transport nach Deutschland sei gefährlich, schließlich könnten die USA ein Flugzeug zur Landung zwingen.

Gabriel spricht mit Schülern der 10. bis 13. Klasse. Viele unter ihnen werden vom geplanten Doppelpass der großen Koalition für hier geborene und aufgewachsene Zuwandererkinder profitieren. Bisher würden sich die Jungs meist für den deutschen Pass entscheiden, weil sie dann nicht zum türkischen Militär müssen, meint der Vizekanzler. «Ich kenne mich ein bisschen in der türkischen Community aus, ich war mal mit einer Türkin verheiratet.»

Auch die Kanzlerin wird persönlich. Die Polen hätten sie als DDR-Bürgerin ja immer beeindruckt, sagt sie und erzählt von Untergrunduniversitäten und West-Büchern. «Polen sind ein sehr mutiges Volk.» Und trotzdem «auch immer fröhlich, nie so verspannt». Für ihren Selfie-Marathon scheint Merkel sich daran ein Beispiel genommen zu haben.

Gabriel dagegen lädt ein, über Politiker zu schimpfen. Das bekommt nicht er, sondern Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ab. Wie Wowereit im Amt bleiben könne, wo er doch die Schuld trage für das Debakel am Hauptstadtflughafen, will ein Schüler wissen. Gabriel setzt an zu einem kleinem Exkurs über den Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung. Und antwortet mit einer Gegenfrage, auf die er ein Nein erwartet: «Wenn in Ihrer Schule was schiefgeht, ist dann die Schulleiterin Schuld?» Antwort: «Ja.» dpa

Zum Bericht: “Es ist kälter geworden”: Merkel und Gabriel erklären Schülern die Ukraine-Krise

 

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