Frau Weh im Stress: das (Schuljahres-)Ende naht – eine Kolumne

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DÜSSELDORF. Da ist er, der Schuljahresendstress. Ein bisschen früh dran in diesem Jahr. Dafür aber – so scheint es – schlägt er diesmal nicht nur zu, nein, er stürzt sich gewaltbereit und bis an die Zähne bewaffnet auf die wehrlose Lehrkraft, zerrt sie hinter die Tafel und gibt ihr so richtig eine auffe Zwölf.

Oder wie ist es sonst zu erklären, dass sich annähernd kein Zweitklässler mehr mit der Uhr auskennt? Ach was, sie kennen sich nicht nur nicht damit aus, sie bestreiten jeglichen Kontakt mit der Materie. Die Uhr? Haben wir nie gelernt, Frau Weh! Hast du uns noch nie was von gesagt! Nur den Beginn der Frühstückspause, ja den kennen sie. Man könnte vermuten, sie hätten heimlich einer Gewerkschaftssitzung beigewohnt, so sicher und einig sind sie sich in der Wahrung ihrer Rechte.

Ansonsten Geschrei an allen Fronten. Frau Killefitz-Klette fällt ganz plötzlich auf, dass es ja bald ein Notenzeugnis gibt ihre Tochter ein ernstzunehmendes Matheproblem hat, welches zwar von mir bereits mehrfach angesprochen wurde, aber erst heute, jetzt, in diesem Moment! so wichtig wird, dass sie umgehend einen Termin wünscht. Sie kann heute entweder um 10.15 Uhr oder dann ab 17.00 Uhr.

Die Klassenpflegschaft, die ein deutlich besseres Gespür für Timing hat und mich nach Schulschluss im Flur abfängt, möchte ganz schnell noch ein Sommerfest auf die Beine stellen, gerät dabei aber in Terminkollision mit dem Abschlusskonzert der kooperierenden Musikschule. Mein (nicht ganz selbstloser) Vorschlag, beides zu kombinieren, stößt auf beidseitige Empörung. „Es gibt eine Zeit zu feiern und eine Zeit zu tröten!“, verkündet die Pflegschaft. Über das diskriminierende Wort „tröten“ empört sich die Musikschulkraft lautstark. Man muss nicht sonderlich empathisch veranlagt sein, um die in den letzten 25 Jahren Blockflötenunterricht erlittenen Verletzungen und Beleidigungen zu spüren, die den Worten innewohnen. Mit der Mitteilung, ich sei dabei, mit oder ohne Blockflöte, überlasse ich die Damen sich selber und suche schleunigst das Weite, bevor noch jemand Feuer fängt.

Auch bei der Abi-Feier im Bad Homburger Jubiläumspark blieb alles friedlich. Foto: MdE (de) / Wikimedia Commons (CC-BY-SA-3.0)
Ach wäre das Schuljahresende doch  friedlich – Hier der Springbrunnen im Bad Homburger Jubiläumspark. Foto: MdE (de) / Wikimedia Commons (CC-BY-SA-3.0)

Ja, die Eltern werden nervös, die Kinder hibbelig, die Kolleginnen dünnhäutig und die Schulleitung möchte frühzeitig Zeugnisse sehen. Aber ich muss ja noch die Uhr … und überhaupt, die Zeugnisse! Ach je! Die schuleigenen Arbeitspläne mahnen mich zur Quadratur des Kreises. Wie sonst wohl sollte ich noch drei zwei Sachunterrichtsthemen schaffen, beobachten die Zweitklässler doch seit Wochen hingebungsvoll ihre Schnecken, die in einem Terrarium im Klassenzimmer wohnen. Da wird gemessen, gewogen, gefüttert und, ja, geliebt. Die Kinder die Schnecken und die Schnecken … nun ja, die Schnecken sich selber. Sieht irgendwie auch ganz putzig aus. Wusstet ihr übrigens, dass das corpus delicti bei Schnecken Liebespfeil heißt? Ramon zumindest interessiert sich sehr für das Liebesleben der Viecher und hat bereits eine Tabelle zur Häufigkeit des Paarungsaktes entworfen. Der Zweck heiligt die Mittel und Tabellen musste er sowieso noch üben.

Wenn wir richtig leise arbeiten, Frau Weh, dann können wir die Schnecken fressen hören!“, stellt Finnja erfreut fest und ich denke ganz egoistisch, warum sich jetzt noch den Stress mit einer Magnetwerkstatt antun, wenn man es stattdessen schneckenleise in der Klasse haben kann?

„Schneckenleise ist das neue kompetenzorientiert!“, erkläre ich also dem Chef selbstbewusst, als er mich auf meine fehlenden Sachunterrichtsthemen anspricht. Für ein längeres Gespräch bleibt keine Zeit, ich habe einen Termin mit der Schulpsychologin und der Mutter von Ramon. Mal wieder. Aber, hey, zum letzten Mal in diesem Schuljahr! Noch fünf Wochen, geht mir durch den Kopf, das wuppen wir doch ganz lässig. Ich schreibe noch schnell einen neuen* Schneckenwitz** an die Seitentafel und harre der Dinge, die da noch so kommen.

* unbedingt empfehlenswert ist das Anlegen einer Witzekartei (nicht nur) zu den einzelnen Unterrichtsthemen. Kinder LIEBEN Witze. Sie verstehen sie nicht und erzählen können sie sie meist auch nicht, aber sie LIEBEN sie.

** Treffen sich zwei Schnecken im Wald. Eine der beiden ist total zerschrammt. Fragt die eine:
„Was hast du denn angestellt?!“
Antwortet die andere:
„Ich bin mit Vollgas durch den Wald gerannt, da schießt plötzlich vor mir ein Pilz aus dem Boden! Da konnte ich echt nicht mehr bremsen.“…

Die kleine My ist das digitale Ich von Frau Weh. (Foto: Privat)
Die kleine My ist das digitale Ich von Frau Weh. (Foto: Privat)

Witz, Charme und einen tiefen Blick in die Seele einer Grundschullehrerin erlaubt Frau Weh auf ihrem Blog “Kuschelpädagogik” und auf www.news4teachers.de. Frau Weh heißt im wahren Leben nicht Frau Weh, aber ihre Texte sind häufig so realitätsnah, dass sie lieber unter Pseudonym schreibt.

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ysnp
7 Jahre zuvor

Ein lustiger Artikel, der so kleine Wahrheiten beschreibt. Mit dem Stoff: Da kann man nur sagen „Mut zur Lücke.“ Gerade die Sachkundelehrpläne sind gerne überfrachtet. Entweder macht man weniger Themen gründlich oder man hetzt alle Themen durch. Allerdings versucht man in Deutsch und Mathe die wichtigenThemen, wenn man eine Klasse abgibt, tatsächlich alle zu schaffen. Das gelingt auch meistens, wenn man bis knapp vor Schuljahrsende – manchmal zum Leidwesen der Schüler – durchhält.
Hektische Eltern am Schuljahrsende kenne ich jetzt weniger, eher nachlassende. Dass ein Schulleiter am Schuljahrsende auf die Idee kommt, nach dem gemachten Unterrichtsstoff zu fragen und dann einen Lehrer in Erklärungsnot bringt, kenne ich jetzt auch nicht so.