Fast jeder fünfte Schüler versagt schon bei leichten PISA-Aufgaben – Schleicher kritisiert deshalb das CSU-Betreuungsgeld

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BERLIN. Wer mit 15 nicht einmal simpelste Schulaufgaben lösen kann, gehört im OECD-Maßstab zur Kompetenzgruppe der «Leistungsschwachen». Die Bildungsorganisation hat sich diese Schüler nun genauer angeschaut – und setzt unter anderem auf Frühförderung. Prämien zu deren Verhinderung seien jedenfalls kontraproduktiv, meint PISA-Chefkoordinator Andreas Schleicher. Und stichelt damit in Richtung CSU.

Lobt die deutschen Schulen dafür, die Gruppe der Leistungsschwachen verkleinert zu haben, aber ... : Andreas Schleicher. Foto: re:publica / flickr (CC BY-SA 2.0)
Lobt die deutschen Schulen dafür, die Gruppe der Leistungsschwachen verkleinert zu haben, aber … : Andreas Schleicher. Foto: re:publica / flickr (CC BY-SA 2.0)

Trotz spürbarer Verbesserungen im Bildungssystem nach dem «PISA-Schock» vor 15 Jahren gilt in Deutschland immer noch fast jeder fünfte fünfzehnjährige Schüler als zumindest teilweise äußerst leistungsschwach. Und nach wie vor ist der soziale Hintergrund eines Jugendlichen hierzulande ein entscheidender Risikofaktor für solches Schulversagen. Dies geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit Daten der PISA-Tests bis 2012 hervor.

Gut 140.000 Fünfzehnjährige in Deutschland erreichten demnach in diesem Zeitraum im Fach Mathematik bestenfalls das Kompetenzniveau 1, fast 70.000 Getestete waren sogar schwach in allen drei PISA-Vergleichsfeldern (Mathematik, Naturwissenschaften, Lesen und Textverständnis). «Kompetenzniveau 1 – das sind wirklich allereinfachste Aufgaben», sagte OECD-Chefkoordinator Andreas Schleicher. «Es gibt einen relativ hohen Anteil Schüler, die nicht einmal dieses elementarste Niveau erreichen.» Die OECD unterteilt den Kompetenzstand von Schülern in Stufen zwischen 0 und 6.

Gleichwohl sei der Bereich der Problemschüler «ein Feld, wo sich in Deutschland einiges bewegt hat», sagte der oft als «PISA-Papst» bezeichnete Bildungsforscher Schleicher. Und dies sei auch messbar. So ging der Anteil der Mathe-Schwachen zwischen PISA 2003 und 2012 um vier Prozentpunkte auf 18 Prozent zurück, in Lesen/Textverständnis um acht Punkte auf 14 Prozent. In Naturwissenschaften veränderte sich jedoch seit 2006 nichts mehr zum Positiven, der Problemschüler-Anteil lag zuletzt noch bei 12 Prozent. Immerhin: Der OECD-Durchschnitt, den deutsche PISA-Schüler noch vor 15 Jahren insgesamt kaum erreicht hatten, war 2012 jeweils rund fünf Prozentpunkte höher.

Schwache Schulleistungen seien «nicht das Ergebnis eines einzelnen Risikofaktors, sondern einer Kombination von mehreren Hindernissen und Benachteiligungen», so das Fazit der OECD-Studie. Daher gebe es auch mehrere Stellschrauben: Schleicher nannte frühkindliche Bildung (statt staatlicher «Prämien» für deren Verhinderung – gemeint ist offenbar das Betreuungsgeld, das zunächst auf Druck der CSU in ganz Deutschland eingeführt wurde, das es aber nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur noch in Bayern gibt), eine frühe Leistungsdiagnostik, verbindliche Bildungsstandards, mehr Ganztagsschulen, intensivere Aus- und Weiterbildung für Lehrer.

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Claudia Bogedan, bewertete die Studie insgesamt positiv. Die Bremer Bildungssenatorin sagte auf Anfrage: «Es zahlt sich somit aus, dass die Kultusministerkonferenz in den vergangenen Jahren bei ihrer Arbeit einen besonderen Blick auf die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler gelegt hat, unter anderem mit einer Förderstrategie.» Deren Umsetzung zeige «große Fortschritte, aber wir wollen natürlich den Anteil von Schülerinnen und Schülern, die keinen Schulabschluss erreichen, weiter reduzieren», so die SPD-Politikerin.

Der Chef des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, fühlte sich durch die OECD beim Thema Hausaufgaben bestätigt: «Dass besser abschneidende Schüler auch mehr Zeit in Hausaufgaben investieren, widerlegt die Kritik an deren angeblicher Sinnlosigkeit.» Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, forderte, «die Ressourcen für Bildung entsprechend der veränderten Lage dauerhaft zu erweitern». Wegen steigender Anforderungen durch heterogene Schülergruppen, große Klassen und hohe Stundenzahlen stünden die Lehrer am Rande ihrer Möglichkeiten. Ilka Hoffmann vom Vorstand der Bildungsgewerkschaft GEW sagte, statt sich dem Gerechtigkeitsproblem konsequent zu stellen, engagiere sich die KMK neuerdings besonders für Hochbegabte – dies sei der falsche Weg.

Am sechsten PISA-Test nahmen 2015 in Deutschland rund 10.000 Schüler teil. Die Ergebnisse werden am 6. Dezember veröffentlicht. dpa

Zum Bericht: Frankreich für OECD-Direktor schlechtes Beispiel schulischer Integrationsarbeit – „Deutsche Bildungspolitik hat etwas bewegt“

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Pälzer
8 Jahre zuvor

Schleichers Argumentation setzt voraus, dass „frühkindliche Bildung“ in der KiTa wertvoll, im Elternhaus dagegen wertlos sei bzw. gar nicht stattfinde. Sicher gibt es Elternhäuser, für die er recht hat; unehrlich wird die Debatte dadurch, dass man die Differenzierung gar nicht vornimmt. Jede Seite hat nur ein bestimmtes Milieu im Blick: die einen denken nur an „Benachteiligte“, die anderen nur an die Mittelschicht.
Dieses Schwarzweißdenken ist bei einem Bildungsforscher kein gutes Zeichen.

xxx
8 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Ich hatte (vor 30 bis 35 Jahren) keine bzw. kaum Förderung im Kindergarten, weil sich die Kindergärtnerinnen um die 2-3 jährigen kümmern mussten. Ein Hoch auf die gemischten Altersgruppen. Wie das heute ist, weiß ich nicht, sicherlich ziemlich anders. Generell halte ich allerdings die Herdprämie für eine finanzpolitische Katastrophe bzw. für nicht mehr und nicht weniger als ein Geschenk für die besserverdienende Wählerklientel der CSU.

mehrnachdenken
8 Jahre zuvor

Hallo, wenn ein Schulabgänger nicht lesen und schreiben kann – in Deutschland angeblich über sieben
Millionen – dann liegt das weniger an der sozialen Herkunft oder dem nicht unterstützenden Elternhaus, sondern am eklatanten Schulversagen.
Wie kann es denn sein, dass diese Kinder immer so mit durchrutschen? Als lange in verschiedenen Schulen tätige Lehrkraft ist mir das unbegreiflich!!!!!!!!!!!!!!!!!

Palim
8 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Wer sagt denn, dass sie durchrutschen? Sie sind 15 Jahre alt und besuchen die Schule. In welcher Klassenstufe sie sitzen, ist doch gar nicht genannt.

Schon in meiner 2. Klasse sitzen Kinder im Alter zwischen 6 und 9 1/2 Jahren, das setzt sich nach hinten fort. Das sechsjährige Kind liest herausragend, das 9 1/2jährige verweigert das Lesen trotz vielfältigster Förderung über mehrere Jahre.

Die Unterschiede sind schon sehr früh frappierend, die Fördermöglichkeiten müssen immer von der einzelnen Lehrerin aus erfolgen im Rahmen der normalen Stundentafel, Förderstunden sind nicht vorhanden (da gab es doch vor wenigen Tagen erst einen Artikel zu).

geli
8 Jahre zuvor

„Fast jeder fünfte Schüler versagt schon bei leichten Pisa-Aufgaben – Schleicher kritisiert deshalb das CSU-Betreuungsgeld“
Fragt sich denn niemand, warum das Schülerversagen zu Zeiten, da Kinder in den ersten Lebensjahren noch von den Eltern betreut wurden, ein weitaus kleineres Problem war als heute?
Das lächerliche Betreuungsgeld ist doch kaum mehr als eine Anerkennungsprämie für Eltern, die nach wie vor davon über zeugt sind, dass sich Kinder am besten in der Familie entwickeln. Sie bringen darum Opfer und vor allem Mütter verzichten zeitweise auf das, was gemeinhin „Selbstverwirklichung“ genannt wird und in erster Linie Berufstätigkeit bedeutet.
Die Schimpfwörter „Herdprämie“ oder „Bildungs-Fernhalteprämie“ sind diffamierende Begriffe rot-grüner Familienfeinde, die für eine staatliche Rundum-Betreuung werben, angefangen im Babyalter durch Krippen und fortgesetzt in Ganztagskindergärten und -schulen. Gegen jede Erfahrung wird das Märchen von mehr Bildung durch staatliche Aufbewahrung verbreitet und das Betreuungsgeld diffamiert, weil es Eltern verführen könnte, sich selbst um die Kinder zu kümmern anstatt sie staatlicher Fürsorge zu überlassen und sich selbst immer weniger verantwortlich zu fühlen.

Anna
8 Jahre zuvor

Wer sagt denn, dass das Schulversagen früher geringer war?

Hat ja keiner getestet. Getestet wird in Deutschland erst seit Mitte der 90er Jahre (TIMSS, dann PISA) – da war dann die Risikogruppe „plötzlich“ da.

Sabine
8 Jahre zuvor
Antwortet  Anna

Jeder Lehrer, der schon ein paar Jahrzehnte Berufserfahrung hat, wird Ihnen sagen können, dass die durchschnittlichen Schülerleistungen heute schlechter sind als früher, vom sozialen Verhalten ganz zu schweigen.
Aber das zählt ja nicht. Nur Herrn Schleichers Geschwätz ist wichtig, und wenn der sagt, dass vom ersten Pisa-Test bis heute zwar Verbesserungen stattgefunden hätten, aber noch zu wenige, dann glaubt das jeder.
Was soll der gute Mann denn sagen, damit nicht jeder denkt, die Tests seien überflüssig wie ein Kropf? Er muss doch von Verbesserungen reden, obwohl es seit dem Pisa-Schock vor über einem Jahrzehnt im schulischen Wissen und Können weiter schleichend bergab gegangen ist.

beobachter
8 Jahre zuvor
Antwortet  Sabine

„obwohl es seit dem Pisa-Schock vor über einem Jahrzehnt im schulischen Wissen und Können weiter schleichend bergab gegangen ist“

Das ist – nach meinen Erfahrungen – schlichtweg „falsch“. Nun, mir ist bewusst, dass es viele verschiedene Lebenszusammenhänge/Erfahrungen gibt – aber ich kann mir nicht erklären, wie Sie zu dieser Meinung kommen. Wie gesagt, als „intensiver Begleiter“ insbesondere der naturwissenschaftlichen und der mathematischen Bereiche sehe ich hier (glücklicherweise!) doch eine sehr positive Entwicklung.

Ich kann mich noch sehr gut an den TIMSS-Schock 98 erinnern (nicht PISA, das war einige Jahre später), als sich die BRD-Bildungslandschaft das 1. Mal wieder auf internationales Vergleichsterrain begeben hatte/eingelassen hat (Seit Mitte der 70er hatten es die „Bildungsverantwortlichen“ ja gar nicht nötig, da die Meinung vorherrschte, dass in diesen Bereichen die dt. Schule Spitze ist!).. Das Ergebnis damals (ähnlich der 1. PISA-Studie) war niederschmetternd, das ist ja bekannt. Aber die Programme (z.B. SINUS oder SINUS-Transfer oder oder), die dann angelaufen sind – und die Aufwertung der Lehrerbildung (mit neuen inhaltlich-methodischen Konzepten, z. B. Chik oder Bik oder Pyko …. sie sehen ich orientiere mich hauptsächlich am nawi-Bereich) ja, die haben auf vielen Ebenen etwas bewirkt! Siehe die Entwicklung der PISA-Ergebnisse für die BRD über die Jahre hinweg.
Auch meine Erfahrungen mit Schulabgängern oder im Bereich Fort- und Weiterbildung bestätigen diesen Befund. Wie gesagt, ich kann nur über Nawi-Bildung reden, ein wenig über mathematische Sachen, da ich – als alter Mathe-Lehrer, diesen Bereich auch mit besonderem Interesse verfolge.
Zum 3. Bereich (und wir sollten klarstellen, dass PISA nur zu diesen drei Bereichen Daten erhebt!), den PISA immer besonders im Auge hat, nennen wir es „Lesekompetenz“, nun ja, da sieht es differenzierter/schwieriger aus. Da gebe ich Ihnen Recht. Warum? Schwierig! Der Trend geht zum Zweitbuch. Ich weiß es nicht, es ist nicht mein Arbeitsschwerpunkt.
Aber insgesamt ist Pisa in meinen Augen eine gute Sache für unser Bildungssystem, bei allen Schwächen in der Testkonstruktion oder der Abbildung/Verallgemeinerung von Realsituationen. Auch, da es eine starke Aufwertung der fachdidaktischen Disziplinen (im nawi- und math-Bereich) in der Lehrerausbildung und Fortbildung (hier natürlich wiederum bezogen auf Nawi-Fächer) zur Folge hatte. Und denken Sie doch bitte an die vielen, vielen guten Materialien oder „neuen“ Methoden, die endlich Einzug gehalten haben in den trockenen, theoriebestimmten, verstaubten Unterricht. 😉

Pälzer
8 Jahre zuvor
Antwortet  Anna

Ein Maß für Schulversagen ist vor allem das, was die Menschen NACH der Schule dann machen können, ob sie Arbeit finden, ob sie mit Behörden und Alltagsanforderungen zurechtkommen. Wir haben natürlich nur die Zeit seit ca. 1980 vor Augen, aber in dieser Zeit ist der Anteil der Problemfälle sehr gestiegen. Natürlich sah man die Risikogruppe auch schon vor den Tests, aber da wurde es dann „amtlich“.

Palim
8 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

„Ein Maß für Schulversagen ist…“ für mich z.B. auch, wie viele funktionale Analphabeten es gab und gibt.
Ob es da belastbares Zahlenmaterial zu gibt?

Anna
8 Jahre zuvor

@ Pälzer

Wenn Arbeitslosigkeit das Kriterium ist, dann haben wir es bildungsmäßig mit einer goldenen Generation zu tun: Noch nie war die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland so niedrig wie heute, noch nie waren so viele (junge) Menschen in Arbeit wie heute. Aber da ist ja durchaus etwas dran: Wenn junge Menschen gut in den Beruf kommen, kann das Rüstzeug, das sie in der Schule dafür mitbekommen haben, so schlecht ja nicht sein.

@ Sabine

Nein, das sagt beileibe nicht jeder Lehrer mit langer Berufserfahrung. Natürlich gibt es Unterschiede in den Schülergenerationen – die Kinder heute sind sehr viel multikultureller als früher und bringen sicherlich auch das ein oder andere Problem heute mit in den Unterricht (Medienüberreizung z. B.), das es vor 25, 30 Jahren so nicht gab. Die Kindheit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ja auch dramatisch verändert. Auf der anderen Seite bringen heute Schüler eine Weltläufigkeit und ein Selbstbewusstsein mit, das durchaus lernförderlich sein kann – schauen Sie sich mal den Fremdsprachenunterricht in der Sek I an, ein Quantensprung gegenüber früher. Wenn man immer nur auf Orthografie und Kopfrechnen herumreitet, klar, dann ist die Welt ein Jammertal.

Erschreckend bei Ihrem Statement finde ich allerdings die Wissenschaftsfeindlichkeit, die daraus hervorschimmert. Eine Studie zu lesen und zu verstehen, haben Sie offenbar nicht gelernt – anders kann ich mir Ihre plumpe und, sorry, dumme Pauschalkritik an PISA nicht erklären. Da scheint in Ihrer Schulzeit auch nicht alles bestens gelaufen zu sein …