„Wenn ihr diese Welt behalten wollt, müsst ihr sie ändern“: Was Greta Thunberg dazu brachte, fürs Klima zu schwänzen – ihre Mutter erzählt

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STOCKHOLM. Greta Thunberg, die junge schwedische Klimaaktivistin, lehrt die Mächtigen das Fürchten. Jeden Freitag „streiken“ Tausende von Schülern allein in Deutschland nach ihrem Vorbild und ziehen protestierend während der Unterrichtszeit durch die Städte. Um das Phänomen zu verstehen, lohnt ein Blick ins Private. Ein Buch, das Greta und ihre Familie selbst verfasst haben, macht anschaulich, wie sich aus der tiefen Betroffenheit eines Kindes eine weltweite Jugendbewegung entwickeln konnte. Wir veröffentlichen im Folgenden einen Auszug.

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Hat die Welle der Schulstreiks losgetreten: die Schwedin Greta Thunberg. Foto: Anders Hellberg / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Das, was unsere Tochter durchgemacht hat, lässt sich nicht allein in medizinische Fachbegriffe fassen oder mit Anderssein erklären. Sie bekam die Dinge ganz einfach nicht zusammen. In einer Schulstunde sieht Gretas Klasse einen Film über die Verschmutzung der Weltmeere. Im südlichen Pazifik treibt eine Insel aus Plastikmüll, die größer ist als Mexiko. Greta bricht während des Films in Tränen aus. Auch ihre Klassenkameraden sind betroffen. Am Ende der Stunde erzählt die Lehrerin, dass am Montag eine Vertretungskraft für sie einspringe, weil sie am Wochenende auf eine Hochzeit eingeladen sei – in Connecticut, außerhalb von New York. »Wow, Sie Glückspilz«, sagen die Schüler.

Draußen auf dem Flur ist die Müllinsel vor der chilenischen Küste schon wieder vergessen. Aus Daunenjacken mit Pelzkragen werden neue iPhones gezogen; und alle, die schon einmal in New York waren, schwärmen davon, wie viele coole Läden es dort gäbe, und in Barcelona könne man ganz toll shoppen, und in Thailand sei alles superbillig, und irgendwer fliegt mit seiner Mutter in den Osterferien nach Vietnam, und Greta bekommt das alles nicht zusammen.

Das Buch

»Szenen aus dem Herzen« erzählt aus dem Inneren der Familie: Wie die Eltern Malena und Svante mit Gretas Asperger-Syndrom umgehen. Wie Greta erstmals vom Klimawandel hörte und seitdem nicht mehr aufhören konnte, darüber nachzudenken. Wie sie ihre kleine Schwester Beata und ihre Eltern davon überzeugt, für das Klima zu kämpfen. Wie die Eltern beschließen, nicht mehr zu fliegen und überhaupt ihre Lebensgewohnheiten grundlegend zu ändern – für das Klima und für die Zukunft.

Bis zu Gretas erstem Schulstreik im August 2018 erzählt dieses Buch, wie Greta Thunberg die wurde, die sie heute ist – Vorbild, Inspiration und Ikone des Klimaschutzes.

Eine Mitteilung der Familie: »Vor der Veröffentlichung dieses Buchs haben wir festgelegt, dass das Geld, das wir damit eventuell verdienen, an Greenpeace, WWF, die Institution für tiergestützte Pädagogik und Therapie Lära med djur, den Schwedischen Naturschutzverein und dessen Jugendumweltorganisation Fältbiologerna, den Verein für Menschen mit Beeinträchtigungen Kung över Livet, Kinder in Not und die Tierschutzorganisation Djurens Rätt geht. Und so ist es. PS: Das haben Greta und Beata entschieden.«

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In der Schulmensa gibt es an diesem Tag Hamburger, aber Greta kann nicht essen. In der Mensa ist es warm und eng. Es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm, und plötzlich ist dieses fettige Stück Fleisch auf dem Teller kein Nahrungsmittel mehr. Es ist der zerquetschte Muskel eines Lebewesens, das Gefühle hat, ein Bewusstsein und eine Seele. Die Müllinsel hat sich auf Gretas Netzhaut eingebrannt.

Sie fängt an zu weinen und will nach Hause, aber sie darf nicht nach Hause und soll in der Schulmensa tote Tiere essen und über Markenklamotten, Make-up und Handys reden. Man soll sich den Teller mit Essen vollladen, sagen, dass es furchtbar eklig sei, und ein bisschen darin herumstochern, bevor man alles in den Mülleimer wirft – ohne Anzeichen von Autismus oder Anorexie oder irgendetwas anderem Unangenehmen zu zeigen.

Greta hat eine Diagnose gestellt bekommen, aber das schließt nicht aus, dass sie recht hat und wir anderen so falschliegen, wie man nur falschliegen kann. Denn sosehr sie sich auch bemüht, die Gleichung, die wir anderen schon gelöst haben, geht für sie nicht auf; die Gleichung, die die Eintrittskarte zu einem funktionierenden Alltag darstellt. Weil sie das sieht, was wir anderen nicht sehen wollen. Greta gehört zu den wenigen, die unsere Kohlendioxide mit bloßem Auge erkennen können. Sie sieht, wie die Treibhausgase aus unseren Schornsteinen strömen, mit dem Wind in den Himmel steigen und die Atmosphäre in eine gigantische unsichtbare Müllhalde verwandeln. Sie ist das Kind, wir sind der Kaiser. Und wir sind alle nackt.

(…)

Greta sitzt auf dem Fußboden in der Küche mit Moses und Roxy. Sie bürstet ihr Fell mit einem alten Kamm, ruhig und systematisch. »Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal etwas von Klima und Treibhauseffekt gehört habe«, sagt sie. »Ich weiß noch, wie ich gedacht habe, dass das doch einfach nicht stimmen kann. Denn, wenn es wahr wäre, dann würde man sich ja wohl kaum noch über etwas anderes unterhalten. Und trotzdem gab es niemanden, der darüber sprach.«

»Ihr werdet diejenigen sein, die die Welt retten«, sage ich zu meiner Tochter. Sie rümpft die Nase, genauso wie mein Vater es immer getan hatte, ein Mann, der durchs Leben ging wie die stilsicherste Karikatur einer Person mit Asperger, die man sich nur vorstellen kann. Nur dass ihm nie eine Diagnose gestellt wurde. Sie sind sich zum Schießen ähnlich. »Die Lehrer sagen genau dasselbe«, antwortet Greta. »Eure Generation ist es, die die Welt retten wird. Ihr seid diejenigen, die hinter uns aufräumen und alles in Ordnung bringen werden, sagen sie, und dann fliegen sie jede Ferien davon, um Urlaub zu machen. Ihr seid es, die die Welt retten werdet. Danke, wir haben es jetzt gehört. Aber es wäre nicht ganz blöd, wenn auch ihr ein bisschen mithelfen würdet.«

„So jemand wie ich wird die Welt nicht retten“

Sie steht auf und geht Moses hinterher, der es sich auf dem Teppich ein paar Meter weiter bequem macht. Sie ergänzt: »Und nein, Mama, so jemand wie ich wird die Welt nicht retten. Denn auf so jemanden wie mich hört niemand. Man kann sich vielleicht Wissen aneignen, aber das zählt ja heute nicht mehr. Das sieht man doch bei den Wissenschaftlern. Auf die hört auch niemand. Und auch wenn dem so wäre, wäre es egal, denn die Unternehmen stellen ihre eigenen Experten an, die sie in die USA auf irgendwelche superteuren Medientrainings schicken, damit sie danach in den Nachrichten auftreten und behaupten können, dass es wirklich richtig gut ist, alle Bäume abzuholzen und alle Tiere zu ermorden. Und wenn die Wissenschaftler dann etwas dagegen sagen, hört man nicht auf sie, denn die Unternehmen haben dann schon das halbe Land mit Anzeigen bombardiert, denn die Wahrheit ist auch nur noch eine Sache, die man für Geld kaufen kann.«

Moses hebt den Kopf, als sich der Aufzug im Treppenhaus in Gang setzt. Greta folgt seinem Blick. »Ihr habt eine Gesellschaft geschaffen, in der einzig soziale Kompetenz, gutes Aussehen und Geld den Ton angeben. Wenn ihr also wollt, dass wir die Welt retten, müsst ihr zuerst einige Dinge ändern. Denn so wie es jetzt ist, gehen alle, die ein bisschen anders denken und die Ideen haben, auf die andere nicht kommen, früher oder später kaputt. Entweder werden sie da draußen gemobbt, oder sie bleiben einfach ganz zu Hause. Oder sie werden wie ich in Förderschulen geschickt, wo es leider keine Lehrer gibt.«

Sie dreht sich zu mir um und guckt mir direkt in die Augen. Das tut sie so gut wie nie. »Du redest doch dauernd davon, dass ich einen großen Buchverlag dazu gebracht habe, mir zu versprechen, dass sie das Lehrbuch für Geographie für die Mittelstufe umschreiben, weil ich ihnen gesagt habe, dass da drin ein Fehler war. Genauso wie ein Artikel in der Zeitschrift zur Nachhaltigkeit umgeschrieben wurde. Ich hatte jetzt seit einem Jahr kein naturwissenschaftliches Fach mehr. Weil wir keine Lehrer haben. Wenn ihr diese Welt behalten wollt, müsst ihr sie ändern. Denn so wie sie jetzt ist, funktioniert gar nichts.« Greta holt tief Luft und steckt ihre Nase in Moses flauschiges Fell. Und schnüffelt daran.

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Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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11 Kommentare
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Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Beeindruckend offen wird ihre intensive und nachhaltige Auseinandersetzung in der Wahrnehmung von Problemen beschrieben.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Wenn ihr euch nicht der Welt enthaltet, werdet ihr diese zerstören.

AvL
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Dazu gehört dann wohl auch der umstrittene Begriff des Hirntodes, der 1968 im Zuge der sich entwickelnden Möglichkeit der Transplantation und der Intensivmedizin entwickelt wurde, um eine Rechtfertigung für die Entnahme von Organen von noch lebenden Menschen zu entnehmen. Ethisch ist dieser Vorgang bedenklich, eine Begründung musste her.
Deshalb ist die Widerspruchslösung eine sehr fragliche Option und man sollte den Betroffenen selbst entscheiden lassen, ob er sich bei einer fehlgeschlagenen Reanimation als Folge einer schlechten allgemeinen Ausbildung der Bevölkerung, sich einem derartigen Vorgehen aussetzen möchte.

AvL
4 Jahre zuvor
Antwortet  AvL

Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

anonymus
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Wohl wahr, Herr Wrobel, trotzdem hoffe ich, dass Entscheidungen gegen den Klimawandel und zum Umweltschutz durch den enormen Druck junger Menschen jetzt nicht mit politisch heißer Nadel gestrickt werden.
Ein alarmistischer Hype birgt bekanntlich die Gefahr von blindem Aktionismus, der auch nach hinten losgehen kann und der Zukunft junger Menschen etwas anderes bringt als in Podiumsreden erhofft und blauäugig vorhergesagt.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  anonymus

Es geht auch darum, dass man nicht alles unnötig Unmögliche für sich selbst realisiert, wie etwa die Beschaffung von Tropenfrüchten, die günstig beschafften mit Flügen aus Südamerika, Afrika und sonst wo her hier anlanden, um dann zum Teil in der Mülltonne zu verschwinden. Oder es geht auch um sinnlose Einkaufsflüge nach New York, kostspielige Urlaube in als Folge des Massentourismus untergehende Südseeparadiese, nach Indien oder sonst wo hin.
Und all dies erfolgt ohne eine Steuer auf das klimagiftige Kerosin, welches dann in der oberen Atmosphäre seine Wirkung noch sehr viel intensiver verbreitet als wenn etwa eine Kuh auf der Alb einen Methan-Furz fahren lässt.
An die üppige Reiseindustrie und deren gerechte und sinnvolle Besteuerung traut sich kein politisch Verantwortlicher heran, weil da Arbeitskräfte dran hängen und die Oma möchte eben auch einmal nach Mallorca fliegen, und der Enkelsohn will eben an Christi Himmelfahrt über den „Vatertag“ und das verlängerte Wochenende sich mal eben dort mit den Kumpels einen Kater antrinken.
Auf die Umwelt, von Enthaltung und Verstand keine Spur auf weite Sicht, oder liefert die Politik endlich was Substantielles, damit dieser Wahnsinn zumindest eingegrenzt wird ?

xxx
4 Jahre zuvor

Was passiert eigentlich mit dem Verkaufserlös? Wenn er nicht in voller Höhe an Klimaschutzprojekten gespendet wird, verliert die Familie Thunberg jegliche Glaubwürdigkeit.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Und so sucht man nach Fehlern beim anderen, um eine Bestätigung und Rechtfertigung für sein eigenes Fehlverhalten zu bekommen.

Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Soweit ich weiß, soll der Erlös aus dem Buchverkauf gespendet werden. Alles andere hätte wirklich ein „Geschmäckle“.

Lisa
4 Jahre zuvor

Der erfrischende Artikel einer 18-jährigen Schülerin auf dem Schüler-Blog „Apollo-news“:

„An einigen Orten in Deutschland hat es vergangene Woche geregnet. Wer jetzt glaubt, dass das eine normale Wettererscheinung ist, weiß gar nicht wie falsch er damit liegt. Und wer es wagt, das „explosives Sommergewitter mit Kraftregen und heftigen Stürmen“ als kleinen Sommerschauer abzutun, lässt damit nur seine Maske fallen, um bloße Dummheit zu enthüllen. Aber keine Sorge, die Welt ist vielleicht hoffnungslos verloren, aber die Schäfchen, die sich auf Gretas Weg verirrt haben, sind das nicht. Jeder hat eine Erleuchtung verdient und zum Glück bin ich ja da. Also ich sage es ganz langsam, damit es sogar die hintersten Dunkeldeutschen verstehen: der zunehmende Niederschlag ist ein Vorbote des Klimawandels. Das weiß ich, weil mein Deutschlehrer das gesagt hat. Und er muss das wissen. Er sah so ernst aus, als er das sagte. Er starrte in die Ferne – wie ein Kapitän, der weiß, was nach der Ruhe vor dem Sturm auf ihn zukommt. Nur dass es keine Ruhe ist, sondern Gewitter, mit grölendem Donner, Blitzen und Killerregentropfen, die den Weltuntergang vorhersagen. Praktisch nebenbei legte der zeitweise den Flugverkehr lahm – das muss man sich mal vorstellen, der Klimawandel ist so stark, dass er sich schon selbst bekämpft. (…)
http://apollo-news.net/der-klimawandel-schreitet-voran/#comments

AvL
4 Jahre zuvor
Antwortet  Lisa

@Lisa
Dazu passt als Antwort der Spruch eines bedeutenden Humanisten: „Wer das ganze Weltall kennt und kennt sich selbst nicht, der kennt das All nicht.“