Qual oder wichtige Forschung? Tübinger Neurologen verteidigen ihre Affenversuche

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TÜBINGEN. Wichtige Forschung oder sinnlose Tierquälerei? Am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik hat sich ein Streit um Tierversuche entzündet. Vor dem Internationalen Tag des Versuchstiers erklären die Forscher ihre Arbeit. Ein Besuch im Labor.

Johanns Augen werden immer kleiner. Langsam schieben sich die Lider des Äffchens wie Rollläden über seine Pupillen. Das Versuchstier sitzt in einem Primatenstuhl – einem verriegelten Plexiglas-Kasten, aus dem nur sein Kopf schaut.

Sobald auf dem Bildschirm vor ihm ein grüner Punkt aufblitzt, soll Johann einen Hebel loslassen. Tut er das im richtigen Moment, kommen ein paar Tropfen Flüssigkeit aus dem Schlauch vor seinen Lippen. Johann ist alleine in dem dunklen Raum, kann sich fast nicht bewegen, stundenlang. Was wohl in seinem Kopf vorgeht?

«Johann hat heute keinen Bock», sagt ein Laborant, der auf einem Computer im Nebenraum die müden Affenaugen beobachtet. Was in Johanns Kopf vorgeht, sollen ihm die farbigen gezackten Linien verraten, die hastig über den Monitor flimmern, auf- und abstürzen wie Aktienkurse. «Mit diesen Versuchen wollen wir verstehen, wie die Informationsverarbeitung im Gehirn funktioniert», sagt der Forscher.

Doch Johann schläft ein. «Da kann man nichts machen, ich bin auf seine Kooperation angewiesen», sagt der Doktorand. Seinen Namen will er lieber nicht in der Zeitung lesen – auch seine Kollegen in den Laboren nicht. Sie stecken alle in Kitteln und Kopfhauben, tragen Handschuhe und Mundschutz.

Hausbesuch im Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen – vor dem internationalen Tag des Versuchstiers am 24. April, der auf die Schicksale von Versuchstieren aufmerksam machen soll. Wie unter einem Brennglas hat sich an dieser Forschungseinrichtung der Streit um Tierversuche entzündet. Kern der emotionalen Debatte: Dürfen Menschen Tieren im Namen der Wissenschaft Leid zumuten? Grundlagenforscher halten Tierversuche für unverzichtbar, Tierschützer für grausam und sinnlos.

Fakt ist: Trotz heftiger Kritik wird in deutschen Laboren an Tieren geforscht. Nach Angaben des Bundesagrarministeriums wurden 2014 rund zwei Millionen Wirbeltiere und sogenannte Kopffüßer für Tierversuche verwendet. «Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft kann auf Tierversuche – trotz des vermehrten Einsatzes von Alternativmethoden – nicht vollständig verzichtet werden», sagt Ministeriumssprecherin Jennifer Reinhard.

Doch wenn es Tierschützern gelingt, heimlich in den Versuchslaboren zu filmen, schockieren die Bilder oft Millionen Menschen und Rufe nach einer tierfreien Forschung werden laut.

So war es auch in Tübingen, als sich im Herbst 2014 ein Tierschützer als Pfleger in das Institut eingeschleust und heimlich mit versteckter Kamera Bilder gemacht hatte. Die Aufnahmen zeigen Affen mit Gehirn-Implantaten, eines der Tiere hat einen blutverschmierten Kopf, einem anderen läuft Spucke oder Erbrochenes aus dem Mund. Tierschützer riefen zu Demonstrationen und Mahnwachen gegen das Institut auf.

Die Umarmung der Mutter stärkt Affenjunge für ein gesundes Leben Foto: 陈霆, Ting Chen, Wing/flickr (CC BY-SA 2.0)
Darf man Affen in Laboren benutzen? Darüber streiten sich Experten seit langem.  Ting Chen, Wing/flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Aktivisten prangern auch an, dass ein «Geheimnisschleier» über den Tierversuchs-Laboren liege. Instituts-Pressesprecherin Christina Bornschein schüttelt den Kopf. Das Institut gewähre bereits seit mehreren Jahren offen Einblicke, betont sie. Transparenz sei sogar enorm wichtig.

Rundgang in der Primatenhaltung. Die Affen in den Gehegen übergeben sich heute nicht, kauern weder apathisch in der Ecke, noch haben sie blutüberströmte Köpfe. Manche Tiere sehen müde und erschöpft aus, wirken schreckhaft, machen Drohgebärden. Andere sind neugieriger, springen von Seil zu Seil, klettern auf den Holzbäumen und Autoreifen in den Gehegen herum oder lausen sich in aus Feuerwehrschläuchen gebastelten Hängematten.

Trotz der Urwald-Geräusche aus den Lautsprechern kommt kein Dschungel-Feeling auf. In den Käfigen sind geschätzt 50 Rhesusaffen, Langschwanz-Makaken und Weißbüschelaffen, eingesperrt in Zweier- bis Vierergruppen. Einige Ställe sind vergittert, andere aus bruchsicherem Glas, die Wände sind in Grüntönen gestrichen, einige Ställe haben Zugänge zu Freiluftgehegen.

Doch dass hier kein Zoo ist, verraten die Implantate, die aus den Köpfen der meisten Tiere ragen und die mit Zement und kleinen Schrauben in deren Schädeldecke fixiert sind. Displays an den Gehegen geben Auskunft über die Insassen: Auf ihnen stehen Nummern und Namen, wie Gloria, Halla oder Izzy – und die jeweiligen Versuchsvorhaben.

Die Verantwortung dafür trägt Institutsleiter Nikos Logothetis. Der bärtige Grieche sitzt in Raum 120 zwischen Aktenordnern. Im Büro des international renommierten Hirnforschers sieht es so spektakulär aus wie in einer Behörde.

Für seine Arbeit wird der 65-jährige Neurologe hoch geschätzt. Erst vor Kurzem bekam er von der Akademie von Athen eine der höchsten griechischen Auszeichnungen im Bereich der Wissenschaften verliehen. Seine Forschung habe beispielsweise erstmalig gezeigt, dass das Konzept des Bewusstseins mit einer Schnittstelle in der Hirnrinde verknüpft sei, hieß es.

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Für Tierschützer ist Logothetis eine Hassfigur. Wegen seiner Forschungen wurde er öffentlich angefeindet und beleidigt, er bekam Morddrohungen. Schließlich gab er auf, kündigte an, seine Arbeit an Primaten bis Ende dieses Jahres einzustellen und künftig lediglich mit Nagern weiterzuarbeiten.

Lange ist Logothetis vor der Presse abgetaucht, jetzt will er erklären – aber nicht rechtfertigen. «Kein Tier würde sich bewerben, um in einem Labor als Versuchstier arbeiten zu dürfen», sagt Logothetis in griechischem Akzent, er wirkt emotional, spricht auch mit den Händen.

Was er tut, tut Logothetis aus Überzeugung. Für seine Forschungen schneidet der Neurologe den Affen die Schädeloberfläche auf und bringt Implantate an. Durch die schiebt er hauchdünne Elektroden direkt in die Affenhirne – um während der Experimente die Aktivität der Nervenzellen zu messen.

Seine Untersuchungen sollen mit eine Grundlage dafür sein, irgendwann Krankheiten wie Epilepsie, Autismus, Depression, Alzheimer, Parkinson oder Demenz behandeln zu können. «Ohne Primatenversuche gibt es nicht den Bruchteil einer Chance, diese Krankheiten überhaupt nur ansatzweise zu verstehen», sagt er.

Doch von Tierschützern wird solcher Nutzen in Zweifel gezogen. «Wir alle möchten, dass Krankheiten wie Krebs und Alzheimer besiegt werden», sagt Tierschützerin Tanja Breining, die gegen Logothetis Forschungen auf die Straße geht. Aber: «Tierversuche brachten bislang nicht den Durchbruch.» Stattdessen spielten sich in den Versuchslaboren qualvolle Szenen ab.

Logothetis widerspricht. Leid fügt er den Primaten aus seiner Sicht nicht zu. «Sie können kein Tier – erst recht keinen Affen – zu etwas zwingen», sagt er. «Man kann mit einem Affen anspruchsvolle Experimente nur durchführen, wenn er sich wohlfühlt und sich konzentrieren kann.»

Dennoch verläuft nicht immer alles reibungslos. Zum Beispiel könne es bei Operationen zu Hirnverletzungen kommen. Dabei könnten Übelkeit, Lähmungen und Infektionen auftreten, die entsprechend behandelt würden, erklärt Logothetis. Er versichert: «Postoperativ werden die Affen so gut wie möglich behandelt.»

Die eigentlichen Versuche bei den Affen seien auch schmerzlos, da das Gehirn kein Schmerzempfinden habe. Eine nach EU-Belastungskatalog eingestufte «mittlere Belastung» stelle für einige Tiere lediglich die Wasserkontrolle dar. Tierschützer beschreiben das als Qual: Tage vorher würden die Affen nichts zu trinken bekommen, damit sie bei den Versuchen kooperieren.

«Tierversuche sind grausam, teuer und haben eine unglaubliche Fehlerquote», sagt Friedrich Mülln von der SOKO Tierschutz. Der Verein führt die Kampagne gegen die Tübinger Forschungseinrichtung an. Die Tierschützer sind mit ihrem Protest lange nicht am Ende. Im Gegenteil: Im Frühjahr soll es eine erneute Protestwelle gegen die Tierversuche geben, Demos, Menschenketten, Mahnwachen.

«Ich höre nicht wegen der Anfeindungen der Tierschützer auf», betont Logothetis. Vielmehr habe ihm der Rückhalt aus der Wissenschaft gefehlt. Auch von der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) fühlt er sich im Stich gelassen. Er kritisiert die verhaltene Reaktion der Wissenschaft auf die Drohungen der Tierschützer, mehr Offensive hätte er sich gewünscht.

«Die Behauptungen vieler aktivistischer Organisationen, Grundlagenforschung sei gefährlich und wertlos für die Medizin, sind schockierend», sagt Logothetis. «Mir ist nicht klar, ob dies aus Unverständnis oder Berechnung heraus behauptet wird.»

Die Max-Planck-Gesellschaft gibt dem Affenforscher Rückendeckung. «Da Primaten und Menschen sehr ähnliche Gehirne haben, bleiben Experimente an Primaten von entscheidender Bedeutung», sagt MPG-Sprecherin Christina Beck. «Hirnforschung ist daher dringend notwendig und wird wahrscheinlich noch zunehmen.»

Die Tierschützer halten Logothetis Rücktrittsankündigung für einen Bluff. «Die Tiere sitzen immer noch in den Käfigen und werden zu Versuchen gezwungen», sagt Aktivist Mülln. «Nach unseren Informationen kam es seit der Aufdeckung zu mehreren schweren Zwischenfällen, bei denen Affen gelähmt wurden oder in deren Folge Affen getötet werden mussten.» Ziel sei ein echtes Ende der Affenversuche.

Ob es in den Tübinger Laboren Verstöße gegen das Tierrecht gab oder gibt, ist bis heute unklar. Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch, prüft Anzeigen von Tierschützern – wegen des Verdachts der Tierquälerei und der Tiertötung ohne vernünftigen Grund. In der Zwischenzeit gehen die Forschungen im Tierversuchs-Labor weiter. Die Frage, was in Johanns Kopf vorgeht, ist noch nicht geklärt. Jonas Schöll/dpa

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