STUTTGART. Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hat sich gerade mit ihrem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmannn (Grüne) einigen können, da kündigt sich neuer Streit an. Gerade hat sie den Rotstift für wichtige Bildungsprojekte abwehren können. Jetzt verlangen Lehrerverbände von ihr, auch weitere vorgesehene Kürzungen zu verhindern.
Trotz des beigelegten Streits innerhalb der grün-schwarzen Koalition um fehlende Lehrer in Baden-Württemberg schlagen Lehrerverbände weiter Alarm. «Wer Ganztagsschule und Inklusion ausbauen, Informatik neu einführen und zugleich bei gleichbleibenden bis steigenden Schülerzahlen im Bildungsbereich Stellen abbauen will, muss mit einer Qualitätsminderung rechnen», erklärte die Direktorenvereinigung, in der die Leiter der Gymnasien organisiert sind, am Montag. Der Berufsschullehrerverband verlangte, dass die beruflichen Schulen von weiteren, im kommenden Schuljahr geplanten Stellenstreichungen verschont bleiben.
Mit ihrer Kritik bezogen sich die Verbände auf die Pläne der Landesregierung, im kommenden Schuljahr rund 1000 Lehrerstellen zu streichen. Dazu sagte ein Sprecher von Kultusministerin Eisenmann: «Diese Stellen erbringt das Kultusministerium, daran ändert sich nichts.» Die Ministerin stehe zum Kurs der Landesregierung, zu konsolidieren und zugleich zu investieren. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wies darauf hin, dass derzeit – sechs Wochen nach Schuljahresbeginn – noch nicht einmal der Pflichtunterricht gesichert sei.
“Fauler Kompromiss”
Unabhängig von der vorgesehenen Streichung von 1000 Stellen stellt Grün-Schwarz für drei zentrale Bildungsvorhaben im nächsten Schuljahr doch mehr Ressourcen bereit. Insgesamt 320 zusätzliche Stellen sollen 2017/18 für den Ausbau des Unterrichts von behinderten und nicht behinderten Schülern (Inklusion), für mehr Ganztagsschulen und den Informatikunterricht hinzukommen. Eisenmann hatte zuvor angekündigt, die drei Vorhaben wegen Lehrermangels auszusetzen. Damit hatte sie Streit in der grün-schwarzen Regierung ausgelöst, der nun beendet ist. Die GEW prangerte dies als Kompromiss an, der «in Wahrheit ein Debakel für die Bildungspolitik in Baden-Württemberg» sei.
Nach Darstellung der Direktorenvereinigung musste das Gymnasium als am meisten nachgefragte Schulform in den vergangenen Jahren massive Kürzungen hinnehmen; der Umfang der Aufgaben sei zum Teil aber noch größer geworden. Der Stellenabbau werde sich «im Pflichtbereich sowie bei wichtigen Ergänzungs- und Förderangeboten und insgesamt bei der Qualität aller schulischen Arbeit auswirken».
Auch die Berufsschullehrer sehen angesichts eines bereits im Stundenplan berücksichtigten strukturellen Defizits, einer Überstundenbugwelle, verstärkter schulischer Integration von Flüchtlingskindern, Inklusionsanforderungen und einer fehlenden Vertretungsreserve keinen Spielraum für weitere Einsparungen. Vielmehr seien mehr Stellen nötig, sagte Verbandschef Herbert Huber. Er fordert 880 neue Stellen für das Schuljahr 2017/18.
GEW-Landeschefin Doro Moritz beklagte, dass das Stopfen der Löcher bei Inklusion, Informatik und Ganztag auf Kosten der Grundschüler gehe. «Wieder einmal sind Versprechen wie “Auf den Anfang kommt es an” billige Sonntagsreden.» Im Bundesvergleich hätten die Grundschulen im Südwesten die schlechteste Lehrer-Schüler-Relation, fügte sie mit Blick auf Angaben der Kultusministerkonferenz hinzu. Das Ministerium bestritt jedoch, an den Grundschulen zu sparen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg rief die Landesregierung auf, den Ausbau der Ganztags- und Gemeinschaftsschulen nicht zu bremsen. Diese böten optimale Bedingungen, soziale Benachteiligungen jeglicher Art auszugleichen, und den Bedarf der Wirtschaft nach gut ausgebildeten Schulabgängern zu decken.
Die FDP-Landtagsfraktion bezeichnete die Pläne Eisenmanns als realitätsfern. «Man kann nicht gleichzeitig Ganztagsschulen, die Inklusion und den Informatikunterricht ausbauen und Lehrer einsparen», meinte Bildungsexperte Timm Kern. Er befürchte eine schlechtere Unterrichtsversorgung insgesamt. dpa
Zum Bericht: Streit beigelegt: Eisenmann setzt sich vorerst durch, kommt aber unter Beobachtung