„Der alltägliche Wahnsinnn“ – Deutschunterricht für Flüchtlingskinder

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KRONSHAGEN. Pädagogische Herausforderung: Kinder unterschiedlichen Alters, aus verschiedenen Ländern und mit teils traumatischen Erfahrungen lernen gemeinsam Deutsch. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Britta Ernst zu Besuch im «Deutsch als Zweitsprache»-Zentrum einer Kronshagener Schule.

Wie ein verlorener Haufen wirkt diese Schulklasse überhaupt nicht, im Gegenteil. Konzentriert malen und schreiben die Kinder aus Afghanistan, Syrien, Kosovo, Peru, Israel und anderen Staaten an der Gemeinschaftsschule Kronshagen bei Kiel. Sie wirken hier zufrieden. Im Raum sitzen jeweils ein Handvoll Kids um drei Tische mit gepolsterten Stühlen. Jeder Tisch hat eine Betreuerin. Manche der 10- bis 15-Jährigen sind traumatisiert von Kriegserlebnissen. Der Bildungsstand ist extrem unterschiedlich, aber eins einte sie alle: sie konnten kein Deutsch. Darunter sind Flüchtlingskinder, aber auch etwa zwei Töchter eines italienischen Nato-Offiziers.

«Hier ist ja die ganze Welt drin», sagt Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) sichtlich beeindruckt. Sie ist am Donnerstag gekommen, um sich den Unterricht an diesem «Zentrum „Deutsch als Zweitsprache“» (DaZ) – so der sperrige Behördenjargon – anzuschauen und mit den Pädagogen an der Schulfront über deren Probleme zu sprechen.

Landesweit gibt es inzwischen 84 DaZ-Zentren, die jeweils in Schulen integriert sind. Zielgruppe waren ursprünglich primär Kinder von Einwanderern. Wegen der hohen Flüchtlings- und Asylbewerberzahlen hat das Land für 2015 insgesamt 7,7 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt: Für 125 neue Lehrkräfte-Stellen an DaZ-Zentren.

«Die Zahlen überrennen uns» sagt Eylem Çetinöz. «Uns fehlen vor allem Dolmetscher», berichtet die engagierte DaZ-Koordinatorin der Gemeinschaftsschule und DaZ-Kreisfachberaterin. An der Universität Kiel hat sie zudem einen Lehrauftrag und freut sich, auf diese Weise Studenten für sechswöchige Praktika zu gewinnen.

Die Stadt Köln bietet Roma-Kindern im Projekt "Amaro Kher" spezielle Integrationsprogramme an. (Bild: Alex Büttner)
Deutsch lernen steht ganz oben auf der Agenda – hier  Roma-Kindern in Köln. (Bild: Alex Büttner)

Immer wieder fällt der Begriff «Binnendifferenzierung». Weil die Kinder so verschieden sind, sollen sie im Unterricht individuell gefördert werden. Kriegserlebnisse, häusliche Gewalt, null Schulerfahrung oder Kinder mit sonderpädagogischem Bedarf – «das ist der alltägliche Wahnsinn», sagt Çetinöz mit einem Schuss Humor.

Anfangs haben Kinder nur «DaZ»-Unterricht, dann können sie in Fächern wie Musik oder Sport in normalen Klassen an ihrer Schule schon mitmachen. Später, wenn sie besser Deutsch können, erhalten sie Unterricht in Regelklassen, haben aber noch einige Stunden im DaZ.

Schulrat André Berg sieht einige Schwierigkeiten bei der praktischen Besetzung der neuen DaZ-Stellen. Zwar gibt es genügend Lehrer mit entsprechender Zusatzausbildung. Aber diese müssen erst einmal gewonnen oder versetzt werden – und wiederum selber ersetzt werden. Das «Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein» bietet Pädagogen sechs Tage dauernde «Daz»-Fortbildungen an.

Für Ernst hat der Sprachunterricht einen sehr hohen Stellenwert für die Integration. Sie geht davon aus, dass die neuen Stellen so lange erhalten bleiben, so lange es angesichts hoher Flüchtlings- und Asylbewerberzahlen notwendig sei. Matthias Hönig

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