Merkel trickst die Länderfürsten aus! Der Bildungsföderalismus bröckelt – der Bund hat bei den Schulen wieder einen Fuß in der Tür

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Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek

BERLIN. Auf den ersten Blick ließe sich sagen: zu kurz gesprungen. Die Länder haben bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen Ende der vergangenen Woche ihre Hoheit über die Bildungspolitik verteidigt. Hier waren sich insbesondere der Bayer Horst Seehofer und der Baden-Württemberger Winfried Kretschmann einig, in ihren Bundesländern keinen inhaltlichen Einfluss aus Berlin auf die Schulen dulden zu wollen. Die SPD hatte auf ein Ende des „Kooperationsverbots“ (das seinen Widersinn schon im Namen trägt) gedrängt, vordergründig vergeblich. Aber: Zusätzliches Geld nehmen der CSU-Chef und der Spitzengrüne freilich gerne. Und damit hat der Bund bei der Bildung jenseits der formalen Zuständigkeiten dann doch endlich wieder einen Fuß in der Tür.

Hat die Länderchefs aus dem Süden ausgetrickst - und darf in der Schulpolitik ab sofort mitreden: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Karikatur: DonkeyHotey / flickr (CC BY 2.0)
Hat die Länderchefs aus dem Süden ausgetrickst – und darf in der Schulpolitik ab sofort mitreden: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Karikatur: DonkeyHotey / flickr (CC BY 2.0)

Bislang sind für die schulische Bildung die Länder weitestgehend allein zuständig. Sie legen Lehrpläne fest, sie entscheiden über das Schulsystem, sie bezahlen die Lehrkräfte. Der Bildungsföderalismus führt allerdings nicht zu einem gesunden Wettbewerb um die besten Schulen in Deutschland (wie Befürworter gerne behaupten), denn die „Kunden“, also Eltern und Kinder, können ja in der Regel nicht weglaufen, ebensowenig die Beschäftigten, also die Lehrkräfte. Deshalb machen die Bundesländer in der Bildung, was sie wollen. Die Auswirkungen dieser Kleinstaaterei tragen absurde Züge.

Hat irgendjemand mal gezählt, wie viele verschiedene Schulformen in Deutschland existieren? Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es offiziell acht. Welche Eltern sollen die Unterschiede noch verstehen, etwa zwischen einer „Sekundarschule“ und einer „Gesamtschule“  – zumal auch die anderen 15 Bundesländer sich immer wieder fröhlich neue Schulformen einfallen lassen: von der „Realschule plus“ bis zur „Werkrealschule“? Was macht zum Beispiel ein Gesamtschüler aus Köln, den es nach Augsburg verschlägt? Er muss sich eine neue Schulform suchen – etwa die zur „Mittelschule“ ernannte Hauptschule –, weil’s in Bayern kaum Gesamtschulen gibt.

Paukenschlag in Berlin: Schäuble gibt weitere 3,5 Milliarden Euro zur Sanierung der Schulen – Kooperationsverbot soll fallen

Deutschland ist in Sachen Schulstruktur ein Flickenteppich, dessen wirres Muster kaum jemand mehr erkennt. Nicht nur in Sachen G8/G9 gibt es künftig je nach Bundesland völlig unterschiedliche Lösungen – ein achtjähriges Gymnasium hier, Wahlmöglichkeiten dort, neun Jahre Gymnasium mancherorts und in Berlin (wo die Grundschule in der Regel sechs Jahre umfasst) nur sechs. Dazu kommen dann noch Initiativen wie die von Schleswig-Holstein oder von Niedersachsen, im Alleingang die Noten in der Grundschule abzuschaffen (das ist dort jetzt ins Belieben der Schulen  gestellt).

Dazu kommt, …

  • dass sich einzelne Länder beim Absenken ihrer Standards bei den zentralen Abschlussprüfungen unterbieten  – und Abiturienten dann aus den Hochleistungsländern Bayern oder Sachsen mit Abiturienten aus Niedriganspruchsländern wie Berlin um knappe Numerus-Clausus-Studienplätze konkurrieren müssen. Das ist ungerecht!
  • dass die Bundesländer unterschiedlich viel für ihre Grundschulen aufwenden: der Stadtstaat Hamburg 8.700 Euro pro Grundschüler und Jahr – Nordrhein-Westfalen hingegen nur etwas mehr als die Hälfte, nämlich 4.800 Euro, wie eine Studie jüngst ergab. Das ist eine krass ungleiche Chancenverteilung!
  • dass die Länder den Status und die Gehälter ihrer Lehrkräfte in Eigenregie festlegen. Und das hat Folgen: Der 40-jährige verbeamtete Musiklehrer (ledig, keine Kinder) in Baden-Württemberg kann netto durchaus 3.200 Euro monatlich nach Hause bringen; sein angestellter Kollege in Berlin hat bis zu 700 Euro weniger, wie ein Vergleich der Lehrergehälter auf der Seite „Lehrerfreund“ zeigt. Das ist nicht nachvollziehbar!

Und an all‘ diesem Chaos wird sich auch nach der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen nichts ändern – vorerst jedenfalls nicht. Aber: Eine Grundgesetzänderung soll es nun dem Bund ermöglichen, den Bau und Unterhalt von Schulen in finanzschwachen Kommunen zu fördern. Die Unterschiede zwischen finanzschwachen und prosperierenden Städten ließen sich so abmildern, hieß es. Wie genau der geänderte Passus aussehen soll, wird noch verhandelt. Klar ist jedoch: Berlin wird künftig ein gehöriges Wörtchen mitreden, wenn’s um die Schulen in Deutschland geht. Denn wer Geld bereitstellt, der greift damit natürlich auch in die Gestaltung ein. Von „goldenen Zügeln“ ist in solchen Zusammenhängen gerne die Rede. Dass Seehofer und Kretschmann die nicht zurückweisen konnten, liegt an Merkels schlauer Öffentlichkeitsarbeit: Sie hat zwei Projekte (nämlich Investitionen in Digitale Bildung und in Schulbauten) bereits ankündigen lassen, sodass die Länderfürsten in Zugzwang gerieten.

Erste Pakete angekündigt

Den Anfang macht, das hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka vorgestellt, ein Milliarden-Paket des Bundes für die digitale Ausstattung der Schulen in Deutschland – womit natürlich die digitale Bildung auch inhaltlich in die Schulen getragen wird. Hier rennt Berlin bei den Ländern offene Türen ein. Der zweite Punkt, von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble konkretisiert, wird ein 3,5-Milliarden-Zuschuss aus der Bundeshauptstadt für die bauliche Instandsetzung von Schulgebäuden sein. Dieses Geld aus Prinzipienreiterei abzulehnen, hätten Seehofer und Kretschmann nicht vertreten können.

Und deshalb ist nun die Tür einen Spalt breit auf. Nun wird es interessant, wie sich die Sache weiterentwickelt: Der Bund hat doch mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (in deren Artikel 24 ein „integratives Bildungssystem auf allen Ebenen“ gefordert wird) Fakten geschaffen, die alle Schulen in Deutschland  betreffen und die Länder überfordern – was liegt also näher, als ein Bundesprogramm zur Unterstützung der Inklusion ins Leben zu rufen? Vergleichbares gilt für die vielen Flüchtlingskinder – auch hier wäre ein bundesweit geltender und finanzierter Rahmen dringend geboten. Ganztagsschulen? Schulsozialarbeiter? Auch hier sind Initiativen künftig denkbar.

Man darf also gespannt sein. Wenn der Bund nun für die Schulen bezahlen „darf“, dann ergibt sich daraus ein politischer Druck, dies auch zu tun – die künftige Bundesregierung bekommt ein neues Profilierungsfeld, ob das Seehofer und Kretschmann nun passt oder nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel weiß: Sie hat dabei die Bürger auf ihrer Seite. Denn verstehen können die Deutschen den Bildungsföderalismus ohnehin nicht. Auf der Homepage der Bundesregierung heißt es in einem Text zum „Bürgerdialog Gut Leben in Deutschland“ (einer von Merkel angestoßenen offenen Diskussionsrunde): „Insgesamt zeigten sich die Bürger zufrieden mit dem deutschen Bildungssystem. Viele äußerten aber Kritik am Bildungsföderalismus. Sie beschwerten sich vor allem über unterschiedliche Schul- und Prüfungsstrukturen in den einzelnen Bundesländern.“ Merkel hat’s gehört.

 

Hintergrund: Was die GEW meint

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die vereinbarte Lockerung des Kooperationsverbot als „einen ersten Schritt zur besseren Finanzierung des Bildungsbereichs“ bezeichnet. „Jetzt müssen weitere Schritte folgen. 3,5 Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen in finanzschwachen Kommunen sind wichtig und trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein: So schnell wie möglich muss der Investitionsstau in Höhe von 34 Milliarden Euro allein für die Sanierung maroder Schulgebäude aufgelöst werden“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe mit Blick auf die Vereinbarungen zur Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern – und der von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble angekündigten Initiative, erste Notfallmaßnahmen an Schulgebäuden bezahlen zu wollen. „Mit dem Geld kann ein Einstieg in ein Schulsanierungs- und -modernisierungsprogramm finanziert werden. Für dessen Fortsetzung und andere Projekte im Bildungsbereich wie den Ausbau der Ganztagsangebote und der Inklusion müssen die Länder die zusätzlichen rund 9,5 Milliarden Euro investieren, die sie ab 2020 durch die Umverteilung von Steuereinnahmen erhalten.“

Tepe machte aber auch noch einmal deutlich: „Das Kooperationsverbot im Bildungsbereich muss komplett aufgehoben werden. Nur dann können in Deutschland flächendeckend qualitativ hochwertige Bildungsangebote gemacht und die Arbeitsbedingungen der Pädagoginnen und Pädagogen verbessert werden.“ Dafür müsse der Staat auch seine Einnahmebasis verbessern und beispielsweise große Einkommen höher besteuern.

 

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Alex
7 Jahre zuvor

Was sind denn eigentlich die Vorteile von einer Bildung durch die Länder?

Wie es aussieht gibt es nämlich nur Nachteile und Ungerechtigkeiten.