Eine Grundschullehrerin verzweifelt an der Inklusion: „Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich einen anderen Beruf gewählt“

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FRANKFURT/MAIN. News4teachers hat in der vergangenen Woche über einen Brandbrief Frankfurter Grundschulleiter berichtet. Tenor: Es geht so nicht mehr! Flüchtlingskinder, Inklusion, Erziehungsprobleme – aber kein Personal. So lasse sich ein erfolgreicher Unterricht nicht mehr gewährleisten. Welche Belastung die Lehrkräfte zu tragen haben, wird in dem Beitrag einer Lehrerin anschaulich, den die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) jetzt anonym veröffentlicht. Er erinnert an den verzweifelten Bericht einer anderen Grundschullehrerin, den News4teachers bereits im vergangenen August veröffentlicht hat.

Immer mehr Lehrer vor allem an Grundschulen verzweifeln an den Arbeitsbedingungen. Foto: Alain Bachellier / flickr (CC BY-NC 2.0)
Immer mehr Lehrer vor allem an Grundschulen verzweifeln an den Arbeitsbedingungen. Foto: Alain Bachellier / flickr (CC BY-NC 2.0)

Der Bericht in der FAZ beginnt mit einem Geständnis: „Ich bin seit 15 Jahren Lehrerin, aber wenn ich gewusst hätte, dass der Unterricht irgendwann mal so aussieht wie jetzt, hätte ich einen anderen Beruf gewählt“, so berichtet die Lehrerin gegenüber der FAZ, die nach eigenem Bekunden „an einer ganz normalen Grundschule in Frankfurt“ arbeitet. Dass in der hessischen Metropole die Probleme insbesondere an Grundschulen überhand nehmen, hatte unlängst ein von zwei Dritteln der dortigen Grundschulleitungen unterzeichneter Brandbrief an Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) deutlich gemacht.

Frankfurts Grundschulleitungen schreiben Brandbrief: Flüchtlingskinder, Inklusion, Erziehungsprobleme – aber kein Personal. Es geht nicht!

In dem dreiseitigen Schreiben schildern die Schulleitungen die Lage der Kollegien drastisch: bis zu 25 Kinder in einer Klasse, von denen mitunter 20 ohne ausreichende Deutschkenntnisse eingeschult worden seien. Die Familien der Kinder kämen aus verschiedenen Kulturkreisen, ihre Elternhäuser seien extrem heterogen. Viele würden elterliche Aufgaben wie die Erziehung zu Umgangsformen, die medizinische Versorgung und die Ernährung an die Schulen abtreten. Daraus erwachse für die Lehrer „eine kaum zu bewältigende Arbeitsbelastung sowohl in zeitlicher als auch in psychischer Dimension“, schreiben die Schulleiter laut „Hessenschau“, der der Brief vorliegt.

Und jetzt dieser Bericht, der vor allem auf die Probleme mit der Inklusion abhebt. „Eine durchschnittliche Klasse sieht heute so aus: Von 25 Kindern können ein Drittel nicht richtig Deutsch sprechen, etwa acht Kinder sind verhaltensauffällig, dazu kommen hochbegabte Kinder, traumatisierte Flüchtlingskinder und noch ein Inklusionskind, das besonderer Förderung bedarf. Auf der Strecke bleiben die paar normalen, unauffälligen, lernbegierigen Kinder, die einfach mitlaufen, weil man als Lehrerin keine Zeit für sie hat“, so berichtet die Kollegin.

Inklusion, so meint sie, sei eigentlich eine gute Sache  – aber nicht unter diesen Bedingungen. „Es gibt Kinder, da lohnt es sich sehr, sie in der Regelschule zu integrieren“, betont die Lehrerin, „ aber bei vielen Kindern ist das nicht möglich. Manche Inklusionskinder treten den Lehrer, kratzen andere Kinder blutig und überschreiten permanent Grenzen“. Nur mit Glück bekomme ein solches Kind einen Inklusionshelfer,  „der hilft ihm bei den Aufgaben und passt darauf auf, dass das Kind sich nicht aus dem Fenster stürzt oder auf dem Schulhof nicht verprügelt wird, aber du als Klassenlehrerin musst den Unterricht vorbereiten und auf die speziellen Lernbedürfnisse dieses Kindes eingehen.“ Förderlehrer? Ja, die gebe es an der Schule – was bedeute: ein bis zwei Stunden besondere Förderung außerhalb des Regelunterrichts. „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Eine Grundschullehrerin berichtet von ihrem Alltag, der sie überlastet: „Man wird krank. Körperlich und seelisch“

Dazu komme: Bis ein Kind einen Förderstatus bekomme, müssten viele bürokratische Hürden überwunden werden. Auch auf das Verständnis der Eltern könne man als Lehrkraft häufig nicht zählen. „Wir haben an der Schule ein Kind mit Asperger-Syndrom, das bekommt nicht viel mit im Unterricht und kann einen ganzen Vormittag in der Gruppe kaum aushalten. Die Eltern sagen dazu nur, dass die Lehrerin sich eben fortbilden müsse.“  In den Förderschulen würde es den Kindern ihrer Meinung nach besser gehen; „sie wären weniger isoliert und würden in kleineren Klassen besser gefördert“.

Als Lehrerin einer Inklusionsklasse sei sie gezwungen, taktisch zu denken. „Bei den Lernhilfe-Kindern und sozial emotionalen und praktisch-bildbaren Kindern ist die Grau-Zone riesig und weitläufig interpretierbar. Je nach Kapazität muss man sich dann entscheiden: Kämpfe ich zwei Jahre um einen inklusiven Status für ein Kind? Dann kommt, wenn ich Glück habe, einmal in der Woche ein Förderschullehrer. Oder habe ich mehr davon, wenn das Kind keinen inklusiven Status bekommt? Dann kriege ich wenigstens einen unausgebildeten I-Helfer, der jeden Tag im Unterricht mit dabei ist. Oder ist es schlauer, wenn ich bei einem Kind auf Lernhilfe plädiere und nicht darauf, dass es emotional soziale Schwierigkeiten hat, weil ich diesem Fall gar keine Unterstützung bekommen würde? Das alles muss man abwägen, aber das wird natürlich nicht immer dem Kind nicht gerecht“, so bekennt die Pädagogin.

Sie betont: „Hinten runter fallen oft die Kinder, die unauffällig sind. Ich versuche als Lehrerin, die Guten besonders hervorzuheben und viel zu loben, und ich ignoriere jene, die permanent stören. Oder ich schmeiße sie raus, weil ich finde, dass die anderen auch ein Recht auf Ansprache habe. Für die muss ich auch da sein.“ Der Spagat aber gelinge ihr zunehmend schlechter – angesichts sich häufender Probleme auch mit Flüchtlingskindern („das war traumatisiert und hat nur gebrüllt“) oder mit erziehungsunfähigen Eltern  („Kinder, die aus bürgerlichen Elternhäuser stammen, aber ‚Fotze‘ zu mir sagen“).

„Ich werde den Kindern nicht mehr gerecht“

Fazit der Pädagogin: „Heute würde ich keine Grundschullehrerin mehr werden, weil ich den Kindern nicht mehr gerecht werde. Mir macht die Arbeit Spaß, aber nicht unter diesen Bedingungen. Ich bin Lehrerin und will altersgerecht Inhalte vermitteln, aber das tritt immer mehr in den Hintergrund.“

Ähnliches hatte die Kollegin im August auf News4teachers berichtet: „Ich habe den Beruf gewählt, um Kindern etwas beizubringen. Die Unterrichtszeit selbst ist mittlerweile zum kleinsten und fast unbedeutendsten Teil verkommen.“ Sie kommt zu einer resignativen Schlussfolgerung – sie frage sich fast täglich: „Will ich mir das weiterhin antun? Um dann immer wieder zu der ernüchternden Antwort zu kommen: Es gibt keine Alternative mit meiner Ausbildung. Ende vom Lied ist: Man wird krank. Körperlich und seelisch.“

Das stellt auch die Lehrerin jetzt in der FAZ fest: „Wir haben an unserer Schule auch einen hohen Krankenstand, vermutlich weil man es gar nicht anders aushält.“ Agentur für Bildungsjournalimus

Hier geht es zum vollständigen Bericht in der FAZ.

Überforderte Kinder, frustrierte Lehrer: Elternbündnis geht gegen Praxis der Inklusion auf die Barrikaden

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6 Kommentare
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Lena
7 Jahre zuvor

Meiner Meinung nach eignet sich die Inklusion bei weitem nicht für alle Kinder mit Behinderungen. Die schlechten äußeren Bedingungen des inklusiven Unterrichts spielen zwar auch eine Rolle, doch entscheidend für das Desaster ist die Auflösung der Förderschulen und der politische Wille, möglichst alle Kinder im Regelunterricht unterzubringen.

Donald
7 Jahre zuvor

Wir schaffen das!

sofawolf
7 Jahre zuvor

Zitat: „Das stellt auch die Lehrerin jetzt in der FAZ fest: „Wir haben an unserer Schule auch einen hohen Krankenstand, vermutlich weil man es gar nicht anders aushält.“

Hoher Krankenstand (wie überall); hohe Teilzeitquote (überall); hohe Frühpensionierungsrate (überall).

Und worum kämpfen die Gewerkschaften? Gehaltserhöhung. *kopfschüttel*

Weil dann keiner mehr (dauer-)krank wird; keiner mehr in Teilzeit geht und sich keiner mehr frühpensionieren lässt.

Sternensucher
7 Jahre zuvor

Ich finde es sehr problematisch, dass gerade die Kinder mit Autismus/Asperger Syndrom in derartigen Artikeln immer als besonders negatives Beispiel herausgestellt werden. Es stellt eine Diskriminierung dieser Kinder dar, die häufig in Regelschulen gar nicht auffallen. Manche haben einen Integrationshelfer manche nicht. Viele kommen auch in größeren Klassen gut klar, aber nicht alle, genauso wie Schüler mit anderen Verhaltensauffälligkeiten oder die „normalen Kinder“. Viele vergessen, dass man in den allermeisten Förderschulen lediglich den Hauptschulabschluss erreichen kann. Das ist dann die „besonders gute Förderung“. Es gibt nur sehr wenige spezielle Schulen die auch das Abitur an Förderschulen anbieten. Es ist ein „Schlag ins Gesicht“ für viele Eltern, die jahrelang für die Inklusion gekämpft haben, wenn einzelne „Diagnosen“ derartig diskriminiert werden. Natürlich benötigt man mehr Personal, aber dann müssen alles Schüler auch bedacht werden und nicht einzelne ausgenommen.

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  Sternensucher

Weil sie pars pro tuto für Kinder mit ESE (emotionale, soziale Entwicklung) herhalten müssen.

ESE ist – und das wissen vermutlich die wenigsten – die fachlich richtige Bezeichnung für die vormals „schwer erziehbar“ genannten Schüler. Bei Kindern mit Autismus oder Asperger Syndrom habe ich wenigstens eine medizinische Diagnose, bei der mehrzahl der Kinder mit Förderschwerpunkt ESE liegen die Ursachen aber in nicht so klar zu benenennden Ursachen. Es geht also in keinem Fall um Stigmatisierung der Autisten, es liegt einfach daran, dass das Thema zu komplex ist und Journalisten und Politiker gerne zu Vereinfachungen neigen.
Es will auch keiner lesen, dass sein Kind zukünftig mit Mitschülern in einem Klassenraum sitzen könnte, die unter unkontrollierten Gefühlsausbrüchen leiden können, die sie für sich und andere zu einer Gefährdung werden lassen könnten. – Dann doch lieber Autisten … Und wenn ein Bild gebraucht wird zum Thema Inklusion, dann das des „Rollis“.

dickebank
7 Jahre zuvor

Bei niedrigeren Löhnen wird der Krankenstand er höher als kleiner. Die teilzeitquote steigt ebenfalls, um einen besser bezahlten Zweitjob aufnehmen zu können. Und der Punkt Frühpensionierung ist allenfalls etwas für Beamte. Für Tarifbeschäftigte im Öd gibt es ja nicht einmal eine Altersteilzeitregelung. Für Tarifbeschäftigte besteht die einzige Möglichkeit auf eine auskömmliche Rente darin, während der aktiven zeit möglichst lange über dem Durchschnittsverdienst aller Beschäftigten, die in die GRV einzahlen, zu liegen. Aber wenn pensionierte Lehrkräfte am Ende des aktiven Dienstes doppelt so hohe Ruhestandsbezüge (brutto) haben wie Tarifbeschäftigten an Rentenzahlungen, dann brauchen die sich über die gehaltshöhen auch nicht wirklich Sorgen machen.

JA, ich weiß, dass Beamte ihre Pensionen versteuern müssen. – Nur aufgrund der Änderungen des Renten- und Steuerrechtes müssen auch die vormals tarifbeschäftigten Arbeitnehmer einen von Jahr zu Jahr steigenden Anteil ihrer Rente versteuern müssen. (Hängt vom Jahr des renteneintritts ab.)