BERLIN. Rund 2,8 Millionen Studierende starten jetzt ins Wintersemester. «Von wegen lange schlafen und Party machen» – so warnt das Deutsche Studentenwerk vor Klischees. Eine aktuelle Umfrage ermittelt sogar massive Stressgefühle bei gut der Hälfte aller Studenten.
Es ist schon eine Weile her, dass ein Radiomoderator seine Mittagsmagazin-Hörer so begrüßte: «Guten Tag, meine Damen und Herren – guten Morgen, liebe Studenten!» Doch Vorurteile über das lockere Studentenleben halten sich hartnäckig. «Die schlafen lange» und «machen viel Party» – solche Einschätzungen hörte das Deutsche Studentenwerk (DSW) kürzlich bei einer Berliner Straßenumfrage zu seiner 21. Sozialerhebung. Diese soll bis Sommer 2017 aktuelle Daten und Fakten zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studenten in Deutschland liefern. Was weiß man derzeit?
ES WERDEN IMMER MEHR: 2,8 Millionen (2012: 2,5 Millionen) studieren im Wintersemester 2016/17, und zwar überwiegend an den rund 240 Hochschulen in staatlicher Trägerschaft. Tendenz steigend – mit entsprechenden Begleiterscheinungen wie überfüllten Hörsälen und Seminaren. Seit Jahren strömen jeweils 500.000 Erstsemester an die Unis, auch immer mehr Ausländer, für die Deutschland ein attraktiver Hochschulstandort ist. Etwa ein Viertel der Studierenden hat Migrationshintergrund – und immer noch die Hälfte Eltern mit akademischem Abschluss. Rund 30 Prozent gehen während des Studiums ins Ausland – diese Quote soll noch steigen. Und etwa jeder 15. Studierende ist schon verheiratet.
DER STRESS STEIGT: Gut die Hälfte der Studenten (53 Prozent) fühlt sich nach einer Umfrage massiv überfordert, ihr Stressgefühl ist also ausgeprägter als bei Beschäftigten in regulären Jobs (50 Prozent). Einen Grund für den hohe Belastungsgrad bei Studenten sehen Wissenschaftler aus Potsdam und Hohenheim in der «Bologna-Reform» von 1999 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes, die mit verstärktem Prüfungsstress einherging. Allerdings sei in Deutschland die «Stressresilienz» (die Widerstandsfähigkeit im Umgang mit Belastungen) bei Studierenden wohl auch besonders gering ausgeprägt. Hier geht es zum Bericht über die Studie.
EINE 40-STUNDEN-ARBEITSWOCHE REICHT NICHT: Laut DSW wenden Studenten in Deutschland im Schnitt 35 Wochenstunden für Vorlesungen, Seminare, Hausarbeiten und Recherchen an ihrer Uni auf, hinzu kommen etwa sieben Stunden für Nebenjobs. Und gut jeder Fünfte muss neben der Hochschule für seinen Lebensunterhalt so viel arbeiten, dass er «faktisch Teilzeit» studiert, ergab die Sozialerhebung 2012. Zugleich soll ein Bachelor-Student nach nur sechs Semestern den ersten akademischen Abschluss in der Tasche haben – im Prüfungsjahr 2014 schafften es gleichwohl nur 46 Prozent in der Regelstudienzeit.
BAFÖG HILFT NICHT MAL EINEM VIERTEL: Knapp drei Milliarden Euro ließ sich Vater Staat die Ausbildungsförderung im Vorjahr kosten. Damit wurden nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes 611.000 Studierende gefördert – vor vier Jahren waren es 60.000 mehr. Mit der zum Wintersemester umgesetzten Bafög-Reform wird nun manches besser: Es gibt mehr Geld – so steigt der Höchstsatz für Studierende, die nicht bei den Eltern wohnen, von 670 auf 735 Euro. Und der Kreis der Geförderten soll um 110.000 wachsen. Zum Vergleich: Schon 2012 verfügten «Normalstudierende» – meist von den Eltern unterstützt – über durchschnittlich 864 Euro pro Monat.
STUDENTENBUDEN WERDEN ZUM LUXUSGUT: Gut 37 Prozent mehr Miete als vor sechs Jahren müssen Studierende für eine Wohnung in Berlin hinblättern, in München und Stuttgart, aber selbst in Osnabrück sieht es ähnlich dramatisch aus. Diese Mietpreisdynamik macht Studenten bundesweit zu schaffen. Zugleich ermittelte das DSW, dass sich Studierende zu 27 Prozent ein WG-Zimmer wünschen, zu 26 Prozent eine Wohnung alleine und zu 31 Prozent eine Bleibe mit Partner, eventuell auch mit Kind. Im «Hotel Mama» wollten nur 6 Prozent bleiben, in einem Studentenwohnheim 9 Prozent. «Der Anteil derjenigen, die als Studenten noch bei den Eltern wohnen, könnte anwachsen», sagte DSW-Manager Achim Meyer auf der Heyde der Deutschen Presse-Agentur.
SCHULDENMACHEN IST UNBELIEBT: Trotz wachsender Mietbelastung werden immer weniger Studienkredite in Anspruch genommen. Die Zahl der 2015 abgeschlossenen Kreditverträge sank im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent, ermittelte das Gütersloher Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). «Es gibt in Deutschland eine Mentalität, sich möglichst wenig zu verschulden», so DSW-Generalsekretär Meyer auf der Heyde. «Das hat sich schon früher bei der Einführung von Studiengebühren gezeigt – wer sich die nicht leisten konnte, hat eher gejobbt als einen Studienkredit aufzunehmen.» Stipendien kommen in Deutschland eher wenigen zugute. So erhielten im Vorjahr gerade mal 24.300 Studierende das vom Bund und privaten Geldgebern geförderte «Deutschlandstipendium» – eine eher durchwachsene Bilanz. Von Werner Herpell, dpa