Erste Reaktion auf die Schüler-Boom-Prognose: Eisenmann will Abbau von Lehrerstellen aussetzen

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STUTTGART. Die gestern veröffentlichte Schülerprognose der Bertelsmann-Stiftung sorgt für Wirbel in der deutschen Schulpolitik. Deutlich mehr Schüler als erwartet bedeuten einen deutlich höheren Bedarf an Lehrern und Schulgebäuden gegenüber der bisherigen Kalkulation. Die Kultusministerin von Baden-Württemberg (und amtierende KMK-Präsidentin) Susanne Eisenmann hat bereits Konsequenzen angekündigt: Sie will den geplanten Abbau von Lehrerstellen in ihrem Bundesland stoppen.

Bricht eine Lanze für das duale System: Susanne Eisenmann. Foto: Kultusministerium Baden-Württemberg
Will ab sofort keine Lehrerstellen mehr abbauen: Kultusministerin Susanne Eisenmann. Foto: Kultusministerium Baden-Württemberg

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will angesichts steigender Schülerzahlen den von der Vorgängerregierung vorgesehenen Abbau von Lehrerstellen im Südwesten stoppen. «Mein Ziel ist es, den Abbau auszusetzen und den Bedarf im Lichte der aktuellen Zahlen neu zu prüfen», sagte Eisenmann in Stuttgart. Dafür werde sie sich in den laufenden Haushaltsberatungen einsetzen. Der Abbaupfad sieht laut Ministerium zwischen 2018 und 2020 noch 700 Stellen zur Streichung vor. Eisenmann: «Der Stellenabbau ist jetzt ein falsches Signal zur falschen Zeit.»

Die Lehrerverbände VBE und GEW warnen nach einer neuen bundesweiten Prognose der Schülerzahlen auch in Baden-Württemberg vor enormen Lücken bei den Lehrerstellen. Nach groben Berechnungen würden in Baden-Württemberg bis 2025 rund 3300 zusätzliche Pädagogen an Grundschulen benötigt, schätzt der Verband Bildung und Erziehung (VBE). Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht bis 2030 einen Zusatzbedarf von mindestens 8000 Stellen bei den rund 2500 Grundschulen im Südwesten.

Ein Schüler-Boom kommt – und die Politik ist nicht vorbereitet. Es droht ein dramatischer Engpass an Lehrern

In Deutschland gehen nach der Studie der Bertelsmann Stiftung bis 2030 viel mehr Kinder zur Schule als bislang angenommen – mit vermutlich massiven Konsequenzen für den Finanzbedarf des Bildungssystems. Den am Mittwoch vorgestellten Berechnungen zufolge steigt die Schülerzahl von knapp 8 Millionen (2015) um acht Prozent auf fast 8,6 Millionen in 13 Jahren. Im Gegensatz dazu wurde bisher ein Absinken auf gut 7,2 Millionen Schüler bis 2025 prognostiziert. Laut Studie müssten Länder und Kommunen mit jährlich 4,7 Milliarden Euro höheren Bildungskosten rechnen. Das Schulministerium von Nordrhein-Westfalen regte angesichts der neuen Prognose an, Ergebnisse der nächsten KMK-Vorausberechnung nicht erst Ende 2018, sondern noch vor Ende des Schuljahres 2017/18 vorzulegen.

KMK-Generalsekretär Udo Michallik widersprach dem Eindruck, die Länder hätten falsch kalkuliert. «Die Zahlen der Kultusministerkonferenz sind nicht Planungsgrundlage für das, was in den Ländern passiert», sagte er im Deutschlandfunk. Die einzelnen Bildungsministerien ermittelten vielmehr eigene Schülerprognosen. «Insofern haben die Länder aktuelle Zahlen, auf deren Basis sie dann auch die entsprechenden Planungen in den Ländern machen.» Die KMK gehe schon länger von steigenden Schülerzahlen aus.

“Lehrerberuf attraktiver machen, Ausbildungsoffensive starten”: GEW, Philologen und VBE fordern schnelle Reaktionen auf die neue Schülerprognose

Die Zahl der Schüler in Baden-Württemberg beläuft sich auf aktuell gut 1,5 Millionen. Nach Eisenmanns Worten liegen die Gründe für den kommenden Zuwachs vor allem in der Zuwanderung sowie an den steigenden Geburtenzahlen. Die Daten des Statistischen Landesamtes deckten sich in der Tendenz mit denen der Stiftung.

VBE-Landeschef Gerhard Brand sagte, Eisenmann müsse bei ihrer Pressekonferenz zur Lehrergewinnung an morgigen Freitag sagen, wie sie dieser Situation begegnen wolle. Dies hänge aber auch davon ab, ob das Finanzministerium Geld bereit stelle. Auch GEW-Landeschefin Doro Moritz nimmt die Landesregierung in die Pflicht: «Niemand versteht, warum sie untätig bleibt, weiter Lehrerstellen streichen will und nicht endlich die Studienplätze für Grundschul- und Sonderpädagogik ausbaut.» Die SPD im Landtag forderte Eisenmann auf, sofort die Reißleine zu ziehen. «Sowohl die steigenden Schülerzahlen als auch die nötige Qualitätssteigerung verlangen eine Offensive für Bildung im kommenden Doppelhaushalt», sagte der Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei.

Im Kampf gegen Lehrermangel gibt es nach Brands Worten zwei Stellschrauben: Die Lehrerausbildung müsse jetzt intensiviert werden. «Wer sich heute über steigende Geburtenraten freut, muss in sechs Jahren mehr Lehrkräfte ausgebildet haben», sagte Brand. Zweitens müsse es finanzielle Anreize geben, die den Lehrerberuf attraktiver machen, insbesondere durch bessere Besoldung der Grundschullehrer.

„A13 für alle“

Gewerkschafterin Moritz schlug vor, die Grund- und Hauptschullehrer wie in anderen Bundesländern auch nach A13 statt nach A12 zu bezahlen. Es sei zudem unverständlich, warum Abiturienten aufgrund fehlender Studienplätze einen Einser-Schnitt brauchen, um Grundschullehramt zu studieren. Die Idee Eisenmanns, Gymnasiallehrer an Grundschulen einzusetzen, sei «Flickschusterei gegen den hausgemachten Lehrermangel», betonte Moritz.

Eisenmann verwies darauf, dass auf die Bevölkerungsentwicklung bereits reagiert worden sei. So sei die Zahl der Studienanfängerplätze beim Grundschullehramt von 970 Studienanfängerplätzen im Jahr 2015/16 auf aktuell 1272 Plätze erhöht worden. Beim Lehramt Sonderpädagogik liege die Zahl der Studienanfängerplätze bei derzeit 520 nach 390 im Jahr 2015/16. dpa

Im Schnellcheck: Was hinter der überraschenden Schülerprognose der Bertelsmann Stiftung steckt

 

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