BERLIN. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB),erklärt im Interview mit dem Berlin-Institut, warum junge Frauen heute zwar sowohl Karriere als auch Kinder wollen, jedoch beides selten verwirklichen können. Und sie sagt, wie es besser gehen könnte.
Frau Allmendinger, die von Ihnen geleitete und zusammen mit der Zeitschrift “Brigitte” durchgeführte Studie von 2008, „Frauen auf dem Sprung“, hat seinerzeit für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Damals hieß es, dass junge Frauen die Gesellschaft wachrütteln würden mit ihrem gleichzeitigen Wunsch nach vollwertiger Erwerbstätigkeit und Familie. Konnten Sie in ihrer im September 2013 vorgelegten Neuauflage der Befragung diese Einschätzung bestätigen?
An der Einstellung junger Frauen hat sich nichts geändert: Sie wollen Kinder und Karriere. Eine einfache Erwerbstätigkeit ist ihnen zu wenig. Sie lehnen die sogenannten „Mommy Tracks” ab. Das sind Karrierewege, die es Müttern zwar ermöglichen, Job und Familie zu vereinbaren, sie beruflich aber dauerhaft in eine Sackgasse unterhalb ihres Qualifikationsniveaus führen. Über die Jahre hat sich allerdings Frustration aufgebaut. Die Frauen berichten, dass sie von Männern überholt werden, schlechtere Chancen bekommen und viel kleinere Karriereschritte machen. Das finden sie ungerecht und fordern heute viel nachdrücklicher als noch 2008 eine Quote sowie weitere Instrumente der Familien-, Tarif-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik.
Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen den Lebensentwürfen junger Frauen von heute und der Generation ihrer Mütter?
Die Müttergeneration im Westen Deutschlands hat die eigene Erwerbstätigkeit oft lange unterbrochen. Auch die kurze Teilzeit war populär. Der Mann wurde als Familienernährer gesehen, Frauen fühlten sich noch mitversichert. Heute sind die 20-bis 30-jährigen Frauen im Schnitt besser als ihre Mütter ausgebildet. Sie wollen in ihrer Erwerbsarbeit auch Erfüllung finden und denken in größeren Zeiträumen. Was muss ich heute tun, um übermorgen gut abgesichert zu sein und auf ein gutes Leben zurückzublicken? Sie wissen, dass sie sich im Fall einer Scheidung rasch selbst versorgen müssen, und dass Teilzeitjobs keine eigene Rente sichern. Die außerhäusliche Erziehung von Kindern ist heute selbstverständlicher. Das Wort Rabenmutter hört man deutlich seltener als noch zu meinen Zeiten. Junge Frauen sind dabei, ihre Ansprüche klar zu formulieren: Weder Mütter mit niedrigen Arbeitszeiten noch Väter mit überlangen Arbeitszeiten sind dabei ein Vorbild. Darauf hat sich unsere Arbeitswelt bislang noch nicht eingestellt.
Kritiker der ersten “Brigitte”-Studie haben damals prophezeit, dass sich junge Frauen im Laufe ihres Lebens „retraditionalisieren“, sich also mit fortschreitendem Alter wieder stärker auf ihre Mutter- und Hausfrauenrolle zurückziehen würden. Hat sich das bestätigt?
Nein. Aber sie schütteln ihre Hausfrauentätigkeiten auch nicht ab. Ihr Anteil an unbezahlter Arbeit ist noch immer weit höher als der von Männern. Frauen aus Ostdeutschland akzeptieren das eher als westdeutsche Frauen. Sie sind es gewohnt, zwei Schichten zu fahren und scheinen das von sich selbst auch zu erwarten. Die westdeutschen Frauen positionieren sich klarer und drängen eher auf eine faire Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit.
In der Bewertung der neuen Ergebnisse machen Sie deutlich, dass allein die Berufstätigkeit Frauen heute kaum noch Probleme bereitet. Viele von ihnen arbeiten mittlerweile ganz selbstverständlich weiter, selbst wenn sie Kindern bekommen. Aber berufliche Karriere und Kinder schließen einander noch immer aus. Wie kommt das?
Die Betriebe bieten zu wenige Möglichkeiten, auch mit einer 32-Stunden-Woche Karriere zu machen, also in langer Teilzeit. Es gilt noch immer: Wer viele Überstunden schiebt, flaggt eine hohe Arbeitsmoral und Einsatzbereitschaft und qualifiziert sich damit zu Höherem. Das aber wollen und können junge Mütter in diesem Lebensstadium nicht. Sie werden daher oft übersehen und übergangen. Für Frauen ist das enttäuschend und für Betriebe ein Verlust, da sie viel Potential ungenutzt lassen. Wir brauchen eine neue Zeitpolitik.
Wie gehen Männer an das Spannungsfeld Familie und Beruf heran? Nehmen sie es überhaupt als solches wahr?
Männer sehen, dass sich ihre Einkommen und ihre Karriere schneller als die von Frauen entwickeln. Diese offen vorgetragene Wahrnehmung hat mich überrascht. Des Weiteren äußern viele Männer den Wunsch, weniger lange zu arbeiten. Ihre Wunscharbeitszeit liegt bei etwa 35 Stunden in der Woche. Das ist kaum höher als die Wunscharbeitszeit von Frauen, die 32 Stunden beträgt. Viele junge Väter würden zudem gerne etwas mehr Elternmonate nehmen, sehen sich aber betrieblichen Nachteilen und Stigmatisierungen ausgesetzt.
Frauen und auch Männer wollen weiterhin Kinder, aber immer weniger bekommen wirklich welche. Wo sehen Sie hauptsächlich das Problem?
Ja, weit über 90 Prozent der jungen Menschen wünschen sich Kinder. Allerdings wähnen sie sich in einem kinderfeindlichen Land. Dies zeigen sie, indem sie anderen unterstellen, keine Kinder zu wollen. Bei Männern ist das besonders ausgeprägt. Man selbst will zwar Kinder, die meisten anderen Männer aber nicht. Sich gegen die wahrgenommene Mehrheit zu stellen, fällt offensichtlich schwer.
Auch die Arbeitswelt wird nicht als ermutigend wahrgenommen. Kinder zu haben heißt, auf die Karriere verzichten zu müssen – sagen zumindest die von uns Befragten. Vieles scheint ihnen auch zu unsicher: „Finde ich wirklich eine gute Kinderbetreuung für mein Kind? Was mache ich bei unregelmäßigen Arbeitszeiten? Wie überbrücke ich die langen Schulferien? Was, wenn ich keine Ganztagsschule finde?“ Wir brauchen eine höhere Verlässlichkeit.
Sie sprechen sich für eine 32-Stunden-Woche für alle aus. Worin sehen Sie die Vorteile für Eltern, Nicht-Eltern, Wirtschaft und Gesellschaft?
Alle Analysen zeigen, dass die geringeren Arbeitszeiten von Frauen die Hauptursache für ihr geringeres Einkommen sowie für ihre schlechtere Einkommens- und Karriereentwicklung sind. Darauf kann man reagieren, indem man die Erwerbstätigkeit in Vollzeit für alle fordert: Die traditionelle Arbeitsteilung bestand darin, dass Männer 100 Prozent der bezahlten Erwerbsarbeit verrichten und Frauen 100 Prozent der unbezahlten Familienarbeit. Dieses Modell würden wir dann durch eine Verdopplung der Erwerbsarbeit ersetzen. Wer aber erledigt in diesem Fall die ganzen anderen Aufgaben? Was hält einen Haushalt noch zusammen, wenn man kaum noch Zeit miteinander und füreinander hat? Ich spreche mich deshalb für eine Umverteilung der bezahlten Erwerbstätigkeit aus: Männer wären dann etwas kürzer, Frauen etwas länger als heute erwerbstätig. Damit geht der Wirtschaft kein Arbeitsvolumen verloren. Die Produktivität dürfte sich allerdings erhöhen. Familien können mehr Zeit miteinander verbringen, und anfallende Aufgaben in Kindererziehung oder Pflege können gerechter verteilt werden. 32 Stunden in der Woche sind dabei ein Richtwert, den ich als Schnitt über das gesamte Erwerbsleben vorschlage. Phasen mit deutlich längerer und Phasen mit kürzerer Erwerbstätigkeit müssen möglich sein. Franziska Woellert/ Berlin-Institut