Eine Schule für alle – wie eine Schleswiger Schule Inklusion lebt

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SCHLESWIG. Keinen zurücklassen, alle mitnehmen – was als Formel zur Inklusion schön klingt, ist in der Realität manchmal schwer umsetzbar. In Schleswig hat eine Schule Nägel mit Köpfen gemacht: Sie geht dahin, wo die Schüler sind, und fördert alle, ob behindert oder hochbegabt.

  Die Flure sind leer, der Billardtisch verwaist. 330 Schüler hat das Förderzentrum Schleswig-Kropp – eigentlich. Doch in dem Gebäude am Rande der Kreisstadt Schleswig tummeln sich nur noch sehr selten Schüler. Seit dem Beginn des laufenden Schuljahrs verteilen sich die Kinder, die bisher an der Schule mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt betreut wurden, auf insgesamt 26 Regelschulen im südlichen Kreis Schleswig-Flensburg.

Autistisches Kind in einer Förderschule für geistig Behinderte. Foto: Flickr
Autistisches Kind in einer Förderschule für geistig Behinderte. Foto: Flickr

Sie gehen in ganz normale Klassen, von der Grundschule bis zum Gymnasium. Eine vorbildliche Form von Inklusion (gemeinsames Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern), befand jetzt die Jury des Jakob Muth-Preises, ein Projekt der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, der Bertelsmann Stiftung, der Deutschen Unesco-Kommision und der Sinn-Stiftung. Mit dem Preis werden inklusive Schulen ausgezeichnet.

Was macht, abgesehen von der Bandbreite, der Unterstützung, die schon im Kindergarten beginnt und bei Hochbegabten nicht aufhört, das Förderzentrum so besonders? «Die starke Vernetzung, das macht uns einzigartig», glaubt Rektor Lars Krackert. Denn eingebunden sind viele Organisationen, der Psychologische Dienst, die Krankenkassen, die Agentur für Arbeit, die Polizei. «Wenn man selbst an Grenzen kommt, findet man immer jemanden, mit dem man sich austauschen kann.»

Der Weg zur inklusiven Schule war allerdings lang. Erste Ansätze gab es seit den 90er Jahren. «Die Eltern wollten nicht, dass ihr Kind zur Schule weit fahren muss, sondern zuhause mit den Kindern lernt, die es schon aus dem Kindergarten kennt», sagt Konrektor Eike Fischer. Irgendwann habe der integrative Teil die Hälfte der Arbeit am Förderzentrum ausgemacht. Da wurde der Beschluss gefasst, zur «Schule ohne Schüler» zu werden. Die Lehrer gehen nun dort hin, wo die Kinder leben.

«Wir halten es für sinnvoll, dass Schüler in breiter Masse vor Ort beschult werden», sagt Fischer. Ohne Hindernisse war der Weg in die Inklusion aber nicht. «Es gibt einige schwierige Fälle, wo die Eltern sagen: Wir hätten gerne eine Spezialschule», räumt Krackert ein. «Aber die Zahl ist so gering, dass wir keine eigene Klasse vorhalten können.» Bei extremen Behinderungen eines Kinder arbeite man mit anderen Fördereinrichtungen zusammen. «Man kann ja auch nicht mit letzter Sicherheit sagen, dass es dem Kind am Förderzentrum bessergehen würde», wirft Fischer ein. «Manchmal passen Schule und Kinder nicht so gut zusammen.»

Auch die 44 Lehrer hätten Befürchtungen wegen der neuen Schulform gehabt, erinnert sich Krackert. Jetzt bekommt er die Rückmeldung, dass sich das Klassenklima positiv verändert habe. Große Annahme erfahre auch die Förderung besonders begabter Kinder, die man nicht vergessen dürfe. Heute kommen ins Förderzentrum nur noch Kinder, die besondere Maßnahmen etwa im Bereich Lesen oder Psychomotorik besuchen. Dabei erreicht das Einzugsgebiet des Zentrums eine Region von der Größe des Hamburger Stadtgebiets.

Den Preis erhält nun, neben bundesweit drei weiteren Schulen, der Schulverbund Südlicher Bereich des Kreises Schleswig-Flensburg mit dem Förderzentrum an der Spitze. Die Jury würdigte auch, dass immer mehr Schüler den Förderstatus aberkannt bekommen und einen Hauptschulabschluss machen. So ganz wunschlos glücklich ist Rektor Krackert aber doch nicht. «Der Preis kommt zur richtigen Zeit», findet er und ergänzt vor dem Hintergrund knapper staatlicher Kassen: «Inklusion darf kein Sparmodell sein.» Martina Scheffler/dpa

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