Palucca Hochschule in Dresden: Das Leben für den Tanz ist oft mit blutenden Füßen verbunden

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DRESDEN. An der Palucca Tanzhochschule in Dresden – Deutschlands einziger Hochschule für den Tanz – leben viele einen Traum. Nicht alle können sich das leisten. Eine Stiftung soll begabten, aber armen Tänzern helfen.

Die Namenspatronin der Hochschule, die Tänzerin und Tanzpädagogin Gret Palucca (1902 - 1993). Foto: Wikimedia Commons
Die Namenspatronin der Hochschule, die Tänzerin und Tanzpädagogin Gret Palucca (1902 – 1993). Foto: Wikimedia Commons

Den Erfolg ihres Engagements kann Ingeborg Zinnert nicht mehr erleben. «Es ist unglaublich, wie viel Kraft die Seele dem Körper zu verleihen vermag», stand ein Ausspruch Wilhelm von Humboldts in ihrer Todesanzeige, als die Dresdnerin im Oktober 2012 mit 76 Jahren nach schwerer Krankheit starb. Er könnte als Credo für das Leben dieser Frau gelten. Knapp zwei Jahre zuvor hatte sich Zinnert entschlossen, ihre Ersparnisse in einen Traum zu stecken, den sie selbst nicht ausleben konnte.

36.000 Euro steckte Zinnert in eine Stiftung, die Studierende der Palucca Schule – Deutschlands einziger eigenständiger Tanzhochschule – unterstützen möchte. Sie selbst hätte eine solche Hilfe dringend gebraucht, als sie 1952 Palucca-Schülerin und in einer äußerst schwierigen Lage war. Die damals 16-Jährige war auf sich allein gestellt, als man ihre alleinerziehende Mutter wegen angeblicher Schmuggelgeschäfte ins Zuchthaus steckte.

«Täglich stand ich unter einem unsagbar psychischen Druck, dass ich von der Palucca Schule exmatrikuliert und von meinen dortigen Freundinnen verstoßen werden könnte, da ja laut DDR-Staat nur Schwerverbrecher im Zuchthaus saßen», schrieb sie 40 Jahre später. Eines Tages brach sie in der Schule zusammen. Der Arzt riet ihr, das Studium für ein Jahr zu unterbrechen. Zinnert suchte sich eine Arbeit bei der Deutschen Post. Der Nachtdienst zehrte an ihrer Gesundheit. Bei einem Unfall geriet sie unter eine Straßenbahn und verlor ein Bein. Der Traum von einem Leben als Tänzerin war ausgeträumt.

Dennoch blieb Zinnert dem Tanz verbunden. Als sie von ihrer tödlichen Krankheit erfuhr, entschied sie sich, ihr Geld in die Zukunft des tänzerischen Nachwuchses zu stecken. Ihre Ersparnisse sollten zur «Tanzausbildung talentierter Schülerinnen und Schüler, die auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind», dienen, formulierte die Todkranke in einen Brief an den Förderverein der Palucca Hochschule: «Ich erwarte, mit meinem mühsam ersparten Geld sorgfältig umzugehen.» Das Geld von Ingeborg Zinnert sollte den Grundstock für das künftige Stiftungsvermögen bilden.

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In der Gründungsphase

«Zum Schluss seines Lebens einen solchen Bogen zu schlagen, ist nicht untypisch für die Palucca-Familie», sagt Heidrun Müller, erste Vorsitzende des 1995 gegründeten Vereins Freunde und Förderer der Palucca Hochschule und heute dessen Beraterin. Müller studierte von 1958 bis 1963 an der berühmten Lehranstalt und arbeitete später als Bühnentänzerin in Dresden und Berlin. Zinnert wollte seinerzeit als Spenderin anonym bleiben. Fünf Jahre nach der großzügigen Spende hält es der Förderverein nun aber für angebracht, an ihr Engagement zu erinnern. Schließlich kann es anderen als Vorbild dienen.

Noch befindet sich die Stiftung in der Gründungsphase, noch ist nicht genügend Vermögen vorhanden, um wirklich wirksam zu werden. Eileen Mägel, Sprecherin der Tanzhochschule, ist bewusst, in welch finanziell schwierigen Zeiten eine Stiftung momentan agiert: «Die erhofften Zinsen bleiben aus. Wir brauchen einen langen Atem. Und wir brauchen mehr Zustifter.» Die Stiftung solle möglich machen, was der Förderverein nicht leisten kann: «Wir möchten in Form von Stipendien Kindern eine Chance geben, die sonst keine Möglichkeit für eine solche Ausbildung hätten.»

Mägel hat da beispielsweise ein Mädchen und einen Jungen aus Brasilien im Sinn, die zuletzt an der Palucca Hochschule tanzten und keinen finanzielle Hilfe von zu Hause erhalten konnten: «Viele Eltern können ja nicht einmal die Reise zum Vortanzen bezahlen, oder aber die 50 Euro für ein paar Spitzenschuhe. Selbst in Deutschland gibt es viele Kinder, die aus sozial schwachen Verhältnissen stammen und dennoch den Traum vom Tanzen haben.» Genau hier soll die Stiftung ansetzen. Schon Gret Palucca habe solch ein Modell am Herzen gelegen, sagt Mägel.

Heidrun Müller sieht die Stiftung auch als Beitrag zum Zusammenhalt in einer von Spaltung bedrohten Gesellschaft. Schließlich sei der Tanz eine Schule fürs Leben: «Die Ausbildung ist natürlich auch eine Leidenszeit. Sie schweißt aber unheimlich zusammen. Es gibt Tränen und es gibt viel Freude.» Das alles passiere in einer Phase zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr und damit in einer Zeit, die prägend für das Leben sei. Müller kennt junge Leute, die einfach tanzen müssen und dafür sogar blutende Füße in Kauf nahmen. In ihnen soll Ingeborg Zinnerts Traum weiterleben. Von Jörg Schurig, dpa

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