Immer mehr Kinder in Deutschland von Scheidungen betroffen. Viele zeigen Reaktionen in der Schule

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WIESBADEN. Die Zahl der Scheidungen in Deutschland ist leicht gesunken – 2016 wurden 162.400 Ehen geschieden, 0,6 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Das gab das Statistische Bundesamt heute bekannt. Und: Das Alter der Menschen, die den Schritt gehen, steigt. Männer haben bei einer Ehescheidung mittlerweile im Schnitt ihren 45. Geburtstag schon hinter sich und Frauen längst den 40. gefeiert. Gleichwohl sind immer mehr Kinder betroffen: 2015 waren es 131.750, im vergangenen Jahr fast 132.000. Und viele davon zeigen Reaktionen in der Schule …

Die Trennung der Eltern ist für Kinder immer schlimm. Die Schule kann ein stabilisierender Faktor sein. Foto: Praveen Kumar/flickr (CC BY 2.0)
Die Trennung der Eltern ist für Kinder immer schlimm. Die Schule kann ein stabilisierender Faktor sein. Foto: Praveen Kumar/flickr (CC BY 2.0)

Die absolute Zahl der Scheidungen sagt allerdings nichts darüber aus, ob der Anteil der gescheiterten unter allen geschlossenen steigt oder nicht – weil es einerseits zunehmend auch in hohem Alter noch Scheidungen gibt, andererseits die Zahl der Ehen insgesamt zurückgeht, lässt sich der schwer bestimmen. So beträgt im Jahr 2016 die Scheidungsrate für die im Jahr 1991 geschlossenen Ehen, also nach 25 Jahren Ehedauer, bisher 392,6 Scheidungen je 1.000 Ehen. „Da aber auch in den Folgejahren noch Ehen dieser Kohorte geschieden werden, wird der Anteil der nach 30 oder 40 Jahren durch Scheidungen beendeten Ehen noch höher liegen“, erklären die Statistiker.

Auffällige Schüler – ein Schulpsychologe zieht Bilanz: „Die Fälle werden schwieriger und komplexer“

Woran scheitern denn so viele Ehen? Offenbar auch an den Belastungen durch die Elternrolle. „Das partnerschaftliche Ideal von Beziehung auf Augenhöhe, bei der man sich die Kindererziehung, den Haushalt und die Berufstätigkeit teilt, zerbirst an der Realität des Arbeitsmarktes und den Schwierigkeiten der Kinderbetreuung“, berichtet Achim Haid-Loh vom Evangelischen Zentralinstitut für Familienberatung in Berlin. Diese asymmetrische Aufteilung von Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit führe zu Verwerfungen, Enttäuschungen, Stress und Trennung. Andere blieben zusammen, höhlten ihre Partnerschaft und Sexualität aber soweit aus, dass sie sich trennten, wenn die Kinder aus dem Haus seien. „Viele halten es während der Pubertät ihrer Kinder gerade noch so aus und wenn die dann weg sind, bricht auf, was zehn Jahre unterdrückt wurde“, erklärte er bereits vor sechs Jahren gegenüber dem „Stern“.

„Die Zahl steigt massiv“

„Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die von Trennung und Scheidung betroffen sind, steigt massiv“, erklärte er damals. Haid-Loh. Bei mittlerweile mehr als 130.000 Jungen und Mädchen, die jedes Jahr die Scheidung ihrer Eltern wegstecken müssen, kommt innerhalb der vergangenen zehn Jahre eine Summe von deutlich mehr als einer Million betroffener Kinder und Jugendlicher zusammen. Dazu kämen noch zahlreiche nicht-eheliche Kinder, deren Eltern sich trennen. Fast jeder dritte Säugling werde inzwischen außerhalb einer ehelichen Lebensgemeinschaft geboren. Diese Partnerschaften seien gerade wegen Fragen im Sorge- und Umgangsrecht oft konfliktträchtiger als Ehen. „Und Streitigkeiten sind das, was Kinder und Jugendliche bei einer Trennung und Scheidung am meisten belastet.“

Studie: Schulprobleme von Scheidungskindern betreffen besonders bildungsferne Familien

Auch deer Soziologe Michael Wagner von der Universität Köln betont: „Das soziale Problem ist nicht die Scheidung, sondern die Kinder, die darunter leiden.“ Haben sie Nachteile? „Viele Befunde sprechen dafür, dass Scheidungskinder ein etwas höheres Risiko für Bildungsnachteile und Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit haben“, sagt Forschungsdirektorin Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut in München. „Das trifft jedoch keineswegs alle Scheidungskinder, sondern ist davon abhängig, welche Probleme durch die Trennung der Eltern entstehen oder ihr schon voraus gegangen sind.“

Zeit spiele auch eine Rolle. „In der Regel brauchen Scheidungsfamilien rund zwei Jahre, um tragfähige Regelungen zu treffen, neue Routinen im Alltag aufzubauen und die emotionalen Belastungen zu verarbeiten“, sagt Walper. In dieser Zeit gehe es den Kindern zumeist deutlich schlechter. Allerdings: „Für Kinder und Jugendliche mit sehr zerstrittenen Eltern ist es langfristig meist günstiger, wenn sich die Eltern trennten, als wenn diese zusammenblieben – es sei denn, der Streit geht auch nach der Trennung unvermindert weiter.“ Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa

 

Hintergrund: Scheidungskinder und Schule

Auf der Homepage des österreichischen Psychologen Werner Stangel findet sich ein wissenschaftlichen Aufsatz von Julia Niedermayr und Elisabeth Steinkellner zum Thema „Scheidungskinder und Schule“. Darin heißt es:  

„Es ist empirisch belegt, dass die Schulleistungen von Scheidungskinder untern denen anderer liegen. Es gibt verschiedenen Theorien, was die Ursache dafür sein könnte. Zum einen, dass der allein erziehende Elternteil arbeiten gehen muss und weniger Zeit für das Kind hat. Das bedeutet, dass das Kind bei den Hausaufgaben meist keine Hilfe bekommt. Zudem haben Scheidungskinder mehr Aufgaben im Haushalt zu verrichten. Die emotionale Belastung des Kindes durch die Scheidung führt auch zu Konzentrationsschwierigkeiten und behindert die Lernmotivation (…). Darum ist es notwendig, dass die Schule betroffenen Kindern Hilfe und Unterstützung in dieser schwierigen Situation bietet – ganz nach dem Motto „Integration statt Isolation, Hilfe statt Tabuisierung“ (…).

Die Auswirkungen von Scheidung/Trennung auf die kognitive Leistung treten im ersten Jahr nach der Trennung auf. Der Einfluss auf die Leistung von Scheidungskindern hält so lange an bis die Scheidungsfamilie wieder reorganisiert und restabilisiert hat. Je jünger die betroffenen Kinder sind, desto massiver wirkt sich die Scheidung/Trennung auf die kognitive Entwicklung aus. Es werden insbesondere mathematisch-logische Fähigkeiten beeinflusst. Außerdem verringert sich die Konzentrationsfähigkeit und Ausdauermotivation bei Scheidungskindern (…). In der Schule zeigen Scheidungskinder unterschiedliche Verhaltenstendenzen. Einerseits zeigen betroffene Kinder Leistungsverschlechterung, Verhaltensauffälligkeiten, problematische Kommunikation mit Gleichaltrigen und Konzentrationsmangel. Dadurch kann Schule zu einer zusätzlichen Belastung werden. Andererseits versuchen Kinder aus Konfliktfamilien durch Anpassung und Unauffälligkeit in der Schule die Scheidung/Trennung ihrer Eltern zu bewältigen (…).“

Quelle: http://stangl.eu/psychologie/praesentation/scheidung.shtml

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